Newsletter 24. Dezember 2021

Newsletter vom 24.12.2021

Reul: Angriff auf die gesellschaftliche Mitte – Das Ende der Volksparteien

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

Herbert Reul ist nicht nur Innenminister des Landes, er ist auch unbestritten eine politische Altersschönheit. Am Ende einer langen Karriere hat er sich als zupackender Pragmatiker nicht nur in den eigenen Reihen, sondern auch bei der Opposition Respekt erworben und gilt als populäres Schwergewicht im Düsseldorfer Kabinett. Sein Wort hat Gewicht und seine Einschätzungen sind ungeschminkt. Eine erste Adresse also, will man etwas über Entwicklung und Zustand einer unruhig gewordenen Gesellschaft in schwierigen Zeiten erfahren. Wie also, habe ich ihn gefragt, ist seine Einschätzung der Lage am Ende dieses turbulenten Jahres?

„Wie so vieles, steht auch die aktuelle Sicherheitslage deutlich im Zeichen der Corona-Pandemie“, sagt Reul. „Sie wirkt sich zum Beispiel stark auf die Polizeiliche Kriminalstatistik aus. Die Kriminalität verlagert sich ins Netz. Durch die Pandemie findet das Leben stärker online statt und das Verbrechen kommt hinterher. Da gibt es eine Kriminalitätsverschiebung.“ Ihn besorgt aber auch noch etwas anderes: „Die Corona-Krise ist ein Stresstest für die gesellschaftliche Mitte. Von rechts, von links, von Islamisten, von Rassisten, von Corona-Leugnern, online im Internet – die Mitte wird angegriffen. Wir werden bombardiert mit Verschwörungsmythen, mit falschen Nachrichten, mit Wissenschaftsfeindlichkeit, Homophobie, Misstrauen.“

Und vor allem eins macht ihm zu schaffen: „Besonders deutlich zeigt sich die zunehmende Radikalisierung in Teilen der Querdenker-Bewegung. Das bestätigen auch die aktuellen Bilder der Corona-Proteste in ganz Deutschland.“ Auf NRW bezogen stellt er fest, dass das Land „noch lange nicht da ist, wo andere Bundesländer stehen: Unsere Sicherheitsbehörden beobachten eine zunehmende Emotionalisierung und Gewaltbereitschaft.“ Verbindendes Element der Corona-Leugner-Szene sei „die Ablehnung derCOVID-19-Schutzmaßnahmen.“ Besorgnis erregt bei Reul, dass sich die Corona-Proteste „mehr und mehr zu einer verfassungsfeindlichen und sicherheitsgefährdenden Lage“ entwickeln.

„Auffällig ist, dass sich häufig mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmer beteiligen, als zuvor von den Organisatoren angegeben wurden. Auch unangemeldete Demonstrationen, die oft als sogenannte Spaziergänge verharmlosend umschrieben werden, nehmen zu“, hat der Minister beobachtet. „Welche Ausmaße das möglicherweise noch annimmt, müssen wir in den nächsten Wochen und Monaten sehen. „Polizei und Verfassungsschutz“, so versichert er, „haben die Lage im Blick.

Hingegen ein bisschen aus dem Blick geraten ist am Ende dieses Jahres ein Abschied, der in seiner ganzen Dimension vermutlich noch nicht richtig realisiert worden ist: Der Abschied von den Volksparteien. Das zumindest ist die Diagnose des Forsa-Chefs Prof. Manfred Güllner. Für den renommierten Meinungsforscher ist mit dem Ergebnis der Bundestagswahl vermutlich „das endgültige Ende der Volksparteien besiegelt“ worden. Das sei bei der Begeisterung über den reibungslosen Regierungswechsel, die euphorischen Erwartungen an die Ampel-Koalition und den dramatischen Kollaps der ehedem selbstbewussten Union schlicht verdrängt worden. „Bei der geringen Bindekraft von CDU und SPD besteht wenig Hoffnung, dass beide Parteien ihren früheren Status als Volksparteien wieder erlangen können.“

Diese „Zäsur mit noch nicht überschaubaren Folgen“ (Güllner) ist der vorläufige Schlusspunkt eines „von den Parteien weitgehend ignorierten Vertrauens- und Bedeutungsverlusts“. SPD und dann auch die Union hätten zunehmend „ihre Fähigkeit verloren, heterogene Wählergruppen mit unterschiedlichen Interessen und Wertvorstellungen an sich zu binden.“ Zusammen wurden die ehemaligen Volksparteien bei dieser Wahl tatsächlich nur noch 37,8 Prozent aller Wahlberechtigten gewählt – in den 80er Jahren waren es noch über 80 Prozent.

Verschärft wird das Problem für Unions-Christen und Sozialdemokraten noch dadurch, dass sie bei jungen Wählern kaum punkten können. Hier liegen die links-ökologischen Grünen und die bürgerlich-wirtschaftsliberalen Freidemokraten deutlich vorne. Nur bei der Generation 70 und älter schafft es die Union noch, auf über 30 Prozent der Stimmen zu kommen. Eine günstige Prognose sieht definitiv anders aus. Was das alles für die Statik des politischen Systems, die Stabilität der Demokratie bedeutet, wird man sehen. Sicher ist nur: Mit der schleichenden Auszehrung der Volksparteien verabschiedet sich ein weiteres Kapitel der alten Bundesrepublik in die Geschichtsbücher.

Was heißt nun das Zerbröseln der Union für NRW, wo im kommenden Jahr gewählt wird? „In Düsseldorf wollen wir unsere erfolgreiche Regierungsarbeit fortsetzen“, sagt der kampferprobte Herbert Reul. „In Berlin muss sich die Union in der Opposition erneuern. Für beides braucht es die maximale Geschlossenheit unserer Partei. In Nordrhein-Westfalen zeigen wir bereits, wie das funktioniert und ich bin optimistisch, dass uns das auch im Bund gelingt.“ Angesichts der rasanten Schussfahrt in der Wählergunst im ablaufenden Jahr wirkt das allerdings ein wenig wie aufmunternder Zweck-Optimismus.

Für den Kölner Presseclub war 2021 ein ebenso anstrengendes wie anregendes Jahr. Neben unserem wöchentlichen Newsletter und Podcast-Folgen haben wir trotz der Beschränkungen durch Corona etliche Veranstaltungen durchführen können. Die hochrangig besetzten Podiumsdiskussionen zur Gestaltung der Kölner Mitte, zum bürgerschaftlichen Engagement für die Stadt, zur Verkehrspolitik, zur Bundestagswahl, die neu aufgelegte Gesprächsreihe „Starke Frauen“ – das Angebot war vielfältig wie die Stadt, in der wir leben. Dazu maßgeblich beigetragen hat auch die Kooperation mit dem Rheingold-Salon von Ines Imdahl und Jens Lönneker, aber auch die Unterstützung durch Marco Morinello und seinem 923b-Team.

Unser Antrieb dabei war stets Ihr Interesse, für das wir uns herzlich bedanken und das für uns Verpflichtung ist, im kommenden Jahr mit gleicher Energie weiterzumachen. Bleibt mir nur noch, Ihnen im Namen des Kölner Presseclubs besinnliche Feiertage und einen guten Start in ein glückliches, gesundes Jahr 2022 zu wünschen. Ab Mitte Januar können Sie wieder mit dem regelmäßigen Newsletter am Freitagmorgen rechnen.

In diesem Sinne grüßt Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

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