Reker muss Kölner Filz und Trägheit besiegen

Reker muss Kölner Filz und Trägheit besiegen
Köln: Wie man eine verfilzte Stadt zukunftsfähig macht
Wenn Henriette Reker ihr Amt als Oberbürgermeisterin antritt, beginnt am Rhein ein Experiment: Kann man aus einer aufgeblähten, politisierten Verwaltung einen schlanken, effizienten Apparat formen?

Otto von Bismarck pflegte zu sagen: „Mit schlechten Gesetzen und guten Beamten lässt sich immer noch regieren; bei schlechten Beamten helfen die besten Gesetze nichts.“ Eine solide Verwaltung ist alles. Jeder, der in Köln lebt und die politische und wirtschaftliche Lage kennt, kann das bestätigen.

Vieles klappt in Köln einfach nicht oder nicht mehr, weil die Umsetzung von Politik meist im Dickicht eines Verwaltungsapparates scheitert, der unübersichtlich strukturiert und parteipolitischen Interessen unterworfen ist. So gibt es in Köln eine Ämterfülle, die nur als künstliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der Politik zu rechtfertigen ist.

Konsequenz: Die ehemals so stolze Rheinmetropole – heute Deutschlands verdreckteste „Partystadt“ – wird immer mehr wahrgenommen als Synonym für Verwaltungschaos und kommunale Inkompetenz.

Die Verwaltung von Köln hat 17.000 Mitarbeiter, eine stattliche Zahl. Jeder dieser Mitarbeiter ist aber im Schnitt im letzten Jahr 17 Tage krankheitsbedingt ausgefallen. Wie ist dieser alarmierende Krankenstand zu erklären? Durch Überlastung etwa, durch unnötige Reibereien oder eher durch Frustration wegen Unterforderung?

Kein eigenverantwortliches Handeln

Eine ehrliche Analyse ist wichtig, danach aber muss es endlich Konsequenzen geben, damit die Stadt wieder zukunftsfähig werden kann. Denn in der Stadtgesellschaft wächst die Unzufriedenheit mit der Stadtverwaltung auf alarmierende Weise.

Henriette Reker, die am Wochenende gewählte erste Oberbürgermeisterin Kölns, hatte dieses Thema während ihres Wahlkampfes immer wieder aufgegriffen. Als Chefin des Sozialdezernats war die versierte Verwaltungsjuristin auch „Herrin“ über mehr als 7500 städtische Mitarbeiter.

Sie bekräftigte, dass es viele gebe, die kompetent und tüchtig seien, aber dass unklare und sich zum Teil gegenseitig blockierende Entscheidungsstränge eigenverantwortliches Handeln nicht mehr zuließen.

Reker hatte bei Wahlumfragen immer vorn gelegen, weil man ihr eher zutraute, die Verwaltung Kölns wieder funktionsfähig zu machen, als dem Kandidaten der SPD, Jochen Ott. Man muss sich das gerade jetzt ins Bewusstsein rufen: Reker hat nicht gesiegt, weil ihr nach dem feigen Attentat vom Samstag die Herzen – und Stimmen – der Unentschlossenen zugeflogen sind.

Dann hätte sie deutlich mehr als gut 120.000 der 800.000 Wählerstimmen bekommen müssen. Die Ergebnisse der einzelnen Wahlbezirke zeigen aber, dass die Parteilose Reker überall da „durchmarschiert“ ist, wo die sie tragenden Parteien – Union, Grüne und FDP – ihre Hochburgen haben.

Zum Glück deutet alles darauf hin, dass Henriette Reker bald genesen wird, um ihr Amt in einem absehbaren Zeitrahmen anzutreten. Niemand weiß, ob und wie das feige Attentat sie im Tiefsten verändert hat. Und ob und wie die Stadt selbst und ihre Bürger damit umgehen werden.

