Newsletter 5. November 2021

Newsletter vom 05.11.2021

Gefangen, wie in einer Zeitschleife: Köln-Mülheim und seine Industrie-Denkmäler im Dornröschenschlaf

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

immer wenn ich die Deutz-Mülheimer-Straße entlangfahre, wähne ich mich in einer anderen Welt, so unwirklich und aus der Zeit gefallen mutet hier alles an. Vor rund 150 Jahren wurde in den gewaltigen Backsteingebäuden, welche die Straße säumen, Geschichte geschrieben. Hier wurden die Motoren produziert, die Industrialisierung, produktive Landwirtschaft und Massenmobilität zu Land oder in der Luft erst möglich machten. Heute stehen die meisten der riesigen Hallen leer, dem Verfall preisgegeben, ob sie nun unter Denkmalschutz stehen oder nicht.

Dabei könnte der Süden Köln-Mülheims wieder Geschichte schreiben – Stadt-Geschichte nämlich. In unmittelbarer Nähe zum Rhein soll hier ein neues Viertel mit Wohnungen, Geschäftsräumen, Schulen und Restaurants entstehen, das Stimmung und Ästhetik der vergangenen Zeit aufnimmt. Bis zu 30.000 Menschen produzierten in Mülheim Motoren für die ganze Welt. Doch von Einsprengseln wie dem Restaurant „Lokschuppen“ oder Event-Hallen abgesehen, ist die Stimmung morbide. Eine Industriebrache. Schaut man in die Archive, dann ist Jahr für Jahr erneut vom Aufbruch die Rede. Aber letztlich geschieht dann wieder nichts. Als wäre das Viertel in einer Zeitschleife gefangen.

Mit Norbert Fuchs, dem Mülheimer Bezirksbürgermeister, und Christoph Kahl, Chef der Immobilienfirma Jamestown, habe ich mir das Viertel angeschaut. Fuchs kennt die immer mal wieder wechselnden Inhaber der großen Areale. Wenn er erzählt, klingt es, als kommentiere er ein Monopoly-Spiel. Der Politiker vereint Erfahrung, Netzwerk und Mülheim-Kenntnis. Doch fehlen ihm Befugnisse. So wirkt er wie ein erfahrener Flugkapitän, der nur über einen Flugsimulator verfügt. Der Kölner Kahl steht für den anderen Teil von Stadtentwicklung. Eine Kernkompetenz seiner Firma sei die Revitalisierung von alten Industrieflächen, sagt er. Mülheim sei ein Meilenstein für sein Unternehmen, das sich inzwischen stärker Europa und Deutschland zuwende nach Jahrzehnten des Engagements in den USA. Fuchs und Kahl gehören zusammen wie die zwei Seiten einer Münze: Der Politiker setzt den großen Rahmen, innerhalb dessen der Investor entwickelt.

„Ich will hier Kräne sehen“, hat Norbert Fuchs über die Jahre immer wieder in Interviews gefordert. Doch die, die nun seit einigen Monaten auf einem der Grundstücke stehen, sind ebenso unbelebt wie der Rest des siechen Areals. Aus irgendeinem Grund geht es wieder nicht vorwärts. Von einem Planungsfehler ist die Rede und nicht eingehaltenen Mindestabständen zum Rhein. Mit Christoph Kahl, der die frühere KHD-Hauptverwaltung erwarb, hätte Bewegung kommen können. Doch Kahl beugte sich einem Vorkaufsrecht der Stadt. Hintergrund: Der Kölner Rat hatte die Verwaltung angewiesen, die frühere Hauptverwaltung zu erwerben. Künstler, die dort ansässig waren, hatten erfolgreich um öffentliche Unterstützung für ihre Ziele geworben und die Politik eingespannt.

Nun hat die Stadt zwar noch keine durchgängigen Baupläne für das gesamte Areal aufgestellt, steht aber bereits in der Pflicht, den Willen des Rates umzusetzen und Verbindungen von „Kultur, Wohnen und Arbeiten“ auszuprobieren. „Eine Verirrung“, nennt das ein politischer Beobachter und spricht von Politik fürs Schaufenster. Man lebe planerisch von der Hand in den Mund, werde Größe und Potenzial der gewaltigen Entwicklungsfläche nicht gerecht und schaffe nur Stückwerk – wenn überhaupt. Die Aversion der Politik privaten Investoren gegenüber sei mit Händen greifbar. Doch wie soll es ohne sie gehen?

In seinem ganzen, ruhigen und gediegenen Auftritt entspricht Christoph Kahl ohnehin nicht dem Bild des profitgetriebenen Investors. Er hat Unterlagen seiner weltweiten Projekte zur Hand, zeigt bereitwillig, wie man bereits mit einfachen Mitteln Stadtteile beleben kann, begeistert sich für das eine, leerstehende Objekt, kritisiert an einem anderen die stilistisch missratene Aufstockung und macht den Eindruck, dass er gerne und mit Sachkenntnis macht, was er tut. Die Stadtverwaltung, das ist ein offenes Geheimnis, hätte es gern gesehen, dass er die frühere KHD-Hauptverwaltung behält, zumal er für etwas wie Maß und Mitte steht. Aber der Rat wollte es anders.

Unwillkürlich kommt einem irgendwann das Märchen von Dornröschen in den Sinn, zumal in Mülheim allenthalben Brombeerhecken wuchern. Welcher Prinz auch immer die schlafende Königstochter wachküssen wollte, verendete in Dornbüschen um das Schloss. So ging die Zeit dahin. Bis der Fluch erlosch und es einem Prinzen gelang, zu Dornröschen vorzudringen. 100 Jahre hat das gedauert. Fast ein Kölner Märchen, möchte man meinen.

Die Inzidenzen steigen. Daher wünsche ich Ihnen ein gesundes Wochenende.

Herzliche Grüße
Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 29. Oktober 2021

Newsletter vom 29.10.2021

Achtung: Die Gendersternchen kommen – Martin Börschel geht

Sehr geehrte Mitglieder,

liebe Freund*innen des Kölner Presseclubs,

es ist nun wirklich mal an der Zeit, eine Lanze für die Kölner Stadtverwaltung zu brechen. Na gut, in puncto Sauberkeit, Sicherheit, Verkehr und etlichen anderen Feldern ist noch sehr viel Luft nach oben. Aber untätig? Nein, das ist die Verwaltung mit ihren rund 20.000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen (neu: Mitarbeitende) absolut nicht. So hat sie  beispielsweise einen „Leitfaden für wertschätzende Kommunikation bei der Stadt Köln“ erarbeitet. Der schreibt auf 56 Seiten detailgenau eine neue Amtssprache mit Gendersternchen und Binnen-I vor. Somit spielt Köln zwar nicht im Fußball, aber in der Disziplin Gendergerechtigkeit ab sofort in der Champions League – Donnerwetter! Da überstrahlt doch das Gendersternchen hell alle Schmuddel-Ecken, alle gravierenden Defizite der städtischen Infrastruktur. Das rechtfertigt auch den selbstbewussten Stolz, wie er in Henriette Rekers Vorwort zum Ausdruck kommt: „In unserer täglichen Arbeit sind wir Expert*innen.“ Ja, die Oberbürgermeisterin hat in ihrer eindrucksvollen Bilanz der Symbolpolitik einen weiteren wichtigen Baustein hinzugefügt.

Um nicht missverstanden zu werden: Natürlich ist Diskriminierung unverzeihlich und gegen Gedankenlosigkeit im sprachlichen Umgang muss vorgegangen werden. Aber dass man künftig z.B. auf kölsche Weisheiten wie „Jeder Jeck ist anders“ (spricht nur Männer, nicht aber Frauen und Diverse an) oder den Begriff „Fußgänger“ (neu: Zufußgehende) verzichten muss, ist gewöhnungsbedürftig. Was wird dann zum Beispiel aus der Fußgängerzone? Bevor man jedoch beim Blick auf durch die Verwaltung ausgelöste Umsetzungsprobleme in Ratlosigkeit versinkt, sollte man da nachfragen, wo es jenseits des hektischen Alltags Orientierung gibt: Bei der Philosophie.

