Newsletter 17. September 2021

Newsletter vom 17.09.2021

Corona – Testlauf für die Krisen der Zukunft
Die phil.cologne tischt die großen Fragen der Gegenwart auf
Konstruiert wie ein Regal: Die Hohe Straße-Galerie

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

was eine Krise ist, muss man Armin Laschet nicht lange erklären. Erst hatte er kein Glück, dann kam noch Pech dazu, könnte die Überschrift über seiner Kandidatur für das wichtigste politische Amt des Landes lauten. Doch neben den wenig beeinflussbaren Faktoren wie Glück und Pech geht es auch um beeinflussbare Größen, etwa Können und Mut, mit denen sich das Schicksal gestalten und nicht nur erdulden lässt.

Genau das, nämlich Gestaltungswillen und Kraft, wird von Angela Merkels Nachfolger (oder, wer weiß das schon in diesen turbulenten Zeiten, ihrer Nachfolgerin) gefordert sein, und zwar in einem Maße, wie selten zuvor in der Nachkriegs-Geschichte. Klimaschutz, Staatsverschuldung, schleppende Digitalisierung, Energiewende, Demografie – die Liste der Versäumnisse, Fehlentwicklungen und Gefahren ist innen- wie außenpolitisch gewaltig. Die bunten Versprechungen der wahlkämpfenden Illusionskünstler aller Parteien werden geräuschlos wieder eingemottet – same procedure as every Wahljahr. Denn Versprechen und Halten sind zwei grundverschiedene Dinge, das wusste der lebenskluge Rheinländer schon immer.

Dummerweise ducken sich aber die Gefahren und Risiken nicht so geschmeidig weg wie häufig die Politik. Was also tun? Wo ist der Kompass in einer säkularisierten Welt, der uns sicher durchs Problemdickicht führt? Der Bedarf an Orientierung in unübersichtlicher Zeit, soviel steht fest, ist riesig. Das erklärt nicht nur den Erfolg der Ratgeberliteratur, sondern auch die Rückkehr der Philosophie ins öffentliche Gespräch. Hier darf Köln einmal zurecht stolz sein, denn die Stadt ist seit 2013 Heimat der phil.cologne, des größten europäischen Philosophie-Festivals. Es ist keine esoterische Zusammenkunft von Elfenbeinturm-Sonderlingen, sondern ein putzmunterer Treff von Philosophen und Nicht-Philosophen, die im Gedankenaustausch über Politik, Wirtschaft, Theologie und Gesellschaft gemeinsam nach Wegen in eine gelingende Zukunft suchen.

„Wir sind angetreten, die Philosophie zurück auf den Marktplatz zu bringen. Also gerade raus aus einem rein akademischen, universitären Kontext und auch vor ein Publikum, das nicht notwendigerweise philosophisch vorgebildet ist“, beschreibt es der Programmchef des Festivals, Tobias Bock. Das scheint angesichts des Erfolgs der 9. Ausgabe der phil.cologne durchaus gelungen: 6.500 Gäste nutzten das Angebot, bei dem sich namhafte und medial präsente Philosophie-Stars mit anderen prominenten Gästen über die großen Fragen der Gegenwart unterhielten: Über die Pandemie ebenso wie über die Digitalisierung, über Identität ebenso wie über Umweltschutz. Eine Wohltat angesichts der Behandlung dieser Themen im gegenwärtigen Holzhammer-Wahlkampf und im überdrehten Twitter-Gewitter.

Ich habe im Rahmen des Festivals ein Gespräch mit dem Philosophen und Ethiker Julian Nida-Rümelin geführt, in dem es um den Umgang der Gesellschaft mit Risiken, namentlich mit Covid19 ging. „Corona zeigt, dass es kein Leben ohne Risiko gibt. Aber an andere, auch an große Risiken haben wir uns gewöhnt, akzeptieren sie und leben mit ihnen – vom Verkehr über gefährliche Sportarten bis zu bestimmten Energieformen.“ Auf neue Risiken wie die Corona-Pandemie reagierte die Gesellschaft verunsichert mit drastischen Einschränkungen, auch von Grundrechten. Das provozierte nach Ansicht von Nida-Rümelin zusätzliche Schäden, wirtschaftliche ebenso wie soziale und psychische. „Die haben wir zeitweise ausgeblendet.“ Hier müsse eine Gesellschaft rational und nicht emotional reagieren und sie müsse aushalten, dass Wissenschaft ihrem Wesen nach nicht eindeutig sein kann, sondern sich – wie jetzt bei Covid19 – auch immer wieder korrigieren müsse.

„Herausforderungen wie Corona werden auch in Zukunft noch häufiger kommen. Ob Klimawandel oder neue Technologien, Leben bleibt gefährdet. Darum ist Besonnenheit Bürgerpflicht. Wir müssen abweichende Meinungen in der Wissenschaft, aber auch im öffentlichen Diskurs aushalten, niemanden diffamieren“, so das Plädoyer des renommierten Risikoethikers. Um der Komplexität von gesellschaftlichen Krisen gerecht zu werden, müsse gleich am Anfang schnell im Sinne eines Containment gehandelt werden, dann aber brauche es eine breite, offene Diskussion, an der alle relevanten Disziplinen, Politik und Öffentlichkeit zu beteiligen seien.

Der Austausch mit Philosophen wie Julian Nida-Rümelin zeigt, wie erfrischend es sein kann, die Blickrichtung gelegentlich zu wechseln und Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Dabei muss es gar nicht immer um die großen Menschheitsfragen gehen, wie sie die phil.cologne behandelt. Ganz alltagspraktisch könnte man auch auf das andauernde Verelenden von Kölns einstiger Vorzeige-Meile Hohe Straße schauen. Das hat der Architekt und Stadtplaner Stephan Braunfels jetzt getan und präsentierte im Kunsthaus Lempertz eine pfiffige Idee: Wir machen aus der Hohe Straße eine Galerie. Ein solcher Plan, nämlich „ein Dach über Kölns wichtigster Straße“, ließe sich schnell und unproblematisch verwirklichen.

Vor drei Wochen erst hatte Braunfels („Köln ist schöner, als man so denkt“) bei einer Veranstaltung des Kölner Presseclubs die Galerie-Lösung für Köln Problemstraße vorgeschlagen, nun folgte bei Lempertz die Visualisierung dieser Idee, angefertigt ohne konkreten Auftrag, aber mit engagiertem Schwung aus Liebe zur Stadt. Das Dach würde wie ein Regal zwischen die Geschäftslokale gestellt, die Luftzirkulation wäre gewährleistet, Regen könnte abfließen und Hausfassaden blieben unbeeinträchtigt.

Zwar wäre die Hohe Straße-Galerie immer noch eine unsortierte Aneinanderreihung von Edelläden, Plundergeschäften und Leerstand, aber als eine der meistfrequentierten Straßen Deutschlands könnte sie dieses Lifting gut vertragen. Ist bei dieser Lösung Platz für ein Café? Aber ja! Bis 1980 fand man in der Hohe Straße 134b das legendäre „Campi“, das multifunktional Künstler-, Szene- und Musiklokal sowie Eisdiele in einem war – und damit eine weit über Köln hinausstrahlende Institution.

Annett Polster, Geschäftsführerin von „Stadtmarketing Köln“, geriet schon mal ins Schwärmen: „Wir brauchen solche Impulse, wenn wir zurück zu den Glanzzeiten der Hohe Straße wollen.“ Diese Worte kann man getrost auf ganz Köln übertragen. Aus leidvoller Erfahrung in und mit dieser Stadt muss man nur ergänzen: Rund wird etwas erst, wenn aus einer schönen Idee auch schöne Realität wird.

In diesem Sinne grüßt Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

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Newsletter 10. September 2021

Newsletter vom 10.09.2021

Warten auf Armin Laschets Plagiat-Prüfung in eigener Sache – Stephan Braunfels erfindet die Hohe Straße neu und setzt ihr ein Dach auf

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

wo bleibt die Aufklärung in eigener Sache, die Armin Laschet vor mehr als fünf Wochen angekündigt hat? Ihm wurde vorgeworfen, als Autor von „Die Aufsteigerrepublik“ abgeschrieben zu haben, etwa im Online-Nachschlagewerk Wikipedia. Nun rückt der Wahltag näher – und ein Ergebnis liegt immer noch nicht vor. „Die Prüfung dauert an“, teilte ein Sprecher des Ministerpräsidenten jetzt auf Anfrage mit. Es sei besondere Sorgfalt angezeigt. Die Angelegenheit mag heikel sein. 2009, als das Buch erschien, rechnete niemand damit, dass sich sein Autor zwölf Jahre später anschickt, Bundeskanzler zu werden.

Es wäre interessant zu rekonstruieren, an welcher Stelle zwischen den Buchdeckeln Armin Laschet tatsächlich persönlich tätig geworden ist und wo man sich auf Beschäftigte aus dem Ministerium verlassen hat. Wie ich darauf komme? Für das Buch sei auch „auf Ausarbeitungen des Ministeriums Rückgriff genommen“ worden, hieß es sibyllinisch in einer Stellungnahme vom 30. Juli. Was immer das konkret bedeuten mag.

Wie mögen diese Ausarbeitungen ausgesehen haben? Enthielten vielleicht sie die Plagiate? Hier könnte die Untersuchung Klarheit schaffen. Dies ist jedoch nicht deren Ziel. Einzelne Kapitel exakt zuzuordnen, „erscheint zwölf Jahre nach Veröffentlichung nicht möglich“, teilt der Sprecher des Ministerpräsidenten mit. In der Laschet-Biografie „Der Machtmenschliche“ von Tobias Blasius und Moritz Küpper heißt es zu seinem Buch, dass Laschet es als „Privatmann unter freundlicher Mitarbeit von Ministerialbediensteten geschrieben“ und damit für „Gerede gesorgt“ habe.

Offenbar wegen dieses „Geredes“ enthält das Laschet-Buch eine zweiseitige Danksagung. Darunter finden sich hochkarätige Experten, die aufgrund ihres Sachverstands sicher nirgendwo abgeschrieben hätten. Indes waren sie politisch noch rot-grünen Vorgängerregierungen zuzuordnen. Viele fühlten sich dem neuen Minister Laschet verpflichtet, weil er sie im Amt beließ und nicht der Praxis folgte, sie gegen Parteifreunde auszutauschen. Für andere war die Materie „Integration“ neu. Ob das Internet für sie eine verführerische und trügerische Quelle war?

Im Alltagsverständnis gehen wir davon aus, dass der Name eines Autors tatsächlich für dessen Autorenschaft steht. So habe ich es in der Schule gelernt. Abschreiben gehörte sich nicht. Im politischen Betrieb war das bislang eher nicht die Regel. Da konnte es sein, dass ein Minister mit großer Geste Linien vorgab und sein Stab sie niederschreiben musste. Wer das nicht wollte, riskierte das Vertrauen des Chefs. Wie der Entwicklungshelfer, den ich vor mehr als 30 Jahren in Afrika traf. Er verlor seinen Posten als Ministeriumssprecher, weil er abgelehnt hatte, für seinen Chef ein Buch zu schreiben.

Warum schreiben Politiker überhaupt? Eitelkeit ist oft eine Triebfeder. Gedanken materialisieren sich in Büchern und nehmen damit im Regal bleibende Gestalt an. Häufig sollen Politiker-Bücher auch programmatische Beiträge sein. Die „Aufsteigerrepublik“ ist so ein Fall. Der Autor stand mit seinem Namen für Zuwanderungsthesen, deren Notwendigkeit umstritten war, besonders in seiner eigenen Partei. Man kann den Autorentitel also auch als unbequemes Bekenntnis werten. In Gesetzesvorlagen schlug sich Laschets Eifer jedoch nicht nieder, vermerkten Integrationspolitiker. Aber er zeigte zumindest offen Haltung.

