NEWSLETTER 12.05.2023

Vom Gendern, Raubkunst und einem bemerkenswerten Auftritt Hendrik Wüsts

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

ob im Ukraine-Krieg ein Waffenstillstand zum jetzigen Zeitpunkt klug ist, darf man mit Fug und Recht bezweifeln. Aber beim gegenwärtig tobenden Kulturkampf täte zumindest eine Feuerpause mal ganz gut. Die Schauplätze dieses Kampfes heißen nicht Verdun oder Stalingrad, sie heißen Gendergerechtigkeit, Cancel Culture und sogenannte Wokeness. Da geht es dann um Rassismus und Feminismus, um Bevormundung und politische Korrektheit.      Auch wenn es, gottlob, keine Toten gibt, dieser Krieg um Worte und Haltungen wird mit erbitterter Härte geführt – und er eskaliert weiter, er polarisiert und spaltet die Gesellschaft.

Wie so vieles ist auch dieses Phänomen ein Exportartikel der USA. Geradezu meisterlich hat es der frühere (und nach eigener Einschätzung nie abgewählte) US-Präsident Donald Trump verstanden, diesen Konflikt zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen anzuheizen und dann auf einer so entstandenen vulgär-populistischen Erregungswelle ins Weiße Haus zu surfen. Links gegen Rechts, Provinz gegen Metropole, Alt gegen Jung, Schwarz gegen Weiß – das Konzept scheint praxistauglich. Das kann natürlich nur funktionieren, wenn auf der anderen Seite des politischen Spektrums, bei Linken und Linksliberalen, genauso geholzt wird, wenn ein Regulierungsfuror tobt, der im Namen höherer Gerechtigkeit immer neue Vorschriften und Verbote schafft, wenn ein neues Jakobinertum eine ganze Gesellschaft mit ihrem Tugendterror überziehen will. Als gäbe es nichts Wichtigeres, über das sich zu streiten lohnt: Die Energiewende, der Fachkräftemangel, das Gesundheitswesen, unsere Verteidigungsfähigkeit undundund.

Zerrieben wird zwischen diesen polarisierten Gruppen eine bürgerliche Haltung, die von Maß und Mitte gekennzeichnet ist. Die abwägt, Argumente anhört, nachdenkt, bevor sie handelt. Die Fakten prüft, bevor sie eine eigene Meinung entwickelt. Insofern war es ermutigend, wie Ministerpräsident Hendrik Wüst bei seinem Gespräch im Kölner Presseclub vor einem neuen Kulturkampf warnte, vor Hass und Unversöhnlichkeit. Weder das Gendern noch die deutsche Arbeitsmoral machten ihm Angst, bekannte er, und erteilte einschlägiger Wehleidigkeit und Defätismus eine deutliche Absage. Er plädierte für eine Gelassenheit, die nicht eifernd über jedes Stöckchen springt, dass ein Heißsporn ihr hinhält. Auch widerstand er bei Publikumsfragen der Einladung zu populistischen Ausfällen, blieb souverän, liberal und weltoffen.

Diese Gelassenheit wäre zu empfehlen beim Umgang mit der – ja, man muss es so nennen – kolonialen Raubkunst in unseren Museen. Kaum waren die ersten Benin-Bronzen, die auch zum Bestand des Kölner Rautenstrauch-Joest-Museums gehörten, an den Staat Nigeria zurückgegeben worden, übertrug offensichtlich der nigerianische Präsident die Eigentumsrechte an den König von Benin. Der will, so heißt es, in Benin-City ein Museum für diese Kunstschätze errichten. Ein kulturpolitisches Fiasko für die grüne Außenministerin, die maßgeblich an der Restitution mitgewirkt hat? Na ja, man muss kein Fan von Annalena Baerbock sein, um zu erkennen, dass es sich bei der Rückgabe dieser Artefakte zuallererst um das kulturelle Erbe anderer Länder und Völker handelt – über das sie jetzt wieder souverän verfügen können.

Allerdings nährt die plötzliche Begeisterung für diese koloniale Beute den Verdacht, dass es letztlich mehr um neue Munition im Krieg der Weltanschauungen geht, weniger um die Kunstwerke, die zuvor – vorsichtig formuliert – nicht gerade Gegenstand höchster öffentlicher Wertschätzung und Fürsorge waren. Dann schmerzt auf einmal auch der drohende Verlust von Gegenständen, von deren Existenz man zuvor kaum etwas wußte. Selbst der als eher konservativ beschriebene Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parziger, betont, dass die Rückgabe in der Sache gerechtfertigt und die Abwicklung richtig sei („Die Plünderung durch die Briten war eindeutig Unrecht“) und warnt vor Unterstellungen, die Benin-Bronzen würden unsachgemäß behandelt.

Man sollte meinen, mit der Sicherung und Bewahrung europäischer Kulturgüter gebe es ein genügend großes Betätigungsfeld. Vielleicht sollte man erst das eigene Erbe in Ordnung halten, bevor man auf fremdes Anspruch erhebt. Eines sollte aber auf keinen Fall zum zu pflegenden Kulturgut werden: Der emotional aufgeladene Kulturkampf.

Und last but not least: Am Sonntag wird – wie jedes Jahr – Muttertag gefeiert. Falls Sie das für selbstverständlich halten, sollten Sie den Poetry Podcast von Susanne Hengesbach hören. Spätestens dann wissen Sie, in bewegten Zeiten wie diesen ist gar nichts mehr selbstverständlich.

 

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz