Newsletter 18. Februar 2022
Newsletter vom 18.02.2022
Köln ist hipp, wenn man nicht genau hinschaut – Michael Hüther im Gespräch über explodierende Kosten, nervöse Börsen und diese Stadt
Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
seit mehr als 70 Jahren residiert das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Chef dieser Denkfabrik mit circa 165 Mitarbeitern ist Prof. Michael Hüther. Der meinungsstarke und einflussreiche Wirtschaftsforscher ist mit wachem Blick unterwegs, auch auf die Stadt, in der er seit fast 18 Jahren arbeitet. Kein Wunder, dass wir für unseren neuen Podcast mit ihm nicht nur über steigende Lebenshaltungskosten, nervöse Börsen und die Europäische Zentralbank (EZB) sprachen, sondern auch über diese Stadt. Hier ist der 59jährige ein gefragter Experte – wie erst jüngst, als das Prachtbuch „KölnGold“ festlich vorgestellt wurde, das zwischen Buchdeckeln Schätze aus zwei Jahrtausenden versammelt und Ansporn sein soll, sich auf eigene Stärken zu besinnen.
Daran anknüpfend, bescheinigt Michael Hüther Köln ein Potential der Ausstrahlung, was eine freundliche Umschreibung für den Umstand ist, dass Deutschlands viertgrößte Stadt unter ihren Möglichkeiten bleibt. Sie sei eben nicht „das Hoch im Westen“, das sie eigentlich sein müsste, sagt Hüther und urteilt: „Köln ist hipp, wenn man nicht genau hinschaut“. Wo denn die großen Projekte der Stadt seien?, fragt er. Die gezielte Präsentation der „Via Culturalis“ etwa, die von historischen Baudenkmälern gesäumte Achse zwischen Dom und der Kirche St. Maria im Kapitol. Warum ist dort kein Haus der Universität geplant?, fragt er rhetorisch. Die Universität Köln, eine der größten Deutschlands, sei schließlich eine Gründung der Stadt. Den ganzen Podcast mit Michael Hüther hören Sie, wenn Sie hier klicken.
„Eine Metropole, eine Strahlkraft entsteht auch durch Leuchtturmprojekte„, erklärte unser Gesprächspartner, erinnerte an den Erfolg des Rheinauhafens und die ewigen Pläne zur Tieferlegung der Nord-Süd-Fahrt, die die Stadt zerschneidet. „Die Via Culturalis müsste mit einer ganz anderen Dynamik betrieben werden“, urteilt er. Dynamik wünscht Hüther sich auch für den Strukturwandel im rheinischen Braunkohlegebiet, in dem die Kohleförderung nun bereits 2030 enden soll. 15.000 Arbeitsplätze seien bedroht. Das müsse von der Politik begleitet werden. Sonst würde Deutschland ähnliches erleben wie Frankreich mit den „Gelbwesten“, dem Pendler-Protest gegen überhöhte Benzinpreise. „Eine Gesellschaft erträgt das nur in Grenzen.“
Die Frage, ob viele Menschen sich ein Leben in dieser Stadt überhaupt noch leisten können, führt im Grunde über Köln hinaus und zu allgemeinen Fragestellungen – und zunächst zur wohl aktuellsten: Wie berechtigt ist die Sorge vor einer Inflation? Nach Hüther begann alles im vergangenen Jahr mit Lieferproblemen bei Halbleitern, Holz, Gips und anderen Materialien. In der Korrekturphase der Pandemie kamen plötzlich viele Dinge zusammen. Die Einschätzung der meisten Experten war, dass sich das im Jahr 2022 normalisieren würde. Doch dann kam, nicht zuletzt wegen der politischen Großwetterlage, der Anstieg der Energiepreise. „Wenn Sie den Anstieg der Preise im Januar gegenüber dem Vorjahresmonat sehen, liegen wir bei 4,9 Prozent. Nimmt man die Energiepreise raus, sind wir bei gut drei Prozent. Der Haupttreiber ist der Energiepreis.“
Allerdings, so fügt er an, sei das auch auf dem Weg in eine emissionsfreie Zukunft gewollt, schließlich wollten wir das fossile Zeitalter hinter uns lassen: „Die Preise haben da einen gewollten Steuerungseffekt. Zumindest eine Zeitlang wird der Preis für Energie ein Treiber der Teuerung bleiben.“ Skepsis klingt in dem Zusammenhang aber auch an. Ständig würden wir konfrontiert „mit schönen Bildern einer grünen klimaneutralen Zukunft“, aber niemand könne sagen, wie die Transformation dahin funktioniert. Der nötige Ausbau der Netzstruktur, um den Strom etwa vom windstarken Norden Deutschlands zu den Produktionsstätten und Verbrauchern im Süden zu bringen, komme mehr als schleppend voran, die Fertigstellung der wichtigsten Trasse, die ursprünglich in diesem Jahr stehen sollte, wird immer weiter in die Zukunft verschoben. „Ein bisschen wie bei der Kölner Oper. Da fragt langsam auch keiner mehr, vielleicht auch, weil es niemanden mehr interessiert.“
Sparen nicht als Verwahren betrachten – nach diesem Grundsatz empfiehlt Michael Hüther ein breit aufgestelltes, international und nach Branchen diversifiziertes Depot als Schutz vor dem inflationsbedingten Wertverlust des eigenen Vermögens. Die Angst vor einem Börsencrash oder einer Immobilienblase teilt er nicht, auch wenn es immer mal wieder Rückschläge gebe. Die Vergangenheit habe gezeigt, dass sich die Märkte – ob in der Finanzkrise oder während der Pandemie – rasch wieder erholten. Allerdings: „Wenn die Balken vom Himmel fallen, hilft Ihnen auch kein Regenschirm.“ Eine gewisse Blasenbildung sieht er derzeit vor allem bei den grünen Investments, in die wegen der sog. Taxonomie der EU alle hingetrieben würden: „Es gibt nicht zu wenig Kapital für grüne Investitionen.“
Angesprochen auf die Rolle der Politik sieht der IW-Chef ein fundamentales Versäumnis nicht nur, aber auch der neuen Regierung. Sie hätte zwar einen umfangreichen Koalitionsvertrag beschlossen, aber das gravierende Problem der demografischen Alterung schlicht ignoriert. „Es gibt kein goldenes Jahrzehnt mehr. Das war nach der Finanzkrise. Das ist vorbei. Alterung frisst Produktivität.“ 2030 gebe es drei Millionen Erwerbspersonen weniger, das entspräche 4,2 Milliarden Arbeitsstunden. Multipliziert mit einer durchschnittlichen Vergütung entstehe ein enormer Verlust für das Bruttoinlandsprodukt, das ließe sich mit Produktivitätsfortschritten gar nicht kompensieren.
Wir haben noch über den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB, die gigantische Staatsverschuldung von Ländern im Euroraum, die Notwendigkeit von Hilfen für Geringverdiener und vieles andere gesprochen. Am besten, Sie hören das Gespräch mit Michael Hüther ganz. Seine Einschätzungen, seine Expertise helfen, in unsicheren Zeiten die Orientierung nicht zu verlieren. Schon deswegen lohnt es sich.
Herzliche Grüße
Ihre
Michael Hirz und Peter Pauls
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