Bald darauf wurde Hannelore Kraft (SPD) Ministerpräsidentin und die „Aufsteigerrepublik“ verschwand aus dem Blickfeld. Beim Bier raunte mancher, Ghostwriter für dieses oder jenes Kapitel gewesen zu sein. Schließlich geriet das Thema ganz in Vergessenheit. Dass es auf dem Seziertisch öffentlicher Wahrnehmung landet, hätte sich damals niemand träumen lassen. Doch eine gewisse Unbekümmertheit setzt diese Art von Autorenschaft schon voraus. Man macht sich abhängig von anderen. Angela Merkel, die nüchterne Preußin, hat nie den Glanz des eigenen Buches gesucht.

„Die Aufsteigerrepublik“ finden Sie, wenn Sie hier klicken. Die-Aufsteigerrepublik-Zuwanderung-als-Chance-.pdf (armin-laschet.de) Der Autor selbst habe den Text bereitstellen lassen, sagte mir sein Verlag Kiepenheuer & Witsch, damit sich jeder ein Urteil bilden könne.

Szenenwechsel. Wie geht es mit Köln weiter? Das Thema ist Gegenstand immer neuer Initiativen wie etwa des Verlegers Wienand (KÖLNGOLD), von Henrik Hanstein (Zukunft des Neumarkts) oder von Veranstaltungen. Jüngst sprachen wir im Kölner Presseclub unter dem Titel „Traum oder Trauma“ über die Innenstadt, welche sowohl die Traum- wie auch die Trauma-Seite bedient. Eines der Beispiele war die Hohe Straße, die sich zu einem wilden Durcheinander von Billigläden, Pommesbuden, Leerstand und Luxusanbietern entwickelt hat. Sie gehörte einmal zu den besten Einkaufsadressen Deutschlands.

Einkaufen würde er dort nicht, sagte der Stadtplaner und Architekt Stefan Braunfels auf unserem Podiumsgespräch im Hotel Excelsior Ernst. Sogleich hatte er aber eine kühne Idee parat: Die Hohe Straße wird zur Passage. Braunfels wirbt dafür, die Einkaufsmeile mit einem Glasdach zu versehen und ihr damit einen völlig neuen Charakter zu geben. So etwas funktioniere in europäischen Großstädten wie London oder Mailand sehr gut.

Die Galeries Royales Saint-Hubert in Brüssel entsprächen in ihrer Breite in etwa der der Hohe Straße. Natürlich würde sie keine „Königliche Galerie“, aber sie könne mit einer entsprechenden Überglasung und Verschönerung der einzelnen Hausfassaden doch einen Galerie-Charakter bekommen. Eine Referenz hat Köln bereits: die Stollwerck-Passage, die auf der Hohe Straße kurz nach dem Wallraf-Platz kommt.

Sollte es gelingen, die Via Culturalis ihrem Wert gemäß zu gestalten, dann wäre eine solche Passage eine kongeniale Ergänzung und ein erster Schritt in ein neues Köln.

Träumen wir davon, dass es Wirklichkeit wird.

Herzlich grüßt
Ihr
Peter Pauls

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Newsletter 3. September 2021

Newsletter vom 03.09.2021

KÖLNGOLD ist ein Therapeutikum für alle, die an dieser Stadt verzweifeln – Warum der Westen sich mit den Taliban arrangieren sollte

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

mitunter ärgere ich mich, wenn Außenstehende Köln auf das Knollendorf des Hänneschen-Theaters und dauerschunkelnde Jecken reduzieren. Narren hätten diese Stadt nach dem 2. Weltkrieg nicht aus Trümmern aufbauen können. Künftig habe ich noch bessere Argumente. KÖLNGOLD (www.koelngold.com) wird selbstbewusst als aufwendigstes Buch über diese Stadt vorgestellt, das es je gab, und seine Macher aus dem Verlag von Michael Wienand liegen richtig damit. Zwischen den zwei Einbänden sind in dichter Folge und opulenter Bebilderung Schätze aus Kunst, Kultur und Alltag der 2000-jährigen Geschichte von „Colonia Claudia Ara Agrippinensium“ versammelt sowie Essays zu Kernwerten der früheren römischen Siedlung.

Seit 35 Jahren geht dieses Herzensprojekt dem Kölner Verleger durch den Kopf. Wirklichkeit geworden ist es, weil er 2017 mit Matthias Hamann einen kongenialen Partner fand. Der Direktor des Kölner Museumdienstes gab diesem Jahrhundertprojekt Form und Gestalt, das der Bürgertradition entspringt, sich aus Liebe zu Köln zu engagieren. In dieser hochdosierten Form ist KÖLNGOLD ein Therapeutikum, das versucht, den Geist der Stadt über die Jahrtausende einzufangen. Kommentare zu zentralen Themen werden von Kölner Bürgern kommentiert und ich bin stolz, dass auch ich dabei sein und über die Zukunft schreiben durfte.

Einen Anstoß zur Erneuerung will Michael Wienand mit diesem ehrgeizigen Projekt geben. Verdienen wird er daran keinen Cent, doch er macht sich verdient um unsere Stadt. „Der Stolz auf die Vergangenheit birgt die Zuversicht zur Gestaltung der Zukunft“, sagt er, der sich hier über die Jahrzehnte immer wieder über Fehlentwicklungen und mangelnde Qualität ärgern musste. Köln, das wissen wir, leidet nicht an einem Mangel an Ideen, sondern an deren Umsetzung. Das wurde bei unserer Presseclub-Veranstaltung zur Kölner Innenstadt – Traum oder Trauma? – überdeutlich. In einem der nächsten Newsletter werden wir Projekte aus dieser abendlichen Ideenschmiede ausführlich vorstellen.

Als Kölner Zukunftsfeld identifiziert KÖLNGOLD die Via Culturalis. Auf einer Länge von 800 Metern bildet sie baulich die Erbmasse Kölns ab und ist einem DNA-Strang vergleichbar, der sich von der Hohen Domkirche im Norden bis zu St. Maria im Kapitol im Süden spannt. Das Vermächtnis der Geschichte Kölns ist hier sichtbar in Form von archäologischen Funden, altehrwürdiger Bausubstanz, Museen und Archiven, von sakralen Bauten und historisch gewachsenen Plätzen, von den Ruinen des römischen Statthalterpalastes über die Überreste eines der bedeutendsten jüdischen Stadtquartiere Europas bis zur frühromanischen Basilika, die über den Fundamenten des römischen Kapitoltempels entstand.

