Wir sind auf dem Weg in eine Republik der Analphabeten

Die strenge Stausberg

Wir sind auf dem Weg in eine Republik der Analphabeten

Wenn schon Hochschulabsolventen ohne Punkt und Komma und voller Rechtschreibfehler schreiben, dann muss man die Notbremse ziehen. Orthografie geht nicht nach Gehör. Sie muss geübt werden. Üben ist sexy.

Wenn man Geld für einen guten Zweck braucht, ist es völlig legitim, Bittbriefe an Leute zu schicken, von denen man sich Hilfe erhoffen darf. Insofern wunderte ich mich auch gar nicht, als mich vor Kurzem ein junger Mann anschrieb, der in Rio de Janeiro ein Sozialprojekt betreut, das mithelfen soll, Kindern aus Favelas eine bessere Schulausbildung zu ermöglichen. Toll!

Früher hätte man einen Brief bekommen, der zwingend begonnen hätte mit einem „Sehr geehrte Frau Stausberg“. Geraume Zeit später wäre man wohl übergegangen zu einem „Liebe Frau Stausberg“. Heute heißt es im lockeren E-Mail-Verkehr nur noch: „Hallo Frau Stausberg“. Na ja, geht auch.

Was aber gar nicht geht, sind Schriftstücke – egal ob Brief oder E-Mail –, in denen kein einziges Komma mehr gesetzt wird (sic!) und wo in mindestens jedem dritten Satz irgendein dicker Orthografiefehler steht.

Wohlgemerkt: Ich rede nicht von einem Volksschüler, dem man das in den unteren Klassen noch nachsehen könnte, sondern einem jungen Menschen, der auf die 30 zugeht und ein sozialwissenschaftliches Studium an einer deutschen Fachhochschule mit Abschlussnote „gut“ absolviert hat, wie ein beigefügter Lebenslauf bewies, mit dem er seine Seriosität ausweisen wollte.

Wie kann das sein? Was züchten wir uns da eigentlich heran an unseren Unis? Eine Zwei für einen Analphabeten – grausam! Ich habe den Schreiber umgehend gebeten, mir sein Anliegen, das ich unterstützen möchte, doch bitte in einer fehlerfrei verfassten Form zukommen zu lassen, schließlich möchte ich damit auch in meinem Bekanntenkreis werben. Auf die Antwort warte ich noch.

Kann es eigentlich noch mal besser werden? Und was rollt da auf uns zu, wenn erst die nach der phonetischen Methode des „Schreibens nach Gehör“ ausgebildeten Schülergenerationen an die Unis drängen? Ihre Verteidiger, angeblich „schülerzugewandte“ Pädagogen, sprechen verharmlosend von „Erleichterungsdidaktik“.

In Wirklichkeit zeigen die katastrophalen Ergebnisse: Rechtschreibung kann nur durch beharrliches Üben der orthografisch richtigen Schreibweise erlernt werden. Der hohe Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund verbietet sowieso eine weitere Anwendung der phonetischen Schreiben-nach-Gehör-Methode: Wer soll denn da zu Hause, wo häufig gar kein Deutsch gesprochen wird, korrigierend eingreifen?

Letztlich fördert das nur Isolation. Im ganzen Land findet in den nächsten Wochen der sogenannte Vera-3-Test statt. Er bildet den Lernstand der dritten Klassen ab, also auch Schreibleistungen. Aus den Ergebnissen müssen endlich Konsequenzen gezogen werden: Üben ist sexy!

von Dr. Hildegard Stausberg

Quelle: welt.de

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