Zu Gast:
Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstitut Forsa
Moderation:
Peter Pauls, Vorstand des Kölner Presseclub
Fotos: Kölner Presseclub
Die Große Verunsicherung
Wie geht Deutschland mit den Umbrüchen um?
von Lewis Gropp
Am Ende des Jahres auf ein Jahr voller Krisen zu schauen – dafür hatte der Kölner Presseclub genau den richtigen Mann eingeladen: Manfred Güllner, Jahrgang 1941, Gründer und Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa, also jemand, der mit den Mitteln der Empirie versucht, die Seele der Deutschen zu ergründen. Im vollbesetzten Blauen Salon des Excelsior Hotels Ernst wurden allerdings keine faustischen Abgründe erkundet, im Gegenteil: Güllner machte direkt zu Beginn klar, dass er pragmatisch denkt und die Dinge direkt und unverblümt auf den Punkt bringt.
Warum ist er als junger Student der Soziologie zum Beispiel nach Köln gegangen und nicht nach Frankfurt? „Ganz einfach, Adorno war mir zu verquast.“ Dass er jemand ist, der klare Worte nicht scheut, wurde auch deutlich, als er von Moderator Peter Pauls auf den „Kotzbrocken“-Eklat mit dem SPD-Politiker Ralf Stegner angesprochen wurde: „Ich habe nicht gesagt, er sei ein Kotzbrocken, ich habe lediglich gesagt, dass die Leute ihn für einen Kotzbrocken halten. Das ist ein Unterschied.“ Das sei schließlich seine Aufgabe als Meinungsforscher. Es hätte keinen Sinn, Meinungen zu erheben und diese dann nicht 1:1 zu vermitteln. Pikant bei dieser Episode ist, dass Güllner selbst Mitglied der SPD ist. Doch Kritik an seinen Parteigenossen hat er nie gescheut.
Der Innovator in Sachen Meinungsforschung war extra aus Berlin angereist – in die Stadt, in der er seine Karriere begann, als der jüngste Stadtverordnete der SPD im Kölner Rat sowie als Leiter des Statistischen Amtes. „Die Leute dachten damals, das ist so etwas wie ein gehobener Archivar“, so Güllner. Doch im Endeffekt ging es ihm darum, „Stadtforschung“ zu betreiben; er erkannte, dass man mit den Menschen reden müsse, um die Ursachen für politische Probleme zu erfassen.
„Gute Forscher erklären außerdem ihre Befunde“, so Güllner, es würde nicht reichen, irgendwelche Daten zu erheben und sie dann den Leuten um die Ohren zu hauen. „Man muss die Ergebnisse in einen Kontext stellen“, sonst wäre man nicht in der Lage, sie sinnvoll zu verarbeiten.
Was die große Politik angeht, so wartete Güllner mit einer handfesten These auf: Die Gründe für das Scheitern der Ampelkoalition liege seiner Meinung nach keinesfalls in der für die Politik unglückliche Häufung der Krisen – im Gegenteil: „In Krisen sammeln sich die Menschen um die Staatsmacht“. Das habe man exemplarisch zu Beginn der Corona-Krise sehen können. „Damals hatten die Maßnahmen und Einschränkungen zu einem großen Zuspruch für die Regierung geführt.“
Dass die Unzufriedenheit mit der politischen Führung einen Tiefpunkt erreicht habe, liegt Güllner zufolge an einer Politik, die die Menschen im Land nicht überzeuge. „Die Heizumlage hat keiner verstanden. Und mit dem Heizungsgesetz kam dann der endgültige Umbruch.“ Die Koalition habe sich zu sehr um Randgruppen gekümmert, nicht um die großen Mehrheiten im Land; zudem würden die Grünen von vielen als „Bevormundungspartei“ wahrgenommen.
Darüber hinaus seien ernste wirtschaftliche Probleme nicht erkannt worden. „Denn wenn die Inflation zum Beispiel wieder sinkt, dann gehen die Preise deswegen nicht mit runter. Das ist für die Menschen eine Alltagserfahrung.“ Auch der Einsatz für das Bürgergeld würde nicht von allen Wählern goutiert, nicht zuletzt wegen des geringen Abstandes zu den unteren Einkommen – und weil bei dem Bezug auch „Missbrauch“ betrieben werde.
