NEWSLETTER 26.01.2024

Über den Puls einer verunsicherten Gesellschaft,
harte Zeiten für Optimisten und
einen Baum, an dem sich mancher reibt

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

wenn der Mensch sich nicht wohlfühlt, geht er zum Arzt. Der stellt zuerst einmal eine Diagnose, bevor er mit der Behandlung beginnt. Wenn eine Gesellschaft sich nicht wohlfühlt, fragt sie häufig Demoskopen. So liefern etwa forsa oder der ARD-Deutschlandtrend regelmäßig Stimmungsbilder, die Auskunft über den Zustand unserer Gesellschaft geben. Eines der bekanntesten Gesichter unter diesen Diagnostikern, die Deutschland regelmäßig den Puls fühlen, ist Jörg Schönenborn, Programmdirektor des WDR. Mit ihm habe ich zum Beginn dieses sehr besonderen Jahres gesprochen, eines Jahres, in dem Europa-, drei Landtags- und die US-Präsidentschaftswahlen dramatische Veränderungen bewirken können.

Optimisten haben gerade einen schweren Stand“, sagt Schönenborn, lediglich 13 Prozent der Befragten seien zuversichtlich, 83 Prozent schauten besorgt in die Zukunft. Ein Problem sei dabei auch, dass die Ampelkoalition „kein Gefühl von Aufbruch und Erneuerung“ vermittele. Bei den vielen Sorgen, die in der Bevölkerung grassierten – Klimawandel, Kriminalität, Wohlstandsverlust -, die die Stimmung stark prägten, sticht eine besonders hervor: 2022 war das Jahr mit der größten Zuwanderung seit Beginn der Aufzeichnungen. „Eine Mehrheit der Bevölkerung hat den Eindruck, dass mehr Migranten zu uns kommen, als wir bewältigen können“, so Schönenborn. Damit herrsche der Eindruck von Kontrollverlust des Staates vor. „Dahinter steckt überwiegend keine fremdenfeindliche Einstellung“, interpretiert er, sondern die Befürchtung, „in einer Welt von Krisen und Bedrohungen“ dieser Entwicklung hilflos ausgeliefert zu sein.

Damit rückt die ungeliebte Berliner Ampelkoalition ins Blickfeld, wobei für Jörg Schönenborn relativiert, Kritik an Bundesregierungen und schlechtes Regierungshandwerk seien kein Alleinstellungsmerkmal der streitlustigen Scholz-Truppe. Jedoch habe die Erfahrung der letzten Jahre gezeigt, „dass wir in vielerlei Hinsicht einen schwachen Staat haben: Er hat Mühe, Masken und Impfstoffe zu organisieren, eine Bundeswehr, die unser Land nicht verteidigen kann, eine Bahn, die in ihrem Zustand auch ohne Streik nicht mehr fahren kann“, von Defiziten bei Digitalisierung und Klimaschutz ganz abgesehen. Deshalb sei der Unmut über eine Regierung, die ihre Versprechen nicht einlösen könne, besonders groß.

All das hat zum Erfolg der AfD beigetragen. Die Bindung an Parteien hat über die Jahre deutlich abgenommen, die „Bereitschaft, auch mal Parteien auszuprobieren, über die man früher den Kopf geschüttelt hätte“, ist entsprechend größer geworden. In einer Hinsicht beruhigt Schönenborn: Der Anteil der Menschen mit extremistischen oder ausgeprägt rechten Einstellungen hat sich dabei in den letzten Jahren vielen Studien zufolge auf dem gleichen Niveau gehalten. Das ist eine Minderheit, die aber seit einem halben Jahr von der AfD ungewöhnlich stark gebunden wird. Die Partei schöpft in Umfragen seit dem Sommer ihr Potenzial in hohem Maße aus.“ Auch wenn das Wahlverhalten insgesamt sehr volatil geworden ist, die AfD habe sich „dauerhaft etabliert.“ Allerdings könnte sich mehr als die Hälfte der potentiellen AfD-Wähler eine Rückkehr zu einer Partei der Mitte vorstellen – wenn das Vertrauen in die Kompetenz der anderen Prteien wieder hergestellt wird.

Die Unzufriedenheit mit dem herkömmlichen Angebot an demokratischen Parteien schafft Platz für neue Angebote wie zum Beispiel das gerade gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Das Potenzial dieser Partei läßt sich laut Schönenborn nicht genau beziffern. Interessant sei, dass etwa die AfD weitgehend unabhängig von Führungspersönlichkeiten gewählt wurde, das „BSW nun ganz im Gegenteil auf eine herausgehobene Persönlichkeit“ setze. Darin „liegt sicher eine Chance, vor allem aber ein sehr großes Risiko“.

In der Zersplitterung der Parteienlandschaft sieht Schönenborn die „Gefahr einer Spirale nach unten“. Denn „wenn der Anteil der etablierten Parteien aus der breiten politischen Mitte weiter absinkt, sind sie – siehe Thüringen, Sachsen-Anhalt, Sachsen – immer mehr auf Bündnisse und Verabredungen angewiesen, die nicht wirklich glaubwürdig erscheinen.“ Je mehr Partner eine Koalition braucht und je weiter diese politisch auseinander liegen, desto weniger wird das politische Ergebnis deren Anhängerschaft befriedigen“. Beim Blick auf das Erscheinungsbild der Ampel wirkt dies wie eine Bestätigung dieser These.

Stimmt diese Analyse auf eine politische Landschaft im Umbruch auch nicht fröhlich, so ist sie zumindest spannend wie lange nicht. Deshalb sind wir im Kölner Presseclub sehr froh, Gerhart Baum für unser Jahresauftaktgespräch gewonnen zu haben. Am 31. Januar ist der ehemalige Bundesinnenminister und große alte Mann der FDP zu Gast im Excelsior Hotel Ernst. Ich bin sehr gespannt und freue mich auf seine Sicht der Dinge. Der streitbare Liberale hat die Politik in Deutschland seit vielen Jahrzehnten nicht nur bewußt erlebt, er hat sie auch maßgeblich gestaltet und geprägt.

Und last but not least der Hinweis auf den Podcast meiner Kollegin Susanne Hengesbach. Sie grübelt, nachvollziehbar und berechtigt, darüber, warum man mittlerweile selbstbestimmt sein Geschlecht selbst bestimmen darf, nicht aber sein Geburtsdatum. Doch hören Sie selbst.

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

NEWSLETTER 19.01.2024

Kölns Vergangenheit auf dem Prüfstand. Und wie ein Nachfahre des Roten Barons ein Filmexperiment wagt

 

Sehr geehrte Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

wir Kölner haben eine Stadt mit langer Geschichte und sind  – gemessen an unseren vielen Karnevalsliedern – auch sehr stolz darauf. Einiges aus der Vergangenheit ist im öffentlichen Stadtbild an vielen Orten sichtbar: Denkmäler, Plätze, Straßennamen. Jahrzehntelang sind wir aber eher achtlos an ihnen vorbei- oder drüber gelaufen und außer ein paar Tauben hat sich kaum ein Kölner dafür interessiert.  Das ändert sich gerade.

Die Debatte um Denkmäler und Straßennamen nimmt weiter Fahrt auf. Die Stadt Köln hat 2021 beschlossen, ihr koloniales Erbe umfassend aufzuarbeiten. Seit 2022 berät ein Gremium den Stadtrat über den Umgang mit der Kolonialgeschichte in Köln. Auf der Liste der Handlungsempfehlungen taucht unter anderem das Kaiser Wilhelm-Denkmal an der Hohenzollern-Brücke auf, aber auch die Konrad-Adenauer Statue vor Sankt Aposteln wird mittlerweile kritisch betrachtet. Zudem will  das Gremium auch Straßennamen, die Bezug zum Kolonialismus, Imperialismus und – das ist unstreitig – zum Nationalsozialismus aufweisen, umbenennen. Wie gehen Nachfahren von ehemals namhaften Persönlichkeiten mit der Debatte um, wollte ich wissen. Ich habe mit einem gesprochen, der einen bekannten Namen trägt.