Gerade hat sich die Philosophin Svenja Flaßpöhler Gedanken zur neuen deutschen Empfindsamkeit gemacht. Mit ihr habe ich über sprachliche Sensibilität, Gendergerechtigkeit, Identitätspolitik  und Toleranz gesprochen. Natürlich, sagt sie, ist menschheitsgeschichtlich Sensibilität ein großartiger Fortschritt: „Menschen schützen sich gegenseitig in ihrer Verletzlichkeit, werden empfänglicher für fremde Gefühle und Bedürfnisse.“ Doch diese Entwicklung habe eine Kehrseite: Die Gesellschaft werde durch Aufteilung in immer mehr Gruppen und Grüppchen, die alle gesondert angesprochen und behandelt werden wollten, zersplittert, das Gemeinsame wird zerstört. Zu dieser Entwicklung trägt, so habe ich es verstanden, Sprache und Sprachgebrauch bei. Drastischer hat es der österreichische Philosoph Robert Pfaller ausgedrückt: „Diese Spracheingriffe sind durchweg dilettantisch und lassen sich in den meisten Fällen weder schreiben noch sprechen.“ Nun müssen Stadtverwaltung und Oberbürgermeisterin lernen, dass sie nicht nur für ihre Versäumnisse, sondern gelegentlich auch für ihren tatkräftigen Eifer kritisiert werden. Aber vielleicht findet die Stadt ja auch andere Wege, ihren Bürgerinnen und Bürgern gegenüber Wertschätzung zu zeigen. Dazu braucht sie nicht einmal die Nachhilfestunden bei Philosophen!

Rat brauchen allerdings die beiden ehemaligen Volksparteien. Prof. Manfred Güllner und sein Meinungsforschungsinstitut Forsa messen aktuell nur noch 20 Prozent für die Union und 25 für die SPD – magere Werte. Interessant ist das vergleichsweise große Vertrauen in Olaf Scholz (53 von 100 möglichen Punkten), aber dramatisch schlechte Werte für alle anderen Spitzengenossen. Schlusslicht ist die Vorsitzende Saskia Esken (21 Punkte), die in ihrer Unbeliebtheit nur noch von der AfD-Fraktionschefin Alice Weidel überboten wird. Lediglich Generalsekretär Lars Klingbeil und der Kölner Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach können bei den Wählerinnen und Wählern bestehen – Lauterbach kommt immerhin auf 40 von 100 Punkten. Ob es für eine mögliche Kanzlerpartei reicht, dass nur eine einzige Führungspersönlichkeit mehrheitlich Vertrauen genießt, das muss sich noch zeigen.

Und da wir gerade bei der SPD sind: Martin Börschel tritt zur Landtagswahl im Mai kommenden Jahres nicht mehr an. Mit seinem Namen (und dem seines Alter Ego Jochen Ott) verbindet sich die Wiederauferstehung der Kölner SPD nach den Skandalen um die Jahrtausendwende. Börschel und Ott waren es, die nach Insidergeschäften und Müllaffäre die Partei konsequent aus der Existenzkrise geführt und einen Neuanfang geschafft haben. Den klugen Strategen Martin Börschel, der bis weit in bürgerliche Kreise hinein geschätzt und geachtet wurde, verließ dann 2018 sein politischer Instinkt, als er auf den neu geschaffenen und gutdotierten Posten eines hauptamtlichen Geschäftsführers des Stadtwerke-Konzerns wechseln wollte. Als Folge der öffentlichen Kritik am Hinterzimmer-Deal legte Börschel seine Kölner Ämter nieder, blieb aber als einer der kenntnisreichsten und bestvernetzten Akteure aktiv. Der Rückzug aus dem Landtag kommt jetzt zu einem Zeitpunkt, wo die Sozialdemokratie einen leichten Aufwind verspürt. Da scheint bei dem gelernten Rechtsanwalt entweder der Wunsch nach einem politikfernen Leben übergroß. Oder er hat eine attraktivere Alternative. Vielleicht auch von beidem etwas. Wir werden es demnächst erfahren.

In diesem Sinne grüßt Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

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Newsletter 22. Oktober 2021

Newsletter vom 22.10.2021

Die Zukunftsfrage: Wie hilft man Köln oder ist Köln nicht zu helfen?

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

als der dänische Reeder Arnold Mærsk Mc-Kinney Møller beschloss, seiner Heimat ein Opernhaus zu schenken, ging er auf die 90 zu. Viel Lebenszeit blieb dem Mann, der das größte Unternehmen Skandinaviens geschaffen hat, nicht. Daher ließ er der Kopenhagener Stadtführung keine Wahl: So und nicht anders sollte das Geschenk aussehen, wie es ein von ihm beauftragter Architekt von Weltruf entworfen hatte. Ferner trat der Geber als Bauherr auf. Letztlich wurde die Bedingung akzeptiert. Nach nur drei Jahren wurden die Pläne für die Dänische Nationaloper Wirklichkeit und Mærsk konnte noch lange in „seine“ Oper gehen, bis er im Alter von 98 Jahren starb.

Ob der Mäzen auch in Köln weitergekommen wäre? Der Fall des Stifterehepaars Hans und Marlies Stock war indes nicht so spektakulär, hatte es aber dennoch in sich. Die Eheleute hatten der Stadt eine Erweiterung des Kölner Stadtmuseums schenken wollen. Zunächst blieb das Angebot ohne Reaktion, und dann geriet es heftig in die Verwaltungs- und Politikmühlen. Diese hatte der Reedereichef sich seinerzeit ersparen wollen, denn hierfür sind gute Nerven nötig. Gebende fühlen sich mitunter auf den Behördenvorgang reduziert. 2009 zog das Ehepaar Stock sein Angebot gekränkt und verärgert zurück.

Oder der Stifterrat für das Wallraf-Richartz-Museum (WRM). Er war 1999 auf Anregung des verstorbenen Kölner Oberstadtdirektors Lothar Ruschmeyer gegründet worden, den die Kosten für den WRM-Neubau sorgten und der Unterstützer suchte – letztlich grundlos, wie sich später herausstellte. Als Folge setzte der Stifterrat, der nun über erhebliche Mittel verfügte, sich für den Bau eines Erweiterungsbaus des Museums ein.

Das Spiel dauerte fast 20 Jahre. Eine deutliche Wendung zum Besseren gelang erst, als OB Henriette Reker die Erweiterung zur Chefsache machte und in Peter Jungen als Stifterratsvorsitzendem ein beharrliches Gegenüber fand. Die Debatten um die Kunst-Sammlung des Ehepaars Corbaud lasse ich außen vor. Sie würde mehr als einen Newsletter füllen.

Lassen Städte und insbesondere Köln ihren Bürgern Raum? Greifen sie Angebote auf und schauen, wie sie Initiativen in einen Aufgabenkatalog integrieren können? Oder spricht man einfach nicht die dieselbe Sprache und großzügige Angebote werden als Störung der Arbeitsroutine wahrgenommen? Überfordert man sich gegenseitig? Wer bindet die Initiativen in den Stadtvierteln ein, schafft Räume, setzt Grenzen? Ist der Gedanke, der Hohe Straße ein Dach zu geben, mehr als eine Silvesterrakete, die nur sekundenlang glitzert? Ebenso wie die Verlegung des Kölner Hauptbahnhofs? Oder die Pläne für den Neumarkt, beauftragt von einer Anwohnerinitiative um den Kunst-Auktionator Henrik Hanstein? Ist die Kraft des „KölnGold“-Buches etwa bereits verpufft und dient der Neubau einer Rheinischen Musikschule nur dem Geldbeutel daran beteiligter Unternehmen? Braucht Köln seine Bürger nicht mehr denn je?

Über solche (Zukunfts-)Fragen diskutiere ich im Kölner Presseclub am Mittwoch, 10. November, 19.30 Uhr im Hotel Excelsior Ernst mit Stadtdirektorin Andrea Blome, dem Bauunternehmer Anton Bausinger und dem Architekten Kaspar Kraemer. Sie sind interessiert und geimpft oder getestet? Wir freuen uns über Ihre Anmeldung unter info@koelner-presseclub.de.

Das hatten wir noch nie – einen Konzerthinweis für Sie: Am 31. Oktober um 19:30 Uhr tritt der Kammerchor „Les Lumières“ (www.les-lumieres-eu) unter Leitung von Michel Rychlinski mit der Sopranistin Inger Torill Narvesen und dem Bariton Christophe Gautier in der Basilika Kloster Knechtsteden auf. Am Klavier begleitet wird das Ensemble von Florian Noack und Naré Karoyan. Die Musiker präsentieren Ihnen das deutsche Requiem op. 45 von Johannes Brahms und armenische Volksmusik von Komitas in historischer Umgebung, die ihresgleichen sucht. „Les Lumières“ kennen Sie von der sympathischen Kammermusikreihe auf dem Parkhausdach in der Kölner City. Wir konnten vier Karten für Sie zurücklegen. Interessierte schreiben uns unter: info@koelner-presseclub.de. Es gilt das Windhundprinzip.

Vor einem Jahr um diese Zeit stand ein erneuter Lockdown vor der Tür, der Deutschland lahmlegte. In der Zwischenzeit hat jeder die Chance gehabt, sich impfen zu lassen und sein Leben ein Stück zurückzugewinnen. Wo immer es in diesen zwölf Monaten auch geruckelt und gehakt hat – das ist ein Erfolg, den wir nicht vergessen sollten.

Ein schönes Wochenende wünscht Ihnen

Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 15. Oktober 2021

Newsletter vom 15.10.2021

Sind die Rufe des Muezzin vom Minarett mit Geläut vergleichbar? – „Kirchenglocken sind keine sprachlichen Botschaften,“ sagt dazu der frühere Kölner OB, Fritz Schramma

Liebe Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

die Lebenserfahrung hat es schon oft genug bestätigt: Das Gegenteil von gut ist nicht etwa schlecht, sondern gut gemeint. Auch der Oberbürgermeisterin Henriette Reker darf man beste Absichten unterstellen. Sie hat jetzt den 35 Kölner Moscheegemeinden erlaubt, dass freitags Muezzins ihre Gläubigen lautstark zum Gebet rufen. Um erwartbarer Kritik gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, geschieht dies mit behördlichen Auflagen und erst einmal zwei Jahre zur Probe.

Was von Reker als Ausweis rheinischer Toleranz gedacht war (oder sollte es nur ein Befreiungsschlag sein, um den Ruf der Glücklosigkeit abzuschütteln?), kommt indes nicht überall gut an – zumal es gar keine Anfrage einer Moschee-Gemeinde gegeben hat, sondern Henriette Reker mit ihrem beflissenen und vorauseilendem Angebot forsch in die Offensive gegangen ist. Ihr Vorgänger als OB, Fritz Schramma, erinnert mich im Gespräch daran, dass bei der Planung der großen Zentralmoschee in Ehrenfeld die Stadt „sehr strenge Bedingungen verabredet“ wurden: „Dazu gehörte, dass es keine Muezzin-Rufe zum Gebet geben wird.“ Als Mann mit Stil äußert er keine Kritik an seiner Nachfolgerin („Das gehört sich nicht!“), aber in unserem Gespräch wird deutlich, dass hier ohne Not aus einer Lösung – keine öffentlichen Gebetsaufrufe – ein Problem gemacht worden ist. Auch ist es vermutlich lebensfremd, dass ein solcher Versuch nach den zwei Jahren wieder kassiert wird.

Was ihn stört, ist der von Ankara gesteuerte Türkisch-Islamische Moscheeverein Ditib, der sich an viele Verabredungen nicht gehalten habe und sehr expansiv auftrete. Tatsächlich ist spätestens seit dem Eklat bei der Moschee-Eröffnung 2018 durch den türkischen Präsidenten Erdogan das Verhältnis zu Ditib gestört. Die Öffnung der Moscheegemeinde zur Stadt, wie sie in der großartigen Architektur Paul Böhms zum Ausdruck kommt, hat bislang nicht stattgefunden – im Gegenteil.

Der vielfach angestrengte Vergleich der Muezzin-Rufe mit dem Glockengeläut der Kirchen kann Schramma , der sich in seiner Amtszeit sehr um Integration bemüht hat, nicht nachvollziehen: „Kirchenglocken sind keine sprachlichen Botschaften“. In diese Kerbe schlägt auch die Soziologin Necla Kelek, prominente Kritikerin des politischen Islam: Der Muezzin-Ruf sende „eine Ideologie, eine bestimmte Richtung“, mit dem „religiöse Slogans verkündet“ würden, erklärte sie gegenüber Bild. Mit dem Ruf „Allahu akbar“ würden Männer zum Gebet gerufen und Frauen ausgegrenzt. Ähnlich kritisch sieht es die ehemalige SPD-Politikerin Lale Akgün. Gegenüber dem Kölner Stadt-Anzeiger sagte sie, Rekers Plan sei „an keinem Punkt durchdacht“ und „die Symbolpolitik geht nach hinten los“.

Entspannter sieht es der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum. Der große alte Mann der FDP setzt auf eine Gewöhnung, zumal in anderen deutschen Städten der Gebetsaufruf schon üblich sei. Ein wenig Unverständnis über den Muezzin-Ruf hat er schon, denn „heute hat doch jeder eine Uhr und braucht diese Form der Aufforderung doch gar nicht mehr.“

Ihn habe ich aber vor allem angesprochen, weil er einer der Väter der sozialliberalen Ära Brandt/Scheel war, die West-Deutschland nach 1969 reformiert und modernisiert hat. Wie sieht er ein denkbares Bündnis der Liberalen mit SPD und Grünen? Auch heute diagnostiziert er der Gesellschaft einen großen Reformbedarf und sieht in der möglichen Ampel-Koalition eine gute Therapie. Brandts Forderung „mehr Demokratie wagen“ sei wieder hochaktuell. Trotz aller Unterschiede sieht er gerade mit den Grünen die Chance, den dringenden innenpolitischen Handlungsbedarf anzugehen. Das Ziel, der nachwachsenden Generation eine lebenswerte Welt zu hinterlassen, einen beide Parteien: „Man muss das Verbindende suchen“. In der Innen- und Rechtspolitik sieht er gute Anknüpfungspunkte, „FDP und Grüne müssen das Zentrum für Reformen in dieser Koalition bilden“.

Gerhart Baum erinnert daran, dass die FDP mit ihrem sog. Freiburger Programm schon vor 50 Jahren den Umweltschutz ins Zentrum gerückt habe und Konzepte zur gerechteren Vermögensverteilung entwickelt habe. Erst das ermögliche eine gesellschaftlich erfüllte Freiheit, nicht nur eine formale. Auf diese Tradition, so Baum, müsse die FDP sich wieder stärker besinnen.

Der Staat hat für den Liberalen eine „unverzichtbare Schutzfunktion“ für seine Bürgerinnen und Bürger. Das gelte nicht zuletzt für den „Überwachungskapitalismus“, also die multinationalen Tech-Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon.

In weltpolitisch turbulenten Zeiten setzt Baum auf eine Stärkung Europas, um autoritären Regimes die Stirn zu bieten und Freiheitsrechte zu verteidigen.

Vor allem eins liegt ihm am Herzen: Die Ampel dürfe sich nicht im Klein-Klein verlieren, sondern mutig und zukunftsorientiert an den großen Themen arbeiten. Es lohnt sich, allen Unkenrufen zum Trotz, vielleicht doch, gelegentlich mal auf alte weiße Männer zu hören.

In diesem Sinne grüßt Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

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Newsletter 8. Oktober 2021

Newsletter vom 8.10.2021

Der Hauptbahnhof macht Platz und zieht über den Rhein – Köln mit Wucht und Wumms: Hänneschen macht Volkstheater

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

der Plan, den Hauptbahnhof ins Rechtsrheinische zu verlegen, klingt so unwirklich wie Sphärenmusik. Die 16 Gleise, die die Innenstadt zerschneiden, seien eine Fessel für das linksrheinische, historische Köln und auch für die Deutsche Bundesbahn, argumentieren Befürworter der kühnen Idee. Fielen sie weg, könne man die Stadt völlig neu denken: Ein neues Köln würde entstehen. Aber kann das hier überhaupt funktionieren, wo uns bereits eine Opernsanierung an die Grenzen unserer Möglichkeiten bringt? Das wenden Skeptiker ein. Sollen die Unzulänglichkeiten der Gegenwart etwa den Maßstab für künftige Entwicklungen setzen, müssen sie sich daraufhin fragen lassen. Die schleppende Entwicklung der Oper könne die Bewohner dieser Stadt doch nicht ihrer Zukunftspläne berauben. Wo endet der Fortschritt und wo beginnt der Wagemut?

