NEWSLETTER 16.08.2024

Wie die AfD in Köln Politik beeinflusst, ohne einen Finger zu rühren, die SPD sich klein macht und ein Kunstwerk die Schwäche der Stadt widerspiegelt

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

grabe heute Nacht, wenn am Rhein der Vollmond aufgegangen ist. Dort wartet eine Kiste voller Erkenntnisse. Du findest sie aber nur, wenn Du nicht an ein Nilpferd denkst. Bis heute wurde die Kiste nicht entdeckt, denn die Grabenden dachten fortwährend: „Ich darf nicht an ein Nilpferd denken“.

Entschuldigen Sie, dass ich uns so ungewöhnlich aus der Sommerpause zurückmelde. Aber es ging mir darum auszudrücken, dass der Wunsch, etwas zu ignorieren, nicht linear umzusetzen ist. Im Gegenteil. Ich kann zwar äußerlich so tun, als ignorierte ich etwas. Doch beherrscht dieser Gegenstand zumindest innerlich das Denken und mitunter auch das Handeln. Der Anlass für diese Gedanken ist ernster, als es das Bild vom Schatzsucher vermuten lässt. Es geht um den Umgang mit der AfD.

Christian Joisten, SPD-Fraktionschef im Kölner Rat, machte sich in einer Mail an seine Fraktion Gedanken um das Jahrhundertprojekt Ost-West-Achse und darum, welche Rolle die AfD – sie ist im Rat mit vier von 90 Sitzen vertreten – dabei in Köln spielen könnte. Kern seiner Ausführungen: Seine Partei dürfe nicht „an einem Vorgang mitwirken, der ein >Wirksamwerden< der AfD überhaupt möglich macht“. Joisten ist in Sorge, die AfD könne Zünglein an der Waage sein und ein in geheimer Abstimmung herbeigeführtes Ergebnis für sich reklamieren. Mit diesem Argument will er den SPD-Vorschlag nicht weiterverfolgen. Der Spitzenpolitiker meldet damit seine Partei aus der Debatte um DAS Kölner Thema ab.

Joisten mutmaßt, wie die AfD entscheiden könnte, Joisten mutmaßt, wie sie sich öffentlich verkauft, Joisten weiß, wann sie „wirksam“ würde. Die AfD, mit der er nichts zu tun haben will, ist nicht nur fest in seinem Kopf verankert, er macht auch Entscheidungen seiner Partei von ihr abhängig. Eigentlich sollten die Bürgerinnen und Bürger Kölns diesen prominenten Platz im Kopf des Fraktionschefs einnehmen.

Folgte alle Politik in Köln diesen Regeln, könnten die Rechtspopulisten sich die Hände reiben. Sie hätten nicht nur die anderen zu ihren Bütteln gemacht, sie könnten sogar indirekt die politische Agenda bestimmen. Denn auch wenn wir in einer Angelegenheit nicht entscheiden, entscheiden wir dennoch, denn selbst Nichtstun ist eine Entscheidung. Der Verantwortung entgeht man nicht, indem man die Augen verschließt.

Wenn es einen gibt, der aus innerer Betroffenheit sensibel über den Umgang mit der AfD denkt, müsste es Dr. John Akude sein, afrodeutsches CDU-Mitglied im Kölner Rat. Doch der ist gelassen. „Die Interessen der Bürger müssen unsere Richtschnur sein“, sagt der 60jährige. Ein Abstimmungsverhalten in einer reinen Sachfrage – wie der eines Tunnels – von den Rechtspopulisten abhängig zu machen, erreiche eher das Gegenteil. „Das ist doch nur Wasser auf deren Mühlen.“ Eher sollte man schauen, welche Versäumnisse die Partei groß werden ließen und hier Abhilfe schaffen.

Was ist nur los mit der SPD? 2020 erzielte Andreas Kossiski, Kandidat für die Oberbürgermeisterwahl, noch einen Achtungserfolg und zwang Henriette Reker in die Stichwahl. Danach zeigte die Partei ihm die kalte Schulter. Seither ist die SPD eher durch Beschäftigung mit sich selbst aufgefallen, als durch Gestaltungsvorschläge. OB-Kandidaten? Bisher Fehlanzeige. Vielmehr lote die Partei ein Bündnis mit den Grünen aus, um die parteilose Stadtkämmerin Dörte Diemert als OB-Kandidatin zu unterstützen, wird geraunt. Das Gerücht mag man nicht glauben. Denn zur programmatischen Eigenblockade träte dann noch der demonstrative Verzicht, das Spitzenamt dieser Stadt zu besetzen. Eine Partei ohne Anspruch. Wofür stünde sie noch? Für ein wenig Geklimper auf dem Klavier der Macht?

Dabei fällt der 2025 anstehenden OB-Wahl entscheidende Bedeutung zu. Wie in Deutschland nach den Jahren Angela Merkels, in denen konsequent verwaltet und nur im Notfall gestaltet wurde. In zentralen Fragen wie der Ost-West-Achse hänge die Stadt fest, erschöpfe sich im Klein-Klein und leide unter einer Verkehrspolitik, in der keiner zufrieden sei, egal ob Fußgänger, Radfahrer oder Autofahrer. Das sagt Paul Bauwens-Adenauer, als einflussreiches CDU-Mitglied ein Freigeist geblieben.  

Mit ihm sprach ich über die Debatte um die Skulptur „Standortmitte“. Zwei fünfzig Meter hohe Stelen, die in Köln und Bonn die erste Autobahn Deutschlands markieren und sie zum Kunstwerk machen. In Köln soll nicht nur eine verlängerte KVB-Trasse so eng an dem Objekt vorbeigeführt werden, dass es seiner Wirkung beraubt wird. Tatsächlich spiegelt das Objekt im Kleinen, was Bauwens-Adenauer im Großen an der Stadt kritisiert: fehlende Führung, fragmentarische, an den Augenblick geknüpfte Politik, Konzeptionslosigkeit, die im Ergebnis zu Beliebigkeit führt, von Plan oder Vision gar nicht zu reden.

Als die Stadt Köln dem Künstler Lutz Fritsch vertraglich das Urheberrecht für sein Werk zusicherte, lag bereits seit 16 Jahren ein Ratsbeschluss für die Erweiterung der Bahnlinie vor. Als die Planer die Verlängerung dann planten, nahmen sie die Standortmitte erst gar nicht wahr. Sie schufen Umstände, die eine – überdies attraktive – Umgehung der Kunst angeblich nicht mehr zulassen. Wer jetzt nach Verantwortung fragt, kennt Köln nicht. Schuld ist nie jemand. Am Ende des Tages regiert nur der Sachzwang, der in eigener Unterlassung wurzelt.

Es wäre hilfreich, wenn es gelänge, ihn abzuwählen.  

Herzlich grüßt mit guten Wünschen
Ihr

Peter Pauls