Gerhard von Richthofen gibt sofort unumwunden zu: „Jede Generation hat das Recht die Vergangenheit neu zu bewerten.“ Er stammt aus einer Familie mit nicht nur einer Berühmtheit in der Ahnengalerie. Der Bekannteste dürfte Manfred Freiherr von Richthofen sein, der Rote Baron. Er galt als der beste Flieger des Ersten Weltkrieges. Bereits zu Lebzeiten wurde er zum Helden stilisiert. Sein Nachfahre Gerhard von Richthofen hat sich mit dem Namen Richthofen in jungen Jahren sehr schwergetan. „Als Kriegsdienstverweigerer war es mir früher immer unangenehm, auf den Roten Baron angesprochen zu werden.“  Begriffe wie Krieg und Held passen für ihn nicht zusammen. Zumal auch die Nationalsozialisten den Roten Baron für ihre Propagandazwecke ausschlachteten. 1937 wurde posthum die Richthofenstraße in Köln-Porz nach ihm benannt. (Sie steht übrigens bislang noch nicht auf der Short-List des Gremiums.) Auch zum Butzweiler Hof führt eine Spur. Auf dem Fliegerhorst im Westen Kölns begann Manfred von Richthofen 1915 seine Karriere als Pilot.

Bis in die heutige Zeit gibt es Bundeswehrkasernen und Luftwaffengeschwader mit seinem Namen, zahlreiche Dokumentationen und Kinofilme. Snoopy von den Peanuts auf seiner Hundehütte in Fliegermontur kennt jedes Kind. Sein Konterfei schmückt sogar eine amerikanische Tiefkühlpizza. Für Gerhard von Richthofen vergeht kaum ein Kennenlernen, bei dem er nicht auf den Familiennamen und den Roten Baron angesprochen wird. Mittlerweile kann er damit besser umgehen als früher. Er hat Verständnis für das große Interesse. Dennoch, Nachkomme einer berühmten Familie zu sein scheint Segen und Fluch zugleich. Man spürt eine Zerrissenheit. Gerhard von Richthofen wuchs in einer kleinen Beamtensiedlung in Bonn auf und studierte nicht Jura, wie viele Richthofens, sondern wurde lieber Filmemacher. Er produzierte Serien für den WDR und Privatsender und auch Kinofilme. Jetzt mit 66 Jahren möchte er einen persönlichen Film über sich und seine Familie drehen. „Diejenigen, die den Namen tragen, sind  gewollt oder nicht  mit dem Mythos Richthofen verbunden. Ich möchte der Frage nachgehen, was es damit auf sich hat und wie es sich damit heute lebt,“ sagt er.

Dafür ist Gerhard von Richthofen tief in die fast 500 Jahre alte Geschichte der Familie eingestiegen. Manches, was er dabei fand, sei traurig und erschreckend gewesen. Er habe aber auch gelacht und geschmunzelt, mindestens einmal musste er sich schämen, gibt er unumwunden zu. Mit dem adligen Nachnamen werden nicht nur positive Ereignisse verknüpft. Auch davon soll sein Film erzählen. Dreharbeiten verursachen Kosten und deshalb hat er ein Crowdfunding ins Leben rufen. Seit vergangenem Dezember sind über 3.000 Euro zusammengekommen, bis zum 21. Januar will er 5.000 Euro sammeln, um die Reisekosten zu decken. Den Rest finanziert er aus eigener Tasche. Wer mitmacht, wird im Abspann erwähnt. Gezeigt wird der Film zunächst auf dem Treffen des Familienverbandes im Herbst, bei dem mehr als 100 Richthofens aus allen Ecken der Welt regelmäßig zusammenkommen. Der Film dürfte für einige Diskussionen sorgen. Aber damit rechnet Gerhard von Richthofen: „Ich möchte einige Neubetrachtungen der Familie Richthofen anregen,“ sagt der Produzent, „sie nicht glorifizieren, sondern als einen Teil unserer langen Geschichte darstellen  – im Guten wie im Schlechten.“

Mehr über die eigenen Vorfahren herauszufinden, hat aber nicht nur für Gerhard von Richthofen eine große Faszination. Wer von uns hat sich noch nicht gefragt, woher seine Familie stammt.  Es ist die Suche nach unseren Wurzeln und damit auch nach unserer Identität. Nur wie gehen wir generell damit um? Für den Historiker Dr. Ulrich Soénius ist klar: „Geschichte ist immer im Kontext der jeweiligen Zeit zu sehen.“  Bezogen auf die aktuellen Denkmal-Debatten findet er: „Nur weil wir heute vieles anders werten, darf das nicht bedeuten, Zeugnisse der Zeit zu vernichten.“ Ein entscheidendes Kriterium für eine geschichtliche Neubetrachtung ist für den Kölner Wissenschaftler vor allem eine menschenherabwürdigende Darstellung. Die liegt jedoch weder bei von Richthofen noch beim Kaiser Wilhelm-Denkmal vor und bei Adenauer erst recht nicht. Erläuterungen als QR-Code in mehreren Sprachen könnten aufklären, denn: „Das Niederreißen von Denkmälern macht die Welt nicht besser.“

Der Umgang mit Darstellungen unserer Vergangenheit ist ein ernstzunehmendes Thema. Ein Thema, das viel zu schnell emotional aufgeladen ist.  Wo fängt man an, wo hört man auf und was ist der richtige Weg für eine Erinnerungskultur? Abreißen, Erhalten oder Schweigen? Fragen, die uns noch lange beschäftigen werden. Deshalb verdienen Menschen, die sich trauen ihre persönliche Vergangenheit kritisch zu reflektieren,  zunächst meinen Respekt.

Was viele im Alltag bewegt, können Sie wieder im Poetry-Podcast von Susanne Hengesbach hören. Sie knöpft sich in einer neuen Folge die erhöhte Mehrwertsteuer bei Gastronomen vor.  Den Link finden Sie hier.

Viel Spaß und bis bald

Herzliche Grüße sendet Ihnen

Ihre

Claudia Hessel

 

 

NEWSLETTER 12.01.2024

Warum die Liebe zu Köln hilfreich und die blinde Liebe gefährlich ist – Ein Blick auf die Stadt von innen und von aussen   

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

selbst wenn Sie diesen aktuellen Trend nicht kennen – ich bin sicher, insgeheim kommt er Ihnen bekannt vor: Er heißt Nachrichtenvermeidung. Man ist der schlechten Botschaften müde. Wem geht es nicht so? Wie also diesen Newsletter schreiben in Krisenzeiten? Eine Hilfe war mir eine Mail von unserer Leserin Nani van der Ploeg.

„Ich bin in dieser Stadt geboren und besoffen von ihr, wie die meisten Kölner,“ schreibt sie an den Kölner Presseclub. „Man steht vor der Hohenzollernbrücke und findet, dass die Harbour Bridge in Sydney doch ein Dreck dagegen ist! Aber man muss sich ja den kritischen Blick auf offensichtliche Missstände nicht verstellen lassen.“ Klare Aussage mit einem Schuss Selbstironie – genau so ist es. Daher soll hier auch das Bekenntnis zu Colonia nicht zu kurz kommen.

Wie zum Beispiel bei Johann Maria Farina. Er ist Chef des Familienunternehmens „Farina“. Das älteste Parfümhaus überhaupt steht für die Erfindung des Eau de Cologne und hat seit mehr als 300 Jahren seinen Firmensitz in der Kölner Innenstadt. „Rational gesehen, müssten wir Köln verlassen,“ sagt der Geschäftsmann und Parfümeur nüchtern. Wer, wie ich, vom Bahnhof kommend zum Farina-Stammhaus an Obenmarspforten 21 geht, versteht ihn.

Der Roncalliplatz ist gesäumt von Baustellen bis hin zur Baugrube, die für das Ende der Gerch-Gruppe und deren Innenstadtplänen steht. Die „Historische Mitte“ gegenüber der Baustelle Dom Hotel war zu lange Gegenstand immer neuer Erwägungen. Waren hier Politik und Verwaltung zu langsam oder die Wirklichkeit zu schnell? Jedenfalls hat sich die Gesamtlage derart geändert, dass das Projekt kaum noch Chancen hat. Man begegnet Bauzäunen, deren Plakatierung sich längst löst, lockeren Flatterbändern und aufgerissenen Straßen. Am Jüdischen Museum – vis-a-vis Farina -, wird seit 2017 gebaut. Vorher war jahrelang ausgegraben worden. Immerhin – dessen Fertigstellung scheint gesichert. Verkehrswirrwarr, Dreck und schlechtes Wetter. Halten wir ein mit den schlechten Nachrichten.

