Newsletter 13. Mai 2022

Newsletter vom 13.05.2022

Wo Schönheit an Verwahrlosung grenzt oder: Ist Köln hübsch hässlich? Was Pater Brown mit unserer Stadt zu tun hat

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

„Hübsch hässlich habt ihr’s hier“, sagte der Schauspieler Heinz Rühmann, als er 1960 den Pater Brown spielte. Ein klassisches Film-Zitat. Das würde auch auf Köln zutreffen, dachte ich, als ich einen der Punkte streifte, an denen Schönheit von Verwahrlosung kontrastiert wird. Die „römische Hafenstraße“ etwa. Die 33 Meter lange Strecke aus historischen Pflastersteinen liegt unweit des Kölner Doms und ist eine klassische Sehenswürdigkeit. Wer ihr nahe tritt, dem schlägt nach wenigen Metern der beißende Uringeruch entgegen, auf den man hier so häufig trifft. Was für ein harter Schnitt, um im Filmjargon zu bleiben.

Oder die Johannisstraße. Wer bis vor kurzem deren Endstück unter den Bahnhofgleisen durchquerte, wurde nur von der Nähe des Doms davon abgehalten, das eigene Schuhwerk verbrennen zu wollen – angesichts des Drecks, den Menschen, Tiere und Witterung dort hinterlassen hatten. Mittlerweile hat der Ort eine Grundreinigung erfahren. Aber als Kulisse für einen Gruselfilm taugt er noch immer. Es gibt noch mehr Gleichzeitigkeit an Hui und Pfui. Markiert wird sie von Fragen amtlicher Zuständigkeit und Lethargie. Aber ich will Ihnen nicht den Appetit verderben.

Zumal Köln sich verändert. Die Gerch-Gruppe reißt Bauten südlich des Doms ab, um Platz für das geplante „Laurenz Carré“ zu schaffen. Auch die Industriebrache, auf der Klöckner-Humboldt-Deutz bis Anfang der 90er Jahre Motoren in Mülheim baute, scheint wieder ins Bewusstsein gerückt. Mittlerweile muss die Stadt sich einem Wettlauf mit dem Verfall der historischen Bausubstanz stellen. Womöglich entsteht dort wirklich noch ein neuer Stadtteil. Das Potential ist vorhanden.

Augenfällig sind die Verkehrsmaßnahmen. Straßen werden zu Fußgängerzonen umgewidmet, Stellplätze fallen weg. Ein Thema von Belang nicht nur für die rund 280.000 Menschen, die täglich nach Köln pendeln, sondern auch für den Einzelhandel. Er ist von der Pandemie gezeichnet und schaut mit Sorge auf den nächsten Herbst. Gibt es Gewinner und Verlierer dieses Wandels? Wie kann Köln für Arbeitgeber und -nehmer gleichermaßen attraktiv sein? Die Anziehungskraft dieser Stadt ist ungebrochen, die City randvoll mit Menschen aus nah und fern. Sind Urteile wie „hübsch“ oder „hässlich“ nur eine Frage der Perspektive?

Darüber wollen wir im Kölner Presseclub am Donnerstag, 2. Juni, 19:30 Uhr, im Excelsior Hotel Ernst diskutieren mit Dr. Nicole Grünewald, IHK-Präsidentin, Dr. Jürgen Amann, Chef von KölnTourismus und Dr. Witich Roßmann, Chef des Kölner DGB. Anmeldungen erbitten wir unter „info@koelner-presseclub.de“. Bitte Bestätigung abwarten. Und: Es gilt die aktuelle Corona-Verordnung.

Um in Stimmung zu kommen, habe ich mit Roberto Campione gesprochen, der in der jüngsten OB-Wahl kandidierte. Was der studierte Stadtplaner sagt, ist stets interessant. Ob Kopenhagen und Amsterdam als Radfahrerstädte ein Beispiel für Köln sein könnten, wie es in mancher Wahlwerbung hieß?  „Aber sicher„, stimmt der 49-jährige zu. Wäre es so, böte der öffentliche Nahverkehr in Köln tatsächlich eine Alternative zum Auto. Dann würden Quartiersgaragen eingerichtet. Womöglich entstünde ein echtes Miteinander von Fußgängern, Rad- und Autofahrern.

Campione gerät ins Schwärmen, wenn er von Kopenhagen berichtet, wo Auto- und Radfahrer sich lächelnd und winkend verständigten. Dieses freundliche Miteinander vermisst er im hiesigen Verkehrsalltag. „Da herrscht Ellenbogenmentalität und keiner ist zufrieden.“ Neulich erst sei er von einem Kampfradler angebrüllt worden, als er in einer der neu eingerichteten „Flaniermeilen“ tat, was der Name verspricht: flanieren.

Seit kurzem ist Roberto Campione 1. Vorsitzender des Wirtschaftsclubs Köln. Er will sich einbringen, weil er an die Zukunft der Stadt glaubt. Sie müsse das weltstädtische Potential heben, das sie auszeichnet, sagt er. Der Rhein als d e r deutsche Fluss verbinde die zwei Hälften Kölns, der Dom als Weltkulturerbe habe internationale Geltung, Karneval bringe der Stadt nicht nur eine Milliarde Euro an Umsätzen. Vielmehr sei er als Kulturgut tief verwurzelt sowohl in Alltags- als auch in Hochkultur und damit ein Alleinstellungsmerkmal.

Straßen-Möblierung in Deutz mit welkem Gewächs –
Roberto Campione kritisiert, die Stadt agiere halbherzig.

Foto: Peter Pauls

Mit der Via Culturalis, die praktisch bereits vorhanden sei, der archäologischen Zone sowie der dem Dom benachbarten historischen Mitte verfüge Köln über weiteres weltstädtisches Potential, das nur gehoben und professionell präsentiert werden müsse. Das gelte auch für die Entwicklung neuer Hafenprojekte wie in Deutz. Warum nicht auch hier um Rat fragen, regt er an. Etwa in Hamburg, wo der Wandel des Hafens perfekt umgesetzt worden sei.

Schließlich entwirft er die Idee einer Laufbandverbindung zwischen Hauptbahnhof und dem Deutzer Nachbarn sowie einer Ost-West-U-Bahn, die den Rhein unterquert und erst auf Höhe des Melatenfriedhofs oberirdisch wird. Die Deutzer Brücke könne als weltstädtische Flaniermeile zur grünen Querung des Rheins werden. Zwei Rennradler, die forsch nebeneinander über die Deutzer Freiheit brettern, reißen ihn mit ihrer lauten Unterhaltung aus den Träumereien.

In Kürze wird auch diese Straße Fußgängerzone. Offiziell heißt es, das sei mit dem Handel positiv abgestimmt. Wie auch am Eigelstein stellt sich das anders dar, wenn man mit Geschäftsinhabern spricht. „Nie sei er gefragt worden“, sagt etwa Ralf Luhr, der in dritter Generation ein Lotto-Toto-Tabakwarengeschäft betreibt, stellvertretend für andere. Corona habe er mit einem blauen Auge überstanden. Nun sorgen ihn erneute Umsatzeinbußen.

Auch das ist ein Thema für Köln. Setzt sich eine eloquente Schicht politisch durch?  Menschen, die sich artikulieren und organisieren können und der Politik Vorlagen liefern? „Da lässt sich keiner den Mund verbieten“, sagt Campione nüchtern und setzt spitz hinzu: „Das geschieht höchstens mit Andersdenkenden.“

Vor uns liegt ein spannendes Wochenende. NRW wählt. Das größte Bundesland ist ein Inkubator, ein politischer Brutkasten. Hier werden Richtungen vorgegeben.

Neugierige Grüße sendet

Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 6. Mai 2022

Newsletter vom 06.05.2022

Häuser mit Stroh bauen – eine märchenhafte Idee, die in Afrika begann, in Köln Unterstützer fand und in Deutschland Zukunft hat

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

vor mehr als vier Jahren hörte ich zum ersten Mal von einem deutschen Unternehmer, der in Ostafrika Wohn- und Geschäftshäuser aus gepresstem Stroh baut. Was für eine faszinierende Idee, landwirtschaftlichen Abfall so zu nutzen! Es hat etwas Märchenhaftes, erinnert an Rumpelstilzchen, das aus Stroh Gold spinnt. Schließlich lernte ich Eckardt Dauck in seiner Fabrik in Lolim im Norden von Uganda kennen und sah, wie dort unter Druck und Wärme Stroh zwischen Lagen aus festem Papier gepresst wurde. Das in den Halmen enthaltene Lignin, das Pflanzen Festigkeit gibt, wirkt dann wie Kleber. Auf diese Weise werden industriell 80 Zentimeter breite, sechs Zentimeter dicke und erstaunlich feste Paneele gefertigt. In doppelter Lage bilden sie eine stabile, selbsttragende Außenwand.

In der Hauptstadt Kampala sah ich mir ein Trainingszentrum für Rettungssanitäter an, das aus solchen Paneelen besteht. Es wurde mit Geld aus der Alfred-Neven-DuMont-Stiftung gebaut. Meine Begeisterung hatte sich auf Hedwig Neven DuMont und ihre Tochter Isabella übertragen, die heute die Stiftung leiten. Überzeugt hatte die Stifterinnen, dass dieses Verfahren in Afrika und Asien neue Maßstäbe für ressourcenschonendes Bauen setzt. Doch dann kam Corona. Der ugandische Präsident legte sein Land still und damit auch die Fabrik. Heute arbeitet sie wieder.

Warum ich Ihnen das erzähle? Weil durch Corona, die Folgen des Klimawandels und den Überfall auf die Ukraine die Stroh-Paneele über Nacht in Europa ein Baustoff erster Wahl geworden sind. Gips etwa, unerlässlich für Innenausbau, entsteht unter anderem als Nebenprodukt in Entschwefelungsanlagen von Kohlekraftwerken, deren Abschaltung die Politik immer weiter vorzieht. Baustoffe wie Zement, Sand, Kies und Holz sind ebenfalls im Preis gestiegen und in der Verfügbarkeit begrenzt, zumal es auch hier zu Hamsterkäufen durch Unternehmen kommt.

Hält Hitze und Kälte ab: Aus zu Paneelen verarbeitetem Reisstroh baut Eckardt Dauck Decken und Wände für Häuser

Quelle: Peter Pauls

Demgegenüber bilden die rund 30 Millionen Tonnen Stroh, die nach Angaben des Umweltbundesamtes jährlich in Deutschland anfallen, ein unerschlossenes Potential. Ein Drittel davon ist für den Bau von Paneelen verwendbar und würde die unvorstellbare Menge von 400 Millionen Quadratmetern dieser Elemente ergeben. Es ist kein Wunder, dass Eckardt Dauck 2023 auch in Deutschland produzieren will.

Interessant ist, dass in unserer von Schlagworten wie Disruption und Digitalisierung geprägten Welt dieses bodenständige Verfahren eine Wiedergeburt erlebt. Es gibt uns Zuversicht und kommt aus einer Vergangenheit, in der Achtsamkeit kein Gebot in einer Welt des Überflusses war, sondern wirtschaftliche Notwendigkeit. Mit solchen Paneelen wurde in Europa seit den 30er Jahren gebaut. Allein in England ist der Baustoff bei etwa 250.000 Häusern in Dachkonstruktionen oder im Trockenbau verwendet worden. Das Verfahren sei auch nach englischem Standard zertifiziert worden, erklärt Dauck. Das habe ihm in Uganda bei der offiziellen Anerkennung seines Verfahrens geholfen. Gern führt der Unternehmer auch die 1958 in Essen errichtete „Grugahalle“ an, die mittlerweile unter Denkmalsschutz steht. Im Dach seien 7500 Quadratmeter Stroh-Paneele verbaut.

Es gibt übrigens eine starke Kölner Komponente in dieser Geschichte, die etwas Freundliches hat, denn der Wandel kommt buchstäblich natürlich und organisch daher. Das Hilfswerk Malteser International, dessen Zentrale in Deutz liegt, hat als Pionier früh schon auf die Reisstroh-Methode gesetzt. Die international tätige Organisation gab mehrere Stroh-Gebäude bei Daucks Firma in Auftrag, was dieser Vorzeigeprojekte verschaffte und den Maltesern Gebäude, die frei von CO2 hergestellt sind.

Der 62-jährige Dauck will die Welt ein klein wenig zum Guten verändern. Er ist ein „Social Impact-Investor„, wie es in der Fachsprache heißt. Eine große Rolle haben seine Kinder gespielt, sagt er. Worin denn seine Lebensleistung bestünde, was er durch seine Arbeit in der Welt verändert habe, hätten sie ihn gefragt und dadurch nachdenklich gemacht. Der materielle Gewinn stehe für ihn nicht im Vordergrund, sagt Dauck. „Sonst wäre ich nicht hier.“ Nachdem ich einige Tage mit ihm verbrachte, glaubte ich ihm das aufs Wort.

Was für uns in Europa einfach klingt, ist in Afrika schwer umzusetzen. Widerpart für Eckardt Dauck sind die Umstände und das Gewohnte, die trügerische Verfügbarkeit von illegal geschlagenem Brennholz, mit dem aus illegal abgegrabenem Lehm illegal Ziegel gebrannt werden. Unmittelbar bezahlt niemand dafür, doch zunehmend wird das Land dadurch verwüstet. Es ist eine Rechnung, die erst in der Zukunft beglichen werden wird.

Wären die Umstände andere, würden die Menschen sich um Häuser aus Stroh-Paneelen reißen, statt die eigene Umwelt zu zerstören, was sie kurzfristig billiger und ihre Kinder langfristig teuer zu stehen kommt. Hier treffen Nord und Süd aufeinander. Weltweit besteht die Tendenz, Kinder und Kindeskinder die Klimasuppe auslöffeln zu lassen, die ihnen die Eltern eingebrockt haben. Die Kunst sei, sich nicht entmutigen zu lassen, sagt Eckardt Dauck nach zehn Jahren Afrika, die ihm engelsgleiche Geduld abverlangten. Das von mir eingangs erwähnte Rumpelstilzchen, das am eigenen Wutanfall zugrunde ging, hätte hier keine Chance.

Auch dieser Gedanke birgt einen Verweis auf die aktuelle Lage. Mir sind beherrschte PolitikerInnen lieber als solche, die aus dem Affekt heraus handeln. Wie immer sie heißen und welcher Partei sie angehören mögen.

Ich wünsche Ihnen ein zuversichtliches Wochenende!

Herzliche Grüße

Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 29. April 2022

Newsletter vom 29.04.2022

Zeitenwende: Der Abschied von Überzeugungen – Forsa sieht Mehrheit gegen Boykott der Gaslieferungen

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

es ist Zeit, endlich mit einem Vorurteil aufzuräumen: Nein, in Deutschland geht nicht alles langsam. Sondern manchmal so schnell, dass man kaum hinterherkommt. Wollte das größte EU-Land vor einigen Wochen noch die Militärhilfe für die Ukraine auf die Überlassung von 5000 Helmen beschränken (SPD-Verteidigungsministerin Lambrecht: „Ein deutliches Signal“), will es nur kurze Zeit später schwere Waffen schicken. In dieser Frist bekommt man sonst kaum einen Termin bei der Kölner Stadtverwaltung.

Auch die Grünen, grundsätzlich überzeugte Anhänger von Tempolimits, gingen plötzlich auf die politische Überholspur: Möglichst sofort solle Deutschland die Ukraine massiv mit Panzern und anderem Kriegsmaterial unterstützen. Am vehementesten forderte das ausgerechnet Anton Hofreiter vom linken Flügel, der vom Erscheinungsbild noch am ehesten der antimilitaristischen Gründergeneration entspricht. Doch jetzt scheint auch für die Partei der Zeitpunkt gekommen, den pazifistischen Tarnanzug einzumotten und aus Flugscharen wieder Schwerter zu machen.

Die Freien Demokraten ziehen derweil die Spendierhosen an. Haushaltsdisziplin und Schwarze Null? Das war doch ein Versprechen von gestern. Heute gilt es, mit Haushaltstricks und Rekord-Neuverschuldung die Stimmung im Wahlvolk aufzuheitern. Ist der Spritpreis zu hoch? Dann muss ein Tankrabatt her. Ökonomischer Unsinn, sagen Experten wie der IFO-Chef Prof. Clemens Fuest. Aber was soll’s, bei den besserverdienenden Autofahrern kommt es hat gut an. Und künftige Generationen, die die Rechnung begleichen müssen, können eben heute noch nicht wählen.

Natürlich lässt sich der Abschied von Überzeugungen in Einzelfällen begründen angesichts des unerträglichen Leids im europäischen Nachbarland. Aber wenn es mehr sein soll als ein emotionaler Reflex auf die Bilder geschundener Menschen und zerbombter Städte, braucht es ein Ziel für das Handeln, eine Strategie. Was passiert, wenn immer mehr Kriegsmaterial in das Konfliktgebiet geschickt wird? Wem hilft es wirklich? Welchen Einfluss hat das auf eine Eskalation des Konflikts? Darüber würde man gerne etwas erfahren

Mit Raketen gegen Einkaufszentren – Russlands schmutziger Krieg in der Ukraine.
Was geschieht, wenn immer mehr Kriegsmaterial in die Konfliktzonen geschickt wird?

Quelle: KMimages

Die Ukraine soll siegen, sagen die USA. Militärisch? Wie sähe das aus? Am unwahrscheinlichsten scheint, dass der Herr im Kreml klein beigibt, wenn er noch Waffen in der Hand hat, die den Krieg eskalieren können. Wird er tatenlos zusehen, wenn Europäer und Amerikaner die Ukraine aufrüsten? Oder steigt nicht das Risiko eines Einsatzes von Atomwaffen und einer Ausweitung des Krieges auf andere Länder bis hin zu einem Dritten Weltkriegs?

Das ist keine Kritik, es sind Fragen. Und offensichtlich teilen sie sehr viele Bundesbürger. In einer repräsentativen Befragung hat das Meinungsforschungsinstitut Forsa festgestellt, dass die bisherige zurückhaltende und besonnene Haltung von Bundeskanzler Olaf Scholz eine deutliche Mehrheit in der Bevölkerung findet. Allerdings vermutet Forsa-Chef Manfred Güllner, dass die jetzt verkündete „abrupte Kursänderung von Olaf Scholz neuen Unmut auslösen dürfte“. Größte Sorgen bereiten den Bürgerinnen und Bürgern ein möglicher Dritter Weltkrieg (65 Prozent), die finanzielle Belastung durch weiter steigende Preise (65) und dass die Energieversorgung durch den Ukraine-Krieg gefährdet wird (47).

Geändert hat sich die Einstellung zu ein einem Stopp der russischen Gaslieferungen. Gab es am Anfang der Invasion eine Mehrheit für einen Boykott des Erdgases aus Russland, sprechen sich inzwischen 56 Prozent der Befragten dagegen aus. Lediglich bei den Anhängern der Grünen hat die Boykott-Idee noch eine Mehrheit. Und auch hier müsste die Frage beantwortet werden, wem ein solcher Boykott wie schadet. An einem stark geschwächten Deutschland könnte in diesen ohnehin so krisenhaften Zeiten kaum jemand ein Interesse haben – außer wahrscheinlich Wladimir Putin.

In diesem Sinne grüßt Sie nachdenklich, doch herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

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Newsletter 22. April 2022

Newsletter vom 22.04.2022

Wenn ganz Deutschland ein Mensch wäre: Wie würde er durch die aktuellen Krisen kommen? Ein Gespräch mit einem Psychologen.

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

manchmal stelle ich mir Deutschland wie eine große Person vor, die sich aus vielen kleinen Einzelpersönchen zusammensetzt. Alle zusammen bilden einen gewaltigen Organismus. Was wäre, wenn dieser Riese zu einem Psychologen ginge? Warum kommen Sie zu mir? würde der Experte wohl eingangs fragen. Corona ist ein Dauerthema für mich, würde der Riese antworten. Und nun tritt auch noch der Krieg in der Ukraine hinzu, würde er seufzen und ergänzen: Und in jüngster Zeit, wo ich schon so sorgenvoll bin, mache ich mir auch noch Gedanken um die Folgen des Klimawandels.

Genau über diese Fragen habe ich mit Jens Lönneker vom „rheingoldsalon“ in Köln gesprochen. Er und sein Team sind Experten darin, in tiefenpsychologischen Gesprächen die Stimmungen einer Gesellschaft auszuloten. Im Großen und Ganzen würde Jens Lönneker dem Riesen bescheinigen, dass er einigermaßen die Fassung bewahrt hat. Er ist ruhig geblieben und versucht, nicht ängstlich zu sein. Obwohl es in ihm rumort.

Das zu wissen ist wichtig! Diese Erkenntnis steht in Kontrast zum mitunter lautstarken Protest von Impfskeptikern und Putin-Verstehern, die aus den gleichen trüben Informationsquellen schöpfen und uns andauernd begegnen – in den sogenannten sozialen Medien oder, in Auswüchsen, medialen Schlagzeilen – wenn etwa Extremisten die Entführung des Gesundheitsministers geplant haben sollen. Es sind Minderheiten, sagt der Psychologe. Ebenso wie diejenigen, die Rucksäcke für eine schnelle Flucht gepackt, Vorräte im Keller angehäuft haben oder Reisen in den Süden bis hin nach Neuseeland angetreten haben, um eventuellen Atomschlägen auszuweichen.

Warum wir dann in Supermärkten immer wieder vor leeren Regalen stehen? Weil das Horten von Lebensmitteln ein Versuch ist, die Ohnmacht zu behandeln, in die uns der Überfall Russlands auf die Ukraine versetzt. Zumindest das kleine Feld einer herbei phantasierten Versorgungsnot kann durch den Kauf von Mehl, Sonnenblumenöl und Butter beackert werden. Man macht sich vor, Einfluss nehmen zu können. Gedankenvollere Menschen kümmern sich um Flüchtlinge und bereiten sogenannte „Tafeln“ vor, an denen schlecht gestellte Menschen Lebensmittelhilfen erhalten. All das sind Versuche, die Bewältigung der Krisen in Handlungsschritte im Alltag umzusetzen.

Warum sind in Supermärkten mitunter die Regale leer?
Weil Hamstern beruhigt.Es lindert Ohnmachtsgefühle.

Bild: Peter Pauls

„Der größte Teil der Gesellschaft macht aber Alltag“, sagt Jens Lönneker. Man versuche, über die Weltlage hinwegzusehen. Sobald der Satz „Ich habe keine Angst“ in Befragungen fällt, ist das verräterisch. „Psychologisch ist das ein Indikator“, sagt der Psychologe. „Denn nach Angst fragen wir gar nicht.“ Im Klartext: Da ist wohl schon Angst. Überhaupt – es ist schwer geworden, Kurs zu halten. Krisenthemen tauchen unvermutet an Stellen auf, an denen man nicht mit ihnen rechnet. Plötzlich hört man von Problemen beim Bau von Paletten für den Lebensmittel-Einzelhandel. Es fehlen Nägel, die aus russischem Stahl gefertigt werden, der unter den Handelsboykott fällt.

Die Welt mit ihren Pandemien, Klimaphänomenen und Kriegen erscheint nicht mehr so beherrschbar, wie es der moderne Mensch gewohnt war. Im Gegenteil. Sie ist wieder bedrohlich geworden. Wie zu den Zeiten, als es auch in Europa noch regelmäßig Hunger gab und keine Impfungen gegen Massenerkrankungen wie Masern oder Pocken existierten. „Wir versuchen, unser Leben beizubehalten“, erklärt der Psychologe. „Und doch merken wir, wie etwas, was einst als sicherer Grund erschien, wacklig geworden ist.

Ganz offensichtlich wird das in Fragen des Militärischen. Ich entsinne mich noch, wie 1992 der Bundeswehr-Einsatz in den Hungergebieten des ostafrikanischen Somalia zu wütenden Debatten führte. Keinesfalls dürfe das ein Kampfeinsatz sein, hieß es. Angesichts der bewaffneten Banden, die die Versorgung der Bevölkerung unmöglich machten, war das ein fast absurder Wunsch. Schließlich stellten die verunsicherten deutschen Soldaten Trinkwasser her, das niemand so recht brauchte. Heute nun zehrt dieser antimilitärische Reflex an Deutschlands internationaler Reputation.

Das bringt mich auf Manfred Güllner, dessen Forsa-Institut regelmäßig die Bundesbürger befragt. Seine jüngste Umfrage sieht die Grünen mit 20 Prozent Zustimmung eindeutig vorn, während SPD und CDU mit marginalen Verschlechterungen oder Verbesserungen auf der Stelle treten. Das wundert mich nicht. Die Grünen stehen momentan da wie ein gut geführter politischer Supermarkt, der für jeden etwas bereithält. Annalena Baerbock (Außenamt) und Robert Habeck (Wirtschaftsministerium) agieren kundig, telegen und für jedermann. Für Aufmerksamkeit sorgt der Leiter der neuen Abteilung „Militärwesen“, Anton Hofreiter. Der Parteilinke bringt Forderungen hervor, wie man sie der Friedenspartei nie zugetraut hätte und will schwere Waffen wie Panzer und Geschütze an die Ukraine liefern.

Das mag dem politischen Supermarkt neue Käufer bringen. Aber wie die Stammkundschaft dazu steht, kann man nur erahnen.

Immerhin – es ist Krise und das Land ist gefasst. Seien wir stolz darauf.

Herzlich grüßt

Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 14. April 2022

Newsletter vom 14.04.2022

Vom steilen Aufstieg in den freien Fall:
Ursula Heinen-Esser und Anne Spiegel scheitern an sich selbst

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

mit zu den schärfsten Waffen der Diplomatie gehört es, ein ausländisches Staatsoberhaupt zur unerwünschten Person zu erklären. Der ukrainische Präsident Selenskij hat die ganze Zerstörungskraft dieses Instruments jetzt genutzt – ausgerechnet gegenüber Bundespräsident Steinmeier. Sicher, Gerhard Schröders ehemaliger Kanzleramts-Chef und spätere Außenminister Steinmeier steht für eine aus heutiger Sicht deutlich zu verständnisvolle Haltung gegenüber Putins Russland, er hat sich selbst als Bundespräsident noch für die Fertigstellung der Pipeline Nord Stream 2 eingesetzt. Dennoch: Deutschland gehört zu den wichtigsten Unterstützern der Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasoren und die Ausladung Steinmeiers spaltet die Einheit der Europäer.

Apropos Zerstörungskraft: Vermutlich ist die wirkungsvollste Zerstörung die Selbstzerstörung. Das zeigt das Beispiel der Kölner Unionspolitikerin Ursula Heinen-Esser, die in ihrem ganz offensichtlich erzwungenen Rücktritt vom Amt der Umweltministerin und dem Verzicht auf ein Landtagsmandat ihre langjährige – durchaus nicht erfolglose – Karriere geschreddert hat. Mit ihrem geradezu erschreckenden Mangel an Gespür und Einfühlungsvermögen, ihrer trotzigen Uneinsichtigkeit, fadenscheinigen Begründungen, die nur unter großem Druck zugegebene Wahrheit – Heinen-Esser bedient komplett das Zerrbild von einem Politiker-Typus, der im Amt nur einen persönlichen Vorteil, aber keinerlei Verpflichtung sieht. Freunde wie Feinde der bislang so trittsicheren Politikerin rätseln, warum Heinen-Esser so der Kompass abhandenkommen konnte. Aber vielleicht fragt sie sich das inzwischen selbst. Die Zeit dazu hat sie jetzt.

Für Ministerpräsident Hendrik Wüst und die CDU ist der von Heinen-Esser angerichtete Scherbenhaufen kurz vor der wichtigen Landtagswahl im größten Bundesland ein gewaltiger Schaden. Denn das mit Abstand wichtigste Ereignis der vergangenen Jahre, die Flutkatastrophe im Juli 2021 mit ihren vielen Toten, zerstörten Häusern und menschlichen Dramen, gehörte zu den Bewährungsproben der Politik, in der sie das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler rechtfertigen muss.

Ein Verhalten der zuständigen Umweltministerin, die auf dem Höhepunkt der schrecklichen Ereignisse, mit anderen Kabinettsmitgliedern auf Mallorca eine Sause feiert, ist nicht zu vermitteln, denn gleichzeitig wurden Leichen geborgen, standen Freiwillige und Hilfskräfte im schlammigen Wasser, um zu retten, was noch zu retten ist. Muss sich Hendrik Wüst angesichts solcher Pflichtvergessenheit nicht fragen, ob er nicht auch die anderen beteiligten Kabinettsmitglieder vor die Tür setzt, weil er sonst nicht als Ministerpräsident, sondern als leerer Anzug wahrgenommen wird?

Bundesweit überdeckt wird der Absturz Heinen-Essers von dem Rücktritt der Bundesfamilienministerin Anne Spiegel von den Grünen. Auch die mit übergroßem Amtshunger ausgestattete Politikerin befeuerte mit instinktlosem Verhalten, das mit Halb- und Unwahrheiten durchsetzten Erklärversuchen und einem in Deutschland bislang unvorstellbar desaströsen Medienauftritt sämtliche Vorurteile gegen die politische Klasse: Unfähig, uneinsichtig, amtsgeil. Für den Psychologen und Meinungsforscher Jens Lönneker hat die grüne Spitzenfrau das Maß beim Griff nach attraktiven Ämtern verloren. Sie habe sich zu viel aufgehalst und damit übernommen, statt etwas abzugeben.

Anne Spiegel – Erzwungener Rücktritt vom Amt.

Quelle: Tagesschau

Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass die heillos überforderte Anne Spiegel in keinerlei Hinsicht den Anforderungen eines politischen Spitzenpostens gewachsen ist, dann war es ihr, man muss es so nennen, jammernder Auftritt in der Tagesschau. Für Jens Lönneker habe sie mit ihrem öffentlichen Statement signalisieren wollen, sie sei angesichts der vielfältigen Aufgaben das Opfer, das sich für die Allgemeinheit aufgerieben habe: „Mitleid kann man da allerdings nur sehr bedingt entwickeln.“ Möchte man, fragt man sich in solchen Augenblicken, sein Schicksal gerade in krisenhaften Zeiten in so zitternde Hände legen? Klar ist nur: Mit diesem missratenen Versuch einer Selbstrettung ging die Karriere Anne Spiegels in den freien Fall über. Es zeigt sich einmal mehr, dass die Anforderungen an politisches Spitzenpersonal gewaltig sind: Intellektuell, mental, charakterlich. Wer nicht aus diesem harten Holz geschnitzt ist, wird früher oder später scheitern. Wie jetzt Ursula Heinen-Esser und Anne Spiegel.

Ob sich das alles auf das Wahlverhalten auswirken wird? Bislang offensichtlich noch nicht, meint Forsa-Chef Prof. Manfred Güllner. Im Bund hielte die SPD den Vorsprung vor CDU und CSU – trotz der nach wie vor schwachen Werte für Kanzler Olaf Scholz. Die Wahl von Friedrich Merz trage für die Union – zumindest bislang – keine Früchte. Bei einer Direktwahl läge Scholz mit 42 Prozent vor Merz, für den sich lediglich 18 Prozent der Stimmberechtigten entscheiden würden. Für eine Rolle als Hoffnungsträger definitiv zu wenig.

In diesem Sinne grüßt Sie nachdenklich, doch herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hir

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Newsletter 8. April 2022

Newsletter vom 08.04.2022

Der schmutzige Krieg in der Ukraine wird grenzenlos – Weltweit drohen Hungerkatastrophen 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

niemand kann genau sagen, wie viele Flüchtlinge aus der Ukraine sich in Deutschland aufhalten. Offiziell hat die Bundespolizei 307.000 Menschen registriert. Wegen fehlender Grenzkontrollen dürfte die tatsächliche Zahl aber deutlich höher liegen. Vielleicht bei einer halben Million? Mindestens 4.1 Millionen Menschen haben das überfallene Land verlassen. In der Ukraine selbst sind mehr als sieben Millionen Menschen auf der Flucht. Sie müssten versorgt werden, damit nicht Hungersnöte oder Seuchen ausbrechen.

Bereits diese Zahlen sind gewaltig. Sie muten unwirklich an, als ginge es nicht um ein Land, das nur zweieinhalb Flugstunden entfernt liegt, sondern um ein entferntes Krisengebiet wie den Süd-Sudan. Womöglich müssen wir als Folge dieses Krieges jedoch noch mit Fluchtbewegungen in unerhörter Dimension rechnen.

Die Ukraine und Russland gehören zu den fünf größten Weizenproduzenten. Doch auf den fruchtbaren Äckern wird Krieg geführt und Russland ist mit Handelssanktionen belegt. Mit einer Ernte rechnen nur noch Optimisten. Die internationalen Märkte schon gar nicht. Der zu erwartende Mangel ist eingepreist. Wir spüren es bei jedem Einkauf. Außerhalb West-Europas rechnen Experten fest mit Hungerkatastrophen.

Werner Baumann, Chef des Chemiekonzerns Bayer, hat einen dramatischen Aufruf verfasst. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung forderte er sofortiges Handeln und verwies auf Zahlen des Welternährungsprogramms. Danach leiden derzeit 276 Millionen Menschen an Hunger. 44 Millionen von ihnen in 38 Ländern stehen an der Schwelle zum Hungertod. „Die Auswirkungen des Krieges könnten diese Zahlen verdoppeln„, schrieb Baumann und formulierte den zentralen Satz: „Der Markt wird das nicht lösen können.“ Mit anderen Worten: Die Politik muss übernehmen.

Mehr als ein Drittel der rund 100 Millionen Ägypter lebt unterhalb der Armutsgrenze und damit von hoch subventioniertem Fladenbrot. Vier Fünftel des dafür notwendigen Getreides kommt aus den Gebieten der Kriegsparteien. Was geschieht, wenn diese Lieferungen ausfallen? 2011 kam es zum „Arabischen Frühling“, der in seinem Kern ein Brotaufstand war, wie Experten das nennen.   Ist unsere, ist die Weltpolitik gerüstet für eine solche Situation? Hat sie womöglich Vorkehrungen getroffen? Ich glaube, nachdem ich einige Telefongespräche mit PolitikerInnen in der Hauptstadt geführt habe, nicht mehr daran. Was wird, wenn es erst gar kein Brot gibt – egal wie teuer? Kalkuliert Wladimir Putin womöglich mit Fluchtbewegungen von Millionen und Abermillionen hungriger Menschen, die die Völkerwanderungen früherer Zeiten wie Sonntagsspaziergänge aussehen lassen?

Was geschieht, wenn wir konsequent auf russisches Erdgas verzichten? Ein Freund berät Industrieunternehmen in energetischen Fragen und prophezeit, dass dann weite Teile der deutschen Wirtschaft brach liegen werden. Sie stehen still. Anders als in jedem bisherigen Lockdown wird dann nicht mehr produziert. Das bedeutet: Keine Arbeit für hunderttausende von Menschen. Nun wird verständlich, warum Wirtschaftsminister Robert Habeck trotz Grünen-Parteibuch partout keinen Lieferstopp aus Russland will.

Die Corona-Jahre haben gelehrt, wie abhängig Staaten von industriellen Lieferketten sind. Der Ukraine-Krieg erweist, dass der Nahrungsmittelsektor keine Ausnahme ist. Das ostafrikanische Kenia etwa bezieht 40 Prozent seines Weizenbedarfs von den Kriegsparteien. Die eigenen fruchtbaren Böden werden genutzt, um den Kaffee oder Tee anzubauen, den wir täglich trinken. Zusätzlich zu Lieferengpässen bedroht noch eine Jahrhundertdürre die Menschen am Horn von Afrika. Bis zu 20 Millionen Menschen sind von ihr betroffen. Wenn das keine Fluchtgründe sind?

Über diese Fragen und viele andere aktuelle Fragen möchte ich am Donnerstag, 28. April, 19.30 Uhr, im Excelsior Hotel Ernst mit unserem Experten auf dem Podium sprechen. Hier finden Sie alle Informationen zum Gesprächsabend.

Als wir den Titel „Schmutziger Krieg ohne Grenzen“ wählten, wussten wir noch nicht von den tief verstörenden Bildern aus dem ukrainischen Butscha, die die Welt entsetzen.  Udo Lielischkies hat viele Jahre das ARD-Studio in Moskau geleitet und ist einer der erfahrensten Auslandskorrespondenten unseres öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Er wird uns erklären können, warum dieses Entsetzen geteilt ist. Denn auch die Moskauer Version, wonach die Ukraine diese Horrorbilder selbst inszeniert hat, findet Anhänger.

Dr. Sonja Beer vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln hat soeben noch einen Bericht über die Handelsbeziehungen zwischen Russland und Deutschland verfasst. Was kommt da noch auf uns zu? Sie weiß um die Verflechtungen und Abhängigkeiten. Und Douglas Graf Saurma, Geschäftsführender Vorstand von Malteser International, kennt Krisen, schon von Berufs wegen und aus eigenem Erleben. Ihm ist der traurige Mechanismus geläufig, dass mitunter ein Wink engstirniger  Machtpolitiker genügt, um Millionen von Menschen einem Leben in Entwurzelung und Elend auszusetzen.

Vor einer Woche thematisierten wir, dass die Kölner Stadtverwaltung in ihrer unergründlichen Weisheit den Dom aus dem Logo der Stadtverwaltung hat entfernen lassen. Uns erreichten Mails, dieser Scherz sei nun wirklich dämlich, denn wir sendeten am 1. April. Wer immer so denkt, muss jetzt tapfer sein: Nein, das war kein Aprilscherz!

Ich wünsche Ihnen friedvolles Wochenende

Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 1. April 2022

Newsletter vom 1.04.2022

Henriette Reker, die Verwaltung und eine verpatzter Markenauftritt
Die Kunst, aus einer Chance eine Krise zu machen

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

es ist so eine Sache mit dem Alleinstellungsmerkmal: Es ist nicht in jedem Fall das höchste Glück, unverwechselbar zu sein. Womit wir bei der Kölner Stadtverwaltung wären. Der wurde in einem Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger gerade von zwei Investoren bestätigt, bundesweit der Standort mit den langwierigsten und unkalkulierbarsten Genehmigungsverfahren zu sein. Diese fundamentale Kritik (u.a. vom Kölner Unternehmer und Kommunalpolitiker Anton Bausinger), davon muss man ausgehen, wird (mit Ausnahme der Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der betroffenen Verwaltung) kaum auf Widerspruch stoßen.

Das soll allerdings nicht heißen, dass die Stadtverwaltung untätig ist. Im Gegenteil: Mit einem neuen Signet will sie sich einen zeitgemäßeren Anstrich geben – zumindest nach außen also modern und leistungsfähig erscheinen. Köln wäre nicht Köln, würde nicht aus einer beabsichtigten Lösung ein neues Problem. Denn das überarbeitete Signet verzichtet auf die stilisierten Domtürme – mithin auf das zentrale Alleinstellungsmerkmal der Stadt.

Wer immer Henriette Reker beraten haben mag, er kann es nicht gut mit ihr gemeint haben. Denn sofort erhob sich ein Protest gegen diese wenig instinktsichere Idee, angeführt vom Alt-Oberbürgermeister Fritz Schramma über den Präsidenten des einflussreichen Dombau-Vereins Michael Kreuzberg bis hin zu Kölsch-Rocker Peter Brings. Der nachgereichte Hinweis, es handele sich nur um das Signet der Stadtverwaltung, ein Standort-Logo für die „Stadt Köln in ihrer Gesamtheit“ werde auf das markante Profil der Domtürme nicht verzichten, vermochte nicht zu beruhigen.

Dass es sich nicht nur um eine sentimentale Gemütsaufwallung von Lokalpatrioten handelt, macht Michael Kreuzberg deutlich: „Von der Verwaltungspost bis zum Markenauftritt nach draußen braucht es eine Einheitlichkeit. Dieses Prinzip wird hier verletzt. Das verstößt gegen jedes Gebot einer angestrebten Corporate Identity“, formuliert er sein Unverständnis. In diesem Urteil wird er von Walter Brecht, einem international erfahrenen Markenspezialisten, bestätigt: „Das wirkt wie ein hastig nachgeschobenes Argument“ – mithin wenig glaubwürdig.

Dombauvereins-Präsident Michael Kreuzberg
Quelle: ZDV

Als langjähriger Chef von Verwaltungen – erst als Bürgermeister von Brühl, dann als Landrat des Rhein-Erftkreises – kennt Kreuzberg aus eigener Erfahrung solche Prozesse gut. Auch einen anderen heiklen Punkt sieht er, wenn die Stadt-Bürokratie mit einem eigenen Signet operiert: „Damit entsteht die Gefahr, dass die Verwaltung sich separiert, noch mehr meint, sie sei eine eigene Welt.“ Auch dürfte nicht der Eindruck bei den Bürgerinnen und Bürgern entstehen, „ihre Stadtverwaltung ist etwas anderes als ihre Stadt.“ Es zeuge im Übrigen, merkt er ironisch an, schon von einem enormen Selbstbewusstsein der Stadt, in einem Logo den Hinweis auf die weltweit berühmte Kathedrale zu verzichten. Andere Städte wie Berlin mit dem Brandenburger Tor kämen wohl kaum auf die Idee.

Man könnte sich fragen, warum ein neues Signet eine solche Erregungswelle provoziert. Aber was auf manchen wie ein Sturm im Wasserglas wirkt, legt ein offensichtlich tiefer sitzendes Unbehagen frei. Eine generelle Unzufriedenheit mit der Stadt und ihrer politischen Führung. Der Eindruck, dass Köln hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, sein Potential nicht ausreizt, die PS nicht auf die Straße bringt. Es kann sein, ist sogar wahrscheinlich, dass sich die Aufregung über das neue Signet nach verhältnismäßig kurzer Zeit wieder legt, wie Marken-Experte Walter Brecht vermutet. Aber das Unbehagen, so steht zu befürchten, wird bleiben.

Ein Störgefühl anderer Art löst auch die Umweltministerin Ursula Heinen-Esser aus. Sie hatte als zuständiges NRW-Kabinettsmitglied während der verheerenden Flutkatastrophe im vergangenen Jahr ihren Mallorca-Urlaub nur kurz unterbrochen. Während Menschen Hab, Gut und manchmal sogar das Leben verloren haben, war die Ministerin nicht vor Ort, sondern auf einer Ferieninsel. Das ist schwer zu vermitteln. Zudem gab es Ungereimtheiten und Aussagen, die nachträglich peinlich korrigiert werden mussten. Wenige Wochen vor der wichtigen Landtagswahl ist sie damit für ihre Partei und Ministerpräsident Wüst zu einer brisanten Belastung geworden. Ein Rücktritt dieser politisch so erfahrenen Kölnerin scheint kaum zu vermeiden sein. Es zeigt einmal mehr, dass erst in Extremsituationen sichtbar wird, ob Instinkt und Charakter den Herausforderungen eines öffentlichen Amtes gewachsen sind.

In diesem Sinne grüßt Sie nachdenklich, doch herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

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Newsletter 25. März 2022

Newsletter vom 25.03.2022

Der ungleiche Kampf der Klitschko-Brüder in der Ukraine – Verbreiten Holzkohlegrills am Eigelstein „giftige Gase“?

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

heute, wenn dieser Newsletter in Ihrem Postfach liegt, wird Wladimir Klitschko 46 Jahre alt. Der frühere Weltklasseboxer ist eine der großen, internationalen Sport-Persönlichkeiten – und Ukrainer. Nach Lage der Dinge feiert er in einer Trümmerwüste. Denn als der Nachbar Russland die Ukraine überfiel, verließ Wladimir Hamburg, wo er eigentlich lebt, und reiste nach Kiew, um der Heimat und seinem älteren Bruder beizustehen. Vitali Klitschko (50) ist Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt. Unter den Augen der Welt wird sie von russischen Truppen gerade in Trümmer geschossen. Manchmal sehen wir ihn im Fernsehen. Der promovierte Sportmediziner, auch er ein großer Boxer und Athlet, trägt Schutzkleidung und versucht, den gebliebenen Bürgern Zuversicht zu geben. Sich selbst vermutlich auch, denn Vitali weiß, wie ungleich die Kräfte verteilt sind.

Zudem stehen die Klitschkos mutmaßlich auf Todeslisten. Sie reißen diesen Krieg aus der Anonymität und geben ihm ein Gesicht. Wie natürlich vor allem Wolodymyr Selenskyj, der Präsident des Landes, den bis vor kurzem nur wenige in Deutschland kannten und dessen verzweifelte Reden heute Weltnachrichten sind. Die Brüder aber sind gefühlt seit ewigen Zeiten Teil auch unseres Landes. Sie gelten als Sinnbild für Fairness, Sportlichkeit und Charakter. „Die Deutschen haben meine Söhne adoptiert“, sagte Wladimir Rodionowitsch Klitschko seinerzeit stolz, der 2011 verstorbene Vater.

2011 kam auch der Film „Klitschko“ in die Kinos. Produziert haben ihn Leopold Hoesch und sein Team von Broadview TV aus Köln. Damals besuchte Vitali Klitschko den „Kölner Stadt-Anzeiger“. Wir versteigerten Filmplakate und der charismatische Sportler alberte mit uns in der Redaktion herum – ein echter Menschenfischer dank seines Lächelns, seiner Intelligenz sowie seines Mutterwitzes, weniger wegen seiner Muskeln und hünenhaften Statur. Häufig gewinnt die Gegenwart ihren Wert erst durch die Entwicklung in der Zukunft. Im Rückblick jedenfalls denke ich, was für unbeschwerte Zeiten das waren.

Vitali und Wladimir Klitschko mit Filmproduzent Leopold Hoesch (Mitte) auf dem Tribeca Film Festival 2011.

Bild: Broadview

Seit den Jahren des Klitschko-Films ist Leopold Hoesch den Brüdern freundschaftlich verbunden. Mut, Gradlinigkeit, Entscheidungsfreude, Humor und Größe – was Vitali und Wladimir heute zu Helden macht, war damals schon Teil ihrer Persönlichkeit, sagt der Filmproduzent. Er erkenne nichts Neues in den Beiden, sie seien ihrem Wesen treu geblieben. Nur stehen sie heute auf einer anderen Weltbühne. Es bleibt zu hoffen, dass der tragische Kampf ihre Kräfte nicht übersteigt. Sportliche Regeln und Fairness gelten nichts mehr.

