Newsletter 27. Mai 2022

Newsletter vom 27.05.2022

Ist das Kölner Justiz-Zentrum ein Wegwerf-Hochhaus? – Wie Stadt und Land in Zeiten des Klima-Notstands Ressourcen vernichten

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

ich weiß jetzt, wie ein Wegwerf-Hochhaus aussieht. Es ist 105 Meter hoch, hat 24 Geschosse, ein ziemlicher Brocken also, und ist 41 Jahre alt. Die Rede ist vom Kölner Justiz-Hochhaus, das im April 1981 fertig wurde, heute „marode“ genannt wird und deshalb abgerissen werden soll. In diesem Zusammenhang wird von defekten Aufzügen, schlechter Wasserversorgung und Kabelsalat in Gerichtssälen berichtet. Mich lässt das mit der Frage zurück, ob man diesen Mängeln durch Reparatur nicht hätte abhelfen können oder sie – besser noch – durch Pflege der Substanz gar nicht erst entstanden wären?

Egal – der Abriss ist wahrscheinlich. Kölns OB Henriette Reker und NRW-Justizminister Peter Biesenbach begrüßten ihn in den Kölner Medien öffentlich. In einem Papier, das beide unterzeichneten, ist jedoch auch von der „hilfsweisen Option“ einer Kernsanierung des Gebäudes die Rede, die aber „keine Alternative“ darstelle. Und der Baubetrieb NRW schließlich nennt den Abriss lediglich ein „Szenario“. Was für ein Hin und Her. Keiner der Beteiligten hat bisher Anstalten gemacht, es den Bürgern zu erklären.

Oder sollte etwa der Anschein eines schlechten Gewissens daraus sprechen, will man sich vielleicht Alternativen offenhalten? Denn an den 127 Millionen D-Mark, die das Hochhaus seinerzeit kostete, sind wir alle über unsere Steuern beteiligt. Ebenso ist es mit dem geplanten Neubau, der angesichts explodierender Preise und Baustoff-Knappheit ungeahnte Kostenhöhen erreichen dürfte. Auch er wird aus Steuergeld finanziert. Dabei ist in dieser Stadt Wohnraum so knapp, dass der Mangel zu einem Dauerthema geworden ist.

Ist nicht die Uni Köln nur wenige Schritte vom Justiz-Zentrum entfernt? Zumindest die Umwandlung des Gebäudes für studentisches Wohnen oder Universitätszwecke könnte eine alternative Nutzungsmöglichkeit sein. So ähnlich war es vor acht Jahren geplant. Damals hatte die SPD in Stadt und Land NRW noch mit den Grünen das Sagen und auch jetzt erinnerte die Kölner SPD wieder daran.

RWird das Kölner Justiz-Zentrum abgerissen? Nach ursprünglicher Planung sollte die Justiz einen Neubau bekommen.Der ältere Bau sollte nach seiner Sanierung der Universität oder studentischem Wohnen dienen.

Foto: Peter Pauls

„Jeder Abriss ist die Vernichtung einer Ressource und muss sorgfältig geprüft sein,“ sagten fast gleichlautend die Architekten Kaspar Kraemer und Reinhard Angelis (Bund Deutscher Architekten in Köln) sowie Andreas Grosz, Gründer und Leiter des KAP-Forums für Architektur und Stadtentwicklung. Gebäude sind Rohstoff-Zentren, die Zeiten der Wegwerf-Häuser vorbei, zumal konventionelle Bauweise als CO2-Schleuder gelte und selbst Sand so knapp sei, dass Plünderer sich über Strände in der 3. Welt hermachten. „Kiesgruben sind heute Goldgruben“ – auf diese Formel bringt es Andreas Grosz. Ressourcen sind knapp und teuer geworden. Das ist keine ideologische Betrachtung, sondern wirtschaftliche Realität.

Ob die Verantwortlichen diese Argumente hin- und her gewendet haben, als sie über Abriss oder Sanierung nachdachten? Ob sie in die Kalkulation einbezogen haben, dass in Köln demonstrativ der Klimanotstand ausgerufen wurde, der jedoch schnell zur tagespolitischen Routine-Begründung für Einschnitte im täglichen Leben verkam. Wie lässt sich ein Abriss mit diesem Notstand vereinbaren? All das sind Fragen, auf die man eine Antwort haben möchte. Das ist eine Bringschuld der Politik, keine Holschuld der Bürger.

Wenn ich mir vor Augen führe, dass in Köln-Mülheim das gewaltige frühere KHD-Gelände vor sich hingammelt wie eine verlassene Geistersiedlung im Wilden Westen, werde ich schwach im Glauben an die Kraft der Stadt. Jüngst las ich von der „Möhringhalle“ in Mülheim, die ein „Juwel“ der Industriearchitektur genannt wurde. Nach Jahrzehnten der Vernachlässigung ist das „Juwel“ dermaßen verkommen, dass es allenfalls noch als Kulisse für Mad-Max-Filme taugt. Da schmerzt der Abriss eines fast neuen Hauses um so mehr.

Klar ist eins: Die fetten Jahre der Bedenkenlosigkeit, des unbeschwerten Verbrauchs von Rohstoffen und des Glaubens an die Allmacht des Menschen sind vorbei. Das sagt auch Jens Lönneker vom „rheingold salon“. Klimawandel, Flutkatastrophen, Krieg, neue Viren und Epidemien zeigen uns die harte Wirklichkeit auf. Es wundert mich, dass man das ausgerechnet einer Stadtführung sagen muss, in der die Grünen den Ton angeben.

Mit dem Psychologen Lönneker sprach ich auch über die NRW-Wahl. Ihm war aufgefallen, dass die FDP Wähler an fast alle anderen Parteien verloren hatte. Ein Indiz, dass die Liberalen ihre Klientel enttäuscht hat, die einen Verrat an liberalen Positionen konstatiert. Nun sind die Zeiten für Christian Lindner und Co. schwer. Das Finanzministerium, eigentlich ein Schlüsselressort, ist zum Erfüllungsgehilfen der Corona- und Kriegspolitik mutiert, der Minister ein Schatten seiner selbst.

Warum Robert Habeck laut jüngster Forsa-Umfrage im Vertrauensranking an vorderer Stelle steht? Weil er seine Politik in jedem Schritt in einer Sprache erklärt, die man versteht und er dies auf eine Weise tut, in der man sich als Bürger ernst genommen und respektiert fühlt. Ach, wenn der Bundeskanzler das auch so könnte, statt wie so häufig nur in vielsagendes Schweigen zu verfallen. Oder – und so schließt sich der Kreis – die Kölner Oberbürgermeisterin und der NRW-Justizminister.

Bitte erklärt den Bürgerinnen und Bürgern, warum ein 40 Jahre altes Haus abgerissen werden muss. Dann steigt Ihr in meinem persönlichen Vertrauensranking und dem eines jeden Häuslebauers. In der Welt des normalen Bürgers reißt niemand sein Haus nach 40 Jahren ab. Es sei denn, er hat den Verstand verloren oder im Lotto gewonnen.

Ich wünsche Ihnen ein gewinnträchtiges Wochenende.

Herzlich grüßt
Ihr

Peter Pauls

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