Denn: Farina bleibe ganz bewusst in der Stadt, sagt der Chef, aus dem weniger Trotz als das Selbstbewusstsein spricht, welches das Kölner Bürgertum prägt. In den stilvollen Verkaufsräumen hört man alle Weltsprachen. Goethe hat hier Duftwasser gekauft, Napoleon war Groß- und Dauerkunde, wie das Original-Firmenarchiv weiß. Farina versteht sich viel zu sehr als konstitutiver Teil dieser Stadt, als dass er sich von den aktuellen Zuständen erschüttern ließe. „Köln ist zukunftsfähig wegen seiner Substanz“, sagt der Unternehmer, der indes ein Umsetzungsproblem beklagt. Die Via Culturalis etwa. Sie sei ja da. Warum also nicht jetzt schon die Kulturachse bespielen?

In Italien beeindruckt ihn bei seinen beruflichen Besuchen stets, wie praktikabel die Verkehrsführung auch in historischen Quartieren geregelt und wie ästhetisch hochwertig diese restauriert seien. Zurück in Köln erlebe er zwar jedes Mal einen Kulturschock. Aber im Grundsatz sei er positiv. „Sonst wäre ich nicht Unternehmer.“

Diese solide Liebe zur Stadt ist ein Pfund. Sie prägt auch Dr. Johannes Novy, Professor an der University of Westminster’s School of Architecture and Cities. Der gebürtige Kölner verschaffte sich vor kurzem mit einer Art Urschrei Luft. „Stadtentwicklung in Köln. Scheitern als Kunstform“, überschrieb der renommierte Planer einen Essay, den Sie hier nachlesen können. Der Titel klingt böser als sich der Text liest.

„Aufregen“ ist in Köln eine Art Volkssport, sagt Novy. Das sei zu wenig.  Er hat den Anspruch, die Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten Kölns und den Resultaten aufzuarbeiten. Es gehe darum, konstruktiv herauszufinden, warum Städte wie Köln so scheitern können. „Deutschland riskiert, den Anschluss zu verlieren“, sagt der Wissenschaftler mit distanziertem Blick von außen. „Wie schafft man das in Italien oder Finnland?“, fragt er.  

Wird der Tag des magischen Moments kommen, habe ich Johannes Novy gefragt. Wenn die Bauarbeiten ein Ende finden? Wenn alles sich in Harmonie fügt, weil im Puzzle das letzte fehlende Teil seinen zentralen Platz findet. Wenn der weise Schöpfungsplan sichtbar wird, den wir bisher nicht erkennen? Oder steht die Stadt irgendwann einfach still, wie ein verharztes Uhrwerk?  

Mein Gesprächspartner ist höflich. Köln sei durch die Zerstörungen des 2. Weltkriegs eine geschundene Stadt, da könne nichts wie aus einem Guss wieder auferstehen. Aber es gehe um den Umgang mit dem Jetzt, denn die Antwort auf meine Frage liege in der Zukunft. Es gebe viel Gutes. Aber das werde konterkariert: Einen Schritt vor, zwei zurück. Auch wegen geerbter Probleme wie der Opernsanierung, dem U-Bahn-Bau oder dem Brückendesaster.

Oberbürgermeisterin (OB) Henriette Reker selbst habe bei ihrem Amtsantritt Ansprüche geweckt, die sie nicht erfüllt hätte. Da sei es legitim, sich kritisch zu äußern. Dazu fällt mir ein Bericht aus der Kölnischen Rundschau ein. Das städtische Rechnungsprüfungsamt wird darin zitiert, weil es dem Kernanliegen der OB, der Verwaltungsreform, ein verheerendes Zeugnis ausstellte. Das Fazit: Außer Millionenspesen nichts gewesen. Ein Skandal? Nach einem beleidigten Dementi der Stadt habe ich nichts mehr davon gehört. Ist hier auch die Art von Liebe zur Stadt im Spiel? Eigentlich wäre das Thema ein gefundenes Fressen für jede Opposition. Nur nicht in Köln. Oder ist sie blind in ihrer Liebe zur Stadt? Das täte niemandem gut.

Nimmermüde spielt das Glockenspiel am historischen Rathausturm den Klassiker von Jupp Schmitz „Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt“. Soll niemand sagen, man wisse im Rathaus nicht, was die Stunde geschlagen hat. 

Susanne Hengesbach bleibt am Thema. Ist das Kunst – oder kann das weg? Das ist leider nicht die Frage, wenn man an Straßenecken auf dreibeinige Stühle, auseinanderfallende Regal und Schränke oder versiffte Matratzen stößt. Aber offenbar stört sich die Stadt Köln kaum an den unzähligen wilden Müllplätzen. Über dieses Thema spricht Susanne Hengesbach in ihrem ersten Poetry-Podcast  in diesem Jahr mit ihrer Freundin Silke. Der Titel lautet: „Zu verschenken!“  

 

Herzlich grüßt mit allen guten Wünschen für das noch junge Jahr 2024

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 22.12.2023

„Wenn du in Köln nicht etwas selbst in die Hand nimmst, lässt du es am besten ganz bleiben!“ Erfahrungen eines kritischen Kölners

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

in Köln gibt es jetzt eine Art Weihnachtsfrieden. Es geht um das älteste Museum der Stadt, in dem Meister wie van Gogh, Cézanne, Renoir, Monet, Manet, Gauguin, Signac oder Munch hängen. Das Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, benannt nach dem großen Kölner Sammler und dem Stifterpaar Corboud. Seinetwegen besitzt das Museum noch die umfangreichste Sammlung impressionistischer und neoimpressionistischer Kunst in Deutschland. Diese Schenkung der Corbouds im Jahr 2001 ist aber mit einer Bedingung verknüpft: den Bau einer repräsentativen Museumserweiterung, in der die Werke der Sammlung gezeigt werden können. Und es kam, wie es kommen musste, wenn die Stadt bauen will. Der Erweiterungsbau reiht sich in die Serie der Kölner „Ewigkeitsprojekte“ ein. Nach mehr als 20 Jahren mit Versprechungen an die Stifter, versäumten Planungen und Phasen der Tatenlosigkeit, wurde vergangene Woche endlich ein Meilenstein erreicht: Der Spatenstich für den lange versprochenen Erweiterungsbau ist im Frühjahr 2024.

Möglich gemacht hat es der Stifterrat Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, seit 2015 unter dem Vorsitz von Peter Jungen, eine der hartnäckigsten Persönlichkeiten Kölns. Der erfolgreiche Unternehmer war Strabag-Chef und Firmenkäufer der Treuhandanstalt. Mit 84 Jahren ist er immer noch ein international tätiger Investor und viel in der Welt unterwegs:  ob in China, USA oder Europa, ob im New Yorker Think Tank „The Center on Capitalism and Society“ oder als Vorstandsmitglied des traditionsreichen New York Philharmonic Orchestra. Sein Lebenslauf ist gespickt mit weiteren großen Namen der internationalen Wirtschaft und Kultur. Doch am beeindruckendsten meiner Meinung nach war, als er unternehmerische Verantwortung übernahm: 1990 erreichte Peter Jungen bei Saddam Hussein die Freilassung von 507 Strabag-Mitarbeitern aus der irakischen Geiselhaft. Er weiß also, wie man Verhandlungen erfolgreich zu Ende bringt.