Wie man es auch dreht und wendet – der Plan, eine ganze Stadt neu aufzuteilen, ist ein gigantisches Projekt. Geht er auf, gewinnt das linksrheinische Köln an Fläche und Lebensqualität, so wie es in New York geschah, das eine innerstädtische Hochbahn-Trasse in einen grünen Damm umwandelte. Wo früher Fabriken und Fleischereibetriebe waren, entstanden nun Museen, Einkaufsstraßen und neue Wohnanlagen. Auch auf den Visualisierungen der Umzugsbefürworter entstehen in Köln neue grüne Zonen. Der Raum, wo einst der Hauptbahnhof war, gewinnt eine völlig neue Bedeutung – vielleicht als Mischung aus Markthalle und Kommunikationszentrum. Jeder von uns kennt so etwas aus anderen europäischen Städten.

Aber was liegt zwischen der Vision und unserer Wirklichkeit? Tatsache ist, dass sich das rechtsrheinische Köln derzeit völlig neu aufbaut. Entlang der Deutz-Mülheimer-Straße entsteht durch den Wegfall der gewaltigen Industrie-Areale etwas Neues. Es wird höchste Zeit, dass man sich dieses Themas annimmt, denn die Veränderung ist programmiert – ob nun geplant oder nicht. Dann überlässt man dem Zufall oder dem Gestaltungswillen möglicher Investoren den Raum.

Der Weg zum neuen Köln der Umzugsbefürworter wird mühsam sein – 20 oder 30 Jahre könnte es dauern. „Natürlich muss eine Stadt auch über einen so langen Zeitraum planen,“ sagen Befürworter wie Paul Böhm. Der Architekt und Stadtplaner hat sich ganz diesem Projekt verschrieben. Hinter der Idee stehe die grundsätzliche Frage, wohin Köln sich entwickeln wolle. Hat es die Kraft, den Verkehr und die Aufteilung der Stadt von Grund auf zu erneuern? Diese haben sich abhängig von Bahnlinien und Autostraßen entwickelt. Oder will man im bestehenden Gefüge weitermachen wie bisher?

Dies sind Gedanken von ungeheurer Tragweite und es fällt schwer, sie in wenigen Absätzen abzuhandeln. Wir vom Kölner Presseclub wollen daher die Ideen diskutieren und vertiefen. Am Donnerstag, 28. Oktober, sprechen Paul Böhm und Paul Bauwens Adenauer mit mir über die ambitionierten Pläne (19.30 h im Hotel Excelsior Ernst, Anmeldung: info@koelner-presseclub.de), die an das Schleifen der Stadtmauern erinnern, die einst wie eine Fessel um die Stadt lagen. „Wir wollen die Stadtmitte für die Menschen zurückgewinnen“, lautet die Losung der Umdenker. Deren Internetauftritt finden sie hier.

Wer jetzt geringschätzig sagt, das sei ja alles Hänneschen-Theater, dem widerspreche ich. Eine günstige Fügung hat mich in dieses Kleinod am Eisenmarkt geführt, das nur wenige Schritte vom Lärm der Junggesellenabschiede entfernt liegt. Hier ist es kleinstädtisch ruhig, als habe man eine unsichtbare Schwelle überschritten. An diesem Ort kann man den kölschen Wesenskern mit Wucht und Wumms erfahren, denn hier spielt das Hänneschen Theater. Fast 220 Jahre ist es alt und eine Institution. Fotos der Stockpuppen, mit denen wilde Schwänke aufgeführt werden, vermögen Reiz und Wirkung dieses Volkstheaters nur unvollkommen einzufangen. Man muss es erleben. 264 Zuschauer aller Altersgruppen und sozialer Schichten kauern auf harten Holzbänken und lauern auf ihren Einsatz, denn das Publikum ist Teil der Inszenierung. Ruft eine der Stockpuppen etwas, dann melden die Zuschauer sich vielstimmig zurück, als folgten sie einer Choreographie, die lange schon Teil des kölschen Genpools ist.

Das Stück, das wir sahen – „Wat mer versprich“ – setzte immer neue und oft freche Akzente. Die Zuschauer geizten nicht mit Beifall und ließen sich keine Gelegenheit entgehen, in den Klatschmarsch zu verfallen. Bereits wenige Minuten nach Beginn verwandelte sich das kleine Theater in einen Hexenkessel. Dass ausgerechnet Stockpuppen am Anfang und am Ende aller Spannung, grober Witze und spitzer Bemerkungen stehen, vergisst man im Nu dank großartiger Puppenspieler und einer Regie, die den Figuren auf den hölzernen Leib geschrieben ist. Für mich birgt das Hänneschen wuchtige Sinneseindrücke wie sonst nur eine Fahrt im Rosenmontagszug, so knackig sind die Charaktere gezeichnet und so gekonnt die Pointen gesetzt. Es ist Köln pur.

Das Geheimnis dahinter? „Puppen, zumal die Knollendorfer, dürfen alles sagen, weil sie dies als Holzköpfe und nicht als Menschen tun“, erklärt Hänneschen-Intendantin Frauke Kemmerling. Was das Kölsche an ihrem Theater ist? „Bei uns findet man wie in Köln selbst eine Mischung von Menschen aus allen Schichten und Lebenslagen. Wir sind bunt wie die Stadtgesellschaft.“ Und prall vor Leben, laut und bunt, möchte man hinzusetzen.

Die Auslastung vor der Pandemie betrug 96 Prozent, die Kostendeckung liegt bei 50 Prozent. 70.000 Besucher jährlich erleben Hänneschen und Co. Auch das ist ein Aspekt von Volkstheater: Es ist nah an den Menschen, spricht ihre Sprache, und es verursacht wenig Kosten. Knollendorf ist ein Stück Köln, auf das wir stolz sein können. Sollte der Bahnhof tatsächlich umziehen, werden Hänneschen und Co. mit ihrer Meinung sicher nicht hinterm Berg halten.

Ich wünsche Ihnen ein möglichst sorgenfreies Wochenende. Der aufziehende Herbst wird ihm seinen Stempel aufdrücken.

Herzliche Grüße

Peter Pauls

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Newsletter 1. Oktober 2021

Newsletter vom 1.10.2021

Paul Bauwens-Adenauer: Die CDU ist ein Sanierungsfall – Über Kölns großes Potential und Söders Haltungslosigkeit

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

der auffordernde Schriftzug „Liebe deine Stadt“, der viele Jahre über der Nord-Süd-Fahrt zu sehen gewesen ist, war vermutlich nirgendwo so unnötig wie in Köln. Denn an Liebe zur Stadt besteht kein Mangel, sie braucht weder einen Anlass noch eine besondere Begründung. Doch Liebe macht auch blind. Sie übersieht Schmutz und Verwahrlosung, sie blendet die zunehmende Hässlichkeit des öffentlichen Raums aus, sie hat längst gewöhnt an die heruntergekommenen Einkaufsstraßen der Innenstadt, die vermüllten Grünflächen, das enthemmte Partyvolk auf den Ringen und im Friesenviertel, die vielen Junkies und die organisierte, teils aggressive Bettelei, das täglich wachsende Verkehrschaos.

Klar, Köln ist besonders. Kommt man aus, sagen wir, Stockholm, Breslau oder auch nur Düsseldorf, merken wir: Es geht auch anders. Woran also liegt`s? Diese Frage habe ich jemandem gestellt, den die Zuneigung zu seiner Heimatstadt nie unkritisch gemacht hat: Paul Bauwens-Adenauer. Ihn erreiche ich telefonisch in den USA. Köln habe ein enormes Potential, sagt er, die Stadt habe großartige Chancen. Aber offensichtlich werden in Köln aus Chancen eher Krisen. „Die Ausstrahlung, das Erscheinungsbild ist katastrophal“, man müsse sich nur rund um den Dom, Deutschlands prominenteste Sehenswürdigkeit, umschauen. Verwaltung und Politik, wobei er seine eigene Partei, die CDU, keineswegs ausnimmt, seien hierfür verantwortlich.