Nun erwartet Sie ein harter Schnitt: Wenige Tage vor dem Einmarsch der Taliban konnte Andrea Jeska Kabul gerade noch verlassen. Im Gepäck hatte die Journalistin eine Geschichte über Menschen, die im Elendsgürtel um die afghanische Hauptstadt herum auf Müllhalden leben. Hier sind Familien gestrandet, die vor dem Bürgerkrieg im Land geflohen sind oder bereits in Nachbarländer vertrieben wurden und nun diese Zufluchtsorte wieder verlassen mussten. „Ein solches Elend habe ich noch nicht gesehen“, sagt die Mutter dreier Töchter, die die Krisengebiete dieser Welt kennt und aufrüttelnde Reportagen darüber geschrieben hat. Sie berichtet von Jungen und Mädchen, die Säureverletzungen an den Fingern haben von ausgelaufenen Batterien und deren rote Haarfarbe Zeichen für schwere Unter- und Fehlernährung ist. Ein verzweifelter Vater erzählte der Journalistin, dass er drei seiner vier Kinder verloren habe. Sie seien krank geworden. Mehr weiß er nicht. Für seine Pfennige hatte er in der Apotheke nur Paracetamol, ein Schmerzmittel, bekommen.

Vor 20 Jahren war Andrea Jeska zum ersten Mal in Afghanistan. Etwa fünf Millionen Menschen seien damals von humanitärer Hilfe abhängig gewesen, berichtet sie. Heute ist es ein Mehrfaches von damals. Von 18 Millionen sprechen Hilfswerke. „Was habt ihr da gemacht“, fragt sie bitter. Aber wen? Die vier US-Präsidenten, die für diesen Krieg stehen? Er begann unter George Bush jr. als Feldzug gegen Al Kaida und unter Joe Biden fand er sein erbärmliches Ende. Der Friedensnobelpreisträger Barack Obama änderte die Taktik, Donald Trump leitete das Ende des Waffengangs ein. Doch einem jeden war die Bevölkerung Afghanistans vollkommen gleichgültig. Diese Hilfe darf nicht enden, mahnt Andrea Jeska. Um der Notleidenden willen müsse man sich mit den Taliban arrangieren.

„Der Winter steht vor der Tür, mit Schnee und eisigen Temperaturen“, bekräftigt Simone Pott. Die Sprecherin der Deutschen Welthungerhilfe begrüßt die Signale von Bundesregierung und EU, Gelder für Nothilfe in Höhe von Hunderten Millionen Euro bereitzustellen. Doch das ist bisher nur ein Signal, denn Helfen selbst bleibt schwer. Mittlerweile haben die landesweit fünf Büros des Bonner Hilfswerks zwar wieder geöffnet, ebenso wie die Banken. Doch immer noch sind keine Geldüberweisungen möglich, was rasche Nothilfe verhindert. Die Verunsicherung ist groß: Welche Rolle dürfen weibliche Kolleginnen noch spielen? Geöffnet ist bislang nur die Grenze ins benachbarte Pakistan. Das reicht nicht, um Nahrungsmittel und Material für den Wiederaufbau ins Land zu bringen.

Der Westen engagiert sich nicht uneigennützig. 2015 setzten sich Millionen Menschen in Marsch, weil in ihren Flüchtlingslagern entlang von Krisen- und Kriegsgebieten keine internationale Hilfe mehr ankam. Ein Politiker, der heute sagt, es dürfe „kein 2015 mehr geben“, wird hoffentlich wissen, worauf es ankommt.

Ich grüße Sie herzlich.

Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 27. August 2021

Newsletter vom 27.08.2021

Armin Laschet ist allein zu Haus – Warum „Die Unbeugsamen“ unseren Blick auf die Zukunft verändern 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

erinnern Sie sich noch? 2017 wollte die SPD partout nicht in eine große Koalition mit CDU/CSU gehen. Da würden doch nur Union und Angela Merkel gewinnen. Erst ein Machtwort von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier änderte die Lage. Doch nicht wenige glaubten tatsächlich, dass die Sozialdemokraten ein staatspolitisches Opfer brächten, als sie das Land regierungsfähig hielten und koalierten. Viele Jahre sah es aus, als würden sie recht behalten, so stark sank die Partei in Umfragen.

Heute hat sich das Bild von Grund auf verändert. Manfred Güllners Forsa-Institut sieht die SPD bei 23 Prozent, CDU/CSU bei 22 Prozent. Das ist einer der schlechtesten Werte, den Forsa seit seiner Gründung 1984 für die Union ermittelt hat. Für die Grünen gibt es 18 Prozent, für die FDP 12, die Linke 6 und die AFD 10 Prozent. Der Vertrauenswert für Olaf Scholz (SPD) liegt mit 51 Punkten fast so hoch wie der von Markus Söder (53 Punkte). Armin Laschet fiel von 40 auf 29 Punkte. Fahren die Sozialdemokraten heute eine Ernte ein, an die sie selbst nie geglaubt haben?

Man muss sich diese Umkehr der Umstände vor Augen halten, will man den Argwohn nachvollziehen, mit dem die Union dem eigenen Kandidaten begegnet. Eine Mehrheit glaubt nicht mehr an ihn. Ob innerhalb oder außerhalb der Union. Wenn Sie ein wenig durch die einschlägigen Seiten in den sogenannten sozialen Medien streifen, finden Sie die Gewächshäuser, in denen der Zweifel an Armin Laschet gezüchtet wird und mit der Kraft einer Stangenbohne wächst. Häufig sind übrigens die eigenen Parteifreunde gefährlicher als der politische Gegner. Das habe ich vor 40 Jahren bereits als Lokalredakteur gelernt.