Und hier in Köln? Auch hier entkommt kaum einer der Beharrlichkeit des Stifterrat-Chefs. Vor allem nicht die Verantwortlichen der Stadt. „Wir müssen Druck machen, weil sonst niemand reagiert. Nur mit Druck hast du in der Kölner Verwaltung eine Chance.“ Gewollt oder ungewollt – vor lauter Zuständigkeitszuschreibungen komme der städtische Apparat einer Verhinderungsverwaltung gleich, kritisiert er und stellt fest: „Die Arbeit der Behörden untereinander ist ein klassischer Fall von Selbsterwürgung.“

Die Verknotung in der Verwaltung auflösen und den Erweiterungsbau zusammen mit der anstehenden Generalsanierung des Wallraf-Richartz-Museums voranbringen, darum kümmert sich jetzt ein externer Projektmanager.  Nach langer zäher Kleinarbeit durchgesetzt vom Stifterrat.  Mit diesem Konzept hat Jungen bereits in New York gute Erfahrungen gemacht: Dort entstand der Neubau der Music Hall für das New York Philharmonic Orchestra innerhalb von knapp 3 Jahren. „Die Aufgabe einer Verwaltung ist es nicht unbedingt Museen selbst zu bauen, sondern den Bau zu ermöglichen und ihn dann zu erhalten,“ fordert Jungen und kritisiert damit auch den nachlässigen Umgang der Stadt mit ihrem Eigentum.

So wie bei der umfangreichen Sammlung aus dem Jahre 1824 mit Büchern, Handschriften und anderen historischen Dokumenten des Kölner Kunstsammlers Ferdinand Franz Wallraf. Sie gammelte seit Jahrzehnten an der Uni Köln vor sich hin und stand kurz davor zu Staub zu zerfallen. Eigentümerin: die Stadt Köln. Das hatte laut Peter Jungen niemand in der Verwaltung und im Rat auf dem Schirm, oder war es ihnen schlimmstenfalls egal?  Jungen jedenfalls nutzte seine politischen Kontakte und sein großes Netzwerk, um die benötigte Finanzierung von fast 4 Millionen Euro zu sichern und so die wertvollen Bücher vor dem Verfall zu bewahren.

Die Rettung der Wallraf-Bibliothek ist das beste Beispiel dafür, wie es in Köln funktionieren kann, wenn einer zielstrebig vorangeht. Peter Jungens Credo lautet: „Wenn du in Köln nicht selbst etwas in die Hand nimmst, lässt du es am besten ganz bleiben.“ Und so kümmert er sich auch noch um die Historische Bibliothek der Stadt Köln, die in der Universitätsbibliothek untergebracht ist. Ihr Zustand ist ebenfalls erbärmlich.  Eigentümerin ist wieder die Stadt.  Aber auch hier scheint die Rettung nahe, denn Jungen gelang es wieder Prominente, Mäzene, Paten bis hin zu Minister als Unterstützer zu gewinnen.

2024 könnte sogar der Pariser Louvre in Köln anklopfen. Denn Jungen schmiedet zurzeit mit der Oberbürgermeisterin ein Programm, mit dem der 200. Todestag des Kunstsammlers Ferdinand Franz Wallraf in der Stadt begangen wird. „Köln leidet darunter, dass es aus der Vergangenheit heraus kein Bild von sich hat. Es gibt keine Strategie, keine Vision wohin die Reise in Zukunft geht. Die Stadt braucht viel mehr Selbstvergewisserung und weniger Selbstbesoffenheit“, sagt er. Wo kommen wir her?  Was war der Grund für die Sonderstellung Kölns im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation? Das Wallraf-Jahr 2024 soll diese Ansätze den Kölnern näherbringen. Und dabei wählt der umtriebige Macher einen ungewöhnlichen Vergleich: „Die Bläck Fööss haben vielleicht mehr zur kulturellen Selbstvergewisserung von Köln beigetragen als irgendeine andere Institution nach Wallraf.“ Viele ihrer Balladen wie der Stammbaum sind auch historische Geschichten, findet Jungen, der – wen wundert’s – auch zur Band einen engen Draht hat.

Mit dem Spatenstich im Frühjahr ist der Bau der Museumserweiterung ein erhebliches Stück weiter – so optimistisch möchte ich es mal zusammenfassen. Mit Menschen wie Peter Jungen können wir es schaffen, dass sich in unserer Stadt etwas ändert –  und zwar zum Besseren. Die Arbeit mit ihnen ist sicherlich nicht immer einfach. Sie sind ein Stachel im Fleisch des Gewohnten. Aber ohne sie wäre Köln ein ganzes Stück ärmer. Ich bin mir sicher, wir werden von Peter Jungen bald noch viel zu hören bekommen, und dann wäre es mit dem Weihnachtsfrieden auch schon wieder vorbei.

In ihrem letzten Poetry-Podcast in diesem Jahr diskutiert Susanne Hengesbach ausnahmsweise nicht mit ihren Neffen Conrad oder Jan, sondern sie dichtet mehr oder minder klassisch. Das Ergebnis ist ein Kölner Weihnachtsgedicht. Den Link finden Sie wie immer hier

Im Namen des Vorstands des Kölner Presseclubs bedanke ich mich für Ihre Treue. Wir  wünschen Ihnen und Ihrer Familie ein schönes Weihnachtsfest sowie einen guten Start ins neue Jahr. Den nächsten Newsletter gibt’s am 12. Januar 2024 mit Peter Pauls.

Mit weihnachtlichen Grüßen

Claudia Hessel

 

 

 

NEWSLETTER 15.12.2023

Wie ein „Nein“ der Kölner IHK den eigenen Dachverband irritiert und NRW zum vorgezogenen Braunkohle-Ausstieg Zustimmung organisiert  

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

 

Sie kennen Zeitraffer-Aufnahmen. Man beobachtet, wie ein Krokus in kürzester Zeit aus der Erde wächst. Der Effekt entsteht, weil nur wenige Bilder in der Minute aufgenommen und aneinandergereiht werden. Dreht man am Geschwindigkeitsregler, laufen die Bilder schneller – und damit scheinbar das Wachstum. Doch der Vorgang selbst wird nicht beschleunigt.

Manchmal frage ich mich, ob die Düsseldorfer Landesregierung den Ausstieg aus der Braunkohleförderung in NRW einer Zeitraffer-Betrachtung unterworfen hat. Als ich im März 2021 zum Thema recherchierte, galt bereits das Ende der Förderung bis 2038 als ehrgeizig. In der Zwischenzeit – und eine Landesregierung weiter – wurde das Ende auf 2030 vorgezogen, also ein noch ehrgeizigeres Ziel fixiert.

Das wirkt, als könne man diesen Prozess sorglos steuern wie einen Geschwindigkeitsregler, und natürlich alles unter Beibehaltung der selbst gewählten Ansprüche: Kein Industrie-Arbeitsplatz soll wegfallen in der Region, in der bis zu 30.000 Stellen direkt oder indirekt an der Kohleförderung hängen. Von preiswerter, garantierter Energielieferung abhängig sind auch hunderttausende weiterer regionaler Arbeitsplätze in Chemie, Maschinen- und Automobilbau.

Spätestens seit dem Beginn des Ukraine-Krieges geht die Aufgabenstellung in Richtung „überfordernd“. Mit dem Wegfall des preiswerten russischen Gases weist das Ausstiegskonstrukt eine Lücke auf. Wenn Wind und Sonne Pause machen, muss auch das überbrückt werden. Die Planung sieht dafür als Energiefeuerwehr Kraftwerke vor, die aber bisher nur auf dem Papier existieren.

Die chemische Industrie, nicht nur die der Region um Köln, spricht von einer unsicheren Zukunft und plant fürs Ausland. €10 Milliarden investiert die BASF in China. Bayer strukturiert um und Matthias Zachert, Chef des Lanxess-Konzerns, warnt, wie viele andere, offen vor einer De-Industrialisierung. Auch Ford verändert durch die Produktion von E-Mobilen in Köln seine komplette Wertschöpfungskette. Bisher war die Region gefragt. Doch Komponenten für Elektromobile gibt es günstig auf dem Weltmarkt.

Es bedarf einer solchen Vorrede, um die Abwegigkeit zu ermessen, die sich um einen Konflikt der Kölner Industrie und Handelskammer (IHK) und deren Präsidentin Nicole Grünewald mit ihrem Dachverband „IHK NRW“ rankt, der für die 16 Kammern des Bundeslandes sprechen will. Die streitbare Unternehmerin verweigert ihre Unterschrift unter den von der schwarz-grünen Landesregierung vorgelegten „Reviervertrag 2.0“, in dem der Kohleausstieg 2030 bekräftigt wird. Kabinetts-, Landtags- und Ratsmitglieder, Verbände, Bezirkspräsidenten, Kommunen, Handwerks- und benachbarte Industrie- und Handelskammern – alle haben sie den Vertrag unterschrieben (lesen Sie selbst)  Nur die IHK Köln nicht.