Aber, die Hoffnung stirbt zuletzt, es gebe immer wieder zukunftweisende Impulse. So etwa Paul Böhms kühne Vision für eine neugestaltete Innenstadt inklusive der Verlegung des Hauptbahnhofs ins Rechtsrheinische. „Ich bin Paul Böhm dankbar für diese Ideen.“ Überhaupt mahnt er ein langfristiges Konzept an, wobei er für eine weitgehende Verlegung des Öffentlichen Personennahverkehrs unter die Erde plädiert.  „Wir müssen die Aufenthaltsqualität deutlich verbessern. Wir brauchen Plätze, auf denen man sich gerne aufhält“, so sein Credo mit Verweis auf andere Metropolen.

Bei seiner Partei sieht er, in Köln wie im Bund, einen fatalen Mangel an Gestaltungswillen und Gestaltungskraft: „Die CDU ist ein Sanierungsfall, sie ist konzeptions- und haltungslos“. Nach dem Wahldesaster vom 26. September sieht er den Platz für die CDU in der Opposition: „So bitter das wäre, es ist vielleicht der einzige Weg zur inhaltlichen und personellen Erneuerung.“  Armin Laschet nun zum alleinige Sündenbock zu machen, sei der falsche Schluss: „Das ist billig.“ Auch Bayerns Markus Söder zum Beispiel sei „haltungslos“, das Versagen laste auf vielen Schultern.

Mit Noch-Kanzlerin Angela Merkel („Sie hat die Union da reingesteuert“) und der Unions-Führungsspitze geht Bauwens-Adenauer hart ins Gericht. In den Kernfragen, für die sie einst gestanden habe, also Europa, äußere und innere Sicherheit, Eigentumsbildung etc., bleibe sie orientierende Antworten schuldig. Die Frage, wovon wir künftig leben wollen, sei nicht thematisiert worden. „Wir zehren von der Substanz. Dabei sollte gerade die CDU, die immer auch die Partei der kleinen Leute war, das vermitteln, dass wir erwirtschaften müssen, was wir verteilen wollen.“

Der Unterschied zu seinem Großvater Konrad Adenauer sei, dass der „wusste, was er wollte, und dafür auch gestanden hat“. Damit habe der erste Nachkriegs-Kanzler Orientierung geben können.

Natürlich muss man Paul Bauwens-Adenauer nicht in allen Analysen und  Einschätzungen folgen. Aber der Mann hat klare Vorstellungen von einer lebenswerten Stadt, ein fundiertes Urteil über die politischen Verhältnisse, ökonomischen Sachverstand und den Schneid, sich öffentlich und durchaus selbstkritisch in öffentliche Debatten einzubringen. In Abwandlung eines alten Werbespruchs kann man über Menschen wie ihn sagen: „Nie war er so wertvoll wie heute.

In diesem Sinne grüßt Sie, herzlich wie stets

Ihr
Michael Hirz

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Newsletter 24. September 2021

Newsletter vom 24.09.2021

Wahlkämpfer und TV-Debatten in der Zeitschleife – Nachrichten aus Kabul von Jürgen Todenhöfer – Hoffnung keimt im HipHop-Club

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

spannend fand ich den Wahlkampf der vergangenen Wochen nicht. Als ginge man ins Theater, ständig würde dasselbe Stück mit den gleichen HauptdarstellerInnen aufgeführt und als sei man in einer Zeitschleife gefangen. Mit wem werden sie wie und wann und unter welchen Umständen koalieren? Ich kann die Frage nicht mehr hören. Keiner der Kandidaten konnte wirklich überzeugen und jede Umfrage bestätigt diesen Eindruck aufs Neue. Allein schon deshalb sehne ich die Bundestagswahl herbei.

Eigentlich wäre dies der Moment der kleineren Parteien. 40 von ihnen treten am Sonntag an, manche werben mit neuen Ideen und Konzepten. Aber haben sie überhaupt eine realistische Chance, sich Gehör zu verschaffen und die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden? „Kleine Parteien haben es schwer in diesem Land„, sagt einer, der das politische Leben aus allen Blickwinkeln kennt. Jürgen Todenhöfer war 28 Jahre lang CDU-Bundestagsabgeordneter, dann einer der einflussreichsten Medienmanager Deutschlands und schließlich engagierter Buchautor und Pazifist. Mit 80 Jahren trat er aus der CDU aus und gründete seine „Gerechtigkeitspartei“.

Der Publizist erlebt das parteipolitische Leben nun von unten und formuliert interessante Gedanken. Auch er kritisiert die ewigen TV-Debatten der Großen und regt Runden an, die ähnlich wie die Vorwahlen in den USA funktionieren: „Warum lassen wir nicht die Spitzenkandidaten neuer Parteien gegeneinander antreten und das Publikum entscheiden?„, fragt er und bemängelt: „Wir konnten unsere Ideen nirgendwo vortragen. Ständig sehen wir immer die gleichen Gesichter und hören die immer dieselben Schlagworte?“ Sein „Team Todenhöfer“, wie die Partei sich auch nennt, sei im Wahlkampf häufig behindert worden, wie in Frankfurt etwa, wo jeder seiner 700 Zuhörer einzeln fotografiert worden sei.

Das Gespräch mit dem Politik-Veteranen war von außergewöhnlichen Umständen begleitet. Meine SMS-Anfrage nach einem Interview wurde mit „Bin in Kabul“ beschieden. Ich schrieb darauf der Partei-Sprecherin Sarah El Jobeili meine Fragen und bekam anderntags vier lange Sprachnachrichten Jürgen Todenhöfers aus der Hauptstadt Afghanistans, unterlegt von fernem Sirenengeheul. Seit 1979 beschäftigt er sich mit Afghanistan und ist einer der führenden Kenner des Landes. Jetzt gelang es ihm, mit einer Militärmaschine dorthin zu reisen, Gespräche zu führen und sich zu wundern. Die Berliner Regierung habe abgeschobene Schwerverbrecher zurückgeholt, berichtete er, bevor er zu politischen Gesprächen weitereilte.

Deutschland habe in Afghanistan einen guten Ruf, hat Todenhöfer stets gesagt und das gilt auch für ihn, den Islam-Kenner. Hier schließt sich ein Kreis zur Bundestagswahl, denn die „Gerechtigkeitspartei“ zielt auf ein Publikum, das dem Islam offen gegenübersteht. Es sind junge Menschen, die sich von gleich zwei Seiten bedrängt sehen: von muslimischen Eiferern ebenso wie von Teilen der deutschen Gesellschaft, die sie argwöhnisch betrachten und unter Extremismus-Verdacht stellen. In Todenhöfer, dessen Groß-Veranstaltungen stets bis auf den letzten Platz besetzt sind, finden sie jemanden, der sie versteht und ihnen politisch eine Heimat gibt. Die „Gerechtigkeitspartei“ ist nicht von ungefähr gegen Rassismus, Antisemitismus und Anti-Islamismus. Inwieweit sich das in Stimmen niederschlagen wird, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber für eine Überraschung sind diese Partei und ihr Vorsitzender sicher gut.

Das gilt auch für die pro-europäische Gruppe „Volt“, die in mehreren Ländern registriert ist. In Köln wurde sie quasi über Nacht Teil des Ratsbündnisses. Doch auch „Volt“ wäre hier nach den Regeln einer Bundestagswahl mit 4,98 Prozent der abgegebenen Stimmen an der Fünf-Prozent-Klausel gescheitert. Seit März 2020 ist Rebekka Müller, Spitzenkandidatin für den Bundestag aus Köln, praktisch im Dauereinsatz. Regelmäßige Leser dieses Newsletters kennen sie von Debattengesprächen, die ich mit ihr geführt habe. Anfangs galt es, Parteistrukturen aufzubauen und den rechtlichen Anforderungen zu entsprechen, dann den Wahlkampf zu organisieren und zu führen, berichtet sie. Und schließlich übernahm Volt Verantwortung in Köln.