Betrachte ich Armin Laschet als Ministerpräsidenten, stelle ich fest, dass er Nordrhein-Westfalen ganz solide regiert hat. Sein Kabinett ist ausgewogen besetzt und seine Bilanz so pannenfrei, wie das in diesen Tagen möglich ist, in denen kein Schritt mehr unbeobachtet und unkommentiert bleibt. Und doch ist er in einer Abwärtsspirale. Was immer er tut – so bitte soll es nun gerade nicht sein. Die Weiche in Richtung Pannenstrecke wurde gestellt, als in der Tagesschau ein feixender Kanzlerkandidat Laschet gut sichtbar hinter dem Bundespräsidenten stand, der angesichts von Tod und Zerstörung Trost vermitteln wollte.

Sind die Medien für das Elend der Union verantwortlich? Meiner Meinung nicht – jedenfalls, wenn man die klassischen Anbieter wie Tageszeitungen, Fernsehen und Hörfunk betrachtet, Das heißt: wenn man Facebook, Twitter und Co. außer Acht lässt. Doch längst ist deren mediales  Grundrauschen zur Hintergrundmelodie unserer Tage geworden wie die Musik im Supermarkt, die – weitgehend unbeachtet – ihren Weg in unseren Kopf nimmt. Wäre alles ein Slapstick-Film, dann wäre Laschet der Unglückliche, der im Augenblick immer die Torte ins Gesicht bekommt.

Wie schnell sich das wieder ändern kann, weiß die eingangs erwähnte SPD.  Armin Laschet, der zur Zeit wie ein politischer Hiob unterwegs ist, muss man eines bescheinigen: Er hat Nehmerqualitäten und Standvermögen. Das ist nun wiederum keine schlechte Eigenschaft, um Bundeskanzler zu werden. Wer weiß, was da noch kommt?

Nun zu einem anderen, wenn auch wieder politischen Thema. Leopold Hoesch produziert mit seiner Firma Broadview TV in Köln Filme. Er ist für sie das, was ein Verleger und Herausgeber für eine Zeitung ist – einer, der die großen Themen besetzt und die wirtschaftliche Verantwortung trägt. Einer, der nicht in jedem Detail steckt, doch die großen Linien verfolgt, der seinem Team Freiräume verschafft, es anfeuert und vielleicht auch mal bremst. Der aber schließlich, wenn man ihn privat kurz vor der Zielgeraden trifft, wenn der Film vor Kinostart oder Sendetermin steht, nur wenig andere Themen kennt als das neue Werk. Das ist stets lehrreich und unterhaltsam.

Diesmal war Leopold Hoesch fast ruhig und sprach von einem „blinden Fleck“ im Nachkriegsdeutschland und einer „bislang unerzählten Geschichte,“ weil ihn das Thema nicht nur selber tief berührt hat. Vor sechs Jahren, als die Idee zu diesem Film von Regisseur Torsten Körner geboren wurde, war ein aus heutiger Sicht naheliegender Stoff als Kino-Dokumentarfilm praktisch unfinanzierbar. Schließlich stand der Produzent selber für  die Finanzierung gerade. Erst später stiegen die Filmstiftung NRW, die Kultur-Beauftragte der Bundesregierung (BKM) und ZDF/3sat in die Produktion ein.

Vielleicht hält Hoesch sich zurück, weil bereits die Botschaft des Films so unüberhörbar ist. „Die Unbeugsamen“ handelt von den Frauen in der Bonner Republik, die sich ihre Beteiligung an demokratischen Entscheidungsprozessen gegen erfolgsbesessene und amtstrunkene Männer wie echte Pionierinnen buchstäblich erkämpfen mussten. Sie verfolgten zielgerichtet ihren Weg, trotzten Vorurteilen und sexueller Diskriminierung. Wenn Politikerinnen von damals heute zu Wort kommen, bin ich hin und her gerissen. Denn die Erinnerungen mögen Jahrzehnte später fast komisch anmuten, doch mehr noch sind sie bitter, absurd – und bisweilen erschreckend aktuell. Und sie reichen von den 50er Jahren bis zur Wiedervereinigung.

Die Bilder entfalten eine Wucht, wie das nur in einem Kino möglich ist. Der Film ist eben angelaufen – in Köln im Cinenova, Odeon, Weißhaus und im Off Broadway. Einen Vorgeschmack liefert der Trailer, den Sie sehen, wenn Sie hier klicken.

Das Wetter soll wieder unbeständig werden und die Kinos sind geöffnet. Vielleicht ist das ein Tipp für das kommende Wochenende? Seien Sie sicher: Dieser Blick zurück verändert Ihre Perspektive für die Zukunft!

Herzlich grüßt

Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 20. August 2021

Newsletter vom 20.08.2021

Leben wir in einer Zeit, die aus den Fugen gerät? – Jürgen Todenhöfer erklärt, warum man mit den Taliban sprechen sollte

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

ein Virus hält uns mit seinen Mutationen im Griff und Afghanistan fällt vor laufenden Fernsehkameras in sich zusammen. Starkregen und Flutkatastrophe geben uns das Gefühl, keine Sicherheit mehr zu haben – selbst die eigenen vier Wände, unsere Schutz- und Rückzugsräume, sind für viele zur Todesfalle geworden. Ist unsere Welt dabei, auseinander zu fallen?, frage nicht nur ich mich manchmal. Ich sprach darüber mit Jens Lönneker von „rheingold salon„. Seine Antwort ist im Kern kurz und wenig tröstend. „Es ist eine Tatsache: Die Welt gerät aus den Fugen“, antwortet der gebürtige Niedersache nüchtern und begründet seine These.

Mit der Epoche der Romantik – Ende 1700 bis Mitte 1800 – änderte sich das Verhältnis von uns Menschen zur Natur. Sie wird, so Lönneker, weniger als Gefahr gesehen, wie es bis dahin war, sondern gilt als beherrschbar. Jean-Jacques Rousseau, der Philosoph der Aufklärung, machte gar einen natürlichen Urzustand aus, dessen Wesen als „gut“ angenommen wird. Natur gilt als begreifbar. Bis vor kurzem noch stimmte das Verhältnis.

