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Lieber Abreißen statt zu pflegen?

29. Oktober, 2024 um 19:30 - 22:00

Wie zeitgemäß ist die Baupolitik der öffentlichen Hand am Beispiel des Kölner Justizzentrums?

 

zu Gast:

Stefanie Ruffen, Vorsitzende des Bauausschusses im Kölner Rat

Markus Greitemann, Beigeordneter der Stadt Köln für Planen und Bauen

Helmut Röscheisen, Vorstand des BUND-Köln

Moderation: Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub

Fotos: Kölner Presseclub

Am Beispiel der Abrissdiskussion um das NRW-Justizgebäude in Köln  – 100 Meter und 23 Stockwerke hoch, drei Gebäudeflügel

 

 

„Wir werden heute Abend nicht zu Lösungen kommen, aber wir werden am Ende mehr wissen als jetzt.“ Diese Eröffnungsformel von Peter Pauls sollte sich bestätigen. Der Vorsitzende des Kölner Presseclubs leitete den Abend und stellte gleich zu Beginn die zentrale Frage: Warum soll ein über 100 Meter hoher Gebäudekomplex abgerissen werden, der erst 1981 eingeweiht wurde? Der geplante Abriss des Kölner Justizzentrums an der Aachener Straße beschäftigt seit Jahren die Gemüter der Domstadt – schließlich geht es um Planung eines Großprojekts, um eine immense Summe an Steuergeldern und um den Klimanotstand, den der Rat der Stadt bereits 2019 ausgerufen hat. Und vor diesem Hintergrund erscheint ein Abriss und Neubau eines so großen Gebäudekomplexes vielen Laien, aber auch Fachleuten als unsinnig und schwer vermittelbar. Ihnen gilt er als nicht nachhaltig und umweltschädlich. Trotzdem wurde entschieden, dass das Gebäude nicht saniert werden und einem Neubau weichen solle.

„Leider sind die politischen Entscheidungsträger abgetaucht“, monierte Peter Pauls. Er hätte gerne einen von ihnen auf dem Podium gesehen. Letzten Endes konnte er Markus Greitemann als dezidierten Befürworter eines Abrisses und Neubaus gewinnen – er verantwortet als Baudezernent das Projekt, ist allerdings nicht für die Entscheidung verantwortlich. Dass er sich hier zeige und Stellung beziehe, verlange Respekt, so Pauls.

Wortmächtiger Gegner des Neubaus ist Helmut Röscheisen. „Ich liebe diese Stadt und ich kämpfe für sie“, proklamierte der Vorsitzende des BUND Köln. „Und ich möchte, dass Köln endlich auch mal positive Schlagzeilen macht!“ Für ihn ist der geplante Abriss ein Unding, den es zu verhindern gilt. „Wir reden über die Verkehrswende, über die Energiewende“, dabei sei der Bausektor für 30 Prozent aller CO2-Emissionen verantwortlich, für 40 Prozent des Energiehaushaltes und für 70 Prozent des Mülls. „Warum also redet niemand über die dringend erforderliche Bauwende?“. Für den Umweltaktivisten ist es erwiesen, dass das alte Gebäude erhalten werden könne. „Die entsprechenden Entwürfe liegen vor.“

Baudezernent Markus Greitemann bekundete größten Respekt für das Engagement von Röscheisen und seines BUND. Auch er sei grundsätzlich für den Erhalt von Bausubstanz: Die Einsparung von CO2 habe höchste Priorität. Allerdings ginge es hier um ein hochkomplexes Bauprojekt, und in Anbetracht sämtlicher Aspekte – in punkto Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Funktionalität – sei man damals zu dem Entschluss gekommen, dass ein Neubau unter dem Strich den Anforderungen am ehesten gerecht würde. Entscheidend sei auch, dass man von Seiten der Justiz schon seit Jahren beklage, dass der Bau in dieser Form nicht geeignet sei, um den hoheitlichen Aufgaben der Justiz nachzukommen. Diese Klage sei eigentlich von Anbeginn der Arbeitsaufnahme an der Luxemburger Straße zu vernehmen gewesen sei. Die Justiz vor Ort sei jedenfalls schon seit langem „dysfunktional“, und diesem Umstand müsse dringend Abhilfe geschaffen werden. Der Gebäudekomplex sei von Anfang an eine Fehlkonstruktion gewesen und ein Neubau unter Berücksichtigung aller Aspekte aktuell die beste Lösung.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Positionierung von Stefanie Ruffen, Vorsitzende des Bauausschusses im Kölner Rat. Sie sei zunächst für den Erhalt des Justizkomplexes gewesen. Doch im Laufe der Zeit habe sie gesehen, dass es überhaupt gar nicht möglich sei, umweltschonend zu bauen. Die einzige Möglichkeit, nachhaltig zu bauen sei überhaupt nicht zu bauen, sagte die FDP-Politikerin. So sei auch ein Umbau mit hohen CO2-Emissionen und hohem Müllaufkommen verbunden. Zudem gebe es extrem viele Vorschriften zu beachten, weswegen auch eine Sanierung nicht in vollem Umfang nachhaltig sein könne. „Und dass eine Umwidmung des Gebäudes zu Wohnraum wirklich funktionieren würde, wage ich zu bezweifeln“, so Ruffen. Zumal die sanierten umgebauten Wohnungen kaum günstig angeboten werden könnten. Die Kosten wären aller Voraussicht nach immens.

