NEWSLETTER 22.11.2024
Über ein Pferd im Senat, Applaus aus dem Kreml und teure Illusionen
Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
der römische Kaiser Caligula ist nicht zuletzt deswegen in Erinnerung geblieben, weil er sein Pferd zum Konsul ernannte – inklusive ständigem Sitz für den Hengst im Senat. Seine Regierungszeit dauerte vier Jahre und war von Größenwahn und Rachsucht geprägt. Natürlich ist Donald Trump nicht Caligula, zumal der vermutlich kein Golf gespielt hat. Aber seine ersten Personalentscheidungen sind, man muss es so sagen, spektakulär und fachlich nicht erklärlich. Den Zerfall der alten Weltordnung dürften sie beschleunigen.
Was kommt auf Deutschland zu, was auf Europa und die NATO? Darüber habe ich mit einem außen- und sicherheitspolitischen Experten gesprochen, mit Dirk Brengelmann, Botschafter a.D, Spitzendiplomat und mehrere Jahre Beigeordneter Generalsekretär der NATO. Die ersten Personalien Trumps hätten seine Befürchtungen noch übertroffen. Bei seiner Auswahl sei es dem künftigen Präsidenten offensichtlich nur um absolute Loyalität gegangen. Als Motiv könnte ein Rachefeldzug Trumps vermutet werden, „im Militär und im Justizwesen soll aufgeräumt werden“. Ein Verteidigungsminister ohne jegliche Erfahrung, gegen den wegen sexueller Nötigung ermittelt wurde und der zur Vereidigung Joe Bidens aus Sicherheitsgründen nicht zugelassen wurde – und künftig die mächtigste Armee der Welt befehligt? Ein Justizminister, dem Menschenhandel, illegaler Drogenkonsum, sexuelle Beziehung zu einer Minderjährigen vorgeworfen wurde, als Hüter des Rechts?
Als noch extremer bewertet Dirk Brengelmann die Benennung der Geheimdienstkoordinatorin, vor der sogar Trumps früherer Sicherheitsberater John Bolton, ein strammer Konservativer, dringend warnt. Sie hat russische Verschwörungsmythen verbreitet und mit einer Verteidigung von Moskaus Überfall auf die Ukraine Aufmerksamkeit erregt. Wenn man bedenkt, wie sehr die deutsche Sicherheit auch von den US-Geheimdiensten abhängt, ist die Vorstellung gruselig. Dass Moskau besonders diese Personalentscheidung begrüßt hat, gibt der Besorgnis zusätzliche Nahrung. Dass ein Klimaleugner und Frackingunternehmer Energieminister wird und ein Impfgegner Gesundheitsminister, sind da fast schon Petitessen. Lediglich der Außenminister Rubio sei halbwegs im Stoff.
Für die Verteidigungsfähigkeit Europas sind das keine guten Vorzeichen. Angesichts eines solchen Kabinetts rät Brengelmann: „Wir müssen uns warm anziehen“, fügt aber hinzu: „Tatsache aber ist auch, dass weder die Franzosen noch wir im Augenblick Führungskraft haben“. Die werde aber von Deutschland erwartet. Polens Initiative, Europas Verteidigungspolitik mit anderen Staaten gemeinsam auf Trump vorzubereiten, allerdings Deutschland dabei auszusparen, zeige einmal mehr die gefährliche Uneinigkeit des Kontinents. Doch Warten und Hoffen bringe gar nichts. Wenn die ersten Entscheidungen Washingtons so krass ausfielen wie die Personalentscheidunge, könnte vielleicht ein Ruck durch Europa gehen: „Vielleicht brauchen wir eine solche Schocktherapie um aus den Puschen zu kommen.“ Die Strategie des nächsten US-Präsidenten sei, vieles im Ungenauen zu lassen, „zynisch gesagt, die Unberechenbarkeit ist seine Stärke.“ Darauf müsse man reagieren.
Sicher ist, dass die Europäische Union und die NATO einem Stresstest unterzogen werden. Den neuen NATO-Generalsekretär Mark Rutte sieht Brengelmann als Glücksfall für das Bündnis. „Ein Schlitzohr, aber im positiven Sinne.“ Auch er werde die amerikanische Forderung nach einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben unterstützen. Brengelmann sieht angesichts der Bedrohungslage die Aufwendungen für militärische Sicherheit eher bei drei als bei zwei Prozent: „Eine wirklich untermauerte Abschreckung ist notwendig.“ Aber sie wird erhebliche Mittel brauchen.
Spannend – und mit Auswirkungen auf Deutschland – wird sein, wie die Strategie im Ukraine-Konflikt sein wird. Aber für Deutschland noch schwieriger wird aus Brengelmanns Sicht, wie der israelische Regierungschef Netanjahu die Situation nutzen wird, um das Westjordanland völkerrechtswidrig zu annektieren. Das könne schnell gehen und auch zu einem Konflikt zwischen den USA und Deutschland führen. Als drittes Problem benennt der Brengelmann Taiwan. Die kritische Haltung gegenüber China, die schon Joe Biden mit seinem militärischen Beistandsversprechen gezeigt habe, könnte bei einem Angriff Chinas auf Taiwan demnächst gefährlich eskalieren.
Im Angesicht dieser internationalen Entwicklungen wirken die deutschen Debatten eigentümlich kleinkariert. Im beginnenden Wahlkampf scheint das Versprechen des ungestörten Weiter-so das Erfolgsrezept zu sein. Dieses Versprechen, das die Realität ignoriert, wird nicht gehalten werden können. Es ist eine teure Illusion.
In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,
Ihr
Michael Hirz