Ein trauriger Tatsachenbericht

Die strenge Stausberg

Ein trauriger Tatsachenbericht
Das tägliche Anschauen der Flüchtlingskrise in Zügen und Bahnhöfen Deutschlands geht aufs Gemüt. Mütter und Kinder, Alte und Kranke, ein nicht enden wollender Strom. Sind wir dem gewachsen?

Man fährt nicht jeden Tag in aller Herrgottsfrühe mit dem Zug von Köln nach Hamburg. Aber die Angst vor einem neuen Lufthansastreik macht’s möglich. Anfang Oktober nimmt man wiederum in einem noch ziemlich leeren Kölner Hauptbahnhof Dinge wahr, die man sonst im täglichen Menschengewusel wohl kaum registriert hätte.

Wie etwa ein paar Dutzend Flüchtlingsgruppen, überwiegend Frauen mit kleinen Kindern, die auf zwei Eisenbahnwaggons verteilt in den Zug einsteigen – keine einzige von ihnen ohne Kopftuch. Später werde ich – unbeabsichtigt – Zeugin eines ernüchternden Gesprächs zwischen zwei Schaffnerinnen, die ihre Erfahrungen austauschen mit Asyltransporten dieser Art.

Sie beklagen, dass jegliche Kommunikation unmöglich sei, weil keiner Englisch spreche, dass sich der Dreck in diesen Waggons – vor allem auf den Toiletten – als unzumutbar für normale Mitreisende darstelle und man im Übrigen nicht, wie gefordert, die Flüchtlinge an unterschiedlichen Bahnhöfen raus lassen könne, weil man sich bei einem so langen Zug nicht ausschließlich um sie kümmern könnte.

Es waren bittere Schilderungen, die man wohl am besten einordnen sollte unter dem Motto „Tatsachenberichte von der Front“. Und ich frage mich, warum eigentlich nie solche Leute in den Talkshows auftauchen, wo man ansonsten die ewig gleichen Politiker und Journalisten hört mit ihren von Political Correctness zum Platzen gefüllten Sprechblasen.

Deren Inhalt scheint jedenfalls Lichtjahre entfernt von den konkreten Erfahrungen der Menschen, die mit den Konsequenzen des „Wir schaffen das“ täglich konfrontiert sind.

Nach – verspätungsbedingt – fast fünf Stunden Bahnfahrt trifft man gegen 10.00 Uhr endlich ein am Hamburger Hauptbahnhof. Vor dem Eingang Richtung Schauspielhaus bietet sich ein unwirkliches Bild: Da sitzen ein paar Hundert Menschen auf Bordsteinen oder direkt auf dem Boden, um sie herum Kisten, Kartons, Rucksäcke, Plastikbeutel, vor ihnen mehrere Zelte zur Essensausgabe und Vermittlung von Informationen. Ein leichter Nieselregen tröpfelt unerbittlich aus einem mausgrauen Himmel.

Wie schon im Zug, sind es überwiegend Frauen mit Kindern, die hier kauern, aber auch alte Männer und Frauen sind darunter – einige sitzen in Rollstühlen. Man fragt sich unwillkürlich: Wie haben die das überhaupt bis nach Hamburg geschafft? Ein Gefühl der Anteilnahme und des Mitleids steigt in einem auf.

Von Dr. Hildegard Stausberg

Quelle: welt.de

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