Newsletter 22. April 2022

Newsletter vom 22.04.2022

Wenn ganz Deutschland ein Mensch wäre: Wie würde er durch die aktuellen Krisen kommen? Ein Gespräch mit einem Psychologen.

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

manchmal stelle ich mir Deutschland wie eine große Person vor, die sich aus vielen kleinen Einzelpersönchen zusammensetzt. Alle zusammen bilden einen gewaltigen Organismus. Was wäre, wenn dieser Riese zu einem Psychologen ginge? Warum kommen Sie zu mir? würde der Experte wohl eingangs fragen. Corona ist ein Dauerthema für mich, würde der Riese antworten. Und nun tritt auch noch der Krieg in der Ukraine hinzu, würde er seufzen und ergänzen: Und in jüngster Zeit, wo ich schon so sorgenvoll bin, mache ich mir auch noch Gedanken um die Folgen des Klimawandels.

Genau über diese Fragen habe ich mit Jens Lönneker vom „rheingoldsalon“ in Köln gesprochen. Er und sein Team sind Experten darin, in tiefenpsychologischen Gesprächen die Stimmungen einer Gesellschaft auszuloten. Im Großen und Ganzen würde Jens Lönneker dem Riesen bescheinigen, dass er einigermaßen die Fassung bewahrt hat. Er ist ruhig geblieben und versucht, nicht ängstlich zu sein. Obwohl es in ihm rumort.

Das zu wissen ist wichtig! Diese Erkenntnis steht in Kontrast zum mitunter lautstarken Protest von Impfskeptikern und Putin-Verstehern, die aus den gleichen trüben Informationsquellen schöpfen und uns andauernd begegnen – in den sogenannten sozialen Medien oder, in Auswüchsen, medialen Schlagzeilen – wenn etwa Extremisten die Entführung des Gesundheitsministers geplant haben sollen. Es sind Minderheiten, sagt der Psychologe. Ebenso wie diejenigen, die Rucksäcke für eine schnelle Flucht gepackt, Vorräte im Keller angehäuft haben oder Reisen in den Süden bis hin nach Neuseeland angetreten haben, um eventuellen Atomschlägen auszuweichen.

Warum wir dann in Supermärkten immer wieder vor leeren Regalen stehen? Weil das Horten von Lebensmitteln ein Versuch ist, die Ohnmacht zu behandeln, in die uns der Überfall Russlands auf die Ukraine versetzt. Zumindest das kleine Feld einer herbei phantasierten Versorgungsnot kann durch den Kauf von Mehl, Sonnenblumenöl und Butter beackert werden. Man macht sich vor, Einfluss nehmen zu können. Gedankenvollere Menschen kümmern sich um Flüchtlinge und bereiten sogenannte „Tafeln“ vor, an denen schlecht gestellte Menschen Lebensmittelhilfen erhalten. All das sind Versuche, die Bewältigung der Krisen in Handlungsschritte im Alltag umzusetzen.

Warum sind in Supermärkten mitunter die Regale leer?
Weil Hamstern beruhigt.Es lindert Ohnmachtsgefühle.

Bild: Peter Pauls

„Der größte Teil der Gesellschaft macht aber Alltag“, sagt Jens Lönneker. Man versuche, über die Weltlage hinwegzusehen. Sobald der Satz „Ich habe keine Angst“ in Befragungen fällt, ist das verräterisch. „Psychologisch ist das ein Indikator“, sagt der Psychologe. „Denn nach Angst fragen wir gar nicht.“ Im Klartext: Da ist wohl schon Angst. Überhaupt – es ist schwer geworden, Kurs zu halten. Krisenthemen tauchen unvermutet an Stellen auf, an denen man nicht mit ihnen rechnet. Plötzlich hört man von Problemen beim Bau von Paletten für den Lebensmittel-Einzelhandel. Es fehlen Nägel, die aus russischem Stahl gefertigt werden, der unter den Handelsboykott fällt.

Die Welt mit ihren Pandemien, Klimaphänomenen und Kriegen erscheint nicht mehr so beherrschbar, wie es der moderne Mensch gewohnt war. Im Gegenteil. Sie ist wieder bedrohlich geworden. Wie zu den Zeiten, als es auch in Europa noch regelmäßig Hunger gab und keine Impfungen gegen Massenerkrankungen wie Masern oder Pocken existierten. „Wir versuchen, unser Leben beizubehalten“, erklärt der Psychologe. „Und doch merken wir, wie etwas, was einst als sicherer Grund erschien, wacklig geworden ist.

Ganz offensichtlich wird das in Fragen des Militärischen. Ich entsinne mich noch, wie 1992 der Bundeswehr-Einsatz in den Hungergebieten des ostafrikanischen Somalia zu wütenden Debatten führte. Keinesfalls dürfe das ein Kampfeinsatz sein, hieß es. Angesichts der bewaffneten Banden, die die Versorgung der Bevölkerung unmöglich machten, war das ein fast absurder Wunsch. Schließlich stellten die verunsicherten deutschen Soldaten Trinkwasser her, das niemand so recht brauchte. Heute nun zehrt dieser antimilitärische Reflex an Deutschlands internationaler Reputation.

Das bringt mich auf Manfred Güllner, dessen Forsa-Institut regelmäßig die Bundesbürger befragt. Seine jüngste Umfrage sieht die Grünen mit 20 Prozent Zustimmung eindeutig vorn, während SPD und CDU mit marginalen Verschlechterungen oder Verbesserungen auf der Stelle treten. Das wundert mich nicht. Die Grünen stehen momentan da wie ein gut geführter politischer Supermarkt, der für jeden etwas bereithält. Annalena Baerbock (Außenamt) und Robert Habeck (Wirtschaftsministerium) agieren kundig, telegen und für jedermann. Für Aufmerksamkeit sorgt der Leiter der neuen Abteilung „Militärwesen“, Anton Hofreiter. Der Parteilinke bringt Forderungen hervor, wie man sie der Friedenspartei nie zugetraut hätte und will schwere Waffen wie Panzer und Geschütze an die Ukraine liefern.

Das mag dem politischen Supermarkt neue Käufer bringen. Aber wie die Stammkundschaft dazu steht, kann man nur erahnen.

Immerhin – es ist Krise und das Land ist gefasst. Seien wir stolz darauf.

Herzlich grüßt

Ihr

Peter Pauls

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