Newsletter 23. Oktober 2020

Newsletter vom 23.10.2020


Ein solcher Mord könnte hier auch geschehen!

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs!

Birgit Ebel nimmt kein Blatt vor den Mund und wenn man ihr zuhört, wird einem rasch klamm zumute. Zu einem Lehrermord wie dem von Frankreich könne es jederzeit auch an einer deutschen Schule kommen, sagt die resolute Pädagogin. Ihr französischer Kollege Samuel Paty war am 16. Oktober von einem 18 Jahre alten Extremisten öffentlich enthauptet worden, nachdem es eine Art von Hetzjagd gegen den Lehrer gegeben hatte. In einem Internet-Video war er verunglimpft worden und islamistische Eltern hatten die Schulleitung aufgefordert, ihn als Lehrer zu entlassen. Den Fall kennen Sie aus Ihrer Zeitung.

Seit sechs Jahren kämpft die Gesamtschul-Lehrerin Ebel, die die Fächer Deutsch und Geschichte unterrichtet, gegen islamistisches Gedankengut und sie macht darauf aufmerksam, dass das ostwestfälische Herford, in dem sie lebt, ein Zentrum für Salafisten geworden ist. Die Pädagogin hat die Initiative „extremdagegen“ gegründet und ist seitdem weit über die Grenzen Deutschlands aktiv. Sie tut, was auch die frühere Kölner SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün empfiehlt. Birgit Ebel führt Menschen unterschiedlicher Religionen zusammen und grenzt sich nur von den Extremisten ab. Man müsse die Probleme angehen, solange sie noch klein seien, sagt die Islamexpertin Akgün.

Doch dann erfuhr Birgit Ebel, wie schwer eben das sein kann. Die Lehrerin ist Mitglied der Grünen, aktiv in der Frauenbewegung und im Kampf gegen Rechtsextremismus und glaubte, dass man umgehend Netzwerke knüpfen könnte. Doch beim Thema Islamismus, so ihre Erfahrung, sei alles ungeheuer schwer. Schulen hätten sich bedeckt gehalten, Probleme seien heruntergespielt oder verschwiegen worden. Die Angst, als Problemschule wahrgenommen zu werden, habe alles blockiert.

Eigentlich hat Birgit Ebel alles richtig gemacht. Wehret den Anfängen, lautet die Devise. Doch was im Rechtsextremismus funktioniert – Netzwerke, Sozialarbeiter und Bündnisse stehen bereit – wurde für die resolute Lehrerin zu einem Spießrutenlauf. Es gab Versuche, sie in die extreme rechte Ecke zu stellen, Flugblattaktionen, Anzeigen und Drohungen. Rückhalt fand Birgit Ebel in den Medien, der Kölner Frauenillustrierten Emma und durch Expertinnen, die ihre Arbeit unterstützen. Sie wäre sonst zerrieben worden.

Wenn Sie die jüngsten Hintergrundberichte über den Alltag an französischen Schulen gelesen haben, erkennen Sie, dass die Verhältnisse gar nicht so weit von unseren entfernt sind. Der Aufschrei, der in unserem Nachbarland jetzt durch Politik und Gesellschaft gegangen ist, speist sich auch aus der eigenen Untätigkeit einer Situation gegenüber, die viele nur zu gut kennen und die aus einer Mischung aus Achselzucken, Abgestumpftheit, Wegschauen und dem jetzt einsetzenden schlechten Gewissen besteht.

Schließlich hatte der Mord an dem Lehrer Samuel Paty eine Vorgeschichte und als ein landesweit berüchtigter Islamist in der Schule erschien und die Entfernung Patys aus dem Schuldienst forderte, hätten die Behörden zumindest eine Ahnung haben können. Die Rufe, dass der Lehrer „weg“ müsse, verhallten jedenfalls nicht ungehört.

Nein, wir haben in Deutschland nicht dieses ausgeprägte System der ghettohaften Vorstädte wie in Frankreich, der Banlieues. Aber auch in unserem Land können sie wie jüngst als Besucher der Elbflorenzstadt Dresden von einem Islamisten ermordet werden, merkt Lale Akgün an. Glaubt wirklich irgendjemand, solche Verhältnisse änderten sich von selbst, wenn man nur lange genug die Augen davor verschließt?

Sie fragen sich, wie ich auf dieses Thema gekommen bin? Lale Akgün hatte auf Facebook einen Text veröffentlicht, in dem es hieß: „Es haben mir viele Lehrer*innen geschrieben, die von Ihrer Angst vor Klassen mit bestimmtem Jugendlichen berichten. Jugendliche, die mit verbaler Gewalt Meinungsvielfalt im Klassenzimmer unterdrücken wollen; die den Lehrer*innen offen oder verdeckt drohen und ihre Weltanschauung unwidersprochen im Klassenverband durchsetzen wollen. Lehrinhalte werden in Frage gestellt, Lehrer und Lehrerinnen beschimpft, Mitschüler*innen mundtot gemacht.“ Ähnlich äußerte sich der deutsche Lehrerverband und warnte vor einem Klima der Einschüchterung. Leider konnte ich nur zu Birgit Ebel und Meryem Kara-Özdemir, die im Kölner Umland unterrichtet, Kontakt aufbauen.

Die Zeilen von Meryem Kara-Özdemir haben mich übrigens sehr nachdenklich gemacht. „Als Deutschlehrerin mit südländischem Aussehen und türkischem Namen, aber perfektem Deutsch musste ich auf beiden Seiten einen irren Kampf um Akzeptanz und Respekt führen,“ berichtet sie. Sie habe sich Deutschen und Nicht-Deutschen ständig in ihrem Demokratieverständnis erklären und sich positionieren müssen. Anfangs haben sie das noch sehr gerne getan, doch mittlerweile sei sie müde geworden – als gehöre sie einfach nicht dazu, was immer sie auch tue.

Was fehlt uns? Die Deutschlehrerin Kara-Özdemir und die Politikerin Akgün sagen es überbeinstimmend: eine Definition gemeinsamer Werte und das Leben in einer Gesellschaft. Das klingt weit von unserem Alltag entfernt und letztlich ist es das leider auch.

Mit nachdenklichen Grüßen verabschiede ich mich ins Wochenende!
Ihr
Peter Pauls

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