Das ist eine lange Zeit, in der viel Schwung verebben kann. Dennoch sei der Wahlkampf ein Motivator, stellt die 32-Jährige fest. Und ohnehin sei ihr Engagement kein Marathon, sondern ein Sprint. Die Gesprächsbereitschaft der Menschen sei viel höher als erwartet und das Ziel, europäische Lösungen zu formulieren, komme gut an. Wenn Rebekka Müller erzählt, klingt das, als sei sie seit geraumer Zeit auf einer Achterbahn unterwegs. Sie spricht vom Gefühl, etwas Großes schaffen zu können ebenso wie von Panikattacken angesichts von Klimakrise und Pandemie, auf die die Politik und sie als Politikerin Antworten finden müsse.

Im früheren Rose-Club in Köln, der sich heute „Veedel Club“ nennt, habe ich eine Diskussion von Volt- und FDP-KandidatInnen besucht. Es war eine Wohltat zu erleben, wie sachlich hier Politik trotz offensichtlicher Differenzen formuliert wurde und wie fair das Publikum reagierte. Viel Beifall, wenig Buh im HipHop-Club (Hip-Hop ist eine Musikrichtung). Auch der Andersdenkende fand Platz. Ich ging mit dem Gefühl nach Hause, dass Politik weiter eine Chance hat. Vor allem, wenn es Politikern und den sie begleitenden Medien gelingt, sich aus ihrer Zeitschleife zu befreien und nicht die ewig gleiche Inszenierung aufzuführen.

Gerade hatten wir eine Premiere – die Gesprächsreihe „Starke Frauen“. Marie-Luise Wolff berichtete im Gespräch mit Michael Hirz von ihrem Weg an die Spitze des Bundesverbands für Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). Ferner ist die Managerin seit 2013 Vorstandsvorsitzende der Entega AG in Darmstadt. Sie hat sich erfolgreich in einer von Männern dominierten Welt durchgesetzt. Als sie davon berichtete, hätte man eine Stecknadel fallen hören können, so still war es. Die Veranstaltung wandte sich exklusiv an Mitglieder des Kölner Presseclubs und deren Freunde – es lohnt sich also, bei uns einzutreten (info@koelner-presseclub.de). In der nächsten Veranstaltung am 9. November um 19.30 Uhr lernen wir Stephanie Coßmann kennen, Mitglied des Vorstands und Arbeitsdirektorin der Kölner Lanxess AG.

Ich wünsche uns allen ein unbelastetes Wahl-Wochenende!

Herzliche Grüße
Ihr
Peter Pauls

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Newsletter 17. September 2021

Newsletter vom 17.09.2021

Corona – Testlauf für die Krisen der Zukunft
Die phil.cologne tischt die großen Fragen der Gegenwart auf
Konstruiert wie ein Regal: Die Hohe Straße-Galerie

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

was eine Krise ist, muss man Armin Laschet nicht lange erklären. Erst hatte er kein Glück, dann kam noch Pech dazu, könnte die Überschrift über seiner Kandidatur für das wichtigste politische Amt des Landes lauten. Doch neben den wenig beeinflussbaren Faktoren wie Glück und Pech geht es auch um beeinflussbare Größen, etwa Können und Mut, mit denen sich das Schicksal gestalten und nicht nur erdulden lässt.

Genau das, nämlich Gestaltungswillen und Kraft, wird von Angela Merkels Nachfolger (oder, wer weiß das schon in diesen turbulenten Zeiten, ihrer Nachfolgerin) gefordert sein, und zwar in einem Maße, wie selten zuvor in der Nachkriegs-Geschichte. Klimaschutz, Staatsverschuldung, schleppende Digitalisierung, Energiewende, Demografie – die Liste der Versäumnisse, Fehlentwicklungen und Gefahren ist innen- wie außenpolitisch gewaltig. Die bunten Versprechungen der wahlkämpfenden Illusionskünstler aller Parteien werden geräuschlos wieder eingemottet – same procedure as every Wahljahr. Denn Versprechen und Halten sind zwei grundverschiedene Dinge, das wusste der lebenskluge Rheinländer schon immer.

Dummerweise ducken sich aber die Gefahren und Risiken nicht so geschmeidig weg wie häufig die Politik. Was also tun? Wo ist der Kompass in einer säkularisierten Welt, der uns sicher durchs Problemdickicht führt? Der Bedarf an Orientierung in unübersichtlicher Zeit, soviel steht fest, ist riesig. Das erklärt nicht nur den Erfolg der Ratgeberliteratur, sondern auch die Rückkehr der Philosophie ins öffentliche Gespräch. Hier darf Köln einmal zurecht stolz sein, denn die Stadt ist seit 2013 Heimat der phil.cologne, des größten europäischen Philosophie-Festivals. Es ist keine esoterische Zusammenkunft von Elfenbeinturm-Sonderlingen, sondern ein putzmunterer Treff von Philosophen und Nicht-Philosophen, die im Gedankenaustausch über Politik, Wirtschaft, Theologie und Gesellschaft gemeinsam nach Wegen in eine gelingende Zukunft suchen.

„Wir sind angetreten, die Philosophie zurück auf den Marktplatz zu bringen. Also gerade raus aus einem rein akademischen, universitären Kontext und auch vor ein Publikum, das nicht notwendigerweise philosophisch vorgebildet ist“, beschreibt es der Programmchef des Festivals, Tobias Bock. Das scheint angesichts des Erfolgs der 9. Ausgabe der phil.cologne durchaus gelungen: 6.500 Gäste nutzten das Angebot, bei dem sich namhafte und medial präsente Philosophie-Stars mit anderen prominenten Gästen über die großen Fragen der Gegenwart unterhielten: Über die Pandemie ebenso wie über die Digitalisierung, über Identität ebenso wie über Umweltschutz. Eine Wohltat angesichts der Behandlung dieser Themen im gegenwärtigen Holzhammer-Wahlkampf und im überdrehten Twitter-Gewitter.

Ich habe im Rahmen des Festivals ein Gespräch mit dem Philosophen und Ethiker Julian Nida-Rümelin geführt, in dem es um den Umgang der Gesellschaft mit Risiken, namentlich mit Covid19 ging. „Corona zeigt, dass es kein Leben ohne Risiko gibt. Aber an andere, auch an große Risiken haben wir uns gewöhnt, akzeptieren sie und leben mit ihnen – vom Verkehr über gefährliche Sportarten bis zu bestimmten Energieformen.“ Auf neue Risiken wie die Corona-Pandemie reagierte die Gesellschaft verunsichert mit drastischen Einschränkungen, auch von Grundrechten. Das provozierte nach Ansicht von Nida-Rümelin zusätzliche Schäden, wirtschaftliche ebenso wie soziale und psychische. „Die haben wir zeitweise ausgeblendet.“ Hier müsse eine Gesellschaft rational und nicht emotional reagieren und sie müsse aushalten, dass Wissenschaft ihrem Wesen nach nicht eindeutig sein kann, sondern sich – wie jetzt bei Covid19 – auch immer wieder korrigieren müsse.

„Herausforderungen wie Corona werden auch in Zukunft noch häufiger kommen. Ob Klimawandel oder neue Technologien, Leben bleibt gefährdet. Darum ist Besonnenheit Bürgerpflicht. Wir müssen abweichende Meinungen in der Wissenschaft, aber auch im öffentlichen Diskurs aushalten, niemanden diffamieren“, so das Plädoyer des renommierten Risikoethikers. Um der Komplexität von gesellschaftlichen Krisen gerecht zu werden, müsse gleich am Anfang schnell im Sinne eines Containment gehandelt werden, dann aber brauche es eine breite, offene Diskussion, an der alle relevanten Disziplinen, Politik und Öffentlichkeit zu beteiligen seien.