„Früher war die SPD eine Partei der arbeitenden Klasse. Heute ist sie eine Partei der Umverteilung“, so Güllner. Aus seiner Sicht hatte die Partei unter Helmut Schmidt noch eine Strategie und Konzepte, heute werde hingegen vor allem Symbolpolitik betrieben. Immerhin: In Sachen Ukrainekrieg würde die zögerliche Haltung des Kanzlers gut ankommen. „Viele Menschen haben Angst, dass Deutschland mit einer Lieferung des Taurus stärker in den Krieg gezogen werden könnte.“ Unter dem Strich fällt der Meinungsforscher dennoch ein klares Urteil: „Die Politik versteht nicht, was die Menschen im Land bewegt.“
Auch zum Bündnis Sahra Wagenknecht wartete Güllner mit entschiedenen Positionen auf: Bei den jüngsten Wahlerfolgen in Sachsen und Brandenburg würde es gar nicht so sehr um die Ukrainepolitik gehen. Die Partei würde hauptsächlich von älteren Personen im Osten Deutschlands gewählt. „Das BSW ist sozusagen eine PDS 2.0“, so Güllner. Ob die Partei es überhaupt in den Bundestag schaffen würde, hält er für mehr als fraglich. „Im Grunde handelt es sich hier um ein Auslaufmodell.“
Was ist mit der AfD? Die habe vor allem die Nichtwähler mobilisiert. „Dass die CDU viele Wähler an die AfD verloren hat, ist Humbug“, so Güllner. Und die Union sei nicht in der Lage, die Unzufriedenen wieder einzufangen – und mit Friedrich Merz erst recht nicht. „Die CDU trifft nach Laschet mit Merz zum zweiten Mal eine falsche Entscheidung in Sachen Kanzlerkandidatur“, so Güllner. „Merz ist nicht beliebt. Und Laschet war es damals auch nicht.“ Er habe Laschet damals in persönlichen Gesprächen gewarnt, dass er die Wahl aufgrund der Unbeliebtheit nicht gewinnen könne. „Doch der wollte nichts davon hören.“
Und klingelt für die FDP jetzt mit großer Verzögerung „silbrig das Todesglöckchen“, wie es Rudolf Augstein bereits 1970 im Spiegel prophezeit hatte? „Nun, die FDP ist eine Klientelpartei, und das ist ja nicht per se etwas Schlimmes.“ Sie wolle sich für die Belange des Mittelstands einsetzen, und das sei sinnvoll – schließlich würde diese unter der Bürokratie stark leiden. „Mittelständische Betriebe wären froh, wenn sie nicht mehr vier Steuerberater beschäftigen müsste, sondern nur noch zwei.“ Doch die Partei habe viele Wähler an die AfD verloren und das Vertrauen in Christian Lindner wäre gering wie nie. Eine Trendwende sei nicht in Sicht.
Den Einfluss der Sozialen Medien sollte man Güllner zufolge jedenfalls nicht überschätzen: „Dass vor allem junge Wähler wegen TikTok die AfD gewählt haben, geht auf eine obskure Studie zurück, die überall zitiert wurde, aber das ist durch nichts belegt.“ Und die etablierten Medien wie Radio, Zeitungen und TV würden immer noch deutlich mehr Vertrauen genießen als Social Media. Auch die Meinungsforschung könne damit rechnen, dass ihre bewährten Methoden in Zukunft gebraucht würden. „Keine Künstliche Intelligenz kann mir verlässliche Informationen über Wahlprognosen liefern. Dafür muss man immer noch die Menschen befragen.“
Die Meinungsforschung habe eine Zukunft – und sie spielt laut Güllner in freien demokratischen Gesellschaften eine wichtige Rolle. „Die Nazis haben sie als ‚jüdische Wissenschaft‘ verunglimpft. Nach dem Krieg hat man dann den vornehmen Begriff ‚Demoskopie‘ geprägt, um die Akzeptanz zu fördern.“ Die Meinungsforschung würde abbilden, welche Themen die Bürger bewegen. Das sei eine unerlässliche Quelle für die erfolgreiche Gestaltung von Politik. Und, so Güllners treffendes Schlusswort: „In unfreien Gesellschaften wie Nordkorea oder der DDR gab oder gibt es sie nicht.“
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Jahresabschlussgespräch: Die grosse Verunsicherung
10. Dezember um 19:30 - 22:00
Zu Gast:
Manfred Güllner, Chef des Meinungsforschungsinstitut Forsa
Moderation:
Peter Pauls, Vorstand des Kölner Presseclub
Fotos: Kölner Presseclub
Die Große Verunsicherung
Wie geht Deutschland mit den Umbrüchen um?