Doch nun hat ein erneuter Wandel eingesetzt: Der Mensch wird der Welt und damit sich selbst zur Gefahr. „Wir sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen“, erläutert Lönneker und fügt die vom Menschen zu verantwortenden Einflüsse an, welche die großen Katastrophen mutmaßlich geprägt haben. Verengte Lebensräume, in denen Viren von Tieren auf den Menschen übergehen und Corona oder Ebola übertragen, Extremwetterlagen durch Klimawandel, der dem Menschen zugeschrieben wird oder – im Fall Afghanistans – schlichter Hochmut. Der Westen glaubte irrtümlich, einen Vorzeigestaat schaffen zu können. Der Diplom-Psychologe spricht von einem Zustand der „Handlungsnot“, in dem wir uns heute befinden. „Lavieren hilft nicht mehr“.

Natürlich seien durch die Digitalisierung Katastrophen allgegenwärtig geworden und Gefühle von Fakten nicht mehr klar zu trennen. Jeder hat ein Smartphone und kann sein eigener Reporter sein. Taliban schießen Selfies von sich und stellen sie ins Netz. Donald Trump hatte als US-Präsident zu seinen besten Zeiten fast 90 Millionen „Follower“ auf Twitter, die er mit Kurznachrichten direkt bediente, bis er von diesem Medium gebannt wurde. Und dennoch: Da bricht nichts über uns herein. Was geschieht, ist von Menschen gemacht. Diese Entwicklung wurde sogar vorhergesagt, stellt Jens Lönneker fest. Nun müssten wir handlungsfähig bleiben. Sonst gerate tatsächlich alles aus den Fugen.

Vorhergesagt wurde der Ausgang des Afghanistan-Kriegs. Auch in seinem jüngsten Buch „Die große Heuchelei“ schrieb Jürgen Todenhöfer, was er seit 20 Jahren sagt: „Der Westen oder die USA werden nie gewinnen“. Sie hätten auf blutrünstige und korrupte Verbündete gesetzt. 90 Prozent der Afghanen lebten unter der Armutsgrenze. Nur in der Säuglingssterblichkeit stehe das Land traurig an der Weltspitze. Es herrschten Drogenproduktion, Korruption und Kriminalität. Für dieses System habe die Armee nicht kämpfen wollen. Deshalb sei sie buchstäblich zerfallen. Zumal US-Präsident Biden einen kapitalen Fehler gemacht habe und ohne Vorbedingung ein Datum für den US-Truppenabzug genannt habe. Die Taliban mussten nur warten . . .

Seit Ende 1979 ist Jürgen Todenhöfer regelmäßig nach Afghanistan gereist. 1980 zog er mit einer kleinen Gruppe von Mujaheddin zu Fuß durch das Land. Weil er deren Motive kennenlernen wollte, sei er ihnen „so nah wie möglich“ gekommen, berichtet er. Auch später hat ihn diese Devise geleitet. So sind seine bedrückenden Bücher und Reportagen aus Syrien, dem Jemen, Nordkorea oder dem IS-Staat entstanden.

Todenhöfer war viele Jahre CDU-Bundestagsabgeordneter, Vize-Chef im Burda-Verlag, Bestseller Autor. Die Ankündigungen der Taliban verfolgt er mit Skepsis, warnt aber davor, Afghanistan erneut sich selbst zu überlassen. „Das ist nur eine Chance für die radikalen Kräfte,“ sagt der 80jährige. Die Welt erlebe zur Zeit im Iran, wie im Schatten internationaler Abkehr radikale Kräfte erstarken. Man müsse im Gespräch bleiben. Insbesondere den Deutschen falle eine besondere Rolle zu. „Wir sind beliebt im Land. Wir sind ein Faktor.“ Todenhöfer bedauert, dass Berlin sein Botschaftspersonal abgezogen habe. Gespräche müssten und könnten nur in Kabul geführt werden. Ohnehin bekomme man vieles nur im Gespräch mit denen durchgesetzt, die die Macht haben, den Machthabern.

Ich weiß, dass Jürgen Todenhöfer solche Gespräche angelastet werden. Andererseits hat er in den 70er Jahren etwa durch den Kontakt zum chilenischen Diktator Augusto Pinochet die Freilassung zahlreicher politischer Gefangener erwirkt. Ein mir vorliegender Briefwechsel mit chilenischen Behörden, dem Büro Pinochets sowie Amnesty International illustriert, wie zäh und langwierig dieser Prozess war. Die Freilassungen, die Amnesty zu Dankesschreiben an Todenhöfer veranlassten, stellten sich nur ein, weil man im Gespräch miteinander blieb, das übrigens von nüchternem Ton dem Diktator gegenüber geprägt war.

Im Gespräch bleiben – das ist eigentlich ein Vorsatz, den wir auch fassen können. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein sommerliches Wochenende und freue mich, dass wir vom Kölner Presseclub wieder da sind.

Vielleicht sehen wir uns – siehe nachfolgende Einladung – am Mittwoch, 25. August, um 19.30 Uhr im Hotel Excelsior Ernst? Ich würde mich freuen.

Herzliche Grüße
Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 30. Juli 2021

Newsletter vom 30.07.2021

Ein politischer Zaubertrick mit Niklas Kienitz, der komplett daneben ging

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

warum kommt es in Köln zu politischen Skandalen? Ich habe mich das oft gefragt und nun ein neues Erklärungsmodell: Zu ein und demselben Vorgang existieren verschiedene Wirklichkeiten oder Blasen, wie man heute sagt. Stoßen sie zusammen, platzen sie. Zurück bleiben eine Pfütze wässriger Seifenlauge, Enttäuschung  und Fragen nach der Wahrheit. Bis die nächsten schillernden Blasen aufsteigen.