Der Austausch mit Philosophen wie Julian Nida-Rümelin zeigt, wie erfrischend es sein kann, die Blickrichtung gelegentlich zu wechseln und Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Dabei muss es gar nicht immer um die großen Menschheitsfragen gehen, wie sie die phil.cologne behandelt. Ganz alltagspraktisch könnte man auch auf das andauernde Verelenden von Kölns einstiger Vorzeige-Meile Hohe Straße schauen. Das hat der Architekt und Stadtplaner Stephan Braunfels jetzt getan und präsentierte im Kunsthaus Lempertz eine pfiffige Idee: Wir machen aus der Hohe Straße eine Galerie. Ein solcher Plan, nämlich „ein Dach über Kölns wichtigster Straße“, ließe sich schnell und unproblematisch verwirklichen.

Vor drei Wochen erst hatte Braunfels („Köln ist schöner, als man so denkt“) bei einer Veranstaltung des Kölner Presseclubs die Galerie-Lösung für Köln Problemstraße vorgeschlagen, nun folgte bei Lempertz die Visualisierung dieser Idee, angefertigt ohne konkreten Auftrag, aber mit engagiertem Schwung aus Liebe zur Stadt. Das Dach würde wie ein Regal zwischen die Geschäftslokale gestellt, die Luftzirkulation wäre gewährleistet, Regen könnte abfließen und Hausfassaden blieben unbeeinträchtigt.

Zwar wäre die Hohe Straße-Galerie immer noch eine unsortierte Aneinanderreihung von Edelläden, Plundergeschäften und Leerstand, aber als eine der meistfrequentierten Straßen Deutschlands könnte sie dieses Lifting gut vertragen. Ist bei dieser Lösung Platz für ein Café? Aber ja! Bis 1980 fand man in der Hohe Straße 134b das legendäre „Campi“, das multifunktional Künstler-, Szene- und Musiklokal sowie Eisdiele in einem war – und damit eine weit über Köln hinausstrahlende Institution.

Annett Polster, Geschäftsführerin von „Stadtmarketing Köln“, geriet schon mal ins Schwärmen: „Wir brauchen solche Impulse, wenn wir zurück zu den Glanzzeiten der Hohe Straße wollen.“ Diese Worte kann man getrost auf ganz Köln übertragen. Aus leidvoller Erfahrung in und mit dieser Stadt muss man nur ergänzen: Rund wird etwas erst, wenn aus einer schönen Idee auch schöne Realität wird.

In diesem Sinne grüßt Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

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Newsletter 10. September 2021

Newsletter vom 10.09.2021

Warten auf Armin Laschets Plagiat-Prüfung in eigener Sache – Stephan Braunfels erfindet die Hohe Straße neu und setzt ihr ein Dach auf

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

wo bleibt die Aufklärung in eigener Sache, die Armin Laschet vor mehr als fünf Wochen angekündigt hat? Ihm wurde vorgeworfen, als Autor von „Die Aufsteigerrepublik“ abgeschrieben zu haben, etwa im Online-Nachschlagewerk Wikipedia. Nun rückt der Wahltag näher – und ein Ergebnis liegt immer noch nicht vor. „Die Prüfung dauert an“, teilte ein Sprecher des Ministerpräsidenten jetzt auf Anfrage mit. Es sei besondere Sorgfalt angezeigt. Die Angelegenheit mag heikel sein. 2009, als das Buch erschien, rechnete niemand damit, dass sich sein Autor zwölf Jahre später anschickt, Bundeskanzler zu werden.

Es wäre interessant zu rekonstruieren, an welcher Stelle zwischen den Buchdeckeln Armin Laschet tatsächlich persönlich tätig geworden ist und wo man sich auf Beschäftigte aus dem Ministerium verlassen hat. Wie ich darauf komme? Für das Buch sei auch „auf Ausarbeitungen des Ministeriums Rückgriff genommen“ worden, hieß es sibyllinisch in einer Stellungnahme vom 30. Juli. Was immer das konkret bedeuten mag.

Wie mögen diese Ausarbeitungen ausgesehen haben? Enthielten vielleicht sie die Plagiate? Hier könnte die Untersuchung Klarheit schaffen. Dies ist jedoch nicht deren Ziel. Einzelne Kapitel exakt zuzuordnen, „erscheint zwölf Jahre nach Veröffentlichung nicht möglich“, teilt der Sprecher des Ministerpräsidenten mit. In der Laschet-Biografie „Der Machtmenschliche“ von Tobias Blasius und Moritz Küpper heißt es zu seinem Buch, dass Laschet es als „Privatmann unter freundlicher Mitarbeit von Ministerialbediensteten geschrieben“ und damit für „Gerede gesorgt“ habe.

Offenbar wegen dieses „Geredes“ enthält das Laschet-Buch eine zweiseitige Danksagung. Darunter finden sich hochkarätige Experten, die aufgrund ihres Sachverstands sicher nirgendwo abgeschrieben hätten. Indes waren sie politisch noch rot-grünen Vorgängerregierungen zuzuordnen. Viele fühlten sich dem neuen Minister Laschet verpflichtet, weil er sie im Amt beließ und nicht der Praxis folgte, sie gegen Parteifreunde auszutauschen. Für andere war die Materie „Integration“ neu. Ob das Internet für sie eine verführerische und trügerische Quelle war?

Im Alltagsverständnis gehen wir davon aus, dass der Name eines Autors tatsächlich für dessen Autorenschaft steht. So habe ich es in der Schule gelernt. Abschreiben gehörte sich nicht. Im politischen Betrieb war das bislang eher nicht die Regel. Da konnte es sein, dass ein Minister mit großer Geste Linien vorgab und sein Stab sie niederschreiben musste. Wer das nicht wollte, riskierte das Vertrauen des Chefs. Wie der Entwicklungshelfer, den ich vor mehr als 30 Jahren in Afrika traf. Er verlor seinen Posten als Ministeriumssprecher, weil er abgelehnt hatte, für seinen Chef ein Buch zu schreiben.

Warum schreiben Politiker überhaupt? Eitelkeit ist oft eine Triebfeder. Gedanken materialisieren sich in Büchern und nehmen damit im Regal bleibende Gestalt an. Häufig sollen Politiker-Bücher auch programmatische Beiträge sein. Die „Aufsteigerrepublik“ ist so ein Fall. Der Autor stand mit seinem Namen für Zuwanderungsthesen, deren Notwendigkeit umstritten war, besonders in seiner eigenen Partei. Man kann den Autorentitel also auch als unbequemes Bekenntnis werten. In Gesetzesvorlagen schlug sich Laschets Eifer jedoch nicht nieder, vermerkten Integrationspolitiker. Aber er zeigte zumindest offen Haltung.

Bald darauf wurde Hannelore Kraft (SPD) Ministerpräsidentin und die „Aufsteigerrepublik“ verschwand aus dem Blickfeld. Beim Bier raunte mancher, Ghostwriter für dieses oder jenes Kapitel gewesen zu sein. Schließlich geriet das Thema ganz in Vergessenheit. Dass es auf dem Seziertisch öffentlicher Wahrnehmung landet, hätte sich damals niemand träumen lassen. Doch eine gewisse Unbekümmertheit setzt diese Art von Autorenschaft schon voraus. Man macht sich abhängig von anderen. Angela Merkel, die nüchterne Preußin, hat nie den Glanz des eigenen Buches gesucht.

„Die Aufsteigerrepublik“ finden Sie, wenn Sie hier klicken. Die-Aufsteigerrepublik-Zuwanderung-als-Chance-.pdf (armin-laschet.de) Der Autor selbst habe den Text bereitstellen lassen, sagte mir sein Verlag Kiepenheuer & Witsch, damit sich jeder ein Urteil bilden könne.

Szenenwechsel. Wie geht es mit Köln weiter? Das Thema ist Gegenstand immer neuer Initiativen wie etwa des Verlegers Wienand (KÖLNGOLD), von Henrik Hanstein (Zukunft des Neumarkts) oder von Veranstaltungen. Jüngst sprachen wir im Kölner Presseclub unter dem Titel „Traum oder Trauma“ über die Innenstadt, welche sowohl die Traum- wie auch die Trauma-Seite bedient. Eines der Beispiele war die Hohe Straße, die sich zu einem wilden Durcheinander von Billigläden, Pommesbuden, Leerstand und Luxusanbietern entwickelt hat. Sie gehörte einmal zu den besten Einkaufsadressen Deutschlands.