Vom Dachverband „IHK NRW“ wird Grünewald bzw. die IHK Köln nun als Störenfried ausgemacht. In der Tat verfügt die Kommunikationswissenschaftlerin Grünewald über eine Konfliktfähigkeit, die an Maggie Thatcher erinnert. Streit geht sie nicht aus dem Weg und bequem ist sie sicher auch nicht. Aber soll sie das sein? Und was ist so falsch an ihrem Weg, dass man sie nun herausdrängen muss?

Die jüngste Entwicklung: Die Kölner IHK tritt aus dem Dachverband aus. Grünewald legt ihr Amt als Vizepräsidentin in dem Gremium nieder. „IHK NRW“ reichte das nicht, berichtet sie. Zusätzlich zum eigenen Rücktritt wurde sie nun als Vizepräsidentin abgewählt, was mich erneut an England erinnert. Dort richtete man den Staatsmann Oliver Cromwell 1661 hin. Formal zumindest, denn er war drei Jahre vorher bereits verstorben. Also musste der Leichnam herhalten. Damals wie heute scheinen die Nerven blank zu liegen.

Vermutlich soll die geballte Fülle an Billigung per Unterschrift für ein Bekenntnis aller stehen. Als handele es sich um eine Haltung wie den Kampf gegen Diskriminierung zum Beispiel. Aber der Kohleausstieg ist eine komplexe technische, planungsrechtliche und letztlich industriepolitische Angelegenheit. Bekenntnisse und Gleichschritt helfen nur begrenzt weiter, ein kühler und klarer Kopf indes deutlich mehr, vielleicht auch Diskussionen und abweichende Meinungen.

Und siehe da: Bekenntnis- und die Arbeitsebene klaffen auseinander. Es fehle an operativer Umsetzung des guten Willens in praktische Handlungsschritte, klagen Beteiligte. NRW habe bisher keine Strategie vorgelegt, wie die Stromversorgung nach 2030 gesichert sein soll, merkt Grünewald an. In den behördlichen Strukturen werde weitergearbeitet, als gebe es keinen Zeitdruck durch Strukturwandel, kritisieren Dritte. Zudem sei bisher kein einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen worden – außer in der Struktur der Zukunftsagentur selbst, die Arbeitsplätze erst schaffen soll. Nach wie vor gilt der Satz: Selbst wenn Tesla sich hier ansiedeln will, man könnte dem Autobauer keine Fläche bieten.

„Die Ketzerin“ überschrieb das Magazin Cicero treffend einen Beitrag meines Kollegen Michael Hirz über die Kölner IHK-Präsidentin und deren Widerstand. Man werde den Ausstieg „kritisch und konstruktiv“ begleiten, zitiert die Rheinische Post den Hauptgeschäftsführer der IHK Mittelrhein, Jürgen Steinmetz, der den Reviervertrag 2.0  unterzeichnet hat und nun zu den Guten im Land gehört. Härte nach innen, geschmeidiges Handeln gegenüber der Obrigkeit. Einmal mehr sorge ich mich um die Wirtschaft dieses Landes.

Themenwechsel: Anfang dieses Jahrtausends hatte er gute Chancen, „Wort des Jahres“ zu werden; denn alle sprachen über ihn, den PISA-SCHOCK. Nun ist er wieder da; der Schock darüber, dass die deutschen Schülerinnen und Schüler laut der Ergebnisse des jüngsten Tests sogar noch schlechter abgeschnitten als vor 23 Jahren. Wie kann das sein, fragen sich Susanne Hengesbach und ihr Neffe Conrad in der aktuellen Podcast-Folge: „Entsetzen im Land der Dichter und Denker . . .“ Hören Sie hier mehr.

Herzlich grüßt

Ihr

Peter Pauls

 

NEWSLETTER 8.12.2023

Warum Sie am Kölner Hauptbahnhof schlecht wegkommen und sich daran, unabhängig von Streiks, auch in absehbarer Zukunft nichts ändern wird.

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

ich hatte sie 15 Jahre lang! Die „Black Mamba“. Damit ist nicht die Attraktion im Phantasialand gemeint, sondern umgangssprachlich die teuerste Fahrkarte, die sich ein Kunde bei der Deutschen Bahn kaufen kann: die BahnCard100. Damit können Sie ein Jahr lang jeden Zug nutzen – also zumindest die, die noch fahren. 15 Jahre BahnCard100. Wenn ich das erzähle, ernte ich entweder blankes Entsetzen oder pure Bewunderung. Zu welcher Fraktion gehören Sie?

Sie merken schon an der Formulierung „ich hatte“, dass es mit mir und der Bahn genauso schwierig geworden ist wie bei vielen anderen Kunden der Bahn, die unter den Verspätungen, Ausfällen und Serviceproblemen leiden. Auch wenn die Bahn erst seit der Corona-Pandemie so richtig schlecht geworden ist, so gab es schon beim Kauf meiner ersten Bahn-Dauerkarte im Jahr 2008 eine sehr schwache Konstante: den Kölner Hauptbahnhof.

Kaum ein Hauptbahnhof hat so viele verspätete Züge zu bieten, besagen Statistiken. Selbst die Bahn, die gerne mal bei der eigenen Erhebung von Verspätungen sehr einfallsreich ist, widerspricht den Aussagen nicht. Grob gesagt: etwa die Hälfte der Züge in Köln ist im Jahresschnitt unpünktlich oder kommt gar nicht. Im vergangenen Monat, wonach selbst bundesweit fast jeder zweite Fernzug verspätet war, dürfte Köln noch schlechter abgeschnitten haben. Unsere Stadt hinkt, wie in manch anderen Bereichen, auch im Bahnverkehr hinterher und bildet ein Bündnis mit der Bahn: beide sind nämlich Opfer ihres eigenen Erfolgs.

Etwa 400.000 Fahrgäste steigen nach Angaben der Bahn jeden Tag allein am Hauptbahnhof und in Messe/Deutz ein und aus.Die Zah­len stei­gen jähr­lich“, teilt der Konzern sogar mit. Doch gewachsen ist nicht nur die Kundschaft, sondern auch die Zahl der Züge. Was nicht gewachsen ist: die Zahl der Gleise, Bahnsteige und Brücken. Und jetzt raten Sie mal, warum es bei den Kölner Bahnproblemen nicht besser wird. Die Zahl der Störungen wird eher zu- als abnehmen. Da bin ich mit nahezu allen Bahnexperten einig. Im Prinzip ist es ein physikalisches Grundgesetz.

Die Probleme sind so deutlich, dass nun wirklich etwas passieren soll. Aber es wird viele Jahre dauern, die Nachlässigkeiten zu beheben, die über genauso viele Jahre entstanden sind. Erst einmal die Technik: Köln bekommt ein neues Stellwerk, das effizienter arbeiten soll. Dieses Stellwerk kann aber nur im laufenden Betrieb gebaut werden.

Immer wieder – vor allem an Wochenenden – wird es deshalb in den kommenden Monaten zu Teilsperrungen am Hauptbahnhof kommen, weil Signalmasten aufgestellt, Weichen umgebaut und Kabel verlegt werden müssen. Die Bahn rechnet damit, dass Ende 2025 das neue Stellwerk die Arbeit aufnehmen kann.

Währenddessen sollen der Nahverkehr und die Infrastruktur für den Hauptbahnhof ausgebaut werden. Bereits heute ist das Dach für einen weiteren Bahnsteig gebaut – und steht quasi im Nichts. Ob aber Gleis 12 und 13 wirklich noch entstehen werden, ist weiter unklar. Eine abschließende Entscheidung oder ein konkreter Startschuss fehlen. Für S-Bahnen, Regionalexpress-Linien und den Rhein-Ruhr-Express RRX wäre dieser Bahnstieg sicher eine Entlastung. Das Problem mit den Verspätungen bliebe wahrscheinlich mit der Hohenzollernbrücke als Nadelöhr aber bestehen.