Ein Argument, welches am Abend mehrfach zu Felde geführt wurde, war die besondere Bauweise des Justizkomplexes – die Stahlbetonskelett-Bauweise ermögliche eine einfache Neunutzung und Sanierung, erläuterte der Architekt Thomas Scheidler in der späteren offenen Diskussion. Bei einer Sanierung könne man auf die Stahlträger und Decken stehen lassen, es gebe keine tragenden trennenden Wände. „Deswegen kann ich mit dem Gebäude machen, was ich will!“, so Scheidler. Das Gebäude könne man also nach den Bedürfnissen der Justiz passgenau umbauen – es sei alles realisierbar, erklärte der emeritierte Professor für Architektur der FH Aachen. Der geplante Neubau sei „eine Schande“.

In die gleiche Kerbe schlug mit großem Nachdruck Wilhelm Röscheisen: Die Politik müsse jetzt endlich Mut an den Tag legen. Die Stadt marschiere sehenden Auges in den Klimanotstand. „Fehler muss man korrigieren.“ Und jetzt sei der richtige Moment einzulenken. Es gebe gut zu realisierende Entwürfe und Pläne für eine zeitgemäße Sanierung des Justizkomplexes.

In der offenen Fragerunde ging es hoch her: Der Vorschlag, nach einer Sanierung den oberen Teil des Justizgebäudes für Wohnungen zu nutzen, wurde teilweise heftig kritisiert: Die Vermischung von Justiz- und Wohnbereich sei nicht unproblematisch. Wie wolle man beispielsweise die Sicherheit bei Hochsicherheitsprozessen wie zuletzt bei dem Reemtsma-Entführer Thomas Drach organisieren?

Ein Architekt erklärte gar, dass der Gebäudekomplex in seiner jetzigen Form „asozial“ sei – in dem Sinne, dass er keinen Ort für Begegnungen biete. Das Gelände um den Komplex herum sei vom sozialen Gesichtspunkt her „tot“. Mit einem Neubau könne man das zugige, verschattete und ungeliebte Betonareal hinter sich lassen und endlich das Potenzial des Grüngürtels ausschöpfen.

Ein Punkt, der in der Diskussion immer wieder aufkam war die mangelnde Transparenz bei der Entscheidungsfindung. Man habe Informationen beim Landesbaubetrieb NRW einklagen müssen, monierte BUND-Vorstand Röscheisen. Aus seiner Sicht wurde „getrickst“, um die Entscheidung zugunsten eines Neubaus zu erzwingen. Dem Stadtentwicklungsausschuss seien seiner Ansicht nach relevante Informationen vorenthalten worden. Deckelt die Verwaltung wichtige Informationen, weil sie befürchtet, eine neue Diskussion und eine neue Entscheidung würde das Projekt um viele Jahre verzögern? Darüber wurde ausgiebig debattiert. Einig waren sich in jedem Fall alle Beteiligten auf dem Podium, dass eine offene Kommunikation eine conditio sine qua non sei: „Es geht auch um Steuergelder, die Prozess muss unter allen Umständen transparent gestaltet werden“, erklärte Stefanie Ruffen.

Der Abend zeigte: Das Thema „Abriss oder Sanierung“ ist komplex und hat zahllose Facetten. Was für einen Einfluss hat die umstrittene Entscheidung beispielsweise auf die Politikverdrossenheit der Bürger? Lässt es sich vermitteln, dass in Zeiten des Klimanotstandes ein gerade mal 40 Jahre altes Gebäude komplett abgerissen wird? Würde eine weitere Verzögerung des Gesamtvorhabens nicht auch einen immensen Schaden in punkto Verlässlichkeit städtischer und staatlicher Institutionen anrichten? Ist ein Sanierungsvorhaben des Justizgebäudes eher mit der Katastrophe der Kölner Opernsanierung vergleichbar oder doch eher mit der gelungenen Sanierung des Lanxess-Gebäudes in Deutz (welches allerdings als reines Bürogebäude eines Privatinvestors umgebaut wurde). Diese Fragen wurden auch im Anschluss des offiziellen Programms noch vehement, aber sachlich diskutiert.

Von Lewis Gropp

Details

Datum:
29. Oktober, 2024
Zeit:
19:30 - 22:00

Veranstaltungsort

Excelsior Hotel Ernst
Trankgasse 1-5
Köln, 50667

Details

Datum:
29. Oktober, 2024
Zeit:
19:30 - 22:00

Veranstaltungsort

Excelsior Hotel Ernst
Trankgasse 1-5
Köln, 50667