von Lewis Gropp
Am Ende des Jahres auf ein Jahr voller Krisen zu schauen – dafür hatte der Kölner Presseclub genau den richtigen Mann eingeladen: Manfred Güllner, Jahrgang 1941, Gründer und Leiter des Meinungsforschungsinstituts Forsa, also jemand, der mit den Mitteln der Empirie versucht, die Seele der Deutschen zu ergründen. Im vollbesetzten Blauen Salon des Excelsior Hotels Ernst wurden allerdings keine faustischen Abgründe erkundet, im Gegenteil: Güllner machte direkt zu Beginn klar, dass er pragmatisch denkt und die Dinge direkt und unverblümt auf den Punkt bringt.
Warum ist er als junger Student der Soziologie zum Beispiel nach Köln gegangen und nicht nach Frankfurt? „Ganz einfach, Adorno war mir zu verquast.“ Dass er jemand ist, der klare Worte nicht scheut, wurde auch deutlich, als er von Moderator Peter Pauls auf den „Kotzbrocken“-Eklat mit dem SPD-Politiker Ralf Stegner angesprochen wurde: „Ich habe nicht gesagt, er sei ein Kotzbrocken, ich habe lediglich gesagt, dass die Leute ihn für einen Kotzbrocken halten. Das ist ein Unterschied.“ Das sei schließlich seine Aufgabe als Meinungsforscher. Es hätte keinen Sinn, Meinungen zu erheben und diese dann nicht 1:1 zu vermitteln. Pikant bei dieser Episode ist, dass Güllner selbst Mitglied der SPD ist. Doch Kritik an seinen Parteigenossen hat er nie gescheut.
Der Innovator in Sachen Meinungsforschung war extra aus Berlin angereist – in die Stadt, in der er seine Karriere begann, als der jüngste Stadtverordnete der SPD im Kölner Rat sowie als Leiter des Statistischen Amtes. „Die Leute dachten damals, das ist so etwas wie ein gehobener Archivar“, so Güllner. Doch im Endeffekt ging es ihm darum, „Stadtforschung“ zu betreiben; er erkannte, dass man mit den Menschen reden müsse, um die Ursachen für politische Probleme zu erfassen.
„Gute Forscher erklären außerdem ihre Befunde“, so Güllner, es würde nicht reichen, irgendwelche Daten zu erheben und sie dann den Leuten um die Ohren zu hauen. „Man muss die Ergebnisse in einen Kontext stellen“, sonst wäre man nicht in der Lage, sie sinnvoll zu verarbeiten.
Was die große Politik angeht, so wartete Güllner mit einer handfesten These auf: Die Gründe für das Scheitern der Ampelkoalition liege seiner Meinung nach keinesfalls in der für die Politik unglückliche Häufung der Krisen – im Gegenteil: „In Krisen sammeln sich die Menschen um die Staatsmacht“. Das habe man exemplarisch zu Beginn der Corona-Krise sehen können. „Damals hatten die Maßnahmen und Einschränkungen zu einem großen Zuspruch für die Regierung geführt.“
Dass die Unzufriedenheit mit der politischen Führung einen Tiefpunkt erreicht habe, liegt Güllner zufolge an einer Politik, die die Menschen im Land nicht überzeuge. „Die Heizumlage hat keiner verstanden. Und mit dem Heizungsgesetz kam dann der endgültige Umbruch.“ Die Koalition habe sich zu sehr um Randgruppen gekümmert, nicht um die großen Mehrheiten im Land; zudem würden die Grünen von vielen als „Bevormundungspartei“ wahrgenommen.
Darüber hinaus seien ernste wirtschaftliche Probleme nicht erkannt worden. „Denn wenn die Inflation zum Beispiel wieder sinkt, dann gehen die Preise deswegen nicht mit runter. Das ist für die Menschen eine Alltagserfahrung.“ Auch der Einsatz für das Bürgergeld würde nicht von allen Wählern goutiert, nicht zuletzt wegen des geringen Abstandes zu den unteren Einkommen – und weil bei dem Bezug auch „Missbrauch“ betrieben werde.