Einkaufen würde er dort nicht, sagte der Stadtplaner und Architekt Stefan Braunfels auf unserem Podiumsgespräch im Hotel Excelsior Ernst. Sogleich hatte er aber eine kühne Idee parat: Die Hohe Straße wird zur Passage. Braunfels wirbt dafür, die Einkaufsmeile mit einem Glasdach zu versehen und ihr damit einen völlig neuen Charakter zu geben. So etwas funktioniere in europäischen Großstädten wie London oder Mailand sehr gut.

Die Galeries Royales Saint-Hubert in Brüssel entsprächen in ihrer Breite in etwa der der Hohe Straße. Natürlich würde sie keine „Königliche Galerie“, aber sie könne mit einer entsprechenden Überglasung und Verschönerung der einzelnen Hausfassaden doch einen Galerie-Charakter bekommen. Eine Referenz hat Köln bereits: die Stollwerck-Passage, die auf der Hohe Straße kurz nach dem Wallraf-Platz kommt.

Sollte es gelingen, die Via Culturalis ihrem Wert gemäß zu gestalten, dann wäre eine solche Passage eine kongeniale Ergänzung und ein erster Schritt in ein neues Köln.

Träumen wir davon, dass es Wirklichkeit wird.

Herzlich grüßt
Ihr
Peter Pauls

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Newsletter 3. September 2021

Newsletter vom 03.09.2021

KÖLNGOLD ist ein Therapeutikum für alle, die an dieser Stadt verzweifeln – Warum der Westen sich mit den Taliban arrangieren sollte

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

mitunter ärgere ich mich, wenn Außenstehende Köln auf das Knollendorf des Hänneschen-Theaters und dauerschunkelnde Jecken reduzieren. Narren hätten diese Stadt nach dem 2. Weltkrieg nicht aus Trümmern aufbauen können. Künftig habe ich noch bessere Argumente. KÖLNGOLD (www.koelngold.com) wird selbstbewusst als aufwendigstes Buch über diese Stadt vorgestellt, das es je gab, und seine Macher aus dem Verlag von Michael Wienand liegen richtig damit. Zwischen den zwei Einbänden sind in dichter Folge und opulenter Bebilderung Schätze aus Kunst, Kultur und Alltag der 2000-jährigen Geschichte von „Colonia Claudia Ara Agrippinensium“ versammelt sowie Essays zu Kernwerten der früheren römischen Siedlung.

Seit 35 Jahren geht dieses Herzensprojekt dem Kölner Verleger durch den Kopf. Wirklichkeit geworden ist es, weil er 2017 mit Matthias Hamann einen kongenialen Partner fand. Der Direktor des Kölner Museumdienstes gab diesem Jahrhundertprojekt Form und Gestalt, das der Bürgertradition entspringt, sich aus Liebe zu Köln zu engagieren. In dieser hochdosierten Form ist KÖLNGOLD ein Therapeutikum, das versucht, den Geist der Stadt über die Jahrtausende einzufangen. Kommentare zu zentralen Themen werden von Kölner Bürgern kommentiert und ich bin stolz, dass auch ich dabei sein und über die Zukunft schreiben durfte.

Einen Anstoß zur Erneuerung will Michael Wienand mit diesem ehrgeizigen Projekt geben. Verdienen wird er daran keinen Cent, doch er macht sich verdient um unsere Stadt. „Der Stolz auf die Vergangenheit birgt die Zuversicht zur Gestaltung der Zukunft“, sagt er, der sich hier über die Jahrzehnte immer wieder über Fehlentwicklungen und mangelnde Qualität ärgern musste. Köln, das wissen wir, leidet nicht an einem Mangel an Ideen, sondern an deren Umsetzung. Das wurde bei unserer Presseclub-Veranstaltung zur Kölner Innenstadt – Traum oder Trauma? – überdeutlich. In einem der nächsten Newsletter werden wir Projekte aus dieser abendlichen Ideenschmiede ausführlich vorstellen.

Als Kölner Zukunftsfeld identifiziert KÖLNGOLD die Via Culturalis. Auf einer Länge von 800 Metern bildet sie baulich die Erbmasse Kölns ab und ist einem DNA-Strang vergleichbar, der sich von der Hohen Domkirche im Norden bis zu St. Maria im Kapitol im Süden spannt. Das Vermächtnis der Geschichte Kölns ist hier sichtbar in Form von archäologischen Funden, altehrwürdiger Bausubstanz, Museen und Archiven, von sakralen Bauten und historisch gewachsenen Plätzen, von den Ruinen des römischen Statthalterpalastes über die Überreste eines der bedeutendsten jüdischen Stadtquartiere Europas bis zur frühromanischen Basilika, die über den Fundamenten des römischen Kapitoltempels entstand.

Nun erwartet Sie ein harter Schnitt: Wenige Tage vor dem Einmarsch der Taliban konnte Andrea Jeska Kabul gerade noch verlassen. Im Gepäck hatte die Journalistin eine Geschichte über Menschen, die im Elendsgürtel um die afghanische Hauptstadt herum auf Müllhalden leben. Hier sind Familien gestrandet, die vor dem Bürgerkrieg im Land geflohen sind oder bereits in Nachbarländer vertrieben wurden und nun diese Zufluchtsorte wieder verlassen mussten. „Ein solches Elend habe ich noch nicht gesehen“, sagt die Mutter dreier Töchter, die die Krisengebiete dieser Welt kennt und aufrüttelnde Reportagen darüber geschrieben hat. Sie berichtet von Jungen und Mädchen, die Säureverletzungen an den Fingern haben von ausgelaufenen Batterien und deren rote Haarfarbe Zeichen für schwere Unter- und Fehlernährung ist. Ein verzweifelter Vater erzählte der Journalistin, dass er drei seiner vier Kinder verloren habe. Sie seien krank geworden. Mehr weiß er nicht. Für seine Pfennige hatte er in der Apotheke nur Paracetamol, ein Schmerzmittel, bekommen.

Vor 20 Jahren war Andrea Jeska zum ersten Mal in Afghanistan. Etwa fünf Millionen Menschen seien damals von humanitärer Hilfe abhängig gewesen, berichtet sie. Heute ist es ein Mehrfaches von damals. Von 18 Millionen sprechen Hilfswerke. „Was habt ihr da gemacht“, fragt sie bitter. Aber wen? Die vier US-Präsidenten, die für diesen Krieg stehen? Er begann unter George Bush jr. als Feldzug gegen Al Kaida und unter Joe Biden fand er sein erbärmliches Ende. Der Friedensnobelpreisträger Barack Obama änderte die Taktik, Donald Trump leitete das Ende des Waffengangs ein. Doch einem jeden war die Bevölkerung Afghanistans vollkommen gleichgültig. Diese Hilfe darf nicht enden, mahnt Andrea Jeska. Um der Notleidenden willen müsse man sich mit den Taliban arrangieren.

„Der Winter steht vor der Tür, mit Schnee und eisigen Temperaturen“, bekräftigt Simone Pott. Die Sprecherin der Deutschen Welthungerhilfe begrüßt die Signale von Bundesregierung und EU, Gelder für Nothilfe in Höhe von Hunderten Millionen Euro bereitzustellen. Doch das ist bisher nur ein Signal, denn Helfen selbst bleibt schwer. Mittlerweile haben die landesweit fünf Büros des Bonner Hilfswerks zwar wieder geöffnet, ebenso wie die Banken. Doch immer noch sind keine Geldüberweisungen möglich, was rasche Nothilfe verhindert. Die Verunsicherung ist groß: Welche Rolle dürfen weibliche Kolleginnen noch spielen? Geöffnet ist bislang nur die Grenze ins benachbarte Pakistan. Das reicht nicht, um Nahrungsmittel und Material für den Wiederaufbau ins Land zu bringen.

Der Westen engagiert sich nicht uneigennützig. 2015 setzten sich Millionen Menschen in Marsch, weil in ihren Flüchtlingslagern entlang von Krisen- und Kriegsgebieten keine internationale Hilfe mehr ankam. Ein Politiker, der heute sagt, es dürfe „kein 2015 mehr geben“, wird hoffentlich wissen, worauf es ankommt.

Ich grüße Sie herzlich.

Ihr

Peter Pauls

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