So muss es im Fall von Niklas Kienitz gewesen sein, der ein Superdezernent in der Kölner Verwaltung hatte werden sollen und sich am Samstag, 24. Juli, von diesem Vorhaben zurückzog, weil er angefeindet und bedroht werde. Sicher wird das tatsächlich der Fall gewesen sein. Vielen im öffentlichen Leben geht es leider so. Dem 45jährigen fiel das aber erst auf, als offenbar die kommunale Behördenaufsicht diskret wissen ließ, dass sie seiner Ernennung nicht zustimmt. So erscheint der Rückzug von der Kandidatur wie ein politischer Zaubertrick. Denn die amtlichen Schreiben, in denen fehlende Eignung und Kompetenz von Niklas Kienitz für dieses Amt und den städtischen Auswahlprozess erörtert werden, hatten sich behördlicherseits damit erledigt. Kein Kandidat, keine Beurteilung.

Allerdings geistern die Schreiben nun durch Köln und entfalten Wirkung – wie Uran, das man aus einem Reaktor entwendet hat und das trotzdem weiterstrahlt. Der Zaubertrick ist nicht nur daneben gegangen. Äußerungen der beteiligten Institutionen, nämlich Stadt Köln, Regierungspräsidium und NRW-Heimatministerium, der Vorgang sei beendet, sind so vielsagend wie ein Blatt weißes Papier – sie schüren Misstrauen und geben Mutmaßungen sowie Phantasien freien Raum.

Die kommunale Aufsicht über Köln ist unter anderem eine Art TÜV für Dezernenten. Hier stießen die zwei Blasen zusammen. In der CDU-Blase hatte man drei Gutachten pro Kienitz beigebracht und sich in Sicherheit gewiegt. Zumal Kienitz auch bei Bürgerinitiativen einen guten Ruf hat und die verantwortliche Landesministerin Ina Scharrenbach CDU-Mitglied ist. Sie befindet sich, neben anderen, in der zweiten Blase. Dort waren die Zweifel an der Qualifikation des Kandidaten so manifest, dass ein mehrseitiger und für Kienitz als vernichtend empfundener Brief geschrieben wurde.

Nun kommt es zu neuen Phänomenen, die Köln als würdige Lagerstatt der Gebeine der heiligen drei Könige ausweisen und wir begeben uns, wie angekündigt, endgültig in den Bereich der Spekulation. Jener Brief – eigentlich eine E-Mail – wurde nie zugestellt, wie es heißt. Dennoch aber reagierte die Stadt Köln darauf. In Folge wurde der Brief entschärft, blieb aber bei einem entscheidenden  Passus, der sich an OB Henriette Reker richtete: Nach § 122 Abs. 1 GO NRW weise ich Sie an, den Ratsbeschluss . . . über die Wahl von Herrn Kienitz zum Beigeordneten schriftlich . . . zu beanstanden. 

Auch dieser Brief – datiert mit Freitag, 23. Juli – wurde offenbar nicht zugestellt. Nur auf einer solchen Basis konnte Stadtsprecher Alexander Vogel am 25. Juli formulieren: „Der Stadt liegen bisher keine Erkenntnisse vor. Die Prüfung zu Herrn Kienitz hat sich ja nun auch erledigt.“ Wäre demgegenüber der Brief zugestellt oder telefonisch verlesen worden, die Antwort des Stadtsprechers hätte nicht den Tatsachen entsprochen. Ebenso wenig wie Vogels Dementi zur Frage, ob die Ober-Bürgermeisterin vor Tagen bereits über das negative Ergebnis informiert worden sei.

Nun kommen wir zu einer dritten Blase. Das ist die Öffentlichkeit. In dieser Blase befindet sich seit kurzem ein Mann, der einmal so etwas wie der Lordsiegelbewahrer der Kölner OB war: Jörg Frank. Er ist politischer Privatier, war aber Konstrukteur, Architekt und Gehirn des grünen Aufstiegs in Köln. Mich trennt viel von ihm – aber respektiert habe ich den fleißigen, strukturierten und uneitlen Mann immer. In einem – bitte klicken – Gastkommentar der Internet-Zeitung „report-K“ ließ der 66jährige eine politische Bombe platzen. Reker sei bereits am Donnerstag, 22. Juli, informiert worden, „dass eine Ernennung von Niklas Kienitz nicht erfolgen kann“. Man kann nun entscheiden, wem man glaubt – dem OB-Sprecher oder Jörg Frank, der ein beinharter Rechercheur ist. Bestätigt hat sich bereits jetzt die alte politische Weisheit, wonach man selten über das Problem an sich stolpert sondern eher bei dem Versuch, es unter den Teppich zu kehren.

Eine „Kleine Anfrage“ hat nun der SPD-Landtagsabgeordnete Stefan Kämmerling formuliert und präzise Fragen gestellt, um all die Widersprüche zu klären. Der kommunalpolitische Sprecher seiner Fraktion fordert Aufklärung und Transparenz und will wissen, wer wann mit wem gesprochen oder gemailt hat. Warum der Eifer? Weil es um eine öffentliche Führungsposition in der größten Stadt Nordrhein-Westfalens geht, weil Ihre und meine Steuergelder involviert sind und weil die Stellenausschreibung sich so las, als könne niemand die gewünschten Kriterien erfüllen. Von 46 Bewerbern konnte dies anscheinend nur einer: Niklas Kienitz.

Nicht nur Stefan Kämmerling stört, dass es keine belastbaren Informationen gibt sondern nur Mutmaßungen, die in einer Demokratie letztlich Gift sind. Sie wirken im Hintergrund. Ich bin neugierig auf den Ausgang. Die Landesregierung hat vier Wochen Zeit, auf eine „Kleine Anfrage“ zu antworten. Womöglich geht Beteiligten aber bereits vorher auf, dass man so nicht weitermachen kann.

Das wünsche ich uns allen – und Ihnen ein schönes Wochenende, das nun wirklich endgültig die Sommerpause des Kölner Presseclubs einläutet.

Es grüßt Sie herzlich

Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 23. Juli 2021

Newsletter vom 23.07.2021


Die Gesichter der unermüdlichen Helferinnen und Helfer sind die andere Seite der Krise

Sehr geehrte Mitglieder,

liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

die Flut hat Orte in unserer nächsten Umgebung in Katastrophenzonen verwandelt. Beinahe jeder hat einen Verwandten, Freund, Bekannten oder Kollegen, dessen Zuhause zerstört wurde. Offenbar müssen wir alle, aber insbesondere die Behörden und die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten lernen, ein Sensorium und vor allem eine klare Eindringlichkeit zu entwickeln, um künftig effektiv zu warnen. Starkregen kann tödlich sein. Bereits Minuten können darüber entscheiden. Eine Totenzahl, welche vielleicht bald die 200er Grenze übersteigen wird, mahnt uns alle.

