NEWSLETTER 10.02.2023

200 Jahre keine Frau im Dreigestirn – Skandal oder Brauchtum? Ein ganz heißes Eisen im Kölner Karneval

Sehr geehrte Mitglieder,

liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

die zentrale Brauchtumsveranstaltung in der Domstadt und jetzt im Jubiläumsjahr inszeniert sich seit 1823 immer gleich: Das Dreigestirn, die höchste Instanz im Kölner Karneval, ist – bis auf zwei Jahre in der Nazizeit – ausschließlich männlich besetzt. Auch die großen Traditionskorps im Kölner Karneval sind unverändert seit dem 19. Jahrhundert Männerbünde. Bis in die Siebzigerjahre hinein war es Frauen nicht einmal gestattet, beim Kölner Rosenmontagszug mitzulaufen. Zwar ist Emanzipation mittlerweile im Karneval angekommen, aber ein rein männliches Trifolium ist nach wie vor unausgesprochenes Gesetz. Wie passt das zu einer Stadt wie Köln, die sich nach außen gerne als offen, tolerant und divers gibt?

„Das Festkomitee sollte den Mut haben es einmal mit Frauen an der Spitze zu versuchen“, fordert Colombinen-Präsidentin Ursula Brauckmann
@Foto: Jo Fober

„Das muss sich ändern, wir schreiben schließlich das Jahr 2023! Frauen ins Dreigestirn!“ fordert auch Ursula Brauckmann, Präsidentin der Colombina Colonia, der ersten Kölner Damen-Karnevalsgesellschaft von 1999. Für sie ist das Festhalten an 200 Jahre Tradition typisch kölsch. „Da kommt wieder der Kölner Hang zum Kölschen Grundgesetz durch,“ sagt sie und zitiert Artikel 6: „Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet – soll heißen: seid kritisch, wenn Neuerungen überhandnehmen.“ Doch selbst das Festkomitee Kölner Karneval legt in seinen Leitsätzen fest, dass der Kölner Karneval zukunftsorientiert, innovativ und ein Spiegel der Gesellschaft sein sollte. Wo ist also das Problem? Warum haben wir noch keine Frau an der Spitze des Kölner Karnevals?

Das Stimmungsbild im Narrenvolk erscheint mir wie beim Schunkeln: mal so, mal so.  Viele – vorzugsweise Männer ¬– wünschen sich zur Abwechslung mal Frauen im Dreigestirn. Eine erhebliche Zahl der Kölner aber, darunter wiederum viele Frauen, sind der Meinung, dass alles so bleiben sollte, wie es ist. Wegen dem Brauchtum – wie es auf kölsch heißt. Den Kölnern ist nichts heiliger als der Karneval. Sobald an der Tradition gerüttelt wird, schlagen die Emotionen hoch. „Ein ganz heißes Eisen“, wird mir da auch schon mal hinter vorgehaltener Hand auf Sitzungen zugeflüstert. Aber mit dem Argument Tradition lässt sich jede Diskriminierung begründen. Manche spitzen sogar zu: „So wie Frauen im Kölner Brauchtum behandelt werden, würden sie jede Schadenersatzklage wegen Schlechterstellung gewinnen.“

Die Leistungen, die ein Dreigestirn in der Session erbringen muss, haben es in sich: Kraft für rund 450 Auftritte über Wochen und Monate. Zudem spielt das Finanzielle eine große Rolle. Offizielle Zahlen gibt es nicht, aber Summen in Höhe von 150.000 Euro kursieren für das ganze Schmölzche wie Ornat, Prinzenspange, Unterkunft in der Hofburg, Kosten für Tanzkurse, Kameratraining und Kamelle. Und während der Session im Büro oder in der Firma mal vorbeischauen, geht auch schlecht. Einmal Prinz, Bauer oder Jungfrau zu sein ist ein Vollzeitjob, bei dem Mitarbeiter und die ganze Familie mitspielen müssen.

„Das können wir Frauen auch!“ sagt die Colombinen-Präsidentin. „Es gibt in der Colombina Colonia Frauen, die sind redegewandt, talentiert, können singen, tanzen und musizieren. Wir haben das finanzielle Polster, engagieren uns seit Jahren ehrenamtlich bei sozialen Projekten und sind auch körperlich fit genug.“ Ursula Brauckmann ist selbst Unternehmerin und kündigt eine erneute Kandidatur der Colombina Colonia e.V. für ein eigenes Dreigestirn in naher Zukunft an. „Das Festkomitee sollte den Mut haben es einmal mit Frauen an der Spitze zu versuchen. Dann kann man im Nachhinein immer noch sagen, das machen wir wieder oder lassen wir es doch besser.“ Eine Frauenquote fürs Dreigestirn lehnt Ursula Brauckmann ab. „Mit Zwang erreicht man hier nichts. Frauen im Dreigestirn – das soll von allen gewollt werden.“ Sie fordert eine öffentliche Diskussion: Kölnerinnen und Kölner, was wollt ihr?

Trotz allen Frohsinns ist Karneval immer noch eine ernste Sache. Seit 200 Jahren Männersache.
Warum es für Frauen im Kölner Dreigestirn noch ein langer steiniger Weg ist – im neuen Newsletter des Kölner Presseclub.
Foto: Claudia Hessel

Die Colombinen-Präsidentin sieht die Zeit für ein weibliches Dreigestirn gekommen und „dafür sollten sich Frauen in ganz Köln jetzt stark machen. Wo bleibt denn die vielbeschworene Solidarität unter Frauen?“ Was wäre also, wenn die erste Bürgerin von Köln vorangeht und die bislang männlichen Vorschläge des Festkomitees nicht mehr akzeptiert beim sogenannten Abnick-Abend, sondern stattdessen auf eine Frau im Dreigestirn besteht? Dieses starke Zeichen wäre doch auch ein bleibendes Vermächtnis für die erste Frau, die es geschafft hat, Oberbürgermeisterin von Köln zu werden.

Doch Narrenfreiheit hat seine Grenzen. Trotz allen Frohsinns ist Karneval immer noch eine ernste Sache – Männersache seit 200 Jahren. Als gebürtige Kölnerin sehe ich die Diskussion um mehr Gleichberechtigung im Karneval naturgemäß ambivalent: Männer sollen unter sich bleiben dürfen und wir Frauen auch. Aber für die höchsten Regenten der Stadt könnte ich mir eine Kompromisslösung vorstellen. Wie wäre es, wenn den Anfang mal ein weiblicher Prinz macht? Denn auch mit Strumpfhosen kennen wir uns aus. Tusch!

Mit Karneval im Herzen wünsche ich Ihnen noch eine schöne Session

Ihre

Claudia Hessel