Newsletter 11.11.2022

Newsletter vom 11.11.2022

Kosten-Tsunami überrollt den Mittelstand – Familienunternehmer Bühlbecker: Modell Deutschland steht auf der Kippe

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

er wirkt geradezu wie das Gegenmodell zum bodenständigen, dezenten deutschen Familienunternehmer und Mittelständler: Hermann Bühlbecker, Chef der Aachener Lambertzgruppe, Weltmarktführer für Saisongebäck mit rund 4.000 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von 656 Millionen Euro. Als sein eigener Markenbotschafter pflegt er, ähnlich wie Wolfgang Grupp von Trigema, einen Paradiesvogel-Status, seine Monday Night-Partys in Köln machen die Stadt einmal im Jahr zum glamourösen Hotspot für Hollywood-Größen und anderen Promis der unterschiedlichsten Gewichtsklassen.

Doch den Mann, der auf Fotos mit amerikanischen Präsidenten und britischen Prinzen, mit internationalen Top-Athleten und Show-Giganten posiert, plagen derzeit die gleichen Sorgen wie wohl die meisten seiner unauffälligeren Unternehmer-Kollegen: Der Kosten-Tsunami, der gerade über fast alle Branchen des produzierenden Gewerbes überrollt. Dabei trifft es Bühlbecker gleich mehrfach: Explodierende Energiekosten, Rohstoffpreise, verteuertes Verpackungsmaterial und Logistikprobleme machen die Herstellung um etwa 30 Prozent teurer. Doch dieser Anstieg kann nicht einfach an eine Kundschaft weitergegeben werden, die ebenfalls von der Teuerung gebeutelt ist und jeden Euro nur einmal ausgeben kann.

Markenbotschafter in eigener Sache: Dr. Hermann Bühlbecker

Quelle: privat

Wie viele andere erfolgreiche Familienunternehmen sieht sich Hermann Bühlbecker an Deutschland gebunden. Seine Aachener Printen, Nürnberger Lebkuchen oder Dresdner Stollen kann er schlecht in Argentinien oder Brasilien produzieren – und will es auch gar nicht. „Ich leide mit diesem Land, aber ich laufe nicht weg. Wir produzieren hier, wir zahlen hier Steuern, schaffen Arbeitsplätze und stehen nicht in den Panama-Papieren“, betont er, der das Wort vom Printen-König oder Lebkuchen-Zar so gar nicht mag. Dennoch hadert er mit der Politik, die er für die gegenwärtige Malaise mitverantwortlich macht.

Die eigentlichen Probleme sieht der Unternehmer, dem gerade die rheinische Gelassenheit etwas abhandenkommt, erst noch kommen. „Um diese Saison mache ich mir noch keine Sorgen. Der Preisschock ist noch gar nicht richtig angekommen, das steht uns im nächsten Jahr bevor. Wenn wir dann kein Mittel gegen die Versorgungskrise finden, bewegen wir uns als Staat und als Wirtschaft in eine ganz gefährliche Situation.“ Der Mann, der als 26-Järiger eine mehr als 300 Jahre alte Firma aus der Krise geführt und zum prosperierenden Weltmarktführer gemacht hat, ist angesichts der gegenwärtigen Lage mehr als besorgt, er fürchtet um das Wirtschafts- und Gesellschaftsmodell Deutschland.

Die massiven Finanzspritzen des Staates in der Corona- und jetzt der Finanzkrise sieht er kritisch. Das müsse irgendwann bezahlt werden, was aber nur mit den Einnahmen aus einer funktionierenden Wirtschaft gelingen könne. Nachhaltigkeit, die jetzt überall propagiert werde, sehe anders aus. Ohne die, so Bühlbecker, ließe sich der Sozialstaat nicht finanzieren. Er selbst und sein Unternehmen habe weder in der Pandemie noch der gegenwärtigen Krise „keinen einzigen Euro vom Staat“ genommen. Aber jetzt gehe es an die Substanz. Und zumindest ein Teil der Verantwortung liege bei der Politik, die er mit ihren energiepolitischen und finanzwirksamen Entscheidungen auf dem falschen Pfad sieht.

Man kann das natürlich alles anders sehen und Hermann Bühlbeckers Kritik als das typische Genörgel eines Lobbyisten in eigener Sache abtun. Aber das griffe zu kurz. Denn die Probleme für den Mittelstand sind unübersehbar – und sie sind hierzulande wohl gravierender als anderswo. Gleichzeitig sind die mittelständischen Unternehmen ein Erfolgsfaktor der deutschen Wirtschaft, sie tragen über 60 Prozent zur gesamten Netto-Wertschöpfung  bei, mehr als die Hälfte der Beschäftigten haben ihren Arbeitsplatz dort. Das gerät bei der öffentlichen Betrachtung, die mehr auf große Konzerne fokussiert ist, gelegentlich aus dem Blick. Sollte es aber nicht!

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

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