Bisher gehört es jedenfalls zu den Tugenden der Rheinländer, dass sich eine solide Mehrheit stets von fremdenfeindlichen, rechtsradikalen und antidemokratischen Kräften distanzierte. Allerdings ist der echte Kölner – also der „Kölsche“ – auch gern selbstgefällig, träge und, seien wir ehrlich, nicht übermäßig fleißig.

Das Attentat wird also kaum zu einem Bewusstseinswandel, einer tiefgreifenden Neuausrichtung führen. Einen „Ruck“ kennt man in Köln nicht, sonst hätte man schon auf den Einsturz des Stadtarchivs, das Desaster bei der Renovierung der Oper oder diverse Wahlschlampereien anders reagiert.

Ein Netz aus Gefälligkeiten

Der alte, breite Strom, der Köln immer noch in zwei Hälften teilt, fließt weiter – und langfristig wird auch nach dem Schock über das Attentat der Alltag wieder einkehren, der private, politische, wirtschaftliche. Dann gilt es, die Lähmung der mit über einer Million Einwohnern immer noch größten Stadt des bevölkerungsreichsten Bundeslandes endlich zu lösen, um sie fit zu machen für die Zukunft.

Ist das dann die Stunde der Henriette Reker? Gerade in den ob der Stagnation der Stadt besonders frustrierten bürgerlichen Kreisen wurde diese zuletzt „gehandelt“ wie eine alles könnende Heilsbringerin. Vor allem hier erhofft man sich von ihr eine Entflechtung der „Köln-SPD-GmbH“, dieses Netzes aus tausend großen und kleinen Abhängigkeiten und Gefälligkeiten, mit dem die „Sozen“ die Stadt seit Jahrzehnten im Griff haben.

Aber so einfach ist es nicht. Wer von jemandem zur Beute gemacht wird, hat sich im klüngelerfahrenen Köln vorher auch zur Beute machen lassen. Will heißen: Das personalpolitische Tableau, das auf der bürgerlichen Seite angeboten wurde, war häufig wenig überzeugend – eine bis in den letzten Ortsbezirk hinein wirkende Kölner SPD tat ihr Übriges.

Davon profitierte vor allem der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Stadtrat, der Landtagsabgeordnete Martin Börschel, ein gewiefter Jurist und begnadeter Strippenzieher. Er regiert seit Langem die Stadt – nicht der jetzt in den Ruhestand gehende SPD-Oberbürgermeister Jürgen Roters.

Mit wechselnden Mehrheiten

Und die Grünen? Sie erobern in der Universitätsstadt Köln längst mehr als 20 Prozent der Stimmen – und regieren „eigentlich“ mit der SPD in einem aus tiefer Hassliebe geprägten Zweckbündnis. Gleichzeitig unterstützten sie aber Frau Rekers Kandidatur, schließlich ist sie ja parteilos und in vielen Fragen durchaus den Grünen nahe.

Was heißt das alles für die Zukunft? Werden diese eine neue Koalition suchen mit den anderen „Reker-Unterstützungsparteien“, also CDU und FDP? Könnte diese wiederum eine stabile Basis schaffen für die neue Oberbürgermeisterin? Oder wird sie – von Fall zu Fall – mit wechselnden Mehrheiten regieren wollen, ja regieren müssen?

Wenn Henriette Reker ihr Amt antreten wird, beginnt in Köln jedenfalls ein spannendes Experiment. Im Mittelpunkt steht die alles entscheidende Frage, ob man über eine Umstrukturierung und langfristige Verschlankung der Verwaltung eine an realen Sachfragen orientierte Zukunftspolitik durchsetzen kann.

Um Bismarck noch einmal zu bemühen: Unsere Kommunen brauchen eine Entpolitisierung der Verwaltung – also eine preußisch inspirierte Rückbesinnung auf „neutrales“ Umsetzen kommunalpolitischer Vorgaben. Falls das in Köln auch nur in Ansätzen klappt, würde am Rhein ein neues Kapitel deutscher Kommunalpolitik aufgeschlagen. Wer Henriette Reker persönlich kennt, traut ihr das sogar zu.

Ein Artikel von Dr. Hildegard Stausberg
Quelle: welt.de

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