„Früher war die SPD eine Partei der arbeitenden Klasse. Heute ist sie eine Partei der Umverteilung“, so Güllner. Aus seiner Sicht hatte die Partei unter Helmut Schmidt noch eine Strategie und Konzepte, heute werde hingegen vor allem Symbolpolitik betrieben. Immerhin: In Sachen Ukrainekrieg würde die zögerliche Haltung des Kanzlers gut ankommen. „Viele Menschen haben Angst, dass Deutschland mit einer Lieferung des Taurus stärker in den Krieg gezogen werden könnte.“ Unter dem Strich fällt der Meinungsforscher dennoch ein klares Urteil: „Die Politik versteht nicht, was die Menschen im Land bewegt.“
Auch zum Bündnis Sahra Wagenknecht wartete Güllner mit entschiedenen Positionen auf: Bei den jüngsten Wahlerfolgen in Sachsen und Brandenburg würde es gar nicht so sehr um die Ukrainepolitik gehen. Die Partei würde hauptsächlich von älteren Personen im Osten Deutschlands gewählt. „Das BSW ist sozusagen eine PDS 2.0“, so Güllner. Ob die Partei es überhaupt in den Bundestag schaffen würde, hält er für mehr als fraglich. „Im Grunde handelt es sich hier um ein Auslaufmodell.“
Was ist mit der AfD? Die habe vor allem die Nichtwähler mobilisiert. „Dass die CDU viele Wähler an die AfD verloren hat, ist Humbug“, so Güllner. Und die Union sei nicht in der Lage, die Unzufriedenen wieder einzufangen – und mit Friedrich Merz erst recht nicht. „Die CDU trifft nach Laschet mit Merz zum zweiten Mal eine falsche Entscheidung in Sachen Kanzlerkandidatur“, so Güllner. „Merz ist nicht beliebt. Und Laschet war es damals auch nicht.“ Er habe Laschet damals in persönlichen Gesprächen gewarnt, dass er die Wahl aufgrund der Unbeliebtheit nicht gewinnen könne. „Doch der wollte nichts davon hören.“
Und klingelt für die FDP jetzt mit großer Verzögerung „silbrig das Todesglöckchen“, wie es Rudolf Augstein bereits 1970 im Spiegel prophezeit hatte? „Nun, die FDP ist eine Klientelpartei, und das ist ja nicht per se etwas Schlimmes.“ Sie wolle sich für die Belange des Mittelstands einsetzen, und das sei sinnvoll – schließlich würde diese unter der Bürokratie stark leiden. „Mittelständische Betriebe wären froh, wenn sie nicht mehr vier Steuerberater beschäftigen müsste, sondern nur noch zwei.“ Doch die Partei habe viele Wähler an die AfD verloren und das Vertrauen in Christian Lindner wäre gering wie nie. Eine Trendwende sei nicht in Sicht.
Den Einfluss der Sozialen Medien sollte man Güllner zufolge jedenfalls nicht überschätzen: „Dass vor allem junge Wähler wegen TikTok die AfD gewählt haben, geht auf eine obskure Studie zurück, die überall zitiert wurde, aber das ist durch nichts belegt.“ Und die etablierten Medien wie Radio, Zeitungen und TV würden immer noch deutlich mehr Vertrauen genießen als Social Media. Auch die Meinungsforschung könne damit rechnen, dass ihre bewährten Methoden in Zukunft gebraucht würden. „Keine Künstliche Intelligenz kann mir verlässliche Informationen über Wahlprognosen liefern. Dafür muss man immer noch die Menschen befragen.“
Die Meinungsforschung habe eine Zukunft – und sie spielt laut Güllner in freien demokratischen Gesellschaften eine wichtige Rolle. „Die Nazis haben sie als ‚jüdische Wissenschaft‘ verunglimpft. Nach dem Krieg hat man dann den vornehmen Begriff ‚Demoskopie‘ geprägt, um die Akzeptanz zu fördern.“ Die Meinungsforschung würde abbilden, welche Themen die Bürger bewegen. Das sei eine unerlässliche Quelle für die erfolgreiche Gestaltung von Politik. Und, so Güllners treffendes Schlusswort: „In unfreien Gesellschaften wie Nordkorea oder der DDR gab oder gibt es sie nicht.“
Details
Veranstaltungsort
Köln, 50667
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Köln, 50667
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