Und neben den Bauarbeiten am Hauptbahnhof dürfen notwendige Bauarbeiten auf den Strecken, die nach Köln führen, nicht vergessen werden. Bis 2030 will die Bahn mehrere Strecken generalsanieren. Darunter die Ruhrgebietstrasse zwischen Köln und Dortmund und die Strecke durch das Bergische Land bis Hamm. Auch bis nach Aachen soll es über mehrere Monate hinweg eine radikale Sanierung statt der bislang üblichen Flickerei geben. Und damit ist klar: am Kölner Hauptbahnhof wird es die nächsten Jahre leider erst einmal schlimmer, bevor es besser werden kann. Dabei schwingt das Gefühl mit, die Bahn scheitert zunehmend an der eigenen Komplexität.

Im Podcast von Susanne Hengesbach geht es dieses Mal um die Frage, warum mittlerweile auf nahezu jedem Gegenstand eine Botschaft stehen muss. Oder warum ist es kaum noch möglich ein Frühstücksbrettchen ohne Aufschrift zu bekommen? Oder einen Kaffeebecher, auf dem nichts Unsinniges geschrieben steht? Auch Kissen, Decken oder Nachthemden müssen heutzutage offenbar immer auch etwas mitteilen. Zum Podcast hier entlang:

In diesem Sinne sende ich Ihnen abfahrbereite Grüße

Ihr
David Rühl

 

 

NEWSLETTER 1.12.2023

Über eine umgesiedelte Hauptstadt,
Flugreisen auf die Malediven
und den kreativen Umgang der KVB mit ihren Fahrgästen   

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

die gute Nachricht gleich vorweg: Nein, Köln wird nicht im Meer versinken. Das Epizentrum des rheinischen Frohsinns hat eine günstigere Prognose als – zum Beispiel – die Partyinsel Mallorca. Oder Venedig. Auch muss Köln nicht umgesiedelt werden wie die indonesische Hauptstadt Jakarta, die wegen des steigenden Meeresspiegels jetzt im höher gelegenen Regenwald Borneos neu entsteht. Rund eine halbe Milliarde Menschen sind in den Küstenregionen weltweit von dauerhafter Überflutung bedroht. Was das für das Thema Migration bedeutet, für die neue Völkerwanderung, lässt sich leicht ausmalen.

Ein wesentlicher Faktor dieser Entwicklung ist der seriös nicht mehr zu leugnende Klimawandel. In diesen Tagen findet in Dubai die Weltklimakonferenz COP28 statt, um eine Bilanz des Kampfs gegen die Erderwärmung zu ziehen. Das Buch zum Thema steuert jetzt Marie-Luise Wolff bei: „2,8 Grad – Endspiel für die Menschheit.“ Interessant neben dem Inhalt ist die Tatsache, dass die in Köln lebende Autorin im Hauptberuf Vorstandsvorsitzende eines großen Energieversorgers ist und zusätzlich Präsidentin des einflussreichen Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft. Als erfahrene Energiemanagerin kennt sie aus eigener unmittelbarer Anschauung die zentralen Akteure, die Mechanismen und Reflexe ihrer Branche sowie die der Politik.

„Wir testen gerade die Grenze aus zwischen ‚spät‘ und ‚zu spät‘“, sagt sie und fordert, sich ehrlich zu machen: „Wir müssen Klartext reden und sagen, dass wir das im Abkommen von Paris vereinbarte 1,5 Grad-Ziel nicht mehr erreichen.“ Als Apokalyptikerin eignet sie sich trotz der düsteren Bestandsaufnahme nicht, auch wenn sie lieber von Klimakrise statt von Klimawandel spricht. Wolff glaubt daran, dass durch sehr konsequentes Handeln die menscheitsgefährdende Aufheizung der Atmosphäre zu stoppen ist.

Dazu macht sie konkrete Vorschläge, fordert vor allem konzertierte Anstrengungen der internationalen Staatengemeinschaft. Dennoch: Ein Leben wie bisher in den wohlhabenden Industrieländern mit unmäßigem Energieverbrauch, dem Produzieren von Plastikmüllbergen und unbegrenzter Mobilität auf fossiler Basis,  sieht sie nicht. Wären wir zynisch, was wir natürlich nicht sind,  könnte man sagen, dass Flugreisen auf die Malediven in zwanzig bis dreißig Jahren ohnehin nicht mehr stattfinden. Dann nämlich, sagt die Weltbank voraus, wird es den Inselstaat nur noch als kleine Schrumpfgröße geben.

Ob Dubai Fortschritt bringt? Zweifel sind berechtigt, obendrein scheint ausgerechnet der Gastgeber, der gleichzeitig Chef eines der größten Ölkonzerne ist, das Treffen für geschäftliche Deals mit fossilen Brennstoffen zu nutzen, wie die BBC berichtet. Na dann. Das Motto der Konferenz scheint eher vom großen Spötter Oscar Wilde zu stammen: „Verschiebe nie etwas auf morgen, was sich auch übermorgen erledigen lässt.

Vermutlich hätte Wilde noch mehr seiner spitzzüngigen Aphorismen hinterlassen, wenn er die Kölner KVB gekannt hätte. Zumindest zeigt sie sich erstaunlich kreativ, wenn es um Kundenüberraschung geht. Mitten in einer (verspäteten) Fahrt der Linie 13 kündigte der Zugführer an, er werde an der nächsten Station aussteigen, er habe Feierabend. Da keine Ablösung an der Haltestelle warte, müssten allerdings alle Fahrgäste aussteigen. Dass im vollbesetzten Zug auch Dutzende Schulkinder darunter waren, die dann etwas ratlos im Nieselregen standen – Pech gehabt. Der Feierabend ist in einer Stadt, die gerne feiert, eben heilig!

Vielleicht brauchen die Funktionsträger Kölns einfach mal Beratung. Coaching hat gerade richtig Konjunktur, da müsste sich also was machen lassen. Aber dazu mehr in Susanne Hengesbachs wie immer vergnüglichem Poetry-Podcast. Doch hören Sie selbst.

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

 

NEWSLETTER 24.11.2023

Ein Kölner Unternehmer, dem die Menschen vertrauen und warum ein Hundewitz am Anfang stand

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

Im Internet weiß niemand, dass du ein Hund bist!“ Kennen Sie die Comic-Zeichnung aus dem New Yorker Magazin? Ein Vierbeiner sitzt am Computer, surft im Netz und freut sich, weil niemand ahnt, dass er in Wahrheit vier Beine und einen Schwanz zum Wedeln hat. Der Witz stammt aus den frühen 90er Jahren, eine Zeit in der das Internet noch in den Kinderschuhen steckte. Im Netz war und ist immer noch alles anonym. Wem kann man vertrauen, wer ist seriös?  Vor 25 Jahren war diese Hunde-Karikatur für ein Kölner Startup der Auslöser für ein damals neues Geschäftsmodell: „Trusted Shops“. Den Namen nie gehört? Aber gesehen bestimmt: Das Unternehmen zertifiziert Onlineshops und Dienstleistungen mit einem Gütesiegel. Der Firmensitz ist unverändert Köln. Der Chef: ein Franzose, ein Sch‘ti sogar. Das ist dieses seltsame Völkchen aus dem Nordosten Frankreichs, bekannt aus den Kinofilmen wegen seiner spröden Eigenart und des unverständlichen Dialektes.

Davon merke ich bei meinem Treffen in den Ehrenfelder Büros von Trusted Shops nichts. Der Gründer und Geschäftsführer Jean-Marc Noël empfängt mich mit seinem sympathischen Akzent sehr freundlich. Die meisten der 800 Angestellten der Büros von Köln, Amsterdam, Barcelona, Warschau und Lille arbeiten im Homeoffice. Was mich, nebenbei bemerkt, immer wieder vor die Frage stellt, wieviel Bürofläche Köln überhaupt noch benötigt. Aber das ist eine andere Geschichte. Trusted-Shops betreut rund 25.000 Online-Händler. Nach eigenen Angaben werden Einkäufe im Umfang von 600 Millionen Euro  im Monat abgesichert. Aktuell freut sich das Unternehmen über 40 Millionen Käuferschutz-Mitgliedschaften. Somit wäre Trusted Shops europaweit   Branchenführer für Gütesiegel im Netz.