Wozu Moskau fähig ist, konnte man in den Tschetschenienkriegen und in Syrien beobachten. In all den vergangenen Jahren war immer die Rede davon, eine Fortsetzung des Klitschko-Films (sie finden ihn hier) zu drehen. Ich wünsche den Brüdern und damit ihrem Land, dass nicht nur Klitschko II, sondern eines Tages auch Klitschko III gedreht werden. Lebendige Helden sind die liebsten Helden.

Nun ruht der Blick auf Köln. Unser Newsletter vom 11.3. zum Eigelstein – hier klicken – fand viel Resonanz. Und wieder gibt es Schlagzeilen: „Wo Geruch ist, ist auch Gift, Bürgerverein gegen Kohlegrills am Eigelstein„, titelte der Kölner Stadt-Anzeiger über eine Sitzung der Bezirksvertretung. „Gift“ aus dem Mund des Bürgervereins ist ein starkes Wort. Mir kommt der Totenkopf mit den gekreuzten Knochen in den Sinn. In der Apotheke gibt es einen Giftschrank, zu dem nur geschulte Kräfte Zugang haben. Das sollte auch für Worte gelten, die ein Miteinander vergiften können. Zumal – so eine Amtsvertreterin – die Abluftanlagen der Grills regelmäßig überprüft würden: Bisher ohne Beanstandungen, die Grenzwerte würden eingehalten. Schädliche Umwelteinwirkungen müssten erst gerichtsfest nachgewiesen werden, sagt sie. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

„Ich hätte mir im Leben nicht vorstellen können, dass gerade in Köln in Bezug auf eine von türkischen Geschäften dominierte Straße permanent der Begriff „Gift“ fällt“, sagt Lale Akgün. Ob die Stadt nach Gutdünken der Vereinsmitglieder die Imbissstuben auf der Weidengasse mit weiteren Auflagen versehen soll, fragt die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete. „Ich bin sehr vorsichtig mit dem Begriff Rassismus. Doch frage ich mich, wie man eine Kampagne bezeichnen soll, die sich mit Begriffen wie Gift und Giftgas gegen türkische Imbissstuben richtet und von dem vehementen Wunsch beseelt ist, diese Straße nach eigenen Vorstellungen umzuformen?“

Warum so viel Eigelstein? Weil das Viertel für den Wandel in Großstädten steht, zumal hier die Verhältnisse konturiert sind und die Fragen offenliegen. Wie gestaltet man Veränderung, ohne ganze Bevölkerungsteile zu verdrängen? Gibt es Gewinner und Verlierer? Kann Politik vermitteln, gar Visionen aufzeigen? Das Schlusswort überlasse ich dem Architektur-Experten Andreas Grosz (KAP-Forum), der viele Jahre in Köln gelebt hat.

„Eine kleine Schicht wohlsituierter und gut ausgebildeter Mittelständler hat längst die Deutungshoheit, wie wir zu leben, zu arbeiten und zu wohnen haben, übernommen,“ schreibt er. „Statt gemischter Quartiere sind in unseren Großstädten feine Trennungslinien entstanden – sind urbane in monostrukturierte Quartiere verwandelt worden . . . Solches sozialromantisches Puppenstubendenken (besser Besitzstandsdenken) hat mit der notwendigen Transformation unserer Städte und Lebensweisen in Richtung Klimawandel, ökologischer Landwirtschaft und Ernährung, neuer Mobilität, der Digitalisierung und einer Regionalisierung wenig im Sinn.“

Wie schön wäre es, Köln könnte sich von diesem Trend abheben!

Ich wünsche Ihnen ein sonniges Wochenende!
Ihr

Peter Pauls

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Newsletter 18. März 2022

Newsletter vom 18.03.2022

„Fällt die Ukraine, fällt Europa“ –
Joschka Fischer im Gespräch

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

die Tradition Kölns als Wallfahrtsort lebt weiter. Doch diesmal sind nicht Kirchen und Heilige das Ziel der Pilger. Es sind Intellektuelle, Schriftsteller, Politiker und Künstler, die auf Einladung der lit.Cologne die Stadt am Rhein für elf Tage zum geistigen Zentrum des Landes machen. Europas größtes Literaturfestival schafft es damit, das ramponierte Image der Stadt nicht unwesentlich aufzupolieren. Der Hunger nach Austausch, nach Orientierung und Gespräch ist groß, das zeigt schon der Auftakt zu den rund 180 Veranstaltungen, unter anderem mit Nobelpreisträger Abdulrazak Gurnah.

Auch das Festival, das schon in den letzten Jahren viel von früher unbeschwert-verspielter Leichtigkeit verloren hatte (oder an Ernsthaftigkeit gewonnen, um es positiver zu formuklieren), blendet in diesem Jahr die hässliche Welt außerhalb der Literatur nicht aus. Im Gegenteil: Schon die spontan in kürzester Zeit organisierte Eröffnung war eine Solidaritätsveranstaltung mit der Ukraine. Politisch, hochkarätig besetzt, würdevoll. Die schreckliche Realität wird also nicht ausgeblendet, sondern als Anlass für gründliches öffentliches Nachdenken genutzt.

Ein Höhepunkt in dieser Zeit war der Auftritt des früheren Außenministers Joschka Fischer, inzwischen zum international gefragten Elder Statesman gereift. Vor der mit 800 Plätzen ausverkauften Flora analysierte er im Gespräch mit mir den Krieg in Europas Osten. „Es geht Putin nicht um die Ukraine“, so Fischer, „es geht um viel mehr, es geht um die gesamte europäische Ordnung.“ Wladimir Putins Feindbild sei das freiheitliche, demokratische Modell, sein Ziel sei die Vorherrschaft in Europa. „Russland will wieder Weltmacht sein auf Augenhöhe mit den USA und China.“ Das Baltikum, Moldawien, Georgien, auch Polen und Finnland sieht er konkret bedroht. In der Vorbereitung auf unsere Veranstaltung hatte ich gesehen, dass Joschka Fischer schon früh vor der Entwicklung gewarnt hatte, die jetzt wie prophezeit eingetreten ist („Fällt die Ukraine, fällt Europa“). Aber der ehemalige deutsche Chef-Diplomat, der im Auswärtigen Amt nach wie vor einen beachtlichen Respekt genießt, verzichtete auf peinliche Rechthaberei – auch das ein Zeichen von Alters-Souveränität.

Joschka Fischer
Foto: Ast/Juergens, lit.Cologne

Inzwischen kaum noch erstaunlich, dass ein ehemaliger Spitzen-Grüner wie Fischer die Wurzeln zur pazifistischen Vergangenheit komplett gekappt hat. Er war einer der Ersten in seiner Partei, die für einen höheren Wehretat, eine Stärkung der NATO und enge militärische Zusammenarbeit in Europa geworben hat – gegen heftige Widerstände. Inzwischen fühlt er sich von der Entwicklung bestätigt. Gegenüber Russland plädiert er für Härte, für schmerzhafte Sanktionen, für Waffenhilfe. Gleichzeitig müsse aber alles vermieden werden, was zu einer unmittelbaren militärischen Auseinandersetzung zwischen Russland und der NATO führe – dazu gehöre, keine Flugverbotszone über der Westukraine zu verhängen.

Putins Denken (Fischer: „Das sind die Kategorien des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, also Militär und Territorium“) sei allerdings genau das Gegenteil von dem, was angesichts der eigentlichen Herausforderung dringend geboten sei: Gemeinsames Handeln der Menschheit im Angesicht des Klimawandels. In seinem jüngsten Buch „Zeitenbruch“ hat er das Dilemma beschrieben, das durch die rohe Machtpolitik Putins, aber auch durch das Streben Chinas, Hegemonialmacht zu werden, besteht: „Auf Staatsegoismus gründende Machtpolitik und planetare Verantwortung gehen nicht zusammen.“ Erstmals in der Menschheitsgeschichte sei ein existentielles Risiko nur durch Kooperation, gemeinschaftliches, entschlossenes Handeln zu bewältigen. Das Erschreckende: Die nächsten zehn Jahre sind entscheidend, da Wissenschaftler übereinstimmend danach Kipp-Punkte sehen, die die Klimakrise unbeherrschbar machten.