Erst hörte es sich an, als wüte ein wildes Tier im Keller. Es riss Regale um und in das Klirren mischte sich dann das Gurgeln von Wasser. Da erst erkannte mein Freund die Gefahr.  Nach kurzer Stille kam das Wasser den Treppenaufgang aus dem Keller hinauf, schildert er. Stufe um Stufe stieg das Wasser und schließlich stand die Wohnung einen Meter hoch unter Wasser. Tröstend sei nur die Erkenntnis, nicht im Keller überrascht worden und deshalb mit dem Leben davon gekommen zu sein. 

Das versteinerte Gesicht von Henrik Hanstein werde ich so bald nicht vergessen. Der Chef des Kunsthauses Lempertz in Köln erlebte die Flut in seinem Haus nahe Zülpich, das auf aktuellen Fotos wie eine Wasserburg aussieht. Rechtzeitig heulende Sirenen und entschlossene Warnungen des WDR, der im Katastrophenfall eine Informationspflicht hat, hätten ihm die entscheidenden Minuten gegeben, unwiederbringliche Werte zu sichern und eine sechsstellige Schadenssumme abzuwenden, berichtet er bitter. Auch er ist froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. Um sein Haus herum hat die Flut Tod und Zerstörung gebracht.

Doch was wir auch erlebt haben, sind die vielen Retter. Und wenn man in diesen harten Stunden etwas wie Zuversicht schöpfen möchte, dann sind es diese Menschen, die mit ihrem Einsatz für Hilfe und Unterstützung stehen. Auf dem Internet-Netzwerk „LinkedIn“ fiel mir das Gesicht einer erschöpften jungen Frau auf, die nach 36 Stunden ohne Schlaf auf dem Weg nach Hause war. „Um ein paar Stunden Kräfte zu sammeln,“ schrieb Sarah Rupperath, eine der vielen ehrenamtlichen Helferinnen. „Bis der Melder erneut Alarm schlägt.“


Ihr Bericht ist mir unter die Haut gegangen. Ich danke der jungen Frau, dass ich wörtlich übernehmen darf, was sie in der Ausnahmesituation aufschrieb:

„Als eine der ersten Einsatzeinheiten des Katastrophenschutzes vor Ort haben wir in kürzester Zeit mitten in der Nacht eine Notunterkunft hochgezogen – in einer Region ohne Strom, ohne Handynetz, ohne Internetempfang. Eine Gemeinde, in der ich aufgewachsen bin. Die Ortschaften ringsum: geflutet. Die Schicksale der 400 Menschen, die zu uns kamen: erschütternd. Die Nachbarschaftshilfe der Ortschaften untereinander: ergreifend. Das ist der Ernstfall, für den wir als Ehrenamtler trainieren und dennoch hoffen, dass er nie eintritt.

Danke an die Einsatzleitung unter Robert Osten  und das wundervolle Team der Einsatzeinheit 03 Bonn, den Arbeiter-Samariter-Bund Bonn/Rhein-Sieg/Eifel, die anderen Organisationen und die unzähligen privaten Helfer vor Ort. Danke auch an alle Arbeitgeber (inkl. meinem), die die Helfer freistellen und die Firmen, die selbst gerade tatkräftig unterstützen.“ Sie schloss mit den Worten: „*aufgrund des zunehmenden „Hochwassertourismus“ und aus Respekt vor den Opfern ist ganz bewusst kein Bild aus dem Katastrophengebiet eingefügt.“ Die 33jährige Sarah Rupperath steht für viele abertausende anderer junger Menschen, die nur von einem Gedanken bewegt sind: Sie wollen Menschen in Not helfen.

Sein Haus sei völlig von Wasser umschlossen, sagte mein Zahnarzt, Dr. Hans-Jörg Fuhr, jüngst am Telefon. Er könne mich leider nicht behandeln. Die Sülz, die neben seinem Haus in Hoffnungsthal im Bergischen fließt, hatte sich in einen reißenden Strom verwandelt, der großflächig Gärten und Straßen überschwemmte. Aus der Gefühlsmelange aus Sorge, Zerstörung und Ohnmacht der vergangenen Tage nahm auch er ein Bild der Zuversicht mit: Es waren die jungen Männer der freiwilligen Feuerwehr Rösrath, Löschgruppe Hoffnungsthal, die mit dem erklärten Willen zur Hilfe anrückten, selbstlos Bedrängten zur Seite standen und trotz Einsatz ihres eigenen Lebens nicht viele Worte machten. Nachdenklich macht Hans-Jörg Fuhr, dass die freiwillige Feuerwehr von Nachwuchssorgen geplagt ist.

Neben all den Gedanken, die uns aufgegeben sind, können wir zumindest eines mitnehmen: Die Gesichter der Helfer und Helferinnen, die in der Stunde der Not ihren Mann und ihre Frau stehen. Auch das ist eine Seite der Krise.

Ich grüße Sie und verabschiede uns vom Kölner Presseclub nun hoffentlich tatsächlich in die Sommerpause.

Herzlich

Ihr

Peter Pauls

Sarah Rupperath gab mir einige Spendenkonten mit auf den Weg:

Arbeiter-Samariter-Bund Bonn/Rhein-Sieg/Eifel e.V.
Sparkasse KölnBonn
BIC: COLSDE33XXX
IBAN: DE95370501980013808886
In Erftstadt gibt es ein Spendenkonto der Stadt: Kontoinhaber Stadt Erftstadt
IBAN DE20 3705 0299 0190 2794 24

Für die Opfer des Starkregens mit großflächigen Überschwemmungen vor allem in Swisttal und Rheinbach hat der Rhein-Sieg-Kreis zw

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