Die Firmenphilosophie des Franzosen basiert auf Vertrauen. „Es gibt im Netz jede Menge Verbraucher, die nichts anderes wollen, als verlässlich einzukaufen. Und es gibt  viele Unternehmen, die nichts anderes wollen, als verlässlich zu verkaufen. Unsere Aufgabe ist es, diese zusammenzubringen. Unsere Vision ist eine digitale Welt, der man vertrauen kann“. Verlässlichkeit im Netz ist ein schwieriges Unterfangen, nicht nur für uns Journalisten im Kampf gegen Fake-News, sondern vor allem, wenn es um‘s Geld geht. Gerade jetzt vor Weihnachten überschlagen sich die Angebote. „Wenn es allzu billig ist, kann es nicht mit rechten Dingen zugehen,“ warnt Noël, „lieber auf ein Vertrauenssiegel achten, dann gibt‘s im Ernstfall auch wieder das Geld zurück.“ Trusted Shops deckt kostenfrei Einkäufe bis 100 Euro ab.  Unternehmen, die das Vertrauenssiegel nutzen, müssen dagegen tiefer in die Tasche greifen.

Wie lebt ein erfolgreicher Franzose in Köln, wollte ich wissen. Interessanterweise fühlt sich der 57-jährige im rechtsrheinischen Porz-Ensen sehr wohl. Von dort fährt er die rund 14 Kilometer täglich mit dem Rad nach Ehrenfeld.  „Mit dem Auto  in Köln unterwegs zu sein, das ist wirklich eine Qual. Es gibt unendlich viele Baustellen. Seitdem ich hier lebe, ist Köln gefühlt eine einzige Baustelle,“ klagt er. Trotz der Kritik sieht er auch das Positive. Über die Arbeit der Kölner Wirtschaftsförderung gibt es von ihm nur lobende Worte. Er fühlt sich mit seinem Unternehmen in der Domstadt gut betreut.

Obwohl der Franzose mit seinem Geschäftsmodell in virtuellen Welten der Zukunft unterwegs ist, mag er doch die analoge Vergangenheit. Im Flur der Firma hängen gerahmte Aufnahmen vom alten Köln. „Köln war früher wirklich eine schöne Stadt. Dass sie nach dem Krieg schnell wieder aufgebaut werden musste, merkt man ihr bis heute an. Das Stadtbild und die Infrastruktur insgesamt sind furchtbar,“ sagt er und zeigt von seinem Schreibtisch aus auf die blauen, orangeroten und fliederfarbenen Metallbleche des Herkules-Hochhauses von 1972. Naja, inspirierend ist die Aussicht wirklich nicht.

Ist am Ende auch egal, denn Jean-Marc Noël macht das, was die rund 60.000 Kölner Unternehmerinnen und Unternehmer eigentlich alle machen: Er arbeitet. Das zahlt sich aus: 2022 wurde Trusted Shops bei der Wirtschaftsnacht Rheinland in der Kategorie „Digitales“ ausgezeichnet. Solche Veranstaltungen, bei denen Wirtschaftsunternehmen sichtbarer werden, findet er wichtig: „Diejenigen, die ein Unternehmen gründen wollen, sollen sehen, dass es funktionieren kann.  Damit sagen wir ihnen: Traut euch! Macht das! Habt den Mut, diesen Schritt zu gehen.“ Wie sehr das Unternehmerherz in ihm schlägt, merke ich als er die mangelnde Aufmerksamkeit beklagt: „Unternehmen werden in der Öffentlichkeit  nicht ausreichend positiv dargestellt. Alles ist immer zu kompliziert und damit irgendwie auch langweilig. Aber ohne Unternehmen gibt es keinen Wohlstand. Wir sind diejenigen, die die Arbeitsplätze schaffen, Steuern zahlen und damit das Land gesellschaftlich nach vorne bringen.“

Jean-Marc Noël ist ein typischer Mittelständler. Er engagiert sich unentwegt für sein Unternehmen und legt den Finger in die Wunde. Denn er hat sicherlich recht, wenn er darauf hinweist,  dass die Leistungen gerade von mittelständischen Unternehmen in unserer Gesellschaft nicht ausreichend Anerkennung finden. In den Sonntagsreden der Politiker werden die unternehmerischen Leistungen zwar anerkannt. Aber das reicht schon längst nicht mehr. Wir benötigen eine neue politische Kultur, die die Leistungen von Unternehmen stärker in den Fokus nimmt und ihnen den Rücken stärkt, statt immer wieder Steine in den Weg zu legen. Der Schlüssel  für Wohlstand liegt gerade in Deutschland in einer erfolgreichen ökonomischen Entwicklung. Unternehmerischer Mut muss überall gefördert werden. Dann bekommt auch eine Stadt wie Köln noch mehr Startups wie seinerzeit „Trusted Shops“.

Ein Gütesiegel für Verlässlich und Pünktlichkeit wäre auch mal für die Kölner Verkehrsbetriebe sinnvoll. Am besten mit Geldzurück-Garantie. Susanne Hengesbach ärgert sich  in ihrem neuen Podcast über die „B-Ware“ der KVB.  Hier können Sie mit ihr fühlen . Viel Spaß beim Hören.

Herzliche Grüße

Ihre

Claudia Hessel

NEWSLETTER 17.11.2023

Wie es kommt, dass die Stadt Köln über Ihre neue Badewanne entscheidet – Luxus darf es nicht geben, sagt der Vormund vom Amt

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

gehört Ihnen eine Altbauwohnung im Kölner Severinsviertel? Oder Sie sind Mieter? Sie möchten Ihr Badezimmer modernisieren und attraktiver machen? Dann geben Sie acht. Nicht, dass Sie gegen die „Soziale Erhaltungssatzung“ der Stadt Köln verstoßen und ein Bußgeld von bis zu €30.000 riskieren. Seit einigen Jahren gibt es den „Milieuschutz“ auch in diesem urkölschen Viertel. Er soll vor „Luxussanierung“ und Verdrängung alteingesessener Bewohner schützen, Mieten auf erträglichem Niveau halten und verhindern, dass ein Viertel seinen Charakter verliert, was man auch Gentrifizierung nennt.

Das ist die gut gemeinte Theorie. Zu ihr gehört ferner, dass „Konzerne“ abgeschreckt werden sollen, um Menschen nicht um ihren günstigen Wohnraum zu bringen. Dies könnte passieren, wenn Parkettböden gelegt, Bäder modernisiert, Aufzüge installiert, womöglich bodentiefe Fenster oder gar ein Kamin eingebaut oder das Treppenhaus verschönert wird. Luxus, der sich dann in höheren Mieten niederschlägt. Doch nur etwa sechs Prozent der Kölner Wohnungen gehören Unternehmen, und man findet sie meist konzentriert in Großanlagen.

Sicher nutzt eine solche Satzung dem einen oder anderen. Aber sie verordnet einem Stadtteil auch Stillstand. Selbst „nachhaltige Einsparungen von Energie und Wasser“ sind genehmigungspflichtig. Daher frage ich mich, wieviel politischer Aktionismus hinter solchen Satzungen steht in einer Stadt, die es nicht schafft, ausreichend den Bau von Wohnraum zu ermöglichen.

In der Praxis ist eine neue Bürokratie entstanden. Im Zweifelsfall entscheiden nicht Sie, sondern das städtische Amt für Stadtentwicklung und Statistik über Ihre Wasserhähne, den Bodenbelag oder die Art Ihrer Fenster. Zitat aus dem städtischen Standard-Antrag: „Genehmigungspflichtig sind sämtliche Modernisierungsmaßnahmen, die den Gebrauchswert des Wohnraums nachhaltig erhöhen, die allgemeinen Wohnverhältnisse auf Dauer verbessern oder nachhaltige Einsparungen von Energie und Wasser bewirken.“ Den Original-Antrag finden Sie hier.