Ist er optimistisch, dass es gelingt, die Menschheits-bedrohende Katastrophe abzuwenden? Langes Schweigen, dann die Antwort: „Haben wir denn eine Alternative dazu, es wenigstens mit aller Kraft zu versuchen?“

In diesem Sinne grüßt Sie nachdenklich, doch herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

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Newsletter 11. März 2022

Newsletter vom 11.03.2022

Am Eigelstein stoßen zwei Welten aufeinander – doch die Kölner Politik nimmt nur eine wahr

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

neulich habe ich mich gefragt, ob ich in einer verkehrten Welt lebe. In einer Zeitung las ich, wie sich Politik, Verwaltung und der Bürgerverein gegenseitig lobten für die Verkehrsberuhigung an einer der wuseligsten Straßen Kölns, dem Eigelstein. Endlich frei von Autoverkehr! Gelungen! Sehr zufrieden! Der grüne Bezirksbürgermeister Hupke wurde mit den Worten zitiert, die örtlichen Geschäftsleute hätten „zu hundert Prozent hinter der Idee gestanden haben, den Eigelstein autofrei zu machen“.

Das habe ich ganz anders erlebt. Für viele Anwohner und Geschäftsleute dort ist ein Verkehrsstrom wichtig – er bringt Kunden. Ob in die Weidengasse, mit Spezialgeschäften und Restaurants, oder auf den Eigelstein mit Einzelhandel, vom Juwelier über den Drogeriemarkt bis zum Brautmodengeschäft. Diese Menschen, mancher hat einen Migrationshintergrund, sehen sich durch die Autofreiheit in ihren Sorgen bestätigt. Die Geschäfte laufen schlecht.

Kein Wunder, dass die Kunsthändlerin Antje Hegge vergangenes Jahr auf Anhieb 300 Unterschriften von Anwohnenden sammelte, die sich durch die Verkehrsplanung unberücksichtigt fühlten. Empfänger der Unterschriftenliste, auf der auch Geschäftsleute standen: der grüne Bezirksbürgermeister Andreas Hupke. Denen, die vom Eigelstein leben, stehen die gegenüber, die ihn zu einer „Wohlfühlstraße“ machen wollen, die „zum Flanieren einlädt,“ die dort bummeln wollen. Hupke ist einer von ihnen.

Am Eigelstein stoßen aber nicht nur zwei Welten aufeinander. Vielmehr werden die Sorgen eines relevanten Bevölkerungsteils überhaupt nicht aufgegriffen. Gleichgesinnte klopfen einander auf die Schulter – und die anderen finden nicht statt. In dieses zynische Bild passt, dass die von Antje Hegge in drei Sprachen abgefasste kritische Resolution nie thematisiert wurde und der Bezirksbürgermeister nun von 100 Prozent Zustimmung schwadroniert. So bastelt man sich seine heile Welt, getragen von unerschütterlicher Ignoranz.

Eine Seminararbeit von fünf Studentinnen der Uni Köln hat mich ermutigt, das Thema noch einmal aufzugreifen. Unter dem Titel „Eigelstein, Weidengasse & Umgebung: Identitätspolitik, Gentrifizierung, Rassifizierung“ werden hier Stimmen aus dem Viertel gesammelt und ein Konfliktfeld markiert. Die Studentinnen schlagen sich nicht auf eine Seite. Doch sie tun, was Politik, Verwaltung und Bürgerverein nicht hinbekommen: Sie geben den Menschen und ihren Bedürfnissen Ausdruck, die nicht zu der eloquenten und verbal versierten Schicht gehören, die politisch gut vernetzt ist und den Eigelstein für sich und die eigenen Wohlfühl-Ansprüche reklamiert. Anwohner, Friseure, Imbiss-Betreiber und Schmuckhändler formulieren in der Uni-Arbeit ihre Sorge, wie Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden.

Bevor ich mich in Rage schreibe, lasse ich Prof. Dr. Wolf-Dietrich Bukow von der Uni Köln zu Wort kommen, in dessen Seminar die Arbeit entstand. Der Soziologe ist Pionier in der Erforschung städtischen Zusammenlebens und sieht den Eigelstein in seiner Mischung und Diversität gut aufgestellt. Arbeit, Wohnen und Versorgung spielen sich im eigenen Quartier ab. Doch dieses Potential müsse „sehr bedacht und in enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung entwickelt werden“, sagt er.

Am Eigelstein zeige sich auch, dass solche Quartiere für Menschen mit Kapital interessant seien. Ihnen kommt es nicht auf die urbane Gesamtqualität, sondern eher auf eine Investitionen unterstützende bürgerliche Quartierslyrik an, die sich gerne auch ökologisch schminkt, so Wolf Bukow. Die Behörden, ja sogar die Oberbürgermeisterin selbst würden dienstbar gemacht, um im Quartier eine „pseudobürgerliche Welt“ zu inszenieren. Und tatsächlich bestätigt der Bürgerverein laut Seminararbeit, ein „gut funktionierendes Netzwerk“ mit der Politik zu haben – „zumeist auf direktem Weg, persönlich, telefonisch oder per Mail.“ Die Oberbürgermeisterin kam zweimal vorbei. Ebenso ist der Besuch von Innenminister Reul (CDU) notiert worden.

Auch die Politikerin Dr. Lale Akgün (SPD) bat ich um ihre Einschätzung. Sie kennt die Gegend um den Eigelstein seit Jahrzehnten. „Fein“ war es dort nie, erinnert sie sich. Aber „es war ein leben und leben lassen, ganz gleich woher man kam.“ Probleme regelte man unter sich und zeigte nicht mit dem Finger auf andere. Dass regelfixierte Anwohner heute im Ruf stehen, schnell nach Polizei und Ordnungsamt zu rufen, kommt vor diesem Hintergrund einem Kulturbruch gleich. Entsetzen löste ein WDR-Beitrag aus, der einem Bürgervereinsmitglied zugeschrieben wird. Darin wurden Frauen am untersten Ende der sozialen Skala präsentiert. Wenn heute das äußere Straßenbild und Pflanzenkübel höher bewertet werden als der gesellschaftliche Frieden, frei nach dem Motto „Unser Dorf soll schöner werden“, hat der Eigelstein ein Problem, sagt die promovierte Psychologin Akgün.

Wem gehört das Viertel? „Für mich sieht es so aus, dass man eine Wohlfühloase für Wohlstandsbürger schaffen will; für Leute, die gern in renovierten Altbauwohnungen in einem >kölschen< Disneyland leben möchten,“ meint die Politikerin: Mit Migranten als Folklore-Kulisse. Solange geduldet, wie sie in den Restaurants nicht ihre amtlich genehmigten Grills anschalten. Denn diese, so wird von der anderen Seite unterstellt, verbreiteten „extrem giftige Gase“.

Eine Schande nennt die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete das alles. „Dies schließt auch die Politiker und Politikerinnen mit ein, die bereit sind, diese Ansinnen zu unterstützen,“ sagt Lale Akgün und ich kann ihr nur zustimmen. Eine Mischung aus Brechstange und Ignoranz kann nicht die Keimzelle eines neuen, urbanen Kölns sein. Ein Ärgernis übrigens zieht sich durch die Uni-Arbeit: die Kampfradler. Sie brettern weiter – ob nun über Autostraßen oder verkehrsberuhigte Flaniermeilen und Wohlfühlzonen.

Herzlich grüßt
Ihr

Peter Pauls

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