Da steht der Obrigkeitsstaat in voller Blüte. Die kühle Amtssprache des Formulars kennt man aus Steuererklärungen, amtlichen Belehrungen und anderen Kontakten mit Verwaltungen. Gerne wird gedroht und Wahrhaftigkeit eingefordert, als habe man mit notorischen Lügnern zu tun. Bundesgesetzblätter aus vielen Jahrgängen werden beschworen, Paragrafen und Verordnungen. Vor allem reiht sich Ermessensspielraum an Ermessensspielraum. Letztlich entscheiden Sachbearbeiter. Vielleicht sucht man besten gleich gemeinsam mit dem Amt Böden, Bad und Küche aus.

Folgendes Szenario ist denkbar: Durch einen glücklichen Umstand können Sie eine kleine Nachbarwohnung kaufen, weil bei Ihnen Nachwuchs unterwegs ist? In der Erhaltungssatzung kommen Wohnungszusammenlegungen aber nicht vor. Alles soll bleiben, wie es ist. Ein Fahrstuhl, der auch dem älteren Ehepaar aus dem vierten Stock hilft? Vielleicht. Aber bloß nicht aufwändig. Oder eine Gegensprechanlage? Schließlich will man wissen, wer ins Haus kommt. Da haben Sie schlechte Karten. Das riecht nach Luxus. Aber lesen Sie selbst.

Von „Volkserziehung“ spricht die Architektin Stefanie Ruffen (FDP), mit der ich über diesen „Schutz“ sprach, der meiner Meinung nach häufig zu blauäugig dargestellt wird. Als sei er selbstredend gut. Das ist er nicht. Vielmehr schreibt er Menschen unnötig vor, wie sie zu leben haben. Die FDP-Ratsfrau nennt das die „Ideologisierung der Kommunalpolitik“.

Dazu gehört ihrer Meinung nach auch ein Bürgerantrag, auf städtischen Werbeflächen künftig nicht mehr für klimaschädliche Güter zu werben wie z.B. für Ford-Automobile oder Fleischprodukte. In vorauseilendem Gehorsam hat die Verwaltung gleich eine Vorlage dazu erstellt, die durchgewunken wurde. Entscheiden bald Kölner Ämter, was klimaschädlich ist und was nicht? Der „Halve Hahn“ womöglich? Er besteht aus Käse und Butter, die aus Milch von Kühen produziert werden, die Methan produzieren, was der Umwelt schadet.

Gegen die Verwaltung habe ich nichts. Aber in meinem Leben möchte ich so viel wie möglich selbst entscheiden – ohne den Vormund vom Amt.  

Ballermann oder Brauchtumspflege? lautet der Titel des aktuellen Poetry-Podcasts von Susanne Hengesbach: Müllberge, Scherbenhaufen, verwüstete Wiesen, Alkoholvergiftungen, sexuelle Übergriffe – so umschreibt man in Deutschlands viertgrößter Stadt den „Beginn der Karnevalssession“. Ihr Neffe Jan zieht ordentlich vom Leder. Die Oberbürgermeisterin hat „keine Idee“, wie man die Feiernden unterbringen soll, und die Stadtdirektorin resümiert: „Ein paar Idioten gibt es immer . . . “ Hören Sie hier nur rein, wenn Sie denken, dass es so einfach nicht weitergehen kann.

Ich grüße Sie herzlich.

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 10.11.2023

Über mörderisches Prahlen,

einen Krieg der Werte und  

Lob für Henriette Reker 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

manchmal gibt es so etwas wie einen Schock nach dem Schock. Da schlachtet eine menschenverachtende Terrorgruppe wehrlose Kinder und Greise ab, vergewaltigt Frauen und stellt diese Taten mit Videos prahlerisch ins Netz, da verschleppt eine Mörderbande Unschuldige. Ein Schock sondersgleichen. Und was passiert? Dann scheint die Strategie der Terroristen aufzugehen, die Opfer – Juden und Jüdinnen – werden zu Tätern umetikettiert. Auch in Deutschland gehört die Straße den Sympathisanten der Hamas, werden die Schlächter beklatscht und die Abgeschlachteten verhöhnt. Zehntausende demonstrieren für Palästina und gegen Israel, fordern selbstbewußt die Errichtung eines islamistischen Kalifats in Deutschland. Vergleichsweise wenige Solidaritätsbekundungen gibt es hingegen für Israel, die einzige Demokratie im Nahen Osten. Das ist der zweite Schock. Wie, fragt man sich verstört, fühlt es sich in diesen Tagen an, Jüdin oder Jude zu sein in diesem Land?

Um das zu erfahren, habe ich mit Andrei Kovacs gesprochen. Ihn habe ich kennengelernt, als er 2021 erfolgreich die Veranstaltungsreihe „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“ organisiert hat. Auch für ihn war der 7. Oktober nicht nur ein Tag des Schreckens, er war eine Zäsur. Allerdings beeilt er sich mit einem Lob für die deutsche Politik und ihre Akteure: Die Aktuelle Stunde im Bundestag, Robert Habecks deutliche Worte, die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker, alle hätten unmissverständlich Position bezogen. Auch der Umgang in den Schulen mit dem Terroranschlag hat ihn positiv beeindruckt, sagt der Vater von drei schulpflichtigen Kindern.

Dennoch, für ihn gibt es seit dem Überfall der Hamas eine neue Zeitrechnung, das Datum nennt er Zäsur: „Ein Trauma, auch für die Juden in Deutschland.“  Das Leben sei unsicherer geworden, Übergriffe nähmen zu, Hakenkreuz-Schmierereien, Davidsterne an Häusern, um auf darin wohnende Juden hinzuweisen. Die öffentlich gezeigte Empörung, wie sie Antirassismus-Gruppen und Bündnisse gegen Rechtsextremismus wie „Arsch huh“ schnell und lautstark aktivieren können? Irgendwo zwischen Fehlanzeige und wenig wahrnehmbar. Die Enttäuschung darüber lässt Kovacs allenfalls zwischen den Zeilen erkennen.

Was ihn irritiert, ist der Umstand, dass von den knapp sechs Millionen hier lebenden Muslimen allenfalls zögerlich Solidarität mit den Opfern geübt wird. „Wo bleibt der Aufschrei“, fragt sich Kovacs. „Auch sie sind vielfach Deutsche, Teil der Gesellschaft.“ Schließlich schüre die Hamas mit ihren Untaten auch die Islamfeindlichkeit hierzulande. Für rechtsradikale und rechtsextreme Kräfte ist, da hat Kovacs wohl recht, der auf Demonstrationen zur Schau gestellte Israel-Hass ein willkommener Anlass, gegen Muslime zu hetzen. Neben dem sogenannten importierten Antisemitismus („Das gehört in etlichen Ländern der islamischen Welt zur Staatsräson“), gebe es auch hier immer noch mal subtilere, mal offenere Judenfeindlichkeit. Um nicht missverstanden zu werden, Kritik an Israels Regierung und ihrer Politik sei selbstverständlich möglich. Nicht aber die Aufforderung zur Auslöschung des Landes und seiner Bewohner. Natürlich erschüttert auch das Leid der Menschen in Gaza, das aber, soviel gehört zur Wahrheit, von der Hamas sowohl ausgenutzt als auch in großen Teilen verursacht ist.

Aber man weiß schon aus der Kindererziehung, Jammern hilft nicht, Handeln schon. Deswegen hat, unabhängig vom barbarischen Hamas-Terror, Andrei Kovacs den Verein „Jüdisches Leben in Deutschland e.V“ (www.jewlif.com) mitgegründet. Dieser paneuropäische Verein will den interreligiösen Austausch pflegen, das zivilgesellschaftliche Engagement stärken und einen positiven Beitrag gegen Rassismus und Antisemitismus in Europa leisten. Denn: „Wir erleben in der Welt gerade keinen Werte-Diskurs, wir erleben einen Werte-Krieg.“

Von den unerfreulichen Erscheinungen der Zeit zu den erfreulichen. Dem Poetry Podcast meiner Kollegin Susanne Hengesbach. Sie widmet sich diesmal, dreimal dürfen Sie raten, dem Weihnachtsgebäck. Das vermittelt offensichtlich ein so beruhigend-flauschiges Gefühl, dass es bereits im September in den Regalen von Rewe, Aldi und Co. liegt – während draußen bei 25 Grad plus der Biergarten mit kalten Getränken lockt. Hören Sie doch einfach mal rein, es lohnt sich.

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz