Veranstaltungen
des Kölner Presseclubs

In direkter Nachbarschaft des Kölner Doms, im traditionsreichen Excelsior Hotel Ernst, diskutieren unsere Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport in regelmäßigen „Jour-Fixe“-Abenden über aktuelle Themen, geben exklusive Einblicke und stellen sich den Fragen des Auditoriums.

Beim anschließenden Get-together, bei einem Glas Wein oder Kölsch, haben Sie die Möglichkeit zum direkten Gespräch und können viele neue Kontakte knüpfen.

Hinweis für Nicht-Mitglieder des Kölner Presse-Clubs

Auch Nichtmitglieder sind herzlich zu unseren Abendveranstaltungen eingeladen.
Über Ihre Unterstützung in Form einer Spende freuen wir uns.
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Eine Spendenbescheinigung geht Ihnen dann umgehend zu.

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NÄCHSTE VERANSTALTUNGEN

Hier finden Sie die kommenden Termine des Kölner Presseclubs.

22.03.24

Was nun, Herr Lindner?

unsere Gäste:

Christian Lindner, FDP-Parteichef und Bundesfinanzminister

 

Moderation:

Peter Pauls und Michael Hirz, Vorstand Kölner Presseclub

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:00

RÜCKBLICK

Veranstaltungs-Archiv

Hier finden Sie die bisherigen Veranstaltungen (ab 2010) des Kölner Presseclubs im Überblick.
Wir begrüßen gerne Gäste bei unseren Abendveranstaltungen.
Bei einem Glas Wein oder Kölsch wird im Anschluss weitergeredet und neue Kontakte geknüpft.

Wir würden uns freuen, Sie zukünftig auch als Gast oder Mitglied begrüßen zu dürfen!

Veranstaltungen 2024
06. März 2024 - Die Zukunft der Innenstädte

unsere Gäste:

Isabel Apiarius-Hanstein, Kommanditisitn Kunsthaus Lempertz

Markus Greitemann, Kölner Baudezernent

Andreas Grosz, KAP Forum

Dr. Kevin Meyer, Geschäftsführer James Cloppenburg Real Estate

 

Moderation:

Peter Pauls, Vorstandsvorsitzender Kölner Presseclub

Bilder: Thomas Leege

 

Millioneninvestment für das Antoniter Quartier

Star-Architekt Renzo Piano entwirft mit JC Real Estate die Vision einer künftigen Innenstadt

 

„Kann die City wieder einladend werden?“, mit diesem Titel seiner Veranstaltung, hat der Kölner Presseclub den Nerv der Stadtgesellschaft getroffen. Trotz Bahnstreik und anderen verkehrlichen Herausforderungen in Köln, war der Gobelin-Saal des Excelsior Hotels Ernst vollbesetzt. Wen wundert es, denn die Innenstadt und ihr aktueller Zustand ist schon lange Stadtgespräch. Daher war es gut, dass der Pressclubvorsitzende, Peter Pauls, das Podium mit ausgewiesenen Experten besetzt hatte, die Rede und Antwort und Zukunftsperspektiven präsentieren sollten.

Die Meldung des Abends war dabei sicherlich die Ankündigung von Dr. Kevin Meyer. Der Geschäftsführer von James Cloppenburg Real Estate, dem Vermieter des in der Schildergasse angesiedelten Weltstadthauses von Peek & Cloppenburg, Düsseldorf, verkündete im Beisein von Planungs- und Baudezernent Markus Greitemann, einen dreistelligen Millionenbetrag in einen Erweiterungsbau zu investieren.

Durch den hier angesiedelten Nutzungsmix soll das Quartier an der Antoniterkirche belebt werden und Ausstrahlungswirkung auf die umliegenden Straßen haben. Der Neubau soll den aktuellen Anforderungen an eine moderne Innenstadtgestaltung entsprechen und eine vielfältige und eher kleinteilige Nutzung gestatten: Einkaufen, arbeiten, Essen gehen, ein Besuch im Fitness-Salon, womöglich Kindergarten oder Schule, wie in Frankfurt.

Zudem steht die öffentliche Zugänglichkeit der weithin sichtbaren Kuppel des Weltstadthauses im Gespräch. Auch für die Erweiterung ist man mit dem renommierten Architekten Renzo Piano im Gespräch. Dieser ist nicht nur für seine herausragende Architektur bekannt, sondern auch für seine innovativen Ansätze der Stadtgestaltung, wie er jüngst wieder in New York oder Genua bewiesen hat.

Die vom JC-Geschäftsführer vorgestellten Planungen, wurden von dem Architekturexperten Andreas Grosz gelobt. Mit dem Verweis auf die durch Corona und digitalen Wandel geprägten veränderten Lebensformen, müsse Stadtgestaltung und Architektur hierauf reagieren. „Wir können nicht einfach weitermachen, wo wir aufgehört haben,“ sagte Grozs, der viele Jahre erfolgreich den Kölner Rotonda Business Club leitete. Schließlich stehe die Pandemie mit all ihren gesellschaftlichen Folgen, den Lockdowns, dem Homeoffice, dem Trend, zu Hause zu bleiben und Menschen zu meiden, für tiefe gesellschaftliche Brüche und Sprünge.

Aufreger des Abends war die Aufforderung der Bezirksvertretung an die Eigentümer des Kunsthauses Lempertz, die von ihnen vor Ihrem Haus am Neumarkt aufgestellte Rodin-Skultpur und mit Frau Oberbürgermeisterin Reker enthüllt, zu entfernen. Wie das mitgeteilt worden ist? Sie habe es in der Zeitung gelesen, sagte die geschäftsführende Gesellschafterin des Kunsthauses, Isabel Apiarius-Hanstein. Aber gesprochen habe noch niemand mit ihr.

Zu schaffen macht der engagierten Geschäftsfrau und ihren Kunden und Kundinnen die angespannte Situation in der Innenstadt. Wie bei vielen anderen Geschäftstreibenden in der Innenstadt, schaffe der öffentlich und meist präsente Rauschgiftkonsum mit all seinen Folgewirkungen für Kunden und das eigene Personal belastenden Situation. Aparius-Handsein forderte Köln auf, seine im gesamten Stadtbild präsenten Spuren von 2000jährigen Geschichte besser pflegen und sich um ein geschlossenes Stadtbild bemühen, wie sie das in anderen europäischen Städten erlebe.

Markus Greitemann stellte sich während der Diskussion  vor die Verwaltung. Aber auch er könne nicht alles nachvollziehen, sagte der Dezernent. Es gebe auch Lichtblicke und er schaue mit Zuversicht auf die Kölner Innenstadt. So gebe es zahlreiche Investitionsprojekte, aber sicher löse eine Großinvestition mit Renzo Piano weitere Investitionen aus, und wäre gleichsam ein Startschuss.

So wurde der Abend mit der Feststellung geschlossen, dass ein Projekt wie das von JCRE, ein Impulsprojekt für weitere dieser Art für die Kölner Innenstadt sein könne. Aber einer müsse ja den Anfang machen – wenn Politik und Verwaltung ihn lassen. (EB)

 

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

27. Februar 2024 - Gesprächsabend mit Andreas Feicht

Zu Gast im Kölner Presseclub: Andreas Feicht, Vorstandsvorsitzender der RheinEnergie

Moderation: Michael Hirz

 

Fotos: Thomas Leege

Zu Gast im Kölner Presseclub: Andreas Feicht

 

„Eine Wärmepumpe ist nichts Böses, ein E-Auto auch nicht. Die tun niemandem etwas“, so Andreas Feicht, der Vorstandsvorsitzende der RheinEnergie AG im Gespräch mit Michael Hirz im Excelsior Hotel Ernst vor vollem Haus. „Wir sollten sie nehmen, wenn sie Sinn machen“. Pragmatismus anstelle von erbitterten Diskussionen um das Thema erneuerbare Energien, so das Plädoyer des Managers, der einen kosteneffizienten Weg mit allen zur Verfügung stehenden Technologien gehen möchte. Aber so günstig wie früher, so seine Prognose, werde die Energie nicht mehr.

Damals, in besseren Zeiten, kam der Strom noch ganz einfach aus der Steckdose und die Energieversorgung schien selbstverständlich. Doch seit Beginn des Angriffskriegs in der Ukraine ist nun alles anders: vorher habe das Industrieland Deutschland mit billiger Energie auf der Gewinnerseite gestanden, nun sei man bei den Verlierern gelandet und müsse um die Wettbewerbsfähigkeit kämpfen. „Wir kommen aus einer Zeit, wo wir uns viel leisten konnten, das ist vorbei“, so Andreas Feicht, der 2022 und damit in turbulenten Zeiten bei der RheinEnergie begann. Von 2019 bis zum Regierungswechsel war er Staatssekretär für Energie und Digitales im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.

Zum Krisen-Szenario gehörten die Gasmangellage, ein drohender Blackout und Preissprünge. Und obendrein sollte auch noch die Energiewende bewältigt werden.  Aber: „Deutschland hat sich als resilient erwiesen, das war eine große Leistung“. Die großen Katastrophen seien ausgeblieben, über Umwege komme immer noch russisches Gas nach Europa, aber es blieben immer noch viele Unsicherheiten so Feicht. Vor allem die Kunden seien verunsichert durch die Preisschübe. Normalerweise sei der Telefonservice der Rheinenergie mit 70 Mitarbeitern besetzt, inzwischen wurde auf 400 Mitarbeiter aufgestockt.

Kunden müssten sich inzwischen aber nicht nur mit steigenden Preisen auseinandersetzen, sondern sind auch mit Fragen konfrontiert, die früher von Fachleuten beantwortet wurden. Was für eine Heizung soll ich als Nächstes einbauen? Wird mein nächstes Auto ein E-Auto oder doch ein Verbrenner? Die Energiewende sei inzwischen auf Seite der Konsumenten gewandert.

Energieversorgungsunternehmen wie die RheinEnergie AG hätten durch die Bewältigung der Probleme viel Zeit verloren, die eigentlich für die Entwicklung nötig gewesen wäre. Nun stünden die Energieversorger vor Mammutaufgaben. Der Strombedarf werde in Deutschland weiter steigen, weil in Zukunft eben alles elektrifiziert werden soll. Die größte Herausforderung sei jedoch nicht die Menge des Stroms, sondern die Leistung der Stromnetze. . Über viele Jahre habe man einen erbitterten Kulturkampf um mehr erneuerbare Energien geführt, aber sich nicht um die Netze gekümmert. Allein für deren Ausbau müssen nun 900 Millionen Euro investiert werden.

Eine Milliarde Euro geht in die Fernwärme, weitere Millionen in die Wasserversorgung. In Köln-Niehl soll die größte Wärmepumpe Europas entstehen. Weitere sollen folgen. Alles ambitionierte Pläne, die oft im Kampf mit der Bürokratie den Kürzeren ziehen. Die Bundesregierung habe zwar viele Fortschritte gemacht, doch es brauche immer noch zu viele Genehmigungen in Unter-, Mittel- und Landesbehörden, um Neues dann tatsächlich umzusetzen. So könne das Staatswesen nicht weiter funktionieren. Und die Prognose für den Kohleausstieg 2030? „Wir haben uns auf einen sehr ambitionierten Weg begeben. Aber wenn wir die Ziele drei bis vier Jahre später erreichen, ist das auch gut. Der Übereifer, alles gleichzeitig machen zu wollen, wird teuer.“

Von Ulrike Brincker

 

 

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

31. Januar 2024 - Der Freiheitskämpfer – Jahresauftaktgespräch mit Gerhart Baum

Zu Gast im Kölner Presseclub: Gerhart Baum, Bundesinnenminister a.D.

Moderation: Michael Hirz

 

Fotos: Thomas Leege

Der Freiheitskämpfer – Jahresauftaktgespräch mit Gerhart Baum

„Ich sehe heute etwas, das mich damals schon berührt und geschockt hat: die alten Nazis sind zum Teil wieder da“, so Gerhart Baum im Gespräch mit Michael Hirz im Kölner Presseclub. Es seien auch nicht nur die Pegida-Anhänger, die wieder völkischem Denken anhingen und die Demokratie verachteten, sondern auch Teile des Bürgertums. Darin sieht er eine große Gefahr: „Weimar ist gescheitert auch wegen der Nachlässigkeit des Bürgertums gegenüber der Demokratie.“

Mit 91 Jahren hat er fast ein Jahrhundert deutsche Geschichte miterlebt: Krieg und Vertreibung, die „harten Nachkriegsjahre“, den Aufbau der Bundesrepublik, die Ostpolitik. Als junger Mann sei er – wie viele in seiner Generation –  motiviert gewesen durch die Frage: Was macht Deutschland anfällig für die Barbarei? „Bei uns jungen Leuten war es eine Herausforderung, die Demokratie aufzubauen.“ Über viele Jahre sei das auch gut gegangen.  „Wir haben eine geglückte Demokratie aufgebaut.“  Davon ist er bis heute überzeugt.

Baum ist schon 1954 in die Politik gegangen. Die CDU war ihm damals zu „klerikal“, die SPD zu „sozialistisch“, deshalb sei er in die FDP eingetreten, obwohl sich dort viele alten Nazis getummelt hätten. Er habe damals die Partei verändern wollen und die Republik gleich mit. Das Grundgesetz sollte „mit Leben gefüllt“ werden. Als Innenminister in schwierigen Zeiten (1978 – 1982) waren die Bürgerrechte sein großes Thema. Als Anwalt kämpft er bis heute gegen Menschenrechtsverstöße: „Der Begriff, der uns alle zusammenhält, ist die Menschenwürde“.

Inzwischen ist er seit 70 Jahren in der FDP. Ein bisschen „gefühllos“ komme die ihm jetzt vor. Die Partei müsse sich fragen, wofür sie eigentlich noch stehe. Insbesondere in einer Zeit, die von Krieg, Krisen und fundamentalen Veränderungen geprägt sei. Herausforderungen, die für jeden schwierig seien, „auch für die CDU“.  Den Vertrauensverlust durch die Ampel findet er „sensationell“. Trotzdem habe die Regierung „viele gute Sachen gemacht, aber die gehen unter im Streit“. Man müsse den Menschen sagen, was auf sie zukomme. Dazu gehöre möglicherweise auch, dass sich Europa in Zukunft selbst verteidigen müsse.

Denn Putin wolle eine „neue Weltordnung“, er habe keine Angst vor der Nato, sondern vor Demokratie und Freiheit an Russlands Grenzen. Mit der Entspannungspolitik von damals ließe sich heute nichts mehr erreichen.  Europa müsse der Ukraine mit Waffen beistehen. Nur mit Demonstrationen gegen den Krieg sei „kein Frieden zu schaffen“.

„Wenn ich zurückblicke,  habe mich noch nie in einer  Situation gefunden, wo es so viele Krisen gab“. Das Jahr 2024 sei mit der Europawahl, der Wahl des US-Präsidenten und den Landtagswahlen im Osten Deutschlands ein Schicksalsjahr. Ein bisschen Optimismus ist ihm aber auch in schwierigen Zeiten geblieben: „Es ist ein Potential an Freiheit in jedem Staat und in jedem Menschen.“

Ulrike Brincker

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

Veranstaltungen 2023
20. Dezember 2023 - Gesprächsabend mit Rolf Mützenich

Zu Gast im Kölner Presseclub: Rolf Mützenich, Fraktionsvorsitzender, SPD-Bundestagsfraktion

Moderation: Peter Pauls

 

Zu Gast im Kölner Presseclub:

Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion

Fotos: Thomas Leege

Die Krise ist die neue Normalität

„Wir haben Krisen, es gibt keine Normalität“, sagt Rolf Mützenich im Gespräch mit Michael Hirz und Peter Pauls. Seit er dem Bundestag angehöre, habe es solche Extreme nicht gegeben. Krieg in der Ukraine, Krieg in Nahost, große Fluchtbewegungen und kein Geld mehr für den Haushalt.

Seine Partei, die SPD, kommt laut aktuellen Umfragen noch auf 14 Prozent Zustimmung und nur jeder fünfte Deutsche hält Olaf Scholz für einen geeigneten Kanzler. Viel zu tun für Rolf Mützenich. Sein eigentliches Thema ist die Außenpolitik. Als SPD-Fraktionsvorsitzender muss er nun jedoch 207 Abgeordnete auf Spur halten, insbesondere wenn es um die großen Fragen von Krieg und Frieden geht. Das klappt erstaunlich geräuschlos und darüber scheint er fast selber zu staunen. Weniger auf Harmoniekurs ist die Ampel. Dauerscharmützel unter denen, die angetreten waren, das Land zu modernisieren.

„Man spricht nicht immer gut über die anderen“. Es habe „viele handwerkliche Fehler“ und auch „Fehler in der öffentlichen Kommunikation“ gegeben, erläutert der 64jährige. „Tiefpunkt“ sei das Heizungsgesetz gewesen, das zwar gut erdacht, aber nicht auf die sozialen Realitäten hin geprüft worden sei. Trotz der mühsamen Einigung des Kabinetts zum Haushalt spricht sich der SPD-Politiker für die Aussetzung der Schuldenbremse für 2024 aus. Wenn die notwendigen Ukraine-Hilfen gegen innenpolitische Leistungen ausgespielt würden, führe dies zu „innenpolitischen Verwerfungen“. Es brauche einerseits mehr Geld fürs Militär, aber sicherheitspolitische Herausforderungen könne man nicht alleine damit beantworten. „Da ist manche Diskussion in Deutschland denkfaul“.

Vor allem der SPD wird die Fehleinschätzung des russischen Großmachtstrebens angelastet. War die jahrzehntelange Entspannungspolitik aus heutiger Sicht ein Denkfehler? Er selbst habe Putins „imperiales Denken“ unterschätzt, sagt Mützenich. Aber dass heute eine Linie gezogen werde von der Entspannungspolitik zum Überfall auf die Ukraine, empfinde er als perfide. „Das ist eine deutsche Diskussion“, die im Ausland so nicht gesehen würde.

Die Gäste im gut gefüllten Gobelin-Saal des Excelsior Hotels Ernst erleben einen ruhigen Politiker, der versucht, jede Frage ernsthaft und ruhig zu beantworten. Polemik sowie auf den schnellen Effekt setzende Antworten sind dem gebürtigen Kölner fremd. Zum Termin ist er wie seit Jahren bei ihm üblich mit dem Fahrrad gekommen. Aufhebens um die eigene Person ist ihm fremd. Politik, das spiegeln Mienenspiel und Körpersprache, birgt Verantwortung und ist eine Verpflichtung.

Braucht Europa angesichts der Bedrohung durch Russland nun ein eigenes Atomwaffenarsenal, wie kürzlich von Joschka Fischer gefordert? Einen gemeinsamen Koffer mit rotem Knopf, der zwischen den europäischen Hauptstädten hin und her wandert, hält Rolf Mützenich für abwegig und nicht praktikabel. Eine gewisse Abschreckung sei notwendig, aber der Diplomatie solle man „trotz aller Zweifel“ doch immer wieder einen Gedanken opfern.

Die aktuellen Krisen haben auch zur Folge, dass Flucht und Vertreibung zunehmen werden. Für Deutschland ist das in den Augen vieler schon jetzt ein Problem. Aktuell leben hier 250.000 Menschen, obwohl sie keinen Anspruch darauf haben. Aber nur drei Prozent werden abgeschoben. Mit ein Grund, warum sich viele Wähler rechtsextremen Parteien zuwenden?

Rolf Mützenich wünscht sich bessere „Durchgriffsmöglichkeiten“ per neuem Abschieberecht. Aber um die AfD zu entzaubern, müsse man sie an ihren konkreten Versprechungen messen. Der Populismus Vorwurf bringe nichts. Ein AfD-Verbot halte er für ein großes Wagnis, er selbst habe sich dazu aber noch nicht konkret entschieden. Überall in Europa würden die rechtsextremen Kräfte stärker. Die kommende Europawahl müsse deshalb zu einem „demokratischen Plebiszit“ gemacht werden.

Gelegentlich gestattete der Politiker den Gästen einen Blick in sein Inneres. In 2023 habe er bis zur „Selbstverleugnung“ konkrete Themen akzeptieren müssen, das sei auch für ihn schwer gewesen, räumt er ein. Und: „Man wird in diesem Geschäft sehr einsam“, so Mützenich über seinen steten Kampf mitunter auch gegen Windmühlen.

2024? Im neuen Jahr könnten die Herausforderungen noch größer werden. In den USA wird gewählt und Donald Trump hat gute Chancen, ein zweites Mal Präsident zu werden. Auch der Ausgang der Wahlen in einigen europäischen Ländern sei nicht vorhersehbar. Aber: „Aufgeben geht gar nicht. Ich werde es jeden Tag neu versuchen.“

Ulrike Brincker

 

 

 

 

 

 

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

23. November 2023 - Gesprächsabend mit Innenminister Herbert Reul

Zu Gast im Kölner Presseclub: Innenminister Herbert Reul

Moderation: Michael Hirz und Peter Pauls

Fotos: Thomas Leege

 

Gesprächsabend mit Innenminister Herbert Reul

 

„Alte Männer sind gefährlich“ so die Ankündigung für einen Mann, der für die Sicherheit von Nordrhein-Westfalen zuständig ist: Innenminister Herbert Reul, 71. Im Gespräch mit Peter Pauls und Michael Hirz erzählt der CDU-Politiker, warum er nach wie vor  für seinen Job brennt. Als ihm Armin Laschet 2017 den Ministerposten anbot, habe er „keine Ahnung“ von dem Thema gehabt. Geboren in Langenfeld, aufgewachsen in Leichlingen interessierte sich Herbert Reul erstmal gar nicht so für Politik. Er wurde Lehrer wie sein Vater, saß neun Jahre im NRW-Landtag, anschließend 13 Jahre im Europaparlament. Zwölf Jahre war er darüberhinaus  Generalsekretär der Landespartei.

Was ihn ausmacht: sein eher unkonventionelles Vorgehen und eine Vorliebe für Klartext. An Herausforderungen hat es bislang nicht gemangelt. Meistens lautet sein Motto: besser erstmal nicht aufregen. So geschehen beim Auftritt eines afghanischen Taliban-Funktionärs in einer Kölner Moschee. „Der Auftritt hat mich entsetzt, den brauche ich nicht“ so Reul. „Aber die Taliban sind keine terroristische  Vereinigung, stehen auch nicht auf der Sanktionsliste der EU.“ Er habe nicht „aufgekratzt reagieren“ wollen. Denn selbst wenn er gewollt hätte, habe er gar nichts machen können. Trotzdem sei die Aufregung auf Bundesebene groß gewesen. Aber wenn Politik immer sofort bewerte und nicht erst abwäge, führe das eher zu Politikverdrossenheit.  Der Ruf nach sofortigen Verboten zeige sich – ähnlich wie bei dem Auftritt des Taliban-Funktionärs – auch bei den palästinensichen Demonstrationen. Die Versammlungsfreiheit dürfe in Deutschland nicht gefährdet werden. Und erstmal müsse geklärt werden, was denn überhaupt auf den Flaggen mit den religiösen Schriften stehe. Seinen Beamten habe er deshalb ein „kleines Handbuch“ zur Entschlüsselung verbotener Symbole gegeben. Der Staat müsse dann „zeigen, was geht und was nicht geht“.

Auch im Kampf gegen die Clans gehe es nur mit „kleinen Schritten“. Der Rechtsstaat sei, anders als eine Diktatur, langsam und vor allem mühsam. „Die Leute erwarten  immer, dass das alles ruckzuck geht“. Aber am Ende werde vor Gericht entschieden. Und immerhin habe er schon 20 Millionen Euro bei den Clans aus dem Verkehr gezogen.

Die allgemeine Gefahr für islamistische Anschläge, zum Beispiel auf Weihnachtsmärkte, sieht er eher als eine „abstrakte“. Aktuell gebe es keine Hinweise von ausländischen Geheimdiensten. Die internationale Zusammenarbeit funktioniere gut.

Für eine aktuell reale Gefahr hält Herbert Reul die Reichsbürger: „Früher hätte ich gesagt, da treffen sich alte Männer unter der Fahne und träumen von gestern“. Heute ist Herbert Reul der Ansicht, dass es sich um Extremisten handele, die sich hoch schaukeln, Waffen ziehen und wissen, „wie man den Staat stürzen kann“.  Die Anzahl der Extremisten habe insgesamt zugenommen. Und auch die allgemeine Bereitschaft zur Gewalt habe sich verändert.  „Das ist eine Bedrohung, die ich in vielen Gesellschaften sehe“ so Reul. Früher habe man sich auf der Kirmes geprügelt, heute werde schneller „das Messer gezogen“. Das habe mit einer geringeren Frustrationstoleranz zu tun und auch damit, dass die Gewalt im Internet zugenommen habe. Auf die Frage, ob auch die hohen Flüchtlingszahlen Einfluss auf die Sicherheitslage haben oder ob es sich nur um einen gefühlten Zusammenhang handele, lautet die Antwort des Innenministers „ja“. Wenn die Integration nicht mehr klappe, weil so viele Fremde in eine Gesellschaft kommen, dann gebe es zwangsläufig Konflikte.

„Wir überfordern uns“. Das Problem sei nicht leicht zu lösen, ihm selbst dauere das trotzdem zu lange. Aber die Frage, warum die AfD zur Zeit so stark sei, ließe sich mit dem Thema Migration eindeutig beantworten. Eine Zusammenarbeit mit der AfD schließt Reul aus: „Dann bin ich weg, das geht nicht“.

Die Probleme, mit denen der Innenminister zu tun hat, kommen immer wieder auch aus den eigenen Reihen. Beim Missbrauchsskandal von Lügde 2019 reagierte die Polizei trotz Hinweisen viel zu langsam. Und es verschwand Beweismaterial. 2020 folgte der Skandal um fünf rechtsextreme Chatgruppen bei der Polizei. Bei insgesamt 56 000 Leuten in der Polizei, sei das eine minimale Anzahl so Reul. „Ich möchte jeden aus dem Laden schmeißen“, aber die rechtsextremen Chats gelten vor Gericht als private Unterhaltung.

Der Innenminister möchte die Führungskultur bei der Polizei „umbauen“. Die Chefs sollen sich mehr verantwortlich fühlen und merken, wenn sich „etwas verändert“. Zum neuen Stil gehören „Fehlerkultur“ und  auch Supervision. In seiner Amtszeit hat Reul schon 17 000 neue Polizisten vereidigt, an Bewerbern mangelt es ihm nicht.

Was Herbert Reul persönlich antreibt: die Begeisterung für den Rechtsstaat. Warum nicht – ähnlich wie beim Klimaschutz – eine Welle der Begeisterung für ihn wecken? Das wäre doch „der Knaller“.

Ulrike Brincker

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

08. November 2023 - Kölner Köpfe: Schick mit KiK?

Wie gut ist billig?

 

Ein Gespräch mit: Patrick Zahn, Chef des Textil Discounters über Kleidung und die Kölner Innenstadt

Moderation: Dr. Hildegard Stausberg und Peter Pauls

 

Fotos: Thomas Leege

 

Nur Party-Hochburg sein, reicht nicht

Kik-Chef Patrick Zahn spricht im Kölner Presseclub über erste Erfahrungen mit dem Pop-up-Store 

 

Das Gespräch mit Kik-Chef Patrick Zahn im voll besetzten Kölner Presseclub hatte einen aktuellen Anlass. Seit wenigen Wochen ist der Textil-Discounter mit einem „Pop-up-Store“, einem Geschäft auf Probe, in der Schildergasse vertreten. Da Patrick Zahn in Köln lebt und auch aufgewachsen ist, lag es nah, ihn in der Reihe „Kölner Köpfe“ zu präsentieren. Das Gespräch im Gobelinsaal des Excelsior Hotels Ernst moderierten Hildegard Stausberg und Peter Pauls.

Was heißt „Kik“? „Kunde ist König“, antwortete der Manager und setzte schmunzelnd hinzu, dass diese Formulierung erst nach der Namensgebung gewählt wurde. „Als Discounter sparen wir halt Kosten für Marketing ein, wo es nur geht.“

Das KiK-Geschäft auf der Schildergasse sei zwar „sehr, sehr teuer“, aber auch eine Möglichkeit, sich in einem neuen Gewand zu zeigen und neue Kundengruppen anzusprechen. Der Standort sei gut gewählt, sagt Peter Pauls. Die Schildergasse werde neuesten Analysen zufolge von kaufkräftigen Kunden zwar gemieden, das Quartier um die Antoniterkirche indes sei eine Ausnahme.

KiK machte schon nach wenigen Tagen, die Erfahrung, dass es neue Kundenschichten erschlossen habe. Dennoch habe die Schildergasse an Ansehen verloren. Drogenabhängige und Obdachlose schreckten nicht nur Kunden, sondern auch das Personal ab. Hier sei die Stadt gefordert. Als Bilanz formulierte Zahn: „Es ist bis jetzt ein erfolgreicher Versuchsballon und wird nicht unser letzter Pop-up-Store sein.“

Besonders gut laufe für KiK das Geschäft in NRW, hier gebe es die meisten Geschäfte. Bayern könne noch zulegen. Ein großer Teil des Umsatzes werde mit sogenannten Hartwaren gemacht: Geschenkartikel, Dekorationen und Spielzeug. KiK will weiter wachsen. Denkbar wäre, die Zahl von heute 4.000 Filialen bis 2030 zu verdoppeln auf 8.000 Geschäfte. Einen Traum nannte Zahn den Markteintritt in die USA.

Viel Raum nahm das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ kurz „LkSG“ ein. Alleine bei KiK beschäftigen sich rund 20 Mitarbeitende mit den aktuellen Regulierungen. Das sei ein hoher Kostenfaktor, den sich nicht jeder leisten kann. Von der Politik erwartet Zahn mehr Augenmaß. Man könne die Verantwortung für politische und gesellschaftlicher Entwicklungen in Produktionsländern wie Bangladesch nicht auf die abnehmenden Unternehmen abwälzen, wie es in immer neuen Gesetzen faktisch getan werde.

Generell beklagte der Manager eine Zunahme an Bürokratie. Als Beispiel nannte er die „Corporate Sustainability Reporting Directive.“ „Da steigt unsere Pflicht zum Reporting von Kennzahlen von 80 auf 600“, sagte er und riet ironisch: „Empfehlen Sie den Kindern heute, Wirtschaftsprüfer zu werden.“

Und Köln? Lebenswert sei die Stadt, meinte Patrick Zahn. Doch sie brauche mehr Sauberkeit, Ordnung und Sicherheit. „Nur Party-Hochburg zu sein, reicht eben nicht.“ (EB)

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:

31. Oktober 2023 - DUP Unternehmer Tag

Beim DUP UNTERNEHMER TAG treffen sich Vertreter:innen zukunftsorientierter Unternehmen zum Austausch. Wir bieten wir Ihnen die Gelegenheit, sich mit führenden Unternehmer:innen, innovativen Start-ups und visionären Führungskräften aus verschiedenen Branchen zu vernetzen.

Der Kölner Presseclub war in diesem Jahr Kooperationspartner.

Fotos: Thomas Leege

DUP Unternehmertag in der Volksbühne am Rudolfplatz

T wie Telekom, Transformation oder Tim. Timotheus Höttges ist im 24. Jahr bei der Deutschen Telekom AG, seit 2014 Vorstandsvorsitzender und damit Chef von 211 000 Mitarbeitern. Im Gespräch mit Jens de Buhr, Herausgeber des DUB Unternehmer-Magazins, erzählt er, warum er in Vorstellungsgesprächen gerne nach dem Knacks im Leben seiner zukünftigen Angestellten fragt. Wer  investiert schon so viel Lebenszeit in seinen Beruf ohne einen kleinen Dämon, der täglich von Neuem piesackt? Auch er selbst sei stark durch die Kindheit in Solingen geprägt. Ein „Nein“ habe er nie akzeptieren können, meistens habe ihn das zum Gegenteil motiviert. Darüberhinaus kultiviert er viel Ehrgeiz, der sich auch im Kampf um jeden Ball auf dem Golfplatz zeigt. Weder dort noch im Büro wolle er geliebt werden.

Aber es soll locker zugehen im Unternehmen. Bei der Telekom duzt man sich und der Dresscode verlangt weder nach gebügelten Hemden noch nach Krawatten. Der Chef trägt an diesem Abend durchgehend schwarz (ohne Kragen) mit passender Kastenbrille.

Vieles von dem, was die Telekom heute ausmache, habe er in den USA gelernt. Raus aus der eigenen Bubble und schauen, was man von den anderen lernen könne. Seit zehn Jahren  fahre er deshalb einmal im Jahr ins Silicon Valley. Darüberhinaus nach Israel und auch nach Asien. Besonders Korea, ein kleines Land im enormen Wettbewerb, fasziniere ihn. Dort werden mehr als 5 % des Bruttoinlandsprodukts für Innovationen ausgegeben.

Auch China überrasche ihn, weil es sich nicht durch Embargos aufhalten lasse. Im Gegenteil, die Embargos scheinen zu beflügeln. Die Menschen dort arbeiteten sieben Tage die Woche. Und die Schnelligkeit, mit der Innovationen umgesetzt würden, stimme ihn nachdenklich. In Deutschland brauche es allein zweieinhalb Jahre, um eine Mobilfunkantenne aufstellen zu können. Tim Höttges sieht die Gefahr, dass Europa bald abgehängt werde, wenn es nicht bald aufwache und einen Masterplan entwickele. Viel zu langsame Entscheidungen, das Prinzip der Einstimmigkeit in der EU und auch die Blockaden der einzelnen Bundesländer verhinderten den Wandel.

Eine Chance sieht er in der künstlichen Intelligenz. Es gebe keinen einzigen Beruf, der sich nicht mit KI beschäftige. Sie werde den Menschen zwar nicht ersetzen, aber die Strukturen der Unternehmen würden sich verändern und man bekäme schnellere Lösungen.

„In autoritären Regimen geht alles schneller als in Demokratien. Die Bundesrepublik ist kompliziert angelegt“ erklärt Wolfgang Bosbach in einer zweiten Gesprächsrunde mit Ex-Ministerin Brigitte Zypries (Moderation), Professor  Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer Institut der deutschen Wirtschaft Köln und Dr. Alexander Glätzle, Gründer des  Münchner Quantencomputer-Startup planqc.

„Die Deutschland-Geschwindigkeit“ ist Thema des Abends. „In Summe fehlt die Aufbruchgeschwindigkeit“ so Hubertus Bardt. Seit 2018 stagniere die Industrie und der Mittelstand sei frustriert über die Regulierungen. Aber vorsichtiger Optimismus, den Strukturwandel schaffe man zwar nicht im nächsten Jahr, doch im internationalen Vergleich sei Deutschland gar nicht so schlecht aufgestellt. Und er sei überzeugt davon, man könne auch schneller Die Deutschen seien gut darin, Sachen besser zu machen, die schon da seien.

Einer der schnell ist und auch noch innovativ: der Tiroler Physiker Alexander Glätzle. Mit seinem Startup Planqc, gegründet im Frühjahr 2022,  gewann er die Ausschreibung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Innerhalb von nur dreieinhalb Jahren soll er nun einen Neutral-Atom-Quantencomputer bauen. Daran scheiterten schon viele große Tech-Unternehmen.  Jammern über mangelnde Unterstützung könne er sich nicht leisten: „Wir müssen Zweckoptimisten sein“. In Deutschland laufe die öffentliche Förderung gut, weltweit sei die Konkurrenz sogar „neidisch“.  In Europa mangele es nicht an Geld, aber an privaten Investoren , die bereit wären, mal eben 300 Millionen Euro  in junge Start Ups zu investieren. Und die seien doch der Motor der Zukunft.

 

Ulrike Brincker

Ort:
Volksbühne Köln,
Aachener Str. 5,
50674 Köln

Uhrzeit:
15:30

24. Oktober 2023 - Ist das Abendland noch zu retten?

Wie der EU-Abgeordnete Damian Boeselager mit seiner Partei „VOLT“ für ein transparentes und zukunftsfähiges Europa kämpft.

Ein Gespräch mit: Damian Boeselager, EU-Abgeordneter des Parlaments „VOLT“

Moderation: Peter Pauls und Michael Hirz

Ist das Abendland noch zu retten?

 

Klingt verrückt? Ein 29-jähriger Unternehmensberater gründet mit einer Französin und einem Italiener eine neue paneuropäische Partei. Ihr Name: Volt. Als einziger deutscher Abgeordneter versucht Damian Boeselager in Brüssel, der zunehmenden Spaltung von Europa etwas entgegenzusetzen. Europaweit hat Volt inzwischen 25 000 Mitglieder. Im Gespräch mit Peter Pauls und Michael Hirtz erzählt Boeselager, warum das alles doch nicht so verrückt ist und sich sein Idealismus auszahlt. „Wir müssen es schaffen,  über den Kleinstaat hinaus zu wachsen, denn der Nationalstaat kann die Probleme nicht mehr lösen“ so der inzwischen 35-jährige. Im Parlament hat er sich der Grünen Fraktion angeschlossen, denn für einen Fraktionsstatus bräuchte es 25 Abgeordenete. Aber wie viel kann man als Einzelkämpfer in Brüssel überhaupt verändern? In Ausschüssen verhandelt der „Gesetzes-Nerd“  unter anderem den  672 Millarden Corona Wiederaufbau Fond mit, er arbeitet an der EU-Wahlrechtsreform mit und einem neuen Datengesetz. Aber warum hat die europäische Union, die einstmals ein großes Erfolgsprojekt war, inzwischen so viel Glanz eingebüßt? Die Krisen, auf die Europa eine Antwort finden müsse, hätten sich aufgehäuft. „Wir haben eine Kakophonie an Stimmen, viele Kommissare, die unterschiedliche Sachen sagen“. Deshalb müsse man sich überlegen: Wer spricht hier eigentlich? Und wo bleibt die gemeinsame Stimme oder Antwort auf die großen Fragen.  Das Thema Migration zum Beispiel sei ein Zankapfel, der mehr spaltet als vereint.

Auch vor dem Hintergrund des Überfalls der Hamas auf Israel streitet man in Brüssel lautstark über die eigene Haltung. Zeitgleich trifft Viktor Orban in Peking auf Wladimir Putin und schüttelt ihm die Hand. Währenddessen wird die Ukraine in Brüssel als voraussichtlicher Beitragskandidat gehandelt.  „Die europäische Union ist nicht handlungsfähig genug“ so Böselager.„Die Machtzentren liegen immer noch mehr bei den Regierungschefs“. 27 Mitgliedsstaaten mit 27 Einzelmeinungen, ein wilder Mix an unterschiedlichen Interessen.  „Ich sehe keinen Regierungschef, der sich für eine Veränderung der europäischen Union einsetzt.“. Auch nach dem Brexit sei die Chance vertan worden, etwas grundlegend zu ändern, eine Vision zu entwickeln.

Boeselagers Vorschlag: Warum nicht eine parlamentarische Demokratie, um aus den nationalen Interessen heraus zu kommen? Wäre es nicht ein „besserer Prozess“, Parteien ins EU-Parlament zu wählen und wer die Mehrheit bekommt, darf entscheiden? „Nationale Parteien haben Bammel zuzugeben, was jetzt schon von der EU entschieden wird“ so Boeselager. Die EU werde in der gängigen Meinung häufiger mit Negativem in Verbindung gebracht. Die Bürokraten in Brüssel haben es eben mal wieder vergeigt. Erfolgsmeldungen Fehlanzeige. Deshalb ist es für den Volt-Politiker wichtig, im Wahlkampf auf der Straße ins Gespräch zu kommen, zu erklären, warum Energie- und Lebensmittelpreise gerade so hoch sind. Und wenn er dabei den ein oder anderen  wieder für Politik begeistern kann, hat er schon viel erreicht. Seit den 80er Jahren haben sich die Parteimitgliedschaften halbiert. Vielleicht auch, weil der Glaube fehlt, etwas bewegen zu können. Eine verrückte Idee? „Ich möchte lieber an etwas nicht Perfektem mitarbeiten,  als morgens die Zeitung aufzuschlagen und denken: Oh Gott ist das alles schwierig!“

 

Ulrike Brincker

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rheingold salon,
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50667 Deutschland Köln

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26. September 2023 - Salongespräch: Nathanael Liminski

Stratege der Macht

Ein Gespräch mit: Nathanael Liminski, Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales und Chef der Staatskanzlei NRW

Moderation: Peter Pauls

Vordenker an den Hebeln der Macht

 

Allround-Minister Nathanael Liminski: Der Kohleausstieg 2030 in NRW ist ambitioniert, aber machbar

 

„30 Sekunden sind viel in meinem Job“ sagt Nathanael Liminski, der kurz vor Beginn der Veranstaltung im Kölner Presseclub noch am Telefon seinen Minister-Pflichten nachkommen muss. Im Eiltempo hat der 38-jährige auch Karriere gemacht. Er schrieb Reden für Roland Koch, arbeitete im Verteidigungsministerium für Thomas de Mazière und anschließend für den einstigen Hoffnungsträger der CDU, Armin Laschet, als Fraktionsgeschäftsführer im NRW-Landtag. Inzwischen ist er Minister für Bundes- sowie Europa-Angelegenheiten, Internationales sowie Medien und Chef der Staatskanzlei.

Der erklärte Konservative und bekennende Katholik sorgt dafür, dass die schwarz-grüne Koalition in NRW geräuschlos läuft. Ein „Mechaniker der Macht“, der im Koalitionsvertrag zwar nicht mit allem „glücklich“ ist, aber auf Kompromisse setzt. Pragmatismus gehöre in der Politik eben dazu. Was alles über seinen Tisch geht, verriet er im Gespräch mit Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub, im bis auf den letzten Platz besetzten Gobelinsaal im Excelsior Hotel Ernst.

„Krisen“, ob als multiple Krise, Stapelkrise oder Dauerkrise, bestimmten den Abend. Eine folge auf die nächste: Pandemie, Krieg in der Ukraine, Energiekrise, Klimakrise, Flüchtlingskrise. Welche Lösungen bietet die CDU als Partei der Mitte?

Schnell soll es mit dem Kohleausstieg gehen, 2030 sei zwar „ambitioniert“, aber machbar und bliebe ein „ernsthafter Plan“. Man habe bei den erneuerbaren Energien Fortschritte gemacht, die man NRW nicht zugetraut habe. Die Klima-Krise, die sich ja überall besichtigen ließe, müsse man ernst nehmen. Er selbst verspreche sich viel von der Kernfusion, die man mit demselben Einsatz angehen müsse wie den Ausstieg aus der Kohle.

Die Frage, warum die CDU als größte Oppositionspartei von der Unzufriedenheit mit der Ampel nicht mehr profitiere und stattdessen die AFD sogar zweitstärkste politische Kraft sei, blieb offen. Doch wie der Umgang mit einer Partei zu gestalten sei, in der Extremisten nicht nur geduldet, sondern auf Parteitagen gefeiert werden, ist für Liminski klar: keine Absprachen, keine Zusammenarbeit. Doch wenn politische Inhalte geteilt würden, sei das kein Grund, Positionen nicht mehr zu vertreten. Das große Ziel müsse bleiben, die AFD aus den Landtagen herauszuhalten. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass es eine steigende Zahl an Menschen gebe, die die AFD nicht nur aus „kurzfristiger Wut“, sondern aus „langfristigem Frust“ wählten.

Für viele von ihnen ist das Thema Asyl ein ständiges Wut-Thema. Eine Million Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine kamen bereits nach Deutschland, in Afrika gibt es weitere Millionen Kriegsflüchtlinge. „Auf eine solche Lage ist unser Asylrecht nicht die passende Antwort, wenn wir die Akzeptanz für das Asylrecht erhalten wollen. Jeder, der seine Heimat verlässt, hat gute Gründe, aber wir überfordern damit unsere Gesellschaft.“ Das Problem müsse europäisch gelöst und nicht an den deutschen Grenzen geregelt werden. Er vermisse die Tatkraft der Kirchen während der Flüchtlingskrise. Als gläubigem Menschen bereite ihm der Zustand der Kirchen insgesamt Sorgen. Zu viel Selbstbefassung. Die große Frage des „Wofür?“ man sich beispielsweise noch sonntags in der Kirche treffe, müsse besser beantwortet werden.

Umso wichtiger sei es, dass Menschen besser informiert würden. Das Misstrauen gegenüber den Medien sei groß, die Desinformation wachse. Er beobachte eine ähnliche Entwicklung wie in den USA. Deshalb sei es wichtig, die lokale Presse zu unterstützen.

Wo ist heute noch Platz für die Grautöne? fragt sich Nathanael Liminski. „Das macht mir Sorgen mit Blick auf unsere politische Kultur.“ Die Differenzierung gehe verloren. Ob beim Krieg in der Ukraine, beim Klimawandel oder bei der Pandemie es gehe nur noch um schwarz oder weiß. Gegner und Befürworter.  „Wir nehmen uns die Freiheit, die Europa zum Sehnsuchtsort für viele Menschen auf der ganzen Welt macht.“

Ulrike Brincker

 

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50667 Köln

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06. September 2023 - Marode, Verschlafen oder Geschlossen – Kölns Kunsttempel am Ende?

Welchen Stellenwert hat Kultur in dieser Stadt?

 

Ein Gespräch mit: Stefan Charles, Kulturdezernent der Stadt Köln und Lorenz Deutsch, Vorsitzender NRW Kulturrat.

 

Moderation: Claudia Hessel

 

Marode, verschlafen oder geschlossen? Kölns Kunsttempel am Ende? Welchen Stellenwert hat Kultur in unserer Stadt

 

Zwölf Jahre Bauzeit für die Sanierung von Oper und Schauspielhaus. Das Römisch-Germanische-Museum ist seit Dezember 2018 am Roncalliplatz geschlossen,  Vor 2028 wird es nicht fertig und dazu noch teurer als geplant, das Wallraf-Richartz-Museum träumt seit 2001 von einem Erweiterungsbau, 2028 soll er stehen! Langer Stillstand und Kostenexplosion auch im benachbarten MiQua. Die Philharmonie und das Museum Ludwig kommen auch in die Jahre. 122 Großprojekte gibt es zur Zeit in Köln, nur wenige gehen ohne nennenswerte Katastrophen über die Bühne. Welchen Stellenwert hat die Kultur in Köln ? Im Gespräch mit Claudia Hessel: Kulturdezernent Stefan Charles und Lorenz Deutsch, Chef des FDP-Kreisverbands und Vorsitzender des Kulturrats NRW.

Der Kulturdezernent wünschte sich bei seinem Amtsantritt mehr Glanz und Glamour  für eine Stadt, die sich am wohlsten im Provisorium fühlt. Stefan Charles ist Schweizer und seit knapp zwei Jahren im Amt. Sein unbekümmerter Blick von außen sollte helfen, der Kulturstadt Köln wieder auf die Beine zu helfen.  Ambitionierte Pläne hat er genug.

Im Prinzip die richtige Perspektive und die richtigen Pläne befindet Lorenz Deutsch. Trotzdem sind für ihn viele der aktuellen Prozesse rund um Sanierungen und Neubauten immer noch „zäher, nachlässiger und zögerlicher als das sein muss“. So das Beispiel Stadtmuseum, das aufgrund eines Wasserschadens geschlossen werden musste. Man habe sich für einen Neubau entschieden, doch bis das Museum startklar für die Interimslösung gewesen sei, habe es ganze vier Jahre gedauert. Die vielen Baustellen in Köln würden aufgrund von „seltsamen Verwaltungsprozessen“ nicht schnell genug abgearbeitet. Und das Kölner Stadtmuseum ist eben nur eins von vielen Projekten. Nur wer ist schuld an diesem Dilemma? Wir können uns als Politik nicht hinstellen und sagen, das ist alles die Verwaltung schuld“ so der Politiker. „Stattdessen müssen wir mehr die Rollen definieren.“

Eine der Hauptrollen im Trauerspiel um die Museen spielt aber auch das Publikum, das immer seltener in die Museen und andere Kulturinstitutionen strömt. Das ist nicht nur in Köln so. Braucht es mehr Blockbuster-Ausstellungen für mehr Besucher oder einfach nur offenere Häuser mit längeren Öffnungszeiten, um die Leute wieder zurück zu bringen ? Oder ist das am Ende alles nur eine Frage des Marketings?  Von allem etwas, darin waren sich an diesem Abend alle einig. Auch darin, dass sich die Gebäude stärker öffnen müssen. Auch  für Kooperationen mit der freien Szene, die in Köln lebendiger ist als so manche Institution. „Wenn man in die Häuser hinein schaut, nicht nur in Köln, sondern auch in ganz Deutschland und in Europa, dann zeigt sich, dass Museen im Wandel, sind“ so Stefan Charles. Es gäbe zusätzliche Aufgaben im Museumswesen. So gehe es  auch  um mehr Nachhaltigkeit und mehr Diversität. Früher habe man in einem Haus möglichst viele Nutzungen untergebracht. Zum Beispiel auch Veranstaltungsorte, Depots und Werkstätten. Heute wolle man die Nutzung der Häuser vereinfachen. Das mache sie günstiger und auch betreibbarer. Warum also nicht gemeinsame Depots oder Werkstätten für gleich mehrere Museen am Stadtrand? Für die Zukunft blicken der Kulturdezernent (und auch ein Großteil des Publikums im Saal) ganz optimistisch auf die Stadt: Im Inneren der Häuser passiere viel, was von außen gar nicht zu sehen sei. Und wenn die Sanierungen erst einmal abgeschlossen seien, dann sei man in Köln den anderen Museen in puncto Transformation weit voraus. Doch vorher müssen noch viele Hausaufgaben gemacht werden. Im März 2024 soll dann endlich die Sanierung von Opern- und Schauspielhaus am Offenbachplatz technisch abgeschlossen sein. Ab Herbst werden beide Häuser wieder bespielt. Jedenfalls sind Verwaltung und Politik mal zuversichtlich: Stefan Charles und Lorenz Deutsch freuen sich auf etwas mehr Glanz und Glamour in unserer Stadt und haben nicht dagegen gewettet.

 

Ulrike Brincker

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29. August 2023 - Kölner Köpfe : Kerstin Gleba

Merkmal einer Metropole ist nicht nur wirtschaftliche Strahlkraft. In Köln verleihen auch Medien überregionale Bedeutung. Einer der Leuttürme ist der Buchverlag Kiepenheuer & Witsch. Seit 2019 ist Kerstin Gleba Kopf und Gesicht dieses erfolgreichen Hauses, das zeitkritisch Sachbücher ebenso verlegt wie literarische Werke der Extra-Klasse.

Ein Gespräch mit:

Kerstin Gleba, Kiepenheuer & Witsch

 

Fotos: Thomas Leege

Die Bücherwand hat als Statussymbol ausgedient

 

Mit Heinrich Böll fing es an. Schon als Schülerin entdeckte Kerstin Gleba die Liebe zur Literatur. 1969 in Langenfeld geboren, startete sie ihre Karriere als Leseratte mit einem Studium der Amerikanistik / Anglistik, Romanistik und Germanistik. 1995 lernte sie über ein Volontariat den Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch kennen, der unter anderem Lieblingsautor Heinrich Böll und Günter Wallraff verlegte. Sie blieb und wurde 2019 Verlegerische Geschäftsführerin. Wie man einen solchen „eiskalten Gipfel“ in einer von Männern dominierten Verlagsbranche erreicht, verriet sie in der neuen Reihe „Kölner Köpfe“ im Gespräch mit Michael Hirz vom Vorstand im Kölner Presseclub. „Ich wollte keine Laufbahn einschlagen, ich wollte nur etwas machen, was meinem innersten Interesse entspricht: Bücher.“  Ihre Leidenschaft für alles Gedruckte hätte damals aber auch in den Buchhandel führen können. Schon in ihren Anfängen im Verlag war sie fasziniert davon, in kleiner Runde Titel zu diskutieren und „Themen voranzutreiben, die relevant für Gegenwart und Zukunft sind“.  Als Verlegerin möchte sie die Sichtbarkeit von Frauen erhöhen, diversere Stimmen ins Programm bringen. Den Begriff der „Frauenliteratur“ bewertet sie als „diskriminierend“. Es gehe in der Literatur vielmehr um „Menschenthemen“.

Aktuell seien Bücher besonders wichtig geworden, in denen es um „beglaubigte Erfahrungen“ beziehungsweise Autofiktion gehe. Eine Mischung aus Autobiografie und Fiktion, bei der es am Ende offenbleibt, was tatsächlich wahr oder nur behauptet ist. Karl Ove Knausgard, Joachim Meyerhoff oder Sophie Passmann zum Beispiel schicken Ich-Erzähler ins Rennen, die den Anschein erwecken, als ob sie geradewegs aus dem wahren Leben berichteten. Am Ende bleibt es ein literarisches Rätsel. Mit „Pick me Girls“ erscheint im September das dritte Buch von Sophie Passmann, der Feministin aus der Popkultur.  Ein „Bestseller mit Ansage“ so Kerstin Gleba. Schon „Alte weiße Männer“ verkaufte sich über 100.000mal. Und wer auf Instagram mehr als 340.000 Follower habe, für den stünden die Chancen gut, erneut auf den Bestseller-Listen zu landen. Bestseller seien für den Verlag nach wie vor wichtig, um die Bücher von weniger bekannten Autorinnen und Autoren mitzufinanzieren.

Die sozialen Medien seien Fluch und Segen zugleich für den Buchmarkt. Konkurriert er doch mit diesen viel schnelleren und vor allem flüchtigeren Medien. Verkaufte man früher noch 100.000 Bücher eines Titels, so seien es heute nur noch 40.000, sagte die Verlegerin. Und die große Ikea-Bücherwand gilt laut Kerstin Gleba längst nicht mehr als Statussymbol.

Die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung des Buches sei eine andere geworden, so Kerstin Gleba, „In meiner Erinnerung gab es in den 90er Jahren noch Bücher, die stärker auf die Gesellschaft gewirkt haben. Das konnten auch anspruchsvolle Bücher sein.“ Es habe in früheren Jahrzehnten mehr Autorinnen und Autoren gegeben, die mit ihrer Person für ein Parteiprogramm gestanden und den Gang der Geschichte mitbestimmt hätten. Grass und Böll zum Beispiel. Heute hingegen sei die gehobene Unterhaltungsliteratur salonfähiger geworden. Es gebe aber eine jüngere Leserschaft, die nachwachse und andere Bücher suche.

Nur wie umgehen mit Büchern wie den Gedichtbänden von Rammstein-Sänger Till Lindemann, die Jahre nach ihrer Veröffentlichung nun in einem anderen Zusammenhang gelesen werden? Der Vorwurf, die Gedichte verherrlichten sexuelle Gewalt gegenüber Frauen. Die Frage: Wo endet das lyrische Ich? Der Verlag trennte sich kürzlich vom Autor.  Der Leitmotto der Verlegerin Kerstin Gleba lautet trotzdem: „Ich verteidige die Freiheit der Kunst, das Böse zur Darstellung zu bringen. Wie sähe die Literatur der letzten Jahrhunderte aus, wenn das nicht möglich wäre?“  Literatur im „safe space“ könne es nicht geben. Im Herbst 2024 wird es eher weniger böse werden. Dann nämlich erscheinen bei Kiepenheuer & Witsch die Memoiren von Ex-Kanzlerin Angela Merkel.

Ulrike Brincker

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rheingold salon,
Hohe Straße 160-168,
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Uhrzeit:
19:30

04. Mai 2023 - Spagat in NRW

Wie leidensfähig ist die CDU im Land?

Ein Gespräch mit:
Hendrik Wüst, Ministerpräsident NRW.

Fotos: Stefan Schaal

Spagat in NRW – Wie leidensfähig ist die CDU im Land?

Wenn Hendrik Wüst mit dem Fahrrad durch die Neubaugebiete im Münsterland fährt, kann er die Fortschritte der Energiewende konkret auf den Dächern sehen. Von Januar bis März 2023 gab es 40.826 neue Photovoltaik-Anlagen in seinem Bundesland. Damit ist NRW zahlenmäßig Spitzenreiter – noch vor Bayern. „Man kann sich um die Energiepolitik sorgen machen, vor allem beim Preis, aber beim Ausbau muss man sich weniger sorgen.“ so der Ministerpräsident im Gespräch mit Peter Pauls und Michael Hirtz. Der Abend im Kölner Presseclub stand unter dem Motto „Spagat in NRW – wie leidensfähig ist die CDU im Land?“

Bis zum Ende der Legislaturperiode soll es 1000 neue Windräder im Land geben, im gleichen Tempo soll am Ausbau der Radwege gearbeitet werden. Für den Ministerpräsidenten hört sich das nicht nach ausschließlich grünen Projekten an: „Ich möchte das doch auch.“ Windräder und Radwege seien nicht ausschließlich ein „grünes Ding“. Von wegen Spagat, auch die CDU wolle die Energiewende nach vorne bringen.

Krieg gegen das Auto führen, das will der ehemalige Verkehrsminister nicht. Man brauche eine „ordentliche Infrastruktur“ für alle. Dazu gehöre auch, dass Autobahnprojekte beschleunigt würden. Das sehe er ganz pragmatisch. Ob grün oder schwarz – Hauptsache die Themen würden angegangen. In den Koalitionsverhandlungen mit den Grünen sei am Ende ein „reichhaltiges Essen“ herausgekommen. Mit „ein bisschen Fleisch und ein bisschen Gemüse.“ Aber Kröten schlucken, so will es an diesem Abend scheinen, mussten eher die anderen: „Die Grüne haben in Lützerath Verantwortung übernommen an einem symbolischen Punkt, der nicht leicht gefallen ist.“

Der auf 2030 vorgezogene Ausstieg aus der Braunkohle stellt eine ganze Region auf den Kopf. Zudem muss die Versorgungssicherheit nun auch noch in der Energiekrise gewährleistet werden. Das Hochindustrieland NRW wird, um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können, weiter auf billige Energie angewiesen sein. Und es müssen neue Arbeitsplätze für die Kohle-Beschäftigten geschaffen werden.

„Nervös? Nee, ich werde aktiv“, sagt Hendrik Wüst zur Vielzahl der Aufgaben. Im Ruhrgebiet habe es gute Erfahrungen mit dem Strukturwandel gegeben, warum dann nicht auch hier im rheinischen Revier. 14,8 Milliarden Euro stellt die Zukunftsagentur für den Umbau zur Verfügung. „Das löst Phantasie aus, das reicht aber nicht, es muss auch ein Projekt draus werden.“ Man müsse sich „sputen“, aber in sechs Jahren ein neues Gaskraftwerk zu bauen, das sei „kein Hexenwerk“.

Nach einer Berechnung der IHK Köln können die geplanten Kraftwerke drei Gigawatt Leistung erbringen, Erneuerbare ein Gigawatt. Damit fehlten bereits nach heutigem Verbrauch vier Gigawatt Leistung. „Es passt zwar nicht in die schöne Story aus Berlin, aber wir werden auch Energie importieren müssen“ so Wüst. Um Industrieland bleiben zu können, brauche es dringend einen Industriestrompreis. Das koste zwar Geld, aber Deindustrialisierung koste am Ende noch mehr. Die Industrie habe sich ohnehin immer verändern müssen. So eben auch jetzt wieder.

Auch die CDU muss sich im Bund nach 16 Jahren an der Macht in der Opposition neu erfinden. Eine „erzwungene Selbstvergewisserung“ für Hendrik Wüst. „Wie machen wir nun Wirtschaftspolitik?“  Die Mischung aus Förder- und Verbotsprogramm hält er für „toxisch“. Der Staat könne sich daran nur verheben. Lieber den Rahmen setzen und „nicht so viel reinfummeln als Staat.“

Die CDU solle weiter „Familienpartei“ sein und dabei auch die neuen Lebensformen berücksichtigen. Sich fragen: Werden auch die alleinerziehenden Mütter gesehen? Kümmern wir uns auch um sie? Ein weiteres Herzensprojekt: die Bildung. „In NRW kann es einem das Herz brechen. Was das Sprachverständnis angeht, ist nur noch Bremen schlechter als wir. Da ist Bildung am Ende, bevor sie überhaupt anfängt.“ Deshalb sollen Grundschullehrer besser bezahlt werden.

Von „früher war alles besser als heute“, möchte Hendrik Wüst nichts wissen. „Ich stimme in die aktuelle Larmoyanz nicht mit ein“ erklärt er. „Meine Mutter und mein Vater, die haben noch gearbeitet wie die Bekloppten. Mein Vater ist als Handelsvertreter durchs Land gefahren, der Opel ist immer wieder kaputt gegangen, bis er sich dann einen Mercedes 190 kaufen konnte.“

Seit zwanzig Monaten regiert die schwarz grüne Landesregierung in NRW nahezu geräuschlos. Ginge das nicht auch in Berlin? Mit Hendrik Wüst? „Ich habe genug Arbeit hier, abgesehen von kleinen gemütlichen Pausen,“ antwortet er unbestimmt. Bis zur nächsten Bundestagswahl ist es ja auch noch etwas hin.

Von Ulrike Brincker

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Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
20:00

19. April 2023 - Kölner Köpfe : Lionel Souque

Wie Lionel Souque die Kölner Rewe-Gruppe mit 15.640 Verkaufsstellen sowie 384.000 Beschäftigten durch die Zeitenwende steuert –
und den 1. FC Köln im Blick behält.

Ein Gespräch mit:
Lionel Souque, Rewe-Chef

Fotos: Thomas Leege


Für den Kunden unterwegs zwischen Tiefkühltruhe und Schreibtisch 

50 Millionen Kundenkontakte verzeichnen die Rewe-Märkte jede Woche. Auch Lionel Souque ist regelmäßig zwischen Paprika und Tiefkühltruhe unterwegs. Der Rewe-Chef befragt seine Kunden zu ihren Einkaufsgewohnheiten. Ob sie zum Beispiel lieber Bio-Äpfel oder Äpfel aus der Region essen. Die nicht ganz so einfache Antwort: am liebsten beides, aber Hauptsache günstig. Wer seine Kunden halten will, so seine Devise, der muss sie gut kennen bzw. wissen, was sie im Kühlschrank liegen haben (wollen).

In der neuen Reihe „Kölner Köpfe“ erzählt Lionel Souque im Gespräch mit Peter Pauls (Vorsitzender Kölner Presseclub), wie er die Kölner Rewe-Gruppe mit ihren 384.000 Beschäftigten durch eine Vielzahl von Krisen führt und gleichzeitig fit für die Herausforderungen der Zukunft macht. 1971 in Paris geboren, 1996 Start bei der Rewe-Tochter Penny im Einkauf, seit 2017 Vorstandsvorsitzender der Rewe-Group.  Sportfan mit besonderer Beziehung zum 1. FC Köln, wo er Mitglied im Beirat und Vorsitzender des Aufsichtsrates ist. Rewe ist auch Trikotsponsor des Vereins. „Wenn jetzt Köln in der Champions League gegen Paris spielen würde, dann wäre ich klar für den FC“, sagt der Manager. Allein 22.000 Mitarbeiter beschäftigt die Rewe-Group in Köln, 14.000 in Märkten und Reisebüros und 8000 in der Verwaltung.

Während der Corona-Pandemie seien die Supermärkte im Ansehen der Bevölkerung gestiegen, Mitarbeiter galten als Helden in der Krise und sogar die Kanzlerin habe sich bedankt. Von dieser Wertschätzung sei heute nicht mehr viel übrig geblieben. Im Gegenteil: wer heute einkaufen geht, der ärgere sich über die hohen Preise. Und klagt, daran sei angeblich der Handel schuld. „Ich bin niemand, der jammert,“ so Lionel Souque, aber die Preise seien aufgrund des Krieges in der Ukraine gestiegen. Da könnten weder die Händler noch die Bauern etwas dafür. Viele große börsennotierte Konzerne profitierten von der Inflation und hielten die Preise dauerhaft hoch. Ungerechtfertigte Preiserhöhungen möchte der Konzernchef nicht ohne weiteres hinnehmen. Deshalb wurden in Rewe-Märkten zahlreiche Produkte ausgemustert.

In Deutschland seien die Kunden ihren Einkaufsmärkten nicht zu 100 Prozent treu. Sie wechselten, wenn sie woanders niedrigere Preise witterten. Doch die Preise bei Aldi seien gar nicht günstiger als bei Rewe. „Wenn bei Aldi die Sardinen runter gehen, dann gehen sie bei allen anderen auch runter“. Die Preise würden immer an den Discount-Preis angepasst. In Frankreich seien die Kunden übrigens treuer. Und die obere Mittelschicht ginge nur selten zum Discounter.

Sowohl die hohen Mieten als auch die hohen Preise für Energie machen den Märkten zu schaffen. Rewe etwa benötigt so viel Energie wie 800.000 Haushalte. Ein durchschnittlicher Rewe Markt kam früher auf 80.000 Euro für 1000 qm Fläche. Heute hätten sich die Kosten verdoppelt. Schon vor Jahren habe sich Rewe an einem Offshore-Windpark in der Nordsee beteiligt und die Energiekosten für zehn Jahre gesichert. Wie sieht das Einkaufen der Zukunft aus und wie kann der Konzern auf die immer neuen Herausforderungen in Krisenzeiten reagieren?  Dazu wird in der Rewe-Denkfabrik in Köln-Mühlheim geforscht. Zurzeit laufen unter anderem Experimente mit Robotern und autonomen Fahrzeugen, die Einkäufe nach Hause liefern.

Im Leitbild des Konzerns heißt es: wir handeln nachhaltig, doch in den Regalen finden sich weiterhin Lebensmittel, die eine schlechte Bilanz in Sachen Nachhaltigkeit haben. Für ein Kilo Avocado zum Beispiel werden 1500 Liter Wasser verbraucht. „Viele Möglichkeiten haben wir da nicht“ so Lionel Souque. „Wir können nicht anders ernten, aber auch den Kunden nicht sagen: die gibt es nicht bei uns“. Dass das Thema Nachhaltigkeit nicht immer so einfach umzusetzen sei, zeige auch das Thema Gurken in Folien. Nicht nachhaltig sagen die Kunden, aber ohne die Folien müssten 30 Prozent der Gurken weggeworfen werden. Es brauche andere Kartons, um die Gurken besser zu schützen. Nicht immer gäbe es eine schnelle Antwort auf solche Fragen. Auch nicht auf die Frage aus dem Publikum, warum einzelne Äpfel ohne Verpackung teurer seien als verpackte. Damit will sich Lionel Souque gleich am nächsten Tag beschäftigen.

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

28. März 2023 - Wie produzieren wir künftig unser täglich Brot?

Ein Gespräch mit:
Susanne Schulze Bockeloh, Vize-Präsidentin des Deutschen Bauernverbandes,
Arndt Klocke, MdL-Grüne, langjähriger NRW-Fraktions- und Parteivorsitzender,
Jens Lönneker, Geschäftsführer rheingold-salon und Mitautor des Buches „Zukunfts-Bauer“,

Moderation:
Peter Pauls, Vorstandsvorsitzender und Journalist

Fotos: Ulrike Brincker

 

Von Ulrike Brincker

„Bauernstand ist Ehrenstand, erhält die Stadt, erhält das Land“ so hieß es noch vor wenigen Jahrzehnten. Heute hat die Landwirtschaft ein Imageproblem: die Bauern gelten als Giftspritzer, Tierquäler und notorische Beschwerdeführer. Sie schimpfen gleichermaßen auf die in Brüssel mit ihren unzähligen Verordnungen und auf die Verbraucher. Wie viel haben diese Stereotype mit der Landwirtschaft von heute zu tun? Zu Gast im Kölner Presseclub: Susanne Schulze-Bockeloh, Vize-Präsidentin des deutschen Bauernverbandes. Die studierte Landwirtin betreibt einen Hof mit Schwerpunkt Ackerbau im Münsterland. Sie ist der Meinung, dass die harte Arbeit auf den Feldern kaum noch wertgeschätzt wird. Aber die Bauern seien oft auch selbst schuld am Verbraucher-Bashing, weil sie die Kommunikation vernachlässigt hätten.

Jens Lönneker vom Kölner „rheingold salon“ betreibt tiefenpsychologische Marktforschung und hat ein Konzept entwickelt, wie Landwirte und Verbraucher wieder zueinander finden. Die negativen Stereotype seien nur ein Teil des Problems. Auch die positiven Bilder vom roten Trecker, der samt Pfeife rauchendem Landwirt den Horizont entlang tuckert, hätten dem ohnehin schon schwierigen Verhältnis eher geschadet als genutzt. Arndt Klocke sitzt für die Grünen im Düsseldorfer Landtag. Als Kind verbrachte er viel Zeit bei den Großeltern, die im Nebenerwerb Landwirtschaft betrieben. Moderation: Peter Pauls, Vorstand Kölner Presseclub.

Im Jahr produziert die deutsche Landwirtschaft in 260 000 Betrieben Güter für 54 Milliarden Euro. Mit 600.000 Beschäftigten liegt sie deutlich über der Chemie-Industrie mit 400.000 Stellen. Die Landwirtschaft sei eine Riesenwirtschaftsbranche, die sich gar nicht auf einen Nenner bringen lasse, so Susanne Schulze- Bockeloh. Im Münsterland gebe es zum Beispiel viel Tier- und Schweinehaltung, im Osten Deutschlands sehr große Agrarbetriebe und in Bayern eher noch den traditionellen Bauernhof.

Was die meisten Landwirte verbindet: harte Arbeit, wirtschaftliche Sorgen und der Klimawandel vor der eigenen Haustür, zu dem sie auch ihren Teil beigetragen haben. Schlechte Voraussetzungen für nachfolgende Generationen. „Die Hofnachfolge ist fest verankert, niemand will der Letzte sein, der einen Hof zumacht“ erläutert Jens Lönnecker.

Das Höfesterben habe sich zwar in den letzten Jahren etwas verlangsamt, so Arndt Klocke. Aber im Bereich Biolandwirtschaft hinken wir den Vergleichsländern hinterher. In Deutschland kommen nur neun Prozent des Gesamtangebots aus biologischem Anbau, in Österreich sind es schon 22 Prozent. Man könne von den Landwirten jedoch nicht erwarten, dass sie den Wandel in Eigenregie leisteten.

Aber auch die Verbraucher haben ihren Anteil an der Misere. Der Prozess der Herstellung sei dem ein oder anderen schon wichtig, glaubt Susanne Schulze-Bockeloh. Doch ein niedriger Preis sei für die meisten immer noch das wichtigste Kaufargument. So würden zum Beispiel 80 Prozent des Schweinefleischs durch Rabattaktionen verkauft. Und auch 80 Prozent des Tierfleischs stammen aus der niedrigsten Tierhaltungsstufe. Zwanzig Jahre lang hätten wir mit dem Mantra von „Geiz ist geil“ verbracht, so Arndt Klocke. Das gelte leider nicht nur für die Elektrobranche, sondern auch für Lebensmittel. Das müsse in Zukunft anders laufen. In anderen Ländern werde sehr viel mehr für Kartoffeln und Wurst ausgegeben und mehr auf Qualität geachtet. Wer Tierwohl wolle, müsse dafür auch tiefer in die Tasche greifen. Bullerbü mit Discounterpreisen, so die Meinung aller, sei eine unrealistische Wunschvorstellung.

Warum nicht andere, positive Geschichten über die Landwirtschaft erzählen und den Kontakt mit den Verbrauchern suchen, so der Vorschlag von Jens Lönnecker. Die Technik mache es längst möglich, dass zum Beispiel Schädlingsbekämpfung punktgenau erfolgen könne oder Erdbeeren im „vertical farming“ Prinzip angebaut werden. Das spare Wasser. Die Landwirte seien bereit für die nötige Veränderung, glaubt Susanne Schulze-Bockeloh. Aber dazu bräuchten sie die Unterstützung der Politik, setzt Arndt Klocke hinzu. Die müsse Fördermöglichkeiten bieten und dabei nicht nur in kurzen Zyklen denken. Und es brauche auch die Unterstützung der Gesellschaft, denn wenn das Image so schlecht sei, dann mache das alles keinen Spaß.

Hinzu komme die schlechte humanitäre Situation. Afganistan ist eins der ärmsten Länder der Welt. 23 Millionen Menschen leiden inzwischen an Hunger, Familien geben ihre Kinder weg, weil sie sie nicht mehr ernähren können. Und nun liegen die Temperaturen teilweise bei minus 34 Grad. Der kälteste Winter seit fünfzehn Jahren. Das Land ist abhängig von internationalen Geldern, von denen niemand weiß, wo sie wirklich ankommen.

Journalistin Shikiba Babori telefoniert fast täglich mit Freundinnen und Bekannten in Afghanistan. Von Mal zu Mal veränderten sich die Stimmen ihrer Gesprächspartnerinnen. Die Hoffnungslosigkeit sei extrem. Die Möglichkeit zum zivilen Ungehorsam werde zwar gelegentlich genutzt, aber in der Regel würde Demonstrationen sofort niedergeknüppelt.

„Nachdem die Sowjets raus waren, hat das Interesse des Westens aufgehört.“ Das Land sei in Vergessenheit geraten. Dabei könne man durch Hingucken und Berichterstattung Veränderung bewirken. „Wir könnten genug wissen, wenn wir es denn wollten“ so Babori. „Aber wegen des Kriegs in der Ukraine ist Afghanistan aus dem Fokus geraten“. Grundsätzlich dürfe man aus Afghanistan berichten, wenn man denn nur wollte.

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
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Uhrzeit:
19:30

21. März 2023 - Nach dem Ausstieg der Abstieg?

Ein Gespräch mit:
Dr. Nicole Grünwald, Präsidentin der IHK zu Köln
Meike Jungbluth, Vorsitzende „Mine ReWIR“ Aachen
Prof. Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) Köln
Thomas Schauf, Geschäftsführer der Metropolregion Rheinland e.V. Köln

Moderation:
Michael Hirz und Peter Pauls, Vorstand und Journalist

Fotos: Ulrike Brincker

 

Europas größtes Loch liegt im rheinischen Revier. Doch nun soll die Zeit der Kohle enden und das Revier muss sich neu erfinden. Der Ausstieg aus dem Loch: vom Klimasünder zur nachhaltigen Vorzeigeregion. Aber wie lassen sich die Klimaziele einhalten, ausreichend Energie produzieren und auch noch Arbeitsplätze erhalten? Gerät dadurch eine ganze Region in Dauerstress fragen Peter Pauls und Michael Hirz im Kölner Presseclub. Zu Gast: Dr. Nicole Grünewald, Präsidentin der IHK zu Köln. Sie beschäftigt vor allem die Frage, wie in Zukunft der enorme Energie-Bedarf im rheinischen Revier gedeckt werden soll. Denn gerade einmal die Hälfte der benötigten Energie lässt sich mit Gas und erneuerbaren Energien ersetzen. Deshalb fürchtet sie die Abwanderung von großen Industrieunternehmen.

„Durch den Strukturwandel können wir mit sehr vielen Arbeitsplätzen im rheinischen Revier rechnen“, lautet die etwas optimistischere Sichtweise von Professor Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln. Laut einer Studie seines Hauses könnten die Milliardenhilfen für den Strukturwandel für 27.000 neue Arbeitsplätze sorgen. Doch 2030 sei mehr oder weniger schon „nächste Woche“. Deshalb müssten die Investitionsentscheidungen jetzt fallen.

„Wenn wir den Turnaround nicht bis 2030 schaffen, dann gelingt das auch nicht in 2032 oder 2033,“ glaubt Meike Jungbluth, Vorsitzende von „Mine ReWIR“ Aachen und Geschäftsführerin der Roskopf Unternehmensgruppe, deren Geschäftsmodell über Jahrzehnte auf der Kohle beruhte.

Noch halten ihre Mitarbeiter Förderbänder in Gang, arbeiten in Veredelungsbetrieben und Kraftwerken. Der Ausstieg aus der Kohle bedeutet für sie zwar das Ende einer 70-jährigen Geschichte, doch Jungbluth versucht, andere Industrien zu finden und Mitarbeiter umzuqualifizieren. Keine einfache Aufgabe, denn „durch den Krieg in der Ukraine laufen meine Kollegen schon jetzt auf 120 Prozent“.

So wie ihren Mitarbeitern geht es auch den meisten anderen in der Region. Schon jetzt sind sie einer hohen Belastung ausgesetzt. Und die Zukunft scheint ungewiss. 2020 gründete sich deshalb die private Initiative „Mine ReWir“. Ein gemeinnütziger Verein von und für Unternehmen im rheinischen Revier, die vom Strukturwandel betroffen sind. Gemeinsam mit der Wissenschaft wird eine Zukunftsperspektive entwickelt. „Unsere Ideen sind die einzigen konkreten auf dem Markt,“ sagt Meike Jungbluth. „Hilfe durch Selbsthilfe.“

Besonders für energieintensive Unternehmen ist die Explosion der Energiepreise durch den Krieg in der Ukraine ein Problem. Viele Geschäftsmodelle basieren auf billigem Kohlestrom, den es so nicht mehr geben wird. Viele Unternehmen stehen deshalb vor dem Aus.

Für die Transformation des rheinischen Reviers stehen 14,8 Milliarden Euro zur Verfügung. Koordiniert und vorangetrieben wird der Wandel durch die „Zukunftsagentur“. Doch wie die Mittel genau verteilt werden, konnte in der Gesprächsrunde nicht beantwortet werden. Klar scheint nur, dass Geld allein nicht die Lösung ist. Genehmigungsverfahren müssten schneller gehen. Und die leidige Bürokratie dürfe dem Strukturwandel auch nicht mehr im Wege stehen.

Wenn nichts passiere, drohe die Gefahr, dass aus dem rheinischen Revier bald ein Ruhrgebiet 2.0 werde. Eine Region ohne Zukunft, die subventioniert werden müsse.

Arbeitsplätze gebe es jedoch nur, wo es auch Industrie gäbe. Viele Industriebetriebe wollten sich hier ansiedeln, doch es mangele an entsprechenden Gewerbeflächen. Es scheitere oft an den Anwohnern, die nicht schon wieder Industrie vor ihrer Haustür wollen. „Jeder Bürgermeister, der einen Windpark planen will, wird nicht wiedergewählt“, so Nicole Grünewald. Deshalb dürfe die Landesregierung die Bürgermeister nicht alleine lassen. Denn wenn die Industrie einmal abgewandert sei, käme sie nicht wieder.

Doch wenn die „richtigen Weichen gestellt“ würden, dann könnte das rheinische Revier im Jahr 2040 „die größte Chance vor der Haustür“ werden, glaubt Nicole Grünewald. Der Blick in die Glaskugel ist auch für Hubertus Bardt ein „optimistischer“ dank der „Erfahrung mit der Industrie“ und „der Kreativität der Menschen“.

„2040 wird es Innovationen geben,“ meint auch die Hoffnung von Meike Jungbluth.

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

28. Februar 2023 - Starke Frauen: Ines Imdahl

Ein Gespräch mit:
Ines Imdahl, Psychologin und Gründerin der Forschungsagentur rheingold salon

Moderation:
Michael Hirz, Vorstand und Journalist

Fotos: Ulrike Brincker

 

Von Ulrike Brincker

Eigentlich hätte sie ein Junge werden sollen. Als sie fünf Jahre alt war, erklärten ihr die Eltern, dass sie keine weiteren Kinder bekommen hätten, wenn es denn ein Stammhalter geworden wäre. „Ich wollte deshalb immer ein besserer Junge werden“, erzählt Ines Imdahl im Salon- Gespräch mit Michael Hirz. Heute ist sie Tiefenpsychologin und untersucht die Wirkung von Werbung. 2011 gründete sie mit ihrem Ehemann Jens Lönneker die Forschungsagentur „rheingold salon“.

Ihr Hauptthema: die stereotype Wahrnehmung von Frauen in der Öffentlichkeit. Dazu hat sie gemeinsam mit der Fernsehjournalistin Janine Steeger ein Buch geschrieben: „Warum Frauen die Welt retten werden und Männer dabei unerlässlich sind“. Angesichts der vielen aktuellen Krisen – Klimawandel, Kriege, Migration – brauche es für Lösungskonzepte auch die besonderen Fähigkeiten von Frauen. Frauen denken, fühlen und handeln anders als Männer so die Grundannahme. Doch diese Unterschiede würden immer noch nicht wertneutral gesehen. Über Frauen hieße es zum Beispiel: Du bist immer so anstrengend und kompliziert!, Was bist du wieder so emotional? oder: Hast du deine Tage? „Oft werfen sich Frauen das sogar selber vor“ so Imdahl. Abwertende Formulierungen, die davon ausgehen, dass das weibliche Verhalten weniger wert sei als das männliche. Längst habe sich gezeigt, dass Unternehmen erfolgreicher seien, wenn sie in gleichem Maße Männer wie Frauen beschäftigten. Trotzdem verändere sich nur wenig. Das Buch stellt die Frage: Wie lassen sich diese Klischees auflösen oder anders sehen? Zum Beispiel, in dem man Bewertungen uminterpretiert erläutert Ines Imdahl. „Kompliziert und anstrengend“ ließe sich ersetzen durch: Du denkst in komplexen Zusammenhängen. Und genau diese Eigenschaften brauche es zur Bewältigung der aktuellen Krisen.

Oft genug habe sie selbst zu hören bekommen, dass sie sich in ihrem Job „zu männlich“ verhalten habe, einmal war dies sogar ein Kündigungsgrund. In der Regel seien Frauen im Berufsleben entweder zu dominant oder zu bescheiden. Die weiblichen Eigenschaften würden meistens versteckt. Der Aufstieg in die Chefetage klappe in der Regel nur über die Adaption männlicher Verhaltensweisen. Dabei seien Empathie und Caring doch schon längst zu Führungsskills geworden. Wenn das Beschäftigungs-Verhältnis von Männern und Frauen ausgeglichen sei, müsse sich niemand mehr anpassen. Deshalb befürworte sie nun nach anfänglicher Ablehnung doch die Quote. „Denn wenn wir so weiter machen wie bisher, brauchen wir noch 132 Jahre bis die Gleichstellung erreicht ist“.

Noch immer erfahren Berufe, die überwiegend von Frauen ausgeübt werden, wenig Wertschätzung und werden dementsprechend schlecht bezahlt. Und für das Private sind nach wie vor die Frauen zuständig. 80 % der Care Arbeit wird von Frauen geleistet, doch diese unbezahlte Arbeit taucht im Bruttoinlandsprodukt gar nicht auf. Was, wenn die Frauen das nicht mehr machen würden?

Die Corona Pandemie hätte eine „Riesen-Chance“ sein können, die Doppelbelastung von Frauen zu verringern. Zum Beispiel durch die Möglichkeit von Home Office. Doch durch die ständigen Lockdowns und der Schließung von Kindergärten und Schulen habe die Doppelbelastung sogar noch zugenommen.

„Viele Frauen, die nach oben gekommen sind, haben keine Unterstützung gehabt“, so Ines Imdahl. Jede von ihnen, musste viel „wegstecken“, mit Kränkungen umgehen und sich immer wieder fragen, wie kann es weitergehen? „Diese Punkte gibt es bei fast allen starken Frauen.“

Ort:
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Uhrzeit:
19:30

30. Januar 2023 - „Groß, Teuer, Überflüssig“

Ein Gespräch mit:
Jörg Schönenborn, WDR Programmchef

Moderation:
Michael Hirz, Vorstand und Journalist

Foto: Ulrike Brincker

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in der Krise

Mit seinen rund 680 000 Einwohnern ist Bremen das kleinste Bundesland. Auch das Saarland hat nur ein knappe Million Einwohner – weniger als Köln. Und doch haben beide Bundesländer einen eigenen Sender und natürlich auch eigene Tatort-Teams. Aber braucht es tatsächllich neun Landesrundfunkanstalten der ARD? Oder ließen sich Sendegebiete aus Kostengründen nichtzusammenlegen? „Das Saarland hat eine sehr eigene Identität. Es ist der Osten des Westens.“ sagt WDR-Programmdirektor Jörg Schönenborn im Gespräch mit Michael Hirz.“Und wollen wir das Saarland mit seiner eigenen Identität nicht besser unterstützen?“ Nach dem Krieg sei das föderale System aus guten Gründen so angelegt worden. Mit dem ZDF gebe es sogar zwei konkurrierende Syteme. Wäre der öffentlich rechtliche Rundfunk beispielsweise ein bundesweites Unternehmen mit Sitz in Berlin, dann sei zu befürchten, dass es auch bundesweit zu Zuständen wie im RBB gekommen wäre. Der RBB, inzwischen Symbol für Korruption und Vetternwirtschaft, hat die aufgeladene Diskussion um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu entfacht. Eine Krise auf offener Bühne. Auf eine kleine Anfrage eines Landtagsabgeordneten ließ die Potsdamer Staatskanzlei kürzlich verlauten, dass die Landesregierung sogar bereit wäre, den RBB mit dem NDR oder MDR zu fusionieren, um den Fortbestand zu sichern. Die Kritik an der Vetternwirtschaft des RBB sei berechtigt, so Schönenborn. Doch eine grundsätzliche Diskussion um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens müsse man vor dem Hintergrund eines allgemeinen Vertrauenverlust der großen Institutionen sehen. Nicht nur die Sender, sondern auch die Bundesregierung und sogar die Stiftung Warentest würden zusehends kritischer gesehen.

Die aktuelle Kritik am gebührenfinanzierten Fernsehen betrifft nahezu alle Aspekte: zu groß, zu teuer, zu korrupt, zu einseitig und oft auch zu belanglos. Warum leisten sich die Sender teure Sportübertragungsrechte und mittelprächtige Unterhaltungsformate, obwohl sie doch einen Bildungsauftrag haben?

„Volksmusik gibt es nicht mehr, das ist die gute Nachricht“ so Schönenborn. Den Sport müsse man in Zukunft auf Grund explodierender Rechte weitgehend anderen überlassen. Und abgesehen davon, sei das Sportpublikum kein schlechteres Publikum als das WDR 3 Konzert Publikum. Viele Jüngere errreiche man eben nur über den Sport. Und auch die zahlen ihre 18,36 Euro im Monat.

Das Bundesverfassungsgericht habe auch darauf verwiesen, dass man sich nicht darauf beschränken dürfe, nur Ausschnitte der Gesellschaft zu zeigen, sondern man müsse sie in ihrer ganzen Vielfalt abbilden. „Und Stand heute ist Teil unseres Auftrags auch die Unterhaltung.“

Viele unterschiedliche Interessen und fast genauso viele Wege, Medien zu konsumieren. „Es gab eine Zeit , wo alle den gleichen Weg genutzt haben: die Fernbedienung, heute haben wir es mit einer täglich wachsende Form von Nutzungsmöglichkeiten zu tun“ erklärt Schönenborn. Ende des Jahrzehnts werden lineare Programme „stark ausgedünnt“ sein. Das Fernsehen findet dann fast ausschließlich in den Mediatheken statt. Und „Mediatheken kennen keine Grenzen“. Aber was unterscheidet die öffentlich rechtlichen Sender dann noch von den großen Plattformen wie Netflix oder Amazon? Für Schönenborn macht es einen Unterschied, ob Angebote noch verortet sind. Wie lasse sich sonst reale Heimat darstellen?

Eine weitere große Herausforderung für die Sender: Fakten basiert zu berichten. Der Club of Rome sieht die größte Gefahr für die Menschheit darin, dass viele nicht mehr zwischen Fakten und Fiktion unterscheiden können. Stattdessen gebe es immer mehr „geschönte Wahrheiten“. Für die Newsrooms, die in immer höherem Tempo reagieren müssen, bedeute das einen großen Aufwand an Faktenklärung. In einem aktuellen Fall zur Berichterstattung in Lützerath habe der Stand im Laufe des Tages korrigiert werden müssen. Trotz aller Kritik sei die Zustimmung zum gebührenfinanzierten Fernsehen größer denn je. Denn in Krisenzeiten biete es den Zuschauern Orientierung. „Ich bin gerne Optimist“ so Schönenborn. „Alle westlichen Gesellschaften werden von den gleichen Entwicklungen eingeholt. Bei uns ist nicht alles wunderbar, aber ich sehe einen großten Teil der Gesellschaft, der noch erreichbar ist.“

Ort:
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Uhrzeit:
19:30

26. Januar 2023 - Starke Frauen: Shikiba Babori

Ein Gespräch mit:
Shikiba Babori, Journalistin und Ethnologin

Moderation:
Michael Hirz, Vorstand und Journalist

Fotos: Ulrike Brincker

 

Frauen – Spielball der Politik

Von Ulrike Brincker

„Heimat ist ein Thema für sich, dieses Gefühl habe ich nicht, ich kann nur sagen, wo ich mich wohl fühle“ so Shikiba Babori im Rheingold-Salon im Gespräch mit Michael Hirz.

Geboren in Afghanistan, aufgewachsen in Bonn, Wahlheimat Spanien, aktueller Wohnort Köln. 1979 kamen die dreizehnjährige Shikiba und ihre Familie nach Bonn. Ihr Vater war an die dortige Botschaft versetzt worden. „Wir waren die einzigen Afghanen weit und breit“ erzählt sie. Schwierigkeiten habe es jedoch nur mit der Sprache gegeben. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich die Lehrerin jemals verstehe.“ Nach drei Jahren sollte die Familie eigentlich zurück nach Afghanistan, doch der Vater weigerte sich, mit der afghanischen Regierung zusammen zu arbeiten und so blieb die Familie in Deutschland. Nachdem 1979 sowjetische Truppen in die afghanische Hauptstadt eingefallen waren, setzte eine große Fluchtwelle ein. „Die Leute wollten alle raus“ so Shikiba Babori. Der große Aufbruch der Mittelschicht sollte sich in den folgenden Jahrzehnten fortsetzen. Seit 1980 haben sechs Millionen Menschen das Land verlassen. Zurück blieben die, die es sich nicht leisten konnten, woanders neu anzufangen.

Shikiba studierte Ethnologin und wurde schließlich Journalistin. 2003, als sich in ihr der „Exilblues“ regte, kehrte sie das erste Mal zurück nach Kabul. „Womit ich nicht gerechnet hatte, als ich in Kabul ankam: alle waren draußen, es wurde getanzt und gefeiert“. Seitdem reist sie als Journalistin immer wieder nach Afghanistan. Vor Ort bildete sie auch Journalistinnen aus und gründete das Netzwerk Kalima-News. In ihren Kursen fragten damals Teilnehmerinnen: Was ist, wenn die Taliban zurückkomen? „Wir haben damals immer gesagt: nein, das könne nicht passieren.“ So dachten die meisten.

Seit dem Abzug der Nato im August 2021 und der Machtübernahme der Taliban haben sich die Lebensbedingungen von Mädchen und Frauen dramatisch verschlechtert, obwohl Frauenn und Männer seit 2004 per Verfassung gleichgestellt sind. Auf dem Land sei die Situation schon vorher kompliziert gewesen, die Mädchen hatten bereits damals keine Möglichkeit zur Schule zu gehen. Nun sei der Bildungsweg auch in den großen Städten abgeschnitten und die Frauen mehr und mehr aus der Öffentlichkeit verbannt.

Seit dem 21.12.2022 dürfen sie sich nicht mehr in Parks aufhalten, keinen Sport treiben und überhaupt „nichts draußen tun, was Spaß macht“. Das Beschäftigungsverbot für Frauen bei NGOs habe ebenfalls dramatische Folgen: Denn diese Mitarbeiterinnen seien diejenigen gewesen, die in den Provinzen Zugang zu Frauen gehabt hätten. Medizinische Unterstützung gibt es für kranke Mädchen und Frauen nun nicht mehr, den von Männern dürfen sie sich nicht behandeln lassen.

Hinzu komme die schlechte humanitäre Situation. Afganistan ist eins der ärmsten Länder der Welt. 23 Millionen Menschen leiden inzwischen an Hunger, Familien geben ihre Kinder weg, weil sie sie nicht mehr ernähren können. Und nun liegen die Temperaturen teilweise bei minus 34 Grad. Der kälteste Winter seit fünfzehn Jahren. Das Land ist abhängig von internationalen Geldern, von denen niemand weiß, wo sie wirklich ankommen.

Journalistin Shikiba Babori telefoniert fast täglich miit Freundinnen und Bekannten in Afghanistan. Von Mal zu Mal veränderten sich die Stimmen ihrer Gesprächspartnerinnen. Die Hoffnungslosigkeit sei extrem. Die Möglichkeit zum zivilen Ungehorsam werde zwar gelegentlich genutzt, aber in der Regel würde Demonstrationen sofort niedergeknüppelt.

„Nachdem die Sowjets raus waren, hat das Interesse des Westens aufgehört.“ Das Land sei in Vergessenheit geraten. Dabei könne man durch Hingucken und Berichterstattung Veränderung bewirken. „Wir könnten genug wissen, wenn wir es denn wollten“ so Babori. „Aber wegen des Kriegs in der Ukraine ist Afghanistan aus dem Fokus geraten“. Grundsätzlich dürfe man aus Afghanistan berichten, wenn man denn nur wollte.

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

11. Januar 2023 - Jahresauftaktgespräch

Ein Gespräch mit:
Falk Schnabel, Polizeichef

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender und Journalist

Fotos: Ulrike Brincker

Feierexzesse, Drogen, Krawall – Kölner Ordnungskräfte im Dauerstress?

Von Ulrike Brincker

Titel fand er damals einfach „cool“. Nach einer Ausbildung bei der Deutschen Bank, studierte er Rechtswissenschaften in Bielefeld. Zum Oberstaatsanwalt war es dann über einige Zwischenstopps nur noch ein kurzer Weg. 2020 wechselte er die Seite und wurde Polizeipräsident in Münster. Nun ist er in Köln für 5000 Mitarbeiter verantwortlich, die in ihrem Alltag zunehmend Anfeindungen und Respektlosigkeiten ausgesetzt sind. Die Beamten werden beleidigt, bedroht und vor allem auch gefilmt. Die Bilder landen oft auf Social Media Plattformen.

Aktuelles Beispiel für die zunehmend schwierige Arbeit von Polizeibeamten und Rettungskräften sind die Krawalle in der Silvesternacht: „Als ich die Bilder in den Nachrichten gesehen habe, war ich fassungslos und wütend. Wie kann es sein, dass Rettungssanitäter angegriffen werden? Auf der einen Seite haben wir diese Verrohung, auf der anderen Seite jedoch die Statistik. Und wenn man statistisch schaut ist die Gewaltkriminalität zurück gegangen, aber das hilft den Opfern nicht.“

Das Sicherheitsgefühl habe sich in der Gesellschaft verändert. Hinzu komme der Eindruck, dass diejenigen, die gegen das Gesetz verstoßen, nicht bestraft würden. Das liege an der chronischen Überlastung der Staatsanwaltschaft, die mit immer neuen Aktenbergen konfrontiert sei. In NRW gebe es 1,2 Mio Strafsachen im Jahr. Von diesen Verfahren werden rein statistisch nur 20 % zur Anklage gebracht, 30 bis 40 % eingestellt, zum Beispiel gegen Geldstrafen.

Beispiel Silvesternacht – was hilft? Eins der strategischen Ziele müsse sein, dass möglichst viele Beamte sichtbar seien, eine hohe Polizeipräsenz stärke das Sicherheitsgefühl der Bürger. Auch eine Böllerfreie Zone habe gut funktioniert. Einem Böllerverbot steht Falk Schnabel eher skeptisch gegenüber. Warum eine Jahrhunderte alte Tradition verbieten, weil einige wenige die Silvesternacht zum Anlass für Gewalt und Randale nähmen?

Bei den Tatverdächtigen müsse der Rechtsstaat nicht nur Flagge, sondern auch Kante zeigen und schnell und streng reagieren. Doch wer sind diese Täter und darf man ihre Nationalität oder Herkunft in Presseberichten nennen? Strafrechtlich spiele die Nationalität keine Rolle, so Falk Schnabel. „In Presseveröffentlichungen nennen wir die Nationalität, wenn es sachliche Anknüpfungspunkte gibt. Eine Regelung, dass „schamhaft auf Nationalität, Geschlecht oder Alter“ verzichtet werde, gäbe es nicht. Aber man müsse die Diskussion offen und sachlich führen und nicht alle Menschen mit Migrationshintergrund über einen Kamm scheren. „In Köln zum Beispiel haben rund 40 % aller Bürger einen Migrationshintergrund, das sind 440 000 Menschen. Auch meine Mutter ist in China geboren.“ Auch viele seiner Beamten haben inzwischen einen Migrationshintergrund.

Um bei den Zahlen zu bleiben: In 2020/2021 seien in der Stadt 3,6 % aller Bürgerinnen und Bürger tatverdächtig gewesen. Von den 130 im Saal des Kölner Excelsior anwesenden Gästen wären das aus statistischer Sicht immerhin 3 bis 4.

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

Veranstaltungen 2022
08. Dezember 2022 - Abschied von Wohlstand & Sicherheit?
Peter Pauls und Prof. Dr. Hüther

Ukraine-Krieg, Pandemie, Inflation, Energiewende – Deutschland ist im Dauerstress

Ein Gespräch mit:
Prof. Dr. Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

 

von Ulriche Brincker

Deutschland, ein Land im Dauerstress mit Krieg in der Ukraine, Energiewende, Inflation und immer noch Pandemie. Zeitenwende oder die fetten Jahre sind vorbei? „Der Begriff von der Zeitenwende ist passend“ sagt Professor Dr. Michael Hüther, Wirtschaftsforscher und Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. Wir alle seien jetzt zu Zeitzeugen von großen Veränderungen geworden, deren Tragweite vermutlich erst in der Rückschau erkennbar werde. Seit dem Angriffskrieg in der Ukraine stimmten die Dinge nicht mehr, die man vorher für selbstverständlich gehalten habe wie die Abhängigkeit vom russischen Gas. Die Frage sei nur, ob das von der Politik auch ernst genug genommen werde.

Im Gespräch mit Peter Pauls (Vorsitzender Kölner Presseclub) erläutert er aus Wirtschaftsperspektive, wie es den Deutschen in 2022 erging und wie die Aussichten für das kommende Jahr sein werden. So halb rosig, aber das Schlimmste sei vermutlich überstanden. Die „großen Themen“ wie die Abhängigkeit von russischer Energie, die marode Infrastruktur und vor allem auch die schlecht ausgestattete Bundeswehr würden uns noch länger erhalten bleiben so der Wirtschaftsforscher. Seine Prognose: Wir werden nicht mehr zurückkommen zu den alten Zuständen. Energie werde auch in Zukunft teuer bleiben. Das Schlimmste sei zwar überstanden, aber auch im Herbst 2023 müssten die Gasspeicher wieder gefüllt werden. Und so schnell seien die fossilen Energien nicht mit erneuerbaren zu ersetzen. Die Strommixaufstellung vom 8. Dezember liest sich so: Wind 23 %, Biomasse 6,7, Solar 1,7. Könnten die erneuerbaren Energien eines Tages ein Exportschlager werden?

„Wir müssen weg von der Idee, für andere ein Vorbild sein zu müssen“ so Hüther. „Und wir sind schon lange davon weg, das zu sein, was wir glauben zu sein“. Kurz gesagt: andere sind da schon längst innovativer und vor allem auch schneller. Texas zum Beispiel habe sich neu erfunden. So produziere der Bundesstaat am meisten Erdöl von allen US-Bundesstaaten, aber gleichzeitig komme von dort ein Viertel der gesamten Windenergie in den USA. Möglich auch in Deutschland?

Die sechzehn Jahre Merkel-Regierung seien „nicht sehr ambitioniert“ gewesen, was die großen klimapolitischen Herausforderungen angehe. Der Glaube, das werde schon funktionieren und etwas „zu viel Köln auf Bundesebene“ hätten diese Jahre geprägt. Das Stichwort „Köln“ in Zusammenhang mit „Ambition“ sorgt im Publikum übrigens für regelmäßige Lacher. Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft kommt zu dem Schluss, dass die Stadt eine teilweise „dysfunktionale Verwaltung wie Berlin“ habe.

Ist Köln jetzt schon eine gescheiterte Stadt? In der Stadt sei keine „Änderungsdynamik“ zu spüren, so Hüther. Er bewundere die Duldsamkeit des Kölner Bürgertums mit diesem Zustand. Dass die Sanierung der Kölner Oper noch immer nicht über die Bühne sei, verstehe von außen niemand. Das notorische Scheitern habe mit der Struktur der Stadt zu tun, eine Millionenstadt ließe sich nicht genauso regieren wie eine 500 000 Einwohner-Stadt. Indikator Krankenstand der Mitarbeiter im öffentlichen Dienst: In Köln und auch in Berlin sei dieser mit 23 Tagen doppelt so hoch wie im bundesdeutschen Schnitt.

Die Mitarbeiter der Dezernate zum Beispiel fühlten sich überfordert, in einem solchen System zu arbeiten. Es gebe keinen Nachwuchs und auch die Digitalisierung sei nicht vorangekommen. Um Köln zu dem zu machen, was es sein könnte, bedarf es seiner Meinung nach grundlegender Änderungen in der Verwaltung. Aber auch Leuchttürme wie zum Beispiel endlich wieder ein Opernhaus oder ein Haus der Universität in der Innenstadt könnten Signalwirkung haben.

Mach voran – eine Aufforderung nicht nur an die Kölner, sondern an alle Deutschen. Aufgrund des demographischen Wandels fehle es an Arbeitsvolumen oder in konkreten Zahlen: bis zum Ende des Jahrzehnts an 4,2 Milliarden Arbeitsstunden. Zwei Stunden mehr arbeiten pro Woche eine Empfehlung nicht nur an die Kölner Stadtverwaltung.

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
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Uhrzeit:
19:30

28. November 2022 - Keine Kohle, keine Zukunft?

Das Industrieland NRW. Seine Klimapolitik und die Wirtschaft

Mona Neubaur, Vizeregierungschefin, Grüne

Ein Gespräch mit Michael Hirz und Peter Pauls

Fotos: Ulrike Brincker

 

Lützerath, eine kleine Ortschaft mitten im rheinischen Revier, bewohnt von etwa 150 Aktivisten. Im Januar soll der symbolträchtige Ort geräumt werden, wenn nötig mit Gewalt. Die grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und Innenminister Herbert Reul (CDU) haben dazu gemeinsam eine Räumungsverfügung auf den Weg gebracht. Ausgerechnet eine grüne Ministerin, die von Anhängern der Klimabewegung mit ins Amt getragen wurde.

Keine Kohle, keine Zukunft? Darüber diskutierte Mona Neubaur im bis auf den letzten Platz besetzten Kölner Presseclub mit Michael Hirz und Peter Pauls. Seit dem 29. Juni 2022 ist die gebürtige Schwäbin Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie und Vizeregierungschefin des Landes NRW. „Vieles, von dem wofür wir geworben haben, konnten wir direkt umsetzen“ so Neubaur. Zum Beispiel einen früheren Kohleausstieg. Anstelle von 2038 sollen nun schon 2030 alle Kohlekraftwerke stillgelegt werden.

Aber dieses Ergebnis hatte seinen Preis. Aufgrund des russischen Angriffskriegs in der Ukraine soll die Braunkohle unter Lützerath noch abgebaggert werden. Ausgerechnet Lützerath, der Symbolort der Klimabewegung. Kritiker aus den eigenen Reihen werfen Mona Neubaur nun „Verrat“ vor. Die Ministerin beruft sich angesichts der „dramatischen Lage“ auf die energiewirtschaftliche Notwendigkeit für die Braunkohle unter Lützerath und auf den Rechtsstaat.

„Alle drei Gutachten kommen zu dem Schluss, dass der Erhalt nicht möglich ist“ so Neubaur und abgesehen davon hätten die Grünen „hart miteinander“ diskutiert und es habe eine Mehrheit für diese umstrittene Entscheidung gegeben. Sie selbst wünsche sich, dass sich eine Bewegung gründe, die für positive Ziele, zum Beispiel für die Errichtung eines Windrads demonstriere. „Denn wir brauchen eine Gesellschaft, die sagt: wir wollen grüne Energie und die das auch als europäisches Projekt begreift.“ Daraus könne dann eine neue Grundlage von Wohlstand entstehen. Die Klimabewegung habe doch schon jetzt viel erreicht. So habe zum Beispiel „Fridays for Future“ dafür gesorgt, dass die Frühstückstische überall in Deutschland von Diskussionen geprägt seien, ob jetzt überhaupt noch Fleisch nötig sei.

Die eigentliche Frage des Abends: Wie viele Kompromisse sind angesichts der vielen Krisen nötig und welche roten Linien müssen auch bei den Grünen überschritten werden, wenn sie denn politische Verantwortung tragen. Sie glaube nicht an die gesellschaftliche Revolution, so die Ministerin. Um die großen Krisen zu bewältigen, wolle sie lieber Allianzen schmieden. Aber dabei müsse die grüne Glaubwürdigkeit trotzdem gewahrt bleiben, auch im ambitionierten Spagat zwischen eigenen Idealen und einem Koalitionspartner, der nur wenig Sympathien für die Klimabewegung hegt.

Neben dem großen Thema Versorgungssicherheit in NRW (die Lage sei ernst, aber stabil), ging es um die Frage, wie die Zukunft des Landes Nordrhein-Westphalen nach der Kohle einmal aussehen könnte. Der Verlust von allein 50 000 gut dotierten Arbeitsplätzen droht der Region durch den Abbaustopp verloren zu gehen. Die Sorge vor Ort, in einem schlecht bezahlten Job zu landen, ist groß. Die Zukunft liege im Wasserstoff glaubt Mona Neubaur. „Die Region kann Energie und sie soll kein Museum werden. “ Man könne die Infrastruktur für Wasserstoff nutzen und diejenigen, die vorher in der Kohle gearbeitet hätten, könnten das nun in Kraftwerken für Wasserstoff weiter tun. 14,8 Milliarden Euro bekommt das Land NRW über das Strukturmittelfördergesetz nach dem Kohleausstieg. Viel Geld, aber einen konkreten Masterplan, wie es ausgegeben werden soll, gibt es nicht. Strich unter die bisherigen Pläne der Vorgängerregierung und ganz neu anfangen – davon träumt Mona Neubaur. Aber erstmal darf Lützerath nicht zum grünen Desaster werden.

Ein Kompromiss, auf den man sich an diesem Abend schnell einigen konnte: den verbalen Nahkampf vor der Weinbar fortzuführen.

Text und Bild: Ulrike Brincker

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

09. November 2022 - Peking steht mit dem Rücken zur Wand

Experte Shi Ming im Presseclub: China muss seine Wirtschaft retten

Ein Gespräch mit Michael Hirz

Fotos: Ulrike Brincker

 

von Peter Pauls

Als vor einigen Jahren in China die Aktienkurse um 25 Prozent fielen und sich ein Börsencrash ankündigte, gewannen in der Krise nicht etwa Ökonomen die Oberhand. Die Regierung in Peking schickte vielmehr schwer bewaffnete Polizisten in die Finanzinstitute, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Shi Ming, Publizist und China-Experte, diente bei seinem Besuch im Kölner Presseclub die hilflos-autoritäre Geste als Beleg für die ökonomische Inkompetenz des Regimes. Es habe sich von den Regeln wirtschaftlichen Wachstums entfernt und setze seit Jahren auf starres Sicherheitsdenken – als könne man fallende Börsenkurse mit Waffen beeindrucken. Im bis auf den letzten Platz besetzten Platz Gobelin-Saal des Excelsior Hotels Ernst machte der Wissenschaftler im Gespräch mit Moderator Michael Hirz die Zuhörer mit einem anderen China und dessen Weltsicht vertraut, als wir es kennen.

Olaf Scholz etwa habe für große Verunsicherung gesorgt, da seine erste Asienreise ihn nach Japan führte, Erzfeind und Konkurrent Chinas. Der Bundeskanzler hatte demonstrativ diesen Reiseverlauf gewählt. Dagegen habe Angela Merkel während ihrer Amtszeit bei Besuchen im asiatischen Raum stets Peking als erste Anlaufstelle gewählt. Der Symbolgehalt politischer Schritte, insbesondere wenn er auf die Bildung neuer und konkurrierender Blöcke schließen lässt, werde in China äußerst sensibel wahrgenommen, so der Experte.

Dazu gehörte auch der Flug deutscher Eurofighter nach Japan. Eines der Hochleistungskampfflugzeuge wurde von Generalleutnant und Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz persönlich gelenkt. Der hatte vorher freimütig angekündigt, die militärische Partnerschaft mit Japan auf eine neue Ebene heben zu wollen, was den Vorgang politisch noch einmal mehr auflud. Zumal dies in eine Zeit fällt, in der Tokio von seinem Verfassungsartikel 9 abrückt, der seit 1946 den Unterhalt von Streitkräften sowie kriegerische Aktivitäten verbietet und Deutschland die Bundeswehr mit einem 200 Milliarden-Euro-Paket aufrüstet.

Ob Peking sich nicht auf seine wirtschaftliche Stärke verlassen könne, warf Moderator Hirz ein. Auch hier ließ Shi Mings Antwort Sprünge im China-Bild entstehen. Die Konstruktion der Seidenstraße, des weltumspannenden Handelswegs für chinesische Güter, sei eine Reaktion auf ungebremstes Wirtschaftswachstum. In 25 von 28 Branchen sei es zu drastischen Überkapazitäten gekommen, die nun in alle Welt exportiert würden. Wer wagt es schon, in einem autoritären Staat auf Risiken hinzuweisen?, fragte Shi Ming rhetorisch. In China gehe es heute nicht mehr um Wachstum, sondern wie man die Wirtschaft überhaupt retten könne.

Die Führung stehe mit dem Rücken an der Wand. Die gesellschaftliche Mittelschicht sei, wie in Deutschland, voller Abstiegssorgen, die staatliche Autorität schwinde. Dem öffentlichen Aufruf zu PCR-Tests, um Corona-Viren nachzuweisen, werde in großen Wohnanlagen zum Beispiel, wenn überhaupt, nur noch schleppend nachgekommen. Test-Resultate würden deshalb ohne Grundlage verbreitet.

Zehn Millionen Hochschul-Absolventen drängten pro Jahr auf den Arbeitsmarkt und stünden einer schrumpfenden Wirtschaft gegenüber. Vielleicht drei Millionen fänden eine einfache Beschäftigung. Für ausländische Unternehmen sei das optimal. Auf eine freie Stelle kämen etwa 150 Bewerber.

In solchen Zeiten seien Feinde von außen der Führung geradezu willkommen. Dabei seien weite Teile von Chinas Führung eng mit dem westlichen Wall-Street-Kapitalismus verbunden und hätten viel zu verlieren. Ihre Kinder arbeiten im Ausland, haben sich an Statussymbole gewöhnt. Die Zahl der Elektro-Autos zum Beispiel habe sich so stark erhöht, dass man mit dem Bau von Ladestationen nicht nachkäme und die Fahrzeuge nutzlos herumständen. Der früheren Verheißung des Wohlstands für alle stehe heute ein hartes Alltagsleben gegenüber, das gekennzeichnet von Jugendarbeitslosigkeit und einem autoritär durchgreifenden Staat sei. Ein Feind von außen käme da gerade recht.

Ob der deutsche Ruf nach der Einhaltung von Menschenrechten Peking verärgere, wollte Moderator Hirz wissen. Shi Ming glaubt das nicht. Wie früher in der DDR sage die Führung in China „Wir schenken euch ein paar Dissidenten und lassen sie frei“, wenn es den politischen Interessen diene. Das sei Schaufensterpolitik. Was wirklich zähle, sei die Geopolitik, der Schulterschluss von Deutschland mit Japan zum Beispiel.

Eine internationale Blockbildung zeichne sich ab und sei praktisch unvermeidlich. Dennoch müsse man offen und ohne Umschweife miteinander umgehen. Rivalen könnten nicht nur, sie müssten miteinander reden. Shi Ming: „Der Kalte Krieg ist nur kalt geblieben, weil die Rivalen wie Rivalen miteinander sprachen.“

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

03. November 2022 - Warten auf die Heinzelmännchen oder auf Godot?
Stefan Charles, Kulturdezernent der Stadt Köln, Peter Jungen, Stefanie Ruffen und Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub

Diskussion im Kölner Presseclub über die Kultur- und Großbauten der Stadt

Ein Gespräch mit:
Stefan Charles, Kulturdezernent Köln
Peter Jungen, Vorsitzender des WRM-Stifterrates & Fondation Corboud
Stefanie Ruffen, Architektin und FDP-Ratsmitglied

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

 

von Ulrike Brincker

Heinzelmännchen, rot-weißes Flatterband in der Altstadt, grüneres Gras in der Schweiz und Kölner Kulturbauten – ein Abend mit bunten Facetten. Die große Frage dahinter: Kann Köln Großbauten, vor allem, wenn sie mit Kultur zu tun haben? Warum dauert es Jahrzehnte, um sie zu bauen? Und warum werden die Kulturbauten, die es schon gibt, so wenig gepflegt? Das Wallraf-Richartz Museum zum Beispiel wartet seit zwanzig Jahren auf seine Erweiterung. Das Römisch- Germanische Museum musste 2018 ausziehen, weil die Betriebserlaubnis erloschen war.

Zu Gast bei Peter Pauls im bis auf den letzten Stuhl besetzten Gobelin-Saal des Excelsior Hotel Ernst: Stefanie Ruffen, Architektin und FDP-Ratsmitglied. Sie ist der Meinung, die Stadt Köln solle von Großprojekten besser die Finger lassen, weil sie ohnehin daran scheitere. Ihr persönlicher Albtraum: über Jahrzehnte weiter rot-weißes Flatterband in der Altstadt. Der Unternehmer Peter Jungen. Er ist Vorsitzender des Stifterrates des Wallraf-Richartz-Museums & der Fondation Corbaud. Jungen kennt sich aus mit internationalen Großprojekten und glaubt, dass die Stadt nicht aus ihren Fehlern lerne und dass es ihr obendrein an Entschlusskraft mangele. Die optimistischere Sichtweise, frei nach dem Motto „Wir schaffen das“, vertrat Stefan Charles, gebürtiger Schweizer, Kulturdezernent der Stadt Köln und verantwortlich für die Kulturbauten. Er vertrat die nur in Teilen tröstliche Ansicht, auch in der Schweiz sei das Gras nicht grüner als im Kölner Stadtwald.

Auf der großen To-Do-Liste der Stadt Köln stehen gleich 122 Bauvorhaben. Es geht um Neubau und Sanierung von Brücken, Parkhäusern, Straßen, Schulen und eben auch Kulturbauten. Mit Neubau könne man bei den Wählern punkten, so Stefanie Ruffen, dafür gebe es auch eher Fördergelder. Wer „nur“ Gebäude erhalten wolle, ernte damit keine Lorbeeren. Beispiel Justizzentrum an der Luxemburger Straße: gerade einmal 30 Jahre alt, aber schon so baufällig, dass es nun abgerissen werden solle. Im vergangenen Jahr fielen sogar Gerichtsverhandlungen aus, weil die Klimaanlage den Dienst quittierte. In Köln müsse jetzt, so Stefanie Ruffen, erst einmal der Standard „abgearbeitet“ werden.

Die neuen Museen seien alles Prototypen und die Anforderungen, die an sie gestellt würden, seien enorm, erklärt Stefan Charles. Die verbaute Technik sei oft schon nach zwei oder drei Jahren marode. Die Vergaben würden deshalb immer komplexer und viel Geld ließe sich mit solchen Bauten nicht verdienen. Auch andere Städte, wie zum Beispiel München oder Hannover, hätten mit solchen Problemen zu kämpfen. Aber warum nicht beide Geschichten erzählen? Nicht nur die der ständigen Hiobsbotschaften, sondern auch die der positiven Nebeneffekte: die Übergangslösung für das Kölner Schauspiel habe in Köln-Mülheim ein ganzes Viertel belebt und aufgewertet.

Um jetzt auch die Kölner Innenstadt wiederzubeleben, soll es noch in diesem Jahr ein externer Projektmanager richten – zuständig für den Erweiterungsbau und auch die Sanierung des Wallraf-Richartz-Museums. Schon jetzt koste letztere die Hälfte des damaligen Baupreises, so Peter Jungen, der in Köln Strategien zur Instandhaltung vermisst. Die Stadt Köln habe die Verträge mit Stifter Gérard Corboud gebrochen, der seine Sammlung von über 170 Gemälden als „ewige Leihgabe“ an die Stadt Köln gegeben hatte. Im Gegenzug sollte sie entsprechend präsentiert werden. Peter Jungen rechnet jedoch nicht mit einer Eröffnung vor 2028. Eine Strategie für die Zukunft wäre für ihn: die Stadt muss sich bei aktuellen Projekten begrenzen, Ehrgeiz bei mittelfristigen Projekten entwickeln und den Mut haben, auch Projekte abzusagen.

Vielleicht wäre dann eines Tages die Altstadt nicht mehr mit rot-weißem Band abgesperrt, Archäologische Zone und Via Culturalis wären fertig und auf dem Roncalli Platz ließe sich die Aussicht genießen. Warten auf die Heinzelmännchen? Oder am Ende doch: Warten auf Godot?

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
08:00

04. Oktober 2022 - Starke Frauen: Nanette Snoep

Kampf um etwas, was man bisher nicht kannte

Ein Gespräch mit:
Nanette Snoep, Direktorin des Rautenstrauch-Joest-Museums

Moderation:
Michael Hirz, Vorstandsmitglied Kölner Presseclub

Fotos: Ulrike Brincker

 

Warum um das Erbe des Kolonialismus emotional gerungen wird und die Kölner Museumschefin Nanette Snoep Hassmails erhält

von Ulrike Brincker

Kann man etwas vermissen, das man bis dahin gar nicht kannte? Benin-Bronzen aus West-Afrika zum Beispiel? Im Salon-Gespräch mit Michael Hirz, Vorstand des Kölner Presseclubs, erzählt die Anthropologin und Kulturmanagerin Nanette Snoep, warum die Debatte um das Erbe des Kolonialismus so emotional geführt wird.

Das Rautenstrauch-Joest- Museum, das Nanette Snoep seit 2019 leitet, bewahrt eine Sammlung von 96 höfischen Kunstwerken aus dem einstigen Königreich Benin auf. 1897 wurden sie von britischen Elitesoldaten geraubt, später gelangten sie über Auktionen in europäische Sammlungen. Man habe sich in Deutschland nie dafür interessiert, wisse auch häufig nicht einmal, wo das Königreich Benin überhaupt liege (im heutigen Nigeria nämlich), erzählt Nanette Snoep. Trotzdem sorge die Rückgabe der geraubten Kunst für gemischte Gefühle. Aber auch in Nigeria, wohin die Bronzen zurückgegeben werden, sei es nicht anders: dort „kämpften die Leute für etwas, das sie bis dahin gar nicht kannten“.

Nanette Snoep wuchs in den Niederlanden auf. Das Interesse für Kunst und Feminismus hat sie bereits in der DNA. Die Mutter ist Kunstkritikerin und Feministin, der jüdische Vater (war) Museumsdirektor. Schon als Kind interessierte sie sich für außereuropäische Geschichte. In der eigenen Familie hat sie an ihrem Vater erlebt, welche Gefühle die Rückgabe eines bis dahin nicht vermissten Gegenstandes auslösen kann. Nur dieser Weg könne zur Versöhnung führen. Ja, man könne auch etwas zurückgeben, das man liebt. Davon ist Nanette Snoep fest überzeugt.

Was die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit angeht, übernimmt das Rautenstrauch-Joest-Museum in Deutschland eine Vorreiterrolle, folgt indes mit der Rückgabe der Kulturgüter auch den Grundsätzen der Berliner Außenpolitik. Schon 2004 gab es von ihrem Vorgänger initiiert die erste große Ausstellung zum deutschen Völkermord in Namibia. Knapp zwanzig Jahre später landet die aktuelle Museumsdirektorin, die 2022 mit dem Kenneth-Hudson-Award für institutionelle Courage und berufliche Integrität ausgezeichnet wurde, mitten in einem Shitstorm. Nahezu täglich erreichen sie anonyme Hassmails, die sie aufgrund ihres Frau seins attackieren, erklärt sie auf Nachfragen von Moderator Michael Hirz. Kritiker seien gegenüber Frauen „übergriffiger“. Als Mann hätte sie vermutlich andere Reaktionen bekommen. Inzwischen säßen in den Museen jedoch eine ganze Reihe Frauen in den Chefetagen. Möglicherweise bringe das Frausein dort auch Vorteile. Denn Frauen machten andere „Unrechtserfahrungen“ als Männer und für „ungleiche Machtverhältnisse“ hätten sie feinere Antennen. Über weite Strecken nahm das Gespräch im Rheingoldsalon eine solche Intensität an, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können.

In Paris, wo sie Kulturelle Ethnologie studierte und 16 Jahre lang die historische Sammlung des Musée du quaie Branly leitete, sei es für Frauen einfacher. Sowohl als Mutter von drei Kindern als auch als berufstätige Frau. Auch in der Aufarbeitung der Kolonialgeschichte sei man dort schon wesentlich weiter als in Deutschland. In Köln wolle sie übrigens noch mindestens so lange bleiben, bis die Taxifahrer endlich wüssten, wo das Rautenstrauch-Joest-Museum sei. Bis dahin könne wohl noch viel Zeit vergehen.

Ort:
rheingold salon,
Hohe Straße 160-168,
50667 Deutschland Köln

Uhrzeit:
19:30

30. August 2022 - Starke Frauen: Barbara Schock-Werner

Ein steiniger Weg durch eine Männerwelt

Ein Gespräch mit:
Barbara Schock-Werner, frühere Dombaumeisterin

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

 

Die erste Bewährungsprobe in 160 Meter Höhe hoch oben in den Domspitzen. Es muss ein neuer Blitzableiter befestigt werden, die Dombaumeisterin klettert die letzte Außentreppe hoch. Unten steht – mit Ferngläsern bewaffnet- der ganze Betrieb und wartet darauf, dass die neue Chefin auf halber Strecke kehrt macht. Aber das tut sie nicht.

Über ihren oft mühsamen Weg durch die Männerwelt erzählt Barbara Schock-Werner im Gespräch mit Peter Pauls im „rheingoldsalon“. Barbara Schock-Werner wurde „vom lieben Gott mit viel Energie ausgestattet“. Sie ist Architektin, Kunsthistorikerin, Denkmalpflegerin, Buchautorin, Hochschullehrerin und sie leitete von 1999 bis 2012 Kölns größte Dauerbaustelle: den Kölner Dom. Die erste Frau in diesem Amt und obendrein noch Schwäbin. Da brauchte es neben dem Fachwissen einen „breiten Rücken“ und eine gesunde Portion Humor. „Babsi“, wie sie von den Mitarbeitern hinter vorgehaltener Hand genannt wurde, bekam bei vielen ihrer Amtshandlungen zu hören: „So etwas haben wir aber noch nie gemacht“. Ihr Vorgänger, Arnold Wolff war fast drei Jahrzehnte im Amt, nun will sie die Dinge anders angehen.

Wenn man aus einer schwäbischen Handwerkerfamilie kommt, darf man „keine zwei linken Hände“ haben. Und es braucht darüber hinaus Hände, die mit einem Märklin Metallbaukasten etwas anzufangen wissen. Ihre Eltern waren der damals gängigen Meinung, dass die Mittelschule gut genug sei für die Ausbildung der Tochter. Sekretärin werden kam für Barbara jedoch nicht in Frage, deshalb begann sie nach der mittleren Reife eine Lehre als Bauzeichnerin. „Kunst und Mathematik interessierten mich, ´das trifft sich in der Architektur“. Sie arbeitete auf Baustellen, absolvierte zunächst ein Ingenieurstudium, packte später noch ein Geschichts- und Kunstgeschichtestudium dazu, promovierte zwischen der Geburt zweier Kinder und räumte die Steine aus dem Weg, die ihr Männer immer wieder vor die Füße rollten.

Eine „frauenfeindliche Atmosphäre“, die es heute so nicht mehr gebe, erinnert sie sich. „Warum wollen Sie denn studieren, wenn sie so gute Schinkenhörnchen backen können?“ wurde sie gefragt. Auch die Kombination von Karrierefrau und Mutter stellte in den Augen vieler eine Provokation dar. „Dann kann man Sie auch vergessen,“ bekam Barbara Schock-Werner von ihrem Professor zu hören, als sie mit dem zweiten Kind schwanger war.
Auch im Domkapitel bewegte sie sich – ähnlich wie im Studium – in einer „puren Männergesellschaft“. Doch diesmal war der Umgang respektvoller. Die zwölf männlichen Vorgesetzten mussten die Frauenkonkurrenz nicht fürchten. Ein „souveräner Umgang“ so Barbara Schock-Werner. Und wie „schrecklich“ war es für die Kirche zu arbeiten? „Wenn Sie für den Rat der Stadt arbeiten, versteht der ein oder andere nicht, um was es geht“, aber in der Kirche sei das anders gewesen. Intelligente Menschen, die zu ihren Entschlüssen ständen, sagt sie.

So segnete das Domkapitel auch Gerhard Richters Entwürfe für das 100 Quadratmeter große Südfenster ab. Die Dombaumeisterin hatte den Künstler während eines Empfangs getroffen und kurzerhand zu einer Zusammenarbeit überredet. Anstelle der „Märtyrer des 20. Jahrhunderts“ sollten nun abstrakte Farbflächen das Fenster schmücken. Sehr zum Ärger von Kardinal Meisner, der sich gegen das neue Fenster wehrte. Es passe eher in eine Moschee als in den Dom. Auch andere ließen ihrem Unmut freien Lauf. Barbara Schock-Werner bekam Briefe mit Bitten wie, man möge sie doch im Meer versenken. Aber auf 80 Prozent Zustimmung habe das neue Fenster am Ende doch getroffen und das macht sie noch immer stolz. Blöde Bemerkungen überhört sie schon seit langem.

Heute ist Barbara Schock-Werner Koordinatorin für die deutsche Hilfen beim Wiederaufbau von Notre-Dame. Mit 75 Jahren schreckt sie vor „neuen Aufgaben“ nicht zurück. Und noch immer wohnt sie in Dom Nähe: in einer Wohnanlage für Geistliche im Ruhestand. Die Vorteile: es gibt keine lauten Partys.

Dank an unsere Partner und Sponsoren: lönneker & imdahl, Female Ressources923b und JTI.

Ort:
rheingold salon,
Hohe Straße 160-168,
50667 Deutschland Köln

Uhrzeit:
19:30

14. Juli 2022 - Europas Messen & Corona

Startschuss für mehr Aufbruch und Wettbewerb oder weiter wie gewohnt?

Ein Gespräch mit:
Gerald Boese,  Vorsitzender der Geschäftsführung der Koelnmesse

Moderation:
Dr. Hildegard Stausberg, Ehrenmitglied Kölner Presseclub e.V.
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V. und Journalist

Fotos: Ulrike Brincker

 

Von Ulrike Brincker

Ein Gast, den man im Kölner Presseclub nicht mehr vorstellen muss: Gerald Böse, seit 2008 Vorsitzender der Geschäftsführung der Koelnmesse, gebürtiger Bayer mit gemischten Gefühlen gegenüber seiner Wahlheimat Köln. Im Gespräch mit Hildegard Stausberg und Peter Pauls berichtet er über die Auswirkungen der Pandemie auf die internationalen Messen.

Mit „Tempo 200 an die Wand gefahren“ lautet sein Corona-Fazit. Mit 400 Millionen Euro Umsatz war 2019 das umsatzstärkste Jahr der Koelnmesse. Anfang 2020 ist die internationale Möbelmesse in vollem Gang, als aus Asien erste Nachrichten von einem unbekannten Virus eintreffen. Damals nimmt das noch niemand ernst. Doch dann bleiben die asiatischen Aussteller aus und kurz darauf finden überhaupt keine Messen mehr statt. Es folgen zweieinhalb Jahre Dauerkrise auf dem 284.000 Quadratmeter großem Gelände der Koelnmesse. Weltweit seien die Messeplätze an den Rand der Belastbarkeit geraten: „Der Gesamtschaden für COVID wird zurzeit auf 350 Milliarden Euro geschätzt – dabei entfallen 55 Milliarden auf die fehlenden Messeaktivitäten,“ sagt Gerald Böse.

In anderen europäischen Ländern sei man mit der Pandemie jedoch professioneller umgegangen als in Deutschland. Während beispielsweise in Spanien der Messebetrieb schnell wieder normal gelaufen sei, habe man in Deutschland die Messen per Verordnung mit Volksfesten und Bordellbesuchen gleichgestellt. All dies vor dem Hintergrund, dass der Messestandort Bundesrepublik der international wichtigste Handelsplatz der Welt sei. In Deutschland sei zu viel gezögert worden. Zumindest aber habe die damalige Düsseldorfer Landesregierung mit Wirtschaftsminister Pinkwart und Ministerpräsident Laschet im Rahmen ihrer Möglichkeiten schnell und unbürokratisch gehandelt, sagt der Messechef.

Auch wenn Messen jetzt wieder stattfänden, die Auswirkungen der Krise seien noch immer spürbar: „Durch die momentane Lage haben wir wohl bis Ende nächsten Jahres keine Chinesen mehr im Messegeschäft in Köln“. Auch die Personalnot sei ein großes Thema: die Standbauer zum Beispiel haben sich während der Lockdowns umorientiert, als Folge seien die Kosten für den Aufbau explodiert. Auch in der Gastronomie mangele es an Arbeitskräften. Von ehemals 900.000 Beschäftigten seien 200.000 abgewandert. Eine Rückkehr in die Zeit vor Corona, so Böse, werde es nicht mehr geben.

In den Jahren der Pandemie habe die Koelnmesse aus der Not heraus viel experimentiert und ausprobiert. Wenn die Aussteller nicht mehr nach Köln kommen können, dann kommt die Messe eben zu ihnen nach Hause auf den Schreibtisch – als digitale Verlängerung. Aber warum dann mitten in der Stadt so ein großes Gelände unterhalten, das über weite Teile des Jahres leer steht?

Die physische Präsenz vor Ort sei immer noch am besten fürs Geschäft, doch mit den online Plattformen, die über das ganze Jahr genutzt werden können, ließen sich neue Geschäftsfelder erschließen, entgegnet der Messemanager. Anstelle von 70.000 Besuchern vor Ort erreiche man damit ein weltweites Publikum. Anders als früher seien Messen längst nicht mehr nur reine Verkaufsveranstaltungen. Heute werden dort auch die großen Themen der Zukunft diskutiert: Energie und Ernährung zum Beispiel. Gerald Böses Vision: „Große Messen müssen immer mehr zu einem Wissensgipfel werden“.

Kleinere Träume hegt er im Hinblick auf seine Wahlheimatstadt Köln: am „äußeren Erscheinungsbild“ der Stadt müsse poliert werden. Weniger diplomatisch gesagt: der Dreck muss weg, sonst blieben irgendwann die ausländischen Gäste aus. Damit die überhaupt kommen können, müsse das Chaos am Flughafen aufhören. Auch das Thema Sicherheit sollte neu diskutiert werden. Und überhaupt: lieber weniger Baustellen in Köln aufmachen, aber die dann auch zu Ende bringen.

Bis Ende 2024 will Messechef Gerald Böse seine eigene Baustelle abschließen: passend zum 100. Geburtstag der Messe soll das neue Konferenzzentrum Confex fertig werden. Dann muss nur noch die Stadt zum neuen Gelände passen.

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

27. Juni 2022 - Putins Angriff auf die Weltordnung

Der Überfall auf die Ukraine und die internationalen Folgen

Ein Gespräch mit:
Udo Lielischkies, ehem. ARD-Korrespondent in Moskau

Moderation:
Michael Hirz, Vorstand Kölner Presseclub

Foto: Ulrike Brincker

Blass, unscheinbar, in den Hinterhöfen von Sankt Petersburg aufgewachsen, KGB-Mitglied, Spitzname „die Motte“ – wie wird aus so jemandem ein Machthaber, der eine ganze Weltordnung ins Wanken bringt? Der frühere ARD-Korrespondent und Buchautor („Im Schatten des Kremls“) Udo Lielischkies erzählt im Gespräch mit Presseclub-Vorstand Michael Hirz die Aufstiegs-Geschichte eines Mannes, den im Westen viele für einen anderen hielten. Eine Geschichte voller Missverständnisse und offener Fragen.

Als Udo Lielischkies 1999 als Korrespondent nach Moskau kommt, sitzt der russische Präsident Boris Jelzin auf dem absteigenden Ast. Er braucht einen loyalen Nachfolger, der ihn und seinen in kriminelle Machenschaften verstrickten Clan vor Strafverfolgung schützt. Amt gegen Amnestie. Ob Wladimir Putin, den in Russland niemand kennt, tatsächlich Präsident werden will?

Nun wird er überraschend ins Amt gehievt und mit ihm der KGB, so Lielischkies. Die Frage, ob die Terroranschläge um die Jahrtausendwende tatsächlich von Terroristen aus Tschetschenien und nicht doch vom KGB angezettelt wurden, lässt er unbeantwortet. Vieles spricht für letzteres.

Kaum im Amt, zettelt Putin einen brutalen Krieg in Tschetschenien an. Das poliert die Umfragewerte und verleiht ihm Autorität. Und er bietet den Russen einen Deal an: Ihr verzichtet auf Demokratie, dafür bekommt Ihr Stabilität und vollere Portemonnaies. Die ersten acht Jahre laufen gut: es werden Kleinwagen gekauft, Datschen renoviert, ein wenig Wohlstand gelebt. Doch dann kommt die Finanzkrise, der Ölpreis fällt und in Moskau wird demonstriert. Es braucht ein neues Narrativ für Putins zweite Amtszeit.

Den Zusammenbruch der Sowjetunion, den er als KGB-Agent in Deutschland hautnah miterlebte, empfand Putin als persönliche Demütigung. Die Geschichte von Russland als Weltmacht muss in seinen Augen neu geschrieben werden – von ihm selbst. Dazu braucht es einen äußeren Feind. Als sich die Ukraine mit der orangefarbenen Revolution dem Westen annähert, spricht Putin von „ukrainischen Faschisten“, die zum Wohle Russlands um jeden Preis bekämpft werden müssen.

Die Militarisierung der Gesellschaft macht sich auch im Privatleben des Korrespondenten, der mit einer russischen Frau verheiratet ist, bemerkbar. Im Kindergarten trägt seine kleine Tochter nun Militäruniform. Heute lebt die Familie in Deutschland, doch die Beziehungen zu Freunden und Verwandten sind kompliziert geworden. Niemand wagt es mehr, ein offenes Gespräch über den Krieg oder das Leben in Russland zu führen.

Von Putins Entscheidung, die Ukraine anzugreifen gewusst, habe noch nicht einmal der eigene Außenminister Sergej Lawrow gewusst. Eine einsame Entscheidung im „Türmchen“, die aus einer grundlegend falschen Einschätzung resultierte. In ein paar Tagen, so Putins Glaube, sei die Ukraine besiegt und die Besiegten kämen den russischen Soldaten mit Blumen entgegen. Auch mit der Einigkeit des Westens und den daraus resultierenden Sanktionen habe er nicht gerechnet.

Eine Geschichte der gegenseitigen Missverständnisse. Denn auch im Westen habe man vor dem Offensichtlichen immer wieder die Augen verschlossen und nicht reagiert. Noch heute handele die Bundesregierung zu zögerlich. Jeder Tag koste unzählige Menschenleben und schon jetzt seien zwei Millionen Ukrainer nach Russland verschleppt worden.

Es gibt viele offene Fragen, über die weltweit spekuliert wird: Wie lange kann sich Putin noch auf die russische Bevölkerung verlassen? Wie steht es um die Geschlossenheit des Westens, wenn der Krieg in der Ukraine noch lange andauert? Wie kann dieser Krieg beendet werden? Und wie wird die Rolle Russlands in einer neuen Weltordnung aussehen? Udo Lielischkies hat dazu ein Bild im Kopf: Russland wird eine „von Banditen kontrollierte Tankstelle“ sein, die zahlkräftige neue Kunden braucht.

Text und Bild: Ulrike Brincker

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

02. Juni 2022 - Köln: Hübsch oder hässlich

Mehr als nur eine Frage der Perspektive? Wandel ohne Gewinner und Verlierer in einer Stadt für alle

Ein Gespräch mit:
Nicole Grünewald, IHK-Präsidentin
Jürgen Amann, Chef von Köln Tourismus
Witich Roßmann,  DGB-Chef Köln

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Foto: Ulrike Brincker

 

Von Ulrike Brincker

Keine Liebe auf den ersten Blick, aber dafür habe die Stadt eine innere Schönheit glaubt Jürgen Amann, Chef von Köln Tourismus.

Es gebe Unterschiede, ob man die Stadt mit dem Herzen sehe oder mit den Augen. Bei letzterem sei noch ordentlich Luft nach oben befindet IHK-Präsidentin Nicole Grünewald.

Für Witich Roßmann, DGB Chef Köln, ist es ein Wunder, dass es die Stadt überhaupt noch gebe nach den Verwüstungen des zweiten Weltkriegs. Aber an vielen Stellen sei sie einfach schrecklich hässlich.

Der Kölner Presseclub lud im Hotel Excelsior zum Streifzug durch Köln. Das Motto „hübsch hässlich“ klaute Moderator Peter Pauls bei Heinz Rühmann, der als Pater Brown den Bewohnern einer irischen Insel entgegenruft: “Hübsch hässlich habt Ihr`s hier“. Oder eben „pretty ugly“. Doch wie schaut ein ganz normaler Tourist nun auf Köln? Die meisten Besucher kämen wegen der Menschen und des zugehörigen Lebensgefühls in die Stadt so Jürgen Amann. Sie fühlten sich hier zuhause und für einen kurzen Moment als Teil der Stadt und nicht etwa als Touristen. Das sei gerade ohnehin ein Trend im Tourismus. Das trifft sich gut für pretty ugly Köln und sorgt für jede Menge Übernachtungen: 6,6 Millionen pro Jahr.

Für viele Menschen, die immer in der Stadt leben, stellt sich eher die Frage, ob sie sich die Stadt überhaupt noch leisten können. In Köln gebe es zwar wachsende „Armutszonen“ bedauert Witich Roßmann, aber trotzdem noch ein „soziales Miteinander“ und keine Abschottung wie in vielen anderen Großstädten. Diejenigen, die in lang andauernden Mietverhältnissen lebten, hätten kaum Probleme. Die fingen erst an, wenn junge Familien nach größeren Wohnungen suchten.

Die Alternative: raus aus der Stadt? Dann entstehen für die meisten Familien neue Probleme. Sie müssen täglich zur Arbeit pendeln. Mit Bus und Bahn kann das zur Odyssee werden. Warum dann nicht das eigene Auto nehmen? Wer morgens in die Stadt rein und abends wieder raus fährt wie inzwischen 300 000 Einpendler muss das aufgrund der hohen Spritpreise schon jetzt teuer bezahlen. Hinzu kommt: in vielen Vierteln soll der Autoverkehr zugunsten des Fahrrads drastisch reduziert werden.

Die Mobilitätswende in Köln habe dazu geführt, dass nur noch Radwege gebaut würden und das Auto verteufelt werde so Nicole Grünewald. Es nütze nichts, das Autofahren ungemütlich zu machen und die Leute erziehen zu wollen. Es brauche bessere Alternativen und das könne nicht in erster Linie das Fahrrad sein. Auch Witich Roßmann möchte die Verkehrsadern erhalten, denn in circa zehn Jahren sei das autonome Fahren mit E-Autos selbstverständlich und dann würden die großen Straßen gebraucht.

Tourismus-Experte Jürgen Amann schaut gerne mal rüber zu den europäischen Nachbarn: Amsterdam, Kopenhagen, Paris – hier haben sich schon jetzt ganze Stadtviertel grundlegend verändert. Weniger Autos in den Innenstädten, mehr Freiflächen, mehr „Erlebnisqualität“. Den Touristen gefällt das in jedem Fall. Und wenn die viel befahrene Trankgasse am Dom demnächst zur Fahrradstraße wird freut das auch Jürgen Amann.

Im weiteren Verlauf des Abends wurde noch kräftig darüber diskutiert, ob Terrassenstühle in der Außengastronomie alle die gleiche Farbe haben müssen (kein Fazit) , wie liberal die Kölner tatsächlich sind (na ja, geht so) und wie konsequent Politik sein sollte (da geht noch was). Willkommen in pretty ugly Köln.

Ort:
rheingold salon,
Hohe Straße 160-168,
50667 Deutschland Köln

Uhrzeit:
19:30

30. Mai 2022 - Starke Frauen Sonia Mikich: Hingehen, wo es passiert

Motto für ein Journalistinnen-Leben, aber auch der rote Faden einer Biografie

Ein Gespräch mit:
Sonia Mikich, Journalistin

Moderation:
Michael Hirz, Vorstandsmitglied Kölner Presseclub

Foto: Ulrike Brincker

 

Sonia Mikich ist nie lange irgendwo geblieben. Das Weiterziehen war für sie (fast) immer schöner. 1951 wurde sie in Oxford geboren, in London ging sie zehn Jahre lang zur Schule, nach der Trennung der Eltern zog sie mit ihrer Mutter nach Herne. Der Berufswunsch stand schnell fest. Mit Journalismus ließ sich die Welt entdecken und man kam obendrein noch raus aus Herne und dem Pott. In der Reihe „Starke Frauen“ berichtete sie im „rheingold salon“ auf Einladung des Kölner Presseclubs über ihren Werdegang.

In ihrer Autobiographie „Aufs Ganze. Die Geschichte einer Tochter aus scheckigem Haus“ (2022) lässt sie ihr ruheloses Leben Revue passieren. Es ist die Geschichte einer Frau, die sich selbst wie folgt beschreibt: „Scheidungswaise, Kleineleutekind, Britin, Halb-Serbin, Linke, Feministin, Kabarettistin, Punksängerin, Akademikerin, Auslandskorrespondentin, kinderlos, zwei Mal Gattin, Abenteuerin, Kriegsreporterin, Chefredakteurin.“

Die meisten Leute sehen in ihr zuerst die Journalistin, die zur Primetime die Welt und den Krieg erklärte. Nach einem Volontariat beim WDR, arbeitete sie als Redakteurin und Reporterin in der Auslandsredaktion. Sie ist die Jüngste und auch die einzige Frau in einer Männerdomäne, in der alles, was sie tat, „kritisch beäugt“ wurde. „Die Herren hatten schon ihre Federn am Hut“ und wer sich beweisen wollte, musste bereit sein, auch schwierige Themen zu übernehmen. Das tat sie, meistens „ohne viel nachzudenken“. Das Wollen und das Machen waren ihr wichtiger, berichtete sie im Gespräch mit Michael Hirz.

1992 wurde sie auf Wunsch von Gerd Ruge Korrespondentin im ARD-Studio Moskau. Nicht nur ein großer Karrieresprung, sondern auch der Beginn der „schönsten Jahre“ in ihrem Journalistinnen Leben. Kurz gesagt: die „Champagnerjahre“. Es waren die Jahre des Wandels nach dem Zerfall des Sowjetimperiums, des demokratischen Umbruchs. Es war das Russland, das sie liebte.

Es gab „viel zu erzählen“ damals, sowohl vor der Haustür als auch in Afghanistan oder Tschetschenien. Legendär ihr Interview mit Tschetschenen Präsident Dudajew, der damals als russischer Staatsfeind Nr. 1 galt. Viele wollten ihn eliminieren, viele wollten ihn interviewen. Das gelang Sonia Mikich in einer abenteuerlichen Nacht und Nebel Aktion.

Als erste Frau leitete sie ab 1996 das ARD-Studio Moskau. Sie erlebte in dieser Zeit, wie Wladimir Putin die politische Bühne betrat und das Land grundlegend verwandelte. Ein „Kriegspräsident“, der mit großer Brutalität in bewaffnete Konflikte ging, die Medien entmachtete und demokratische Strukturen rückgängig machte.

Es folgte eine weitere Station im Studio Paris, bis sie 2002 als „Wilde aus dem Ausland“ wieder in Köln landete. Zunächst als Leiterin bei „Monitor“, wo die „Schuhe ihrer Vorgänger“ angeblich riesig waren, dann als Leiterin der „Programmgruppe Inland“ und schließlich als WDR-Chefredakteurin. Ziemlich viel Leitung und Karriere, doch das Drinnen sein schmeckte ihr erstmal nicht. Wie eine „wandelnde Unterschriftenmappe“ kam sie sich vor. Und obendrein musste sie einschneidende Budgetkürzungen durchsetzen und war mit einer MeToo Debatte im eigenen Haus konfrontiert.

Und heute? Wie schaut sie inzwischen auf Russland, das Land, mit dem sie so viel verbindet? Ihre Freunde und Bekannten vor Ort seien in Schockstarre. Niemand, der sich wehrt. Die Angst verhaftet zu werden, sei zu groß. Einen Aufstand oder Putsch werde es in Russland vermutlich nicht geben. Doch wenn es sich irgendwann einmal herumgesprochen habe, wie viele Opfer der Krieg in der Ukraine tatsächlich gefordert habe, dann könne es eine „Erosion“ geben, die die öffentliche Meinung ändere. Das Zeitgeschehen lässt Sonia Mikich nicht los und das Reisen hat sie auch nicht aufgegeben. Ein bisschen Unruhestand muss schließlich sein.

Regelmäßig pendelt sie zwischen Köln und einem kleinen Stück Land irgendwo in Griechenland. Weit weg von allem Mediengetöse schreibt sie in ihrer „Erdfalte“ Bücher und wenn das getan, arbeitet sie im Garten, legt Oliven ein oder hört den Nachtigallen zu. Die pure Idylle? Kann eigentlich nicht sein. Ein blauer Himmel – so was von langweilig in ihren Augen. Vorbeiziehende Wolken, die den Himmel ordentlich aufmischen, sind doch viel spannender.

Ort:
rheingold salon,
Hohe Straße 160-168,
50667 Deutschland Köln

Uhrzeit:
19:30

28. April 2022 - Wie weit reicht der Kampf um die Ukraine?

Ein Gespräch mit:
Dr. Sonja Beer, Institut der Deutschen Wirtschaft
Douglas Graf Saurma, Geschäftsführender Vorstand Malteser International
Udo Lielischkies, Russland-Experte, ehem. Leiter ARD-Studio Moskau

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Foto: Ulrike Brincker

 

Von Ulrike Brincker

1100 Schuss Munition benötigt ein Gepard-Panzer pro Minute, aktuell stehen in Deutschland aber nur 23 000 Schuss zur Verfügung. Munition für gerade einmal 20 Minuten.

Seit der russischen Invasion sind Millionen Menschen aus der Ukraine auf der Flucht. 384 000 Flüchtlinge landeten bereits in Deutschland.

Schon weit über 600 Millionen Spendengelder kamen über die großen Spendenbündnisse in Deutschland zusammen. So viel wie nie zuvor.

In vielen afrikanischen Ländern sind die Weizenpreise um 25 Prozent gestiegen. Der Hunger ist längst da.

Die nüchternen Zahlen lassen die dramatischen Auswirkungen des Ukraine-Kriegs konkret werden. Nicht nur in Europa, sondern weltweit. Über Armut, Hungerkrisen, Flüchtlingswellen und Erpressung mit Energieversorgung diskutierten im Kölner Presseclub Dr. Sonja Beer vom Institut der deutschen Wirtschaft, Douglas Graf Saurma, Geschäftsführender Vorstand Malteser International und Udo Lielischkies, Russland Experte und ehemaliger Leiter des ARD-Studio Moskau. Moderation: Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub.

Den Anfang machte die russische Armee, doch wie stark ist sie im internationalen Vergleich? Zu welchen weiteren Angriffen ist sie noch fähig? Eine „Pannenarmee“, die nicht „durchorganisiert“ sei, die auch aufgrund von Korruption nur „überschaubar leistungsbereit“ sei, so urteilt Udo Lielischkies, der viele Jahre in Moskau lebte und als Korrespondent über die Kriege in Tschetschenien und Afghanistan berichtete.

Ein Großteil der Armee rekrutiere sich aus russischen Dörfern, die meisten jungen Soldaten würden „verheizt“. Über die konkreten Zahlen werde geschwiegen. Warum dann trotzdem Krieg führen? Es brauche einen äußeren Feind, den Westen, um von den eigenen Problemen abzulenken, eine neue Erzählung für das russische Volk zu schaffen – glaubt Udo Lielischkies.

Die Folgen des Krieges sind auch in Russland gravierend, die Sanktionen treffen auf eine schon vorher finanziell angeschlagene russische Bevölkerung. Neuwagen kosten um 40 Prozent mehr und russische Bankenexperten rechnen in diesem Jahr mit einer Inflation von 22 Prozent. Trotz einer vollen Staatskasse sei mit einem russischen Zahlungsausfall zu rechnen so Dr. Sonja Beer. Genauso dramatisch die Folgen für die internationalen Wirtschaftsbeziehungen. Für den Fall, dass Russland die Gaslieferung einstelle, sei mit einem Produktionsstillstand zu rechnen, Lieferketten brächen zusammen. Ein Beispiel von vielen: Selbst die Milch könne nicht mehr geliefert werden, denn die Paletten auf denen sie transportiert werden, brauchen russische Nägel. Der freie Handel, von dem alle einmal profitierten, habe eine zu große Abhängigkeit zur Folge gehabt. Das Fazit der Wirtschaftsexpertin: noch könne Deutschland nicht auf das russische Gas verzichten.

Das Festhalten an russischen Gaslieferungen, die zögerliche Haltung der Bundesregierung und die bislang wenig effiziente militärische Unterstützung – das Ansehen von Deutschland habe Schaden genommen, darin waren sich die Experten auf dem Podium einig. Doch auf der anderen Seite gebe es eine enorme Spenden- und Hilfsbereitschaft der deutschen Bevölkerung. Das „wunderbare Gesicht von Deutschland“ so Douglas Graf Saurma, der mit Malteser International die Hilfe vor Ort koordiniert. Kein einfaches Unterfangen, wenn 30 000 Menschen an der Grenze betreut werden müssen. Von Lebensmitteln, Medikamenten, über Feldbetten und Schlafsäcken bis hin zu sanitären Einrichtungen muss alles per LKW transportiert werden. Die Spendengelder werden noch viele Jahre gebraucht, sowohl für den Wiederaufbau in der Ukraine, aber auch für Hilfe in afrikanischen Ländern, die aufgrund von steigenden Weizenpreisen von Hungersnot bedroht sind. Mit größeren Fluchtbewegungen in Richtung Europa sei zu rechnen.

Der Krieg in der Ukraine werde noch länger dauern, auch darin waren sich die Experten einig. Seine weltweiten Folgen dramatisch.

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

10. März 2022 - Köln: Kultur und Corona

Ein Gespräch mit:
Stepahn Charles, Kulturdezernent der Stadt Köln

Moderation:
Claudia Hessel, Mitglied des Kölner Presseclub

Foto: Ulrike Brincker

 

Von Ulrike Brincker

Ein Mann, der seinen Schreibtisch meidet, der noch nie in einer Verwaltung gearbeitet hat, der nach eigenem Bekunden von Kommunalpolitik keine Ahnung hat (Raunen im Publikum). Er kommt aus der Schweiz, kennt aber immerhin schon Bruchstücke des rheinischen Liedguts: Stefan Charles, neuer Kulturdezernent der Stadt Köln.

Der 54-jährige hat sich viel vorgenommen für seine Amtszeit. Er hat große Pläne und das „Gefühl am richtigen Ort zu sein“. Beispiel Ukraine Krieg: jeder vierte Kölner sei am Rosenmontag im Protestzug „mitmarschiert“, überall fänden Aktionen statt und die Kölner Kultur zeige, dass sie zusammenarbeiten will. Über so viel Engagement in Köln war er als Schweizer sprachlos.

Stefan Charles hat schon vieles gemacht in seinem Leben: Er war Creative Direktor in einem Musikverlag, , Geschäftsführer eines Technoclubs, Dozent an der Zürcher Hochschule für Künste, kaufmännischer Direktor im Kunstmuseum Basel und zuletzt Kulturchef beim Schweizer Radio und Fernsehen sowie Mitglied der Geschäftsleitung. Fast immer hat er sich die Neuausrichtung der jeweiligen Institution auf die Fahnen geschrieben. Sein aktueller Arbeitsauftrag für Köln lautet: der Stadt mehr Strahlkraft verleihen (Gelächter im Publikum). „Ich gehe da manchmal etwas naiv ran, vielleicht ist das besser so“ (Gelächter im Publikum). Er ist aber überzeugt davon, dass die Veränderungsbereitschaft in der Stadt groß sei. In Köln gebe es alles, was man brauche: Man müsse nirgends hin, es sei doch alles schon da. Die Schweiz hingegen sei so klein, da müsse man immer gucken, was die anderen machen. Sich mit anderen vergleichen – das schenke sich der Kölner lieber. Wenn es überhaupt eine Schwäche gebe, dann sei es diese.

Als Schweizer hat Stefan Charles den Blick von außen auf die Stadt. Und er hat sogar noch Freunde, die ihn hier besuchen wollen (Gelächter im Saal). Köln sei kein „unbeschriebenes Blatt“ in der Schweiz und gelte nach wie vor als wichtige Kulturmetropole, wo viel Neues entstehe. Platz 2 hinter Berlin.

Wichtig für Stefan Charles: nicht nur die großen Kulturtempel zu fördern und weiterzuentwickeln, sondern auch die freie Szene. Die Kultur dürfe nicht an die Ränder gedrängt werden, weil die Flächen in der Innenstadt zu teuer seien. Noch immer gebe es Brachen und Leerflächen, die genutzt werden könnten, zum Beispiel auch für Ateliers. Er möchte die Tanzszene stärken, den Deutschen Jazzpreis nach Köln holen, einen Performing Arts Verbund mit Belgien und den Niederlanden starten.

Die maroden Museen sollen mehr zusammenarbeiten und „neu gedacht“ werden. Sein Plan: teilweise Ticket freie Bereiche schaffen und mit neuen Themen auch jüngere Besucher in die Museen locken. Zum Beispiel mit dem Thema „Nachhaltigkeit“. Das Museum Ludwig konzipiere schon jetzt Ausstellungen, die möglichst wenig Emissionen verursachen. „Wir sind hier ziemlich an der Spitze für solche Themen und Entwicklungen“ befindet Stefan Charles. Es brauche nur ein neues „Narrativ, um eine solche Erfolgsstory zu entwickeln“.

Stefan Charles, ein Mann mit vielen Plänen, einer guten Portion Optimismus und einer noch größeren Portion Humor. Letztere wird er brauchen können, um sich in der Kölner Verwaltung durchzuschlagen.

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

Veranstaltungen 2021
10. November 2021 - Köln helfen – Aber wie?

Warum es gelingen muss, guten Willen und Engagement aus der Bürgerschaft für die Stadt zu nutzen!

Ein Gespräch mit:
Andrea Blome, Stadtdirektorin Köln
Anton Bausinger, Bauunternehmer
Kaspar Kraemer, Architekt

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

09. November 2021 - Starke Frauen: Dr. Stephanie Coßmann

Ein Gespräch mit:
Stephanie Coßmann, Vorstands und Arbeitsdirektorin Lanxess AG

Moderation:
Michael Hirz, Vorstandsmitglied des Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

Eine gemeinsame Veranstaltung von Female Resources, Rheingold Salon und Kölner Presseclub

Keine Schulterpolster, gerade einmal 1,60 m groß, 50 Kilo und Mutter von zwei Kindern – das sind nicht unbedingt Karriere Booster in einer von Männern dominierten Branche. Stephanie Coßmann ist Vorständin und Arbeitsdirektorin der Lanxess AG, einem Spezialchemie Konzern mit 14 000 Mitarbeiter*innen.

Wie schafft man es nun an die Spitze eines solchen Konzerns, der einen Frauenanteil von gerade einmal 20 Prozent hat? 1973 in Hannover geboren, eine Schwester, mit der sie Baumhäuser baute, Nägel in die Wand schlug und alles ausprobierte, was die Nachbar Jungs auch taten.

Für das Karriere Fundament sorgte unter anderem Stephanie Coßmanns Großmutter. Die resolute Ostpreußin überzeugte ihre Enkelin vom Wert preußischer Tugenden wie Fleiß, Zielstrebigkeit und Pflichtbewusstsein. Die Frage, welches Studium es denn sein sollte, war für Stephanie schnell geklärt. Mit Jura lernte sie strategisch zu denken. Ihr erstes Berufsziel war das Auswärtige Amt, doch sie landete stattdessen in einer Wirtschaftskanzlei. Den gut bezahlten Job kündigte sie 2004 für einen Jahresvertrag beim gerade entstandenen Lanxess Konzern. „Manche sahen darin eine Art Resterampe“, wie sie selbst sagt. Freunde warnten sie noch vor dem befristeten Arbeitsvertrag. Doch sie wollte das Risiko eingehen, etwas Neues mit aufbauen. Heute ist der Lanxess Konzern in 33 Ländern vertreten und kaum ein Gegenstand unseres täglichen Lebens, der ohne die Lanxess Chemie auskäme.

Die Bereitschaft zum Risiko hat sich ausgezahlt. Stephanie Coßmann kann aus ihrem Büro in der 18. Etage über den Rhein schauen. Noch immer geht sie selbst ans Telefon und Statussymbole braucht sie auch nicht. Weder Schulterpolster, noch Porsche. Und wenn sie nachmittags früher das Büro verlässt, um die Kinder zum Sport zu fahren, endet ihr Arbeitstag erst weit nach Mitternacht am Schreibtisch zuhause. Teilzeit Arbeit, davon ist sie überzeugt, muss kein Karrierekiller sein. Bei Lanxess gilt das auch für Führungskräfte. Und die obligatorische Frage nach der Vereinbarkeit von Kindern und Karriere gibt Stephanie Coßmann gerne an die Fragesteller zurück.

Doch wie oft drohte die Karriere ins Stocken zu geraten, zu scheitern? Als ihre Kinder noch klein waren, habe sie einige Male vor einer Wand gestanden und nicht gewusst, wie es weiter gehen soll. Ihr Tipp an Frauen, denen es genauso ergeht: erstmal Rückzug antreten, neue Allianzen schmieden und das Feld „geschickt von hinten“ wieder aufrollen. Bis ins Lanxess Führungsteam schafften es gerade einmal fünf Frauen. Ohne Quote, die Stephanie Coßmann anfänglich ablehnte, sei der Weg bis zur Gleichstellung in absehbarer Zeit nicht zu schaffen. Es brauche einen „Push“ per Quote, denn die Zeit dränge: „Das Thema Demographie wird uns einholen“. In zehn Jahren müssten 50 Prozent der Mitarbeiter aus Altersgründen ausgetauscht werden. Konzerne sollten deshalb diverser werden und könnten es sich nicht mehr leisten, „auf so viel Potential“ zu verzichten.

Von Ulrike Brincker

Ort:
rheingold salon,
Hohe Straße 160-168,
50667 Deutschland Köln

Uhrzeit:
19:30

28. Oktober 2021 - Die neue Mitte Kölns

Ein Gespräch mit:
Paul Böhm, Architekt und Stadtplaner
Paul Bauwens Adenauer, Architekt und Unternehmer

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

Das gesamte Gespräch finden Sie hier.

Warum der Hauptbahnhof auf die andere Rheinseite umziehen muss

Das schönste an Köln, so die Meinung vieler, sei die Fahrt mit dem Zug über die Hohenzollernbrücke. Vorne im Blick der Dom, rechts und links der Rhein. Für andere hat die Reise in die andere Richtung mehr Reize. Schnell weg aus einer Stadt, die so wenig aus sich macht. Im Kölner Presseclub stellten Paul Bauwens Adenauer und Paul Böhm im Gespräch mit Peter Pauls ihre Vision für eine neue Mitte Kölns vor. Der Hauptbahnhof, der sich mit seinen Gleisanlagen über die Jahrzehnte immer weiter in der Innenstadt ausgebreitet hat, soll ins Rechtsrheinische ziehen. Auf den neu gewonnenen Freiflächen in der Innenstadt könnten Kultur- und Erholungsangebote geschaffen werden. New York hat es schon vorgemacht mit seiner „Highline“, einer begrünten ehemaligen Hochbahntrasse, auf der nun gejoggt, flaniert oder einfach nur gechillt werden kann.

Für den Architekten und Unternehmer Paul Bauwens-Adenauer ist die Verlegung nicht nur eine Utopie für die Schublade, sondern ein Plan, der sich – anders als Stuttgart 21- innerhalb von zehn Jahren umsetzen ließe. Von der Verlegung könnten am Ende alle nur profitieren. Auch das Rechtsrheinische werde mit neuen Gebäuden für Wohnen und Gewerbe aufgewertet und könne an alte Industriekultur anknüpfen.

Schon sein Großvater, Konrad Adenauer, habe 1948 in einer Rede in der Aula der Universität auf die Verlegung des Bahnhofs als wichtigste städtebauliche Aufgabe hingewiesen. Der Bahnhof in unmittelbarer Dom Nähe war von Anfang an umstritten. Eine preußische Machtdemonstration, die den Dom in den Augen vieler zum „Wartesaal erster Klasse“ degradierte. Pläne, den Hauptbahnhof zu verlegen, gab es immer mal wieder. Nach dem zweiten Weltkrieg dachte man über einen Neubau auf dem heutige Mediapark Gelände nach. Doch es scheiterte am Geld und so frickelte man lieber den zerstörten Hauptbahnhof wieder zusammen und vertraute auf das alt bekannte Provisorium.

Rund 1500 Züge rollen täglich über die sechsgleisige Eisenbahnbrücke am Hauptbahnhof. Eine neue „Westspange“ für 4 Milliarden Euro soll den Verkehr deshalb mit neuen Trassen entlasten. „Nicht zukunftsweisend“, sondern nur für den Status quo urteilt der Architekt und Stadtplaner Paul Böhm. Er sieht den Verkehr in Köln „kurz vor dem Kollaps“. Deshalb müsse dieser grundlegend anders geregelt werden. Am jetzigen Standort des Hauptbahnhofs sollen deshalb nur noch die S-Bahnen und der Regionalverkehr abgewickelt werden. Beginnen könne man mit der Verlegung des Güterverkehrs. Aber kann Köln überhaupt Veränderung? Das Potenzial dazu habe die Stadt in der Vergangenheit immer mal wieder gezeigt so Paul Böhm. Zum Beispiel in den 20er Jahren, als Köln das Zeug dazu hatte, sich in eine moderne Stadt zu verwandeln. Das Hansahochhaus war eines der ersten Hochhäuser in Deutschland. Oder beim Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg.

Die Stadt habe das Potential für eine zwei bis drei Millionen Einwohnerstadt, aber dafür müsse man groß denken. Nur groß träumen reicht eben nicht. Der nächste Schritt auf dem Weg zur „neuen Mitte“: eine Machbarkeitsstudie. Das Publikum im Saal war geteilter Meinung. Zwei Drittel konnten sich für die Pläne begeistern, das andere Drittel möchte bei Ankunft in Köln doch lieber auf den Dom schauen.

Von Ulrike Brincker

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

04. Oktober 2021 - Hohe Auszeichnung für Ehrenpräsidentin
Dr. Hildegard Stausberg und Oberbürgermeisterin Henriette Reker Bild: Martina Goyert

Oberbürgermeisterin Henriette Reker händigt Bundesverdienstorden an Hildegard Stausberg aus

Der Bundespräsident hat das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland an Dr. Hildegard Stausberg aus Köln-Bayenthal verliehen, viele Jahre Vorsitzende des Kölner Presseclubs und nun dessen Ehrenvorsitzende.

Henriette Reker händigte den Verdienstorden im Rahmen eines Empfangs aus – wenige Tage vor dem legendären Anuga-Empfang, für den die Geehrte über Kontinente hinweg bekannt ist. In ihrer Laudatio hob die Oberbürgermeisterin Hildegard Stausbergs Engagement für den Kölner Presseclub hervor.

Ebenso merkte sie an, dass die frühere FAZ-Korrespondentin, Chefredakteurin der Deutschen Welle und „Diplomatische Korrespondentin“ der Zeitung WELT die Stimme Lateinamerikas im Rheinland sei. Seit vielen Jahren bereits habe sie sich zudem nimmermüde für übergreifende regionale Zusammenarbeit eingesetzt.

Vorstand und Geschäftsführung des Kölner Presseclubs
gratulieren und freuen sich mit der Ausgezeichneten.

Ort:
Hohe Auszeichnung für Ehrenpräsidentin,
,

Uhrzeit:
19:30

23. September 2021 - Die Qual der Wahl

Ein Gespräch mit:
Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW)
Marion Sollbach, Direktkandidatin für den Deutschen Bundestag
Jens Lönneker, Psychologe, Gründer und Inhaber der Fa. rheingold-salon

Moderation:
Michael Hirz, Vorstandsmitglied des Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

Aus unterschiedlichen, aber bewusst nicht parteipolitischen Blickwinkeln soll diskutiert werden.
Was bedeutet die Wahl wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch?

Wahlkampf 2021 – brennenden Wahlcontainer, verunstaltete Plakate, Politiker*innen, die Polizeischutz brauchen und die große Frage: Wer mit wem? Aber was bedeutet die Wahl wirtschaftlich, gesellschaftlich, politisch? Darüber diskutierten im Kölner Presseclub Jens Lönnecker, Psychologe und Geschäftsführer von Rheingold Salon, Marion Sollbach, Direktkandidatin der SPD und Dr. Hubertus Bardt, Geschäftsführer beim Institut der Deutschen Wirtschaft. Moderation: Michael Hirz.

Große Aufregung um falsche Lacher, Razzien, verunglückte Wahlspots und abgeschriebene Buchpassagen. Der Wahlkampf sei lange frei von Inhalten gewesen sagt Dr. Hubertus Bardt. Denn wer sich jetzt konkret zu seinem Programm äußere, müsse damit rechnen, dass andere nachrechnen. Widerspruchsfreie Programme könne es nicht geben.

Deshalb werden Inhalte im Wahlkampf immer weiter auf Bilder und Köpfe verdichtet und medial in Windeseile verbreitet. Der eine grinst nur noch schlumpfig, der andere verbreitet Onkelcharme. Politiker haben gelernt, so die einhellige Meinung unter den Gesprächsteilnehmern, dass sie bei zu viel Willen zur Veränderung nicht gewählt werden. Und wer kann heute noch von sich sagen: Ich habe einen Traum?

Trotz aller Sehnsucht nach einer starken Führungspersönlichkeit hätte ein Herbert Wehner heute keine Chance mehr gehabt so Marion Sollbach. Zu viele Ecken, zu viele Kanten und vor allem zu stark. Politiker gingen heute den langen Weg durch die Instanzen. „Nach 30 Jahren Plakate kleben sind die Ecken und Kanten weg“. Die Kölner SPD-Politikerin macht noch klassischen Tür zu Tür Wahlkampf. Schlechte Erfahrungen hat sie in ihrem Stadtbezirk bislang nicht gemacht. Im direkten Gespräch mit den Wähler*innen wird sie immer wieder mit der Frage konfrontiert: Was verbessert Ihr an meinem Leben? Wann gibt es den neuen Radweg? „Wir verändern etwas, aber nur bei den anderen. Das wollen die Leute hören. Megatrends sind nicht gewünscht“.

Mit „Sie kennen mich“ warb Angela Merkel um Stimmen. Ein Erfolgsrezept, das die Stimmungslage in einen Satz packt. Der Psychologe Jens Lönnecker hat die Bereitschaft der Deutschen zur Veränderung untersucht: Man hätte es gerne irgendwie moderner, aber bitte nicht zu viel Veränderung. Denn schließlich sei doch alles schön so. „In Deutschland entwickeln wir viel Energie, wenn es darum geht etwas zu bewahren, zu erhalten, oder etwas wieder aufzubauen wie jetzt aktuell im Ahrtal.“ Doch vor dem Hintergrund von Klimakrise und demographischen Wandel brauche es stattdessen kreative Zerstörung. Und vieles fühle sich in Deutschland an wie auf dem Knotenbahnhof Hamm-Westfalen. Nichts bewegt sich. Große Bauprojekte zum Beispiel brauchen meistens mehrere Jahrzehnte, bis sie fertig sind. „Unsere Infrastruktur hat Arteriosklerose“ so Lönneckers Befund. „Aber wir leben damit und betreiben Problembewunderung.“

„Es gibt nicht den Moses, der den Weg zum gelobten Land zeigt“ meint Dr. Hubertus Bardt. Veränderung entstehe heute weniger durch Personen, denn durch Versuch und Irrtum. Das brauche Zeit in einer freien Gesellschaft. „ Und wer mag schon wirklich Veränderung? Niemand mag das. Hinterher ist man froh, dass es passiert ist. Wenn es vor der Tür steht mag das keiner.“

Von Ulrike Brincker

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

22. September 2021 - Starke Frauen: Marie-Luise Wolff

Ein Gespräch mit:
Dr. Marie-Luise Wolff, Präsidentin der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und Vorstandsvorsitzende der Entega AG

Moderation:
Michael Hirz, Vorstandsmitglied des Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

Als Kind hatte sie einen großen Traum: sie wollte Locken legen und Bubiköpfe schneiden. Doch Marie- Luise Wolff wurde dann doch nicht Friseuse, sondern Vorstandsvorsitzende des Energieversorgungsunternehmens Entega und Präsidentin des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft. Über ihren langen Weg dorthin erzählte sie im Gespräch mit Michael Hirz in der neuen Reihe „Starke Frauen“ des Kölner Presseclubs.

Aufgewachsen in einer Uhrmacherfamilie, stand sie schon als Kind regelmäßig mit hinter der Ladentheke. Sonntags ging es mit dem Vater zum Schach spielen in die Kneipe und anschließend zurück in den Laden. Was sie damals schon in der Familie gelernt hat: nur mit harter Arbeit kann man in einer von Männern dominierten Welt weiterkommen. Und bloß nicht zu viel „Problembewunderung“ betreiben, sondern anpacken und Lösungen suchen.

Heute ist ihr Arbeitstag in Viertelstunden getaktet. Die Gaspreise explodieren, der Glasfaserausbau startet und Marie-Luise Wolff muss im Jahr „zwei Milliarden holen“, sonst ist sie „weg“. Den täglichen Druck kann sie aushalten. Aber auch das musste sie erst mühsam lernen. Ursprünglich hatte sich die heute 63-jährige für eine klassische weibliche Karriere mit weniger Druck entschieden. Sie studierte auf Lehramt, landete aber geradewegs in der Arbeitslosigkeit. Es folgten ein Promotionsstudium in den USA, eine kurze gelangweilte Laufbahn als wissenschaftliche Hilfskraft an einer Universität. 1987 dann der große Sprung in die Wirtschaft. Die folgenden Karrierestationen: Bayer, Sony, Veba/E.on, Mainova, Entega.

Was braucht es außer einem langen Atem und viel harter Arbeit noch, um unter Anzugsträgern an die Spitze zu kommen? Marie-Luise Wolff übernahm immer wieder „gefährliche Projekte“, mit denen sie scheitern konnte. Nur so habe sie als Frau in einem großen Unternehmen die Möglichkeit gehabt, sichtbar zu werden. Darüber hinaus sei ein gutes Netzwerk wichtig, denn alleine schaukele man gar nichts. Eine der wichtigsten Lektionen, die sie lernen musste: weniger nett sein.

Frauen neigten dazu, immer sozial verträglich zu sein. Das sei für die Karriere aber nicht förderlich so Marie-Luise Wolff. Ein Coach habe ihr einmal in einer schwierigen Situation geraten: „Sie müssen da reingehen und sich mit den Jungs mal richtig hauen. Mit Argumenten.“ Wer führen will, darf keine Konflikte scheuen.

Ein Instrument, um Frauen den Weg an die Spitze zu erleichtern, ist die Quote. Die sei immer noch nötig, aber eine Verlegenheitslösung, befindet Marie-Luise Wolff. Denn in über der Hälfte der börsennotierten Konzerne gibt es noch immer keine Frau im Vorstand. Und im Dax ist Simone Bagel-Trah (Henkel) die einzige Aufsichtsratsvorsitzende. Bei Entega in Darmstadt machen sich währenddessen Veränderungen in der Unternehmenskultur bemerkbar. Schwangerschaften sind kein Karrierehindernis mehr, Frauen mit Kindern führen in Teilzeit und in Videokonferenzen zeigen sich zunehmend Väter mit quäkenden Kindern.

Von Ulrike Brincker

Ort:
rheingold salon,
Hohe Straße 160-168,
50667 Deutschland Köln

Uhrzeit:
19:30

25. August 2021 - Traum oder Trauma?

Ein Gespräch mit:
Annett Polster, Geschäftsführerin Stadtmarketing Köln
Henrik Hanstein, Geschäftsführender Inhaber Kunsthaus Lempertz
Stephan Braunsfels, Architekt und Stadtplaner

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

Die Kölner Innenstadt nach Lockdown und in der Pandemie

683 Meter Elend: die Kölner Hohe Straße mit Billigläden, Pommesbuden und leer stehenden Ladenlokalen gehörte einmal zu den besten Einkaufsadressen in Deutschland. Für den Architekten und Stadtplaner Stefan Braunfels ist sie heute die „schlimmste Straße“ in Deutschland. Nicht nur hässlich, sondern inzwischen auch mausetot. Der Handel befinde sich in der größten Krise seit dem zweiten Weltkrieg, es fehle an neuen Konzepten in den Kölner Einkaufsstraßen, sagt Annett Polster, Geschäftsführerin Stadtmarketing Köln. Und dabei habe die Stadt mit ihrer „einzigartigen Vergangenheit“ doch eigentlich alle Voraussetzungen.

Ein gängiges Muster in Köln: wo früher Glanz und urbanes Leben war, bestimme heute bestenfalls Mittelmäßigkeit das Stadtbild. Nicht nur der schnelle Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg, sondern auch die Stadtplanung in den folgenden Jahrzehnten habe der Stadt schwer zugesetzt. Das Resultat: viel schlechte Architektur und ewig währende Provisorien wie der Musical Dome hinter dem Hauptbahnhof, der immerhin schon seit 1996 sein Dasein fristet. Und die Perlen der Stadt, die romanischen Kirchen zum Beispiel, gehen unter.

Zu den größten Problemen, darüber waren sich die Teilnehmer der Diskussionsrunde im Kölner Excelsior (Moderation: Peter Pauls) einig, gehören die Kölner Plätze. Anders als die Italiener zum Beispiel, die ihre Plätze lieben und pflegen, haben die Kölner die einstmals schönsten Orte der Stadt zu Verkehrsinseln verkommen lassen.

Der Neumarkt zum Beispiel war noch in den 20er Jahren ein beliebter Platz, wo man sich im Schatten der Bäume bei Live Musik traf. Heute versammelt sich hier die Drogenszene und rundherum donnert der Verkehr. Henrik Hanstein, geschäftsführender Inhaber des Kunsthaus Lempertz, hat einen großen Traum. Der „Eintritt in die Kölner Verkaufswelt“ soll wieder ein Ort werden, an dem man sich gerne aufhält. Deshalb hat er mit anderen die Bürgerinitiative „Zukunft Neumarkt“ ins Leben gerufen. Architekt Stefan Braunfels übernimmt die Planung. „Man kann mit Schönheit alles schaffen“ so glaubt er. Doch was es in Köln auf jeden Fall auch noch braucht, ist jemand, der das Stadtbild jeden Tag zu seiner Sache macht, der es nicht nur bei Ankündigungen belässt. Denn die meisten Kölner haben sich mit dem Zustand arrangiert.

Von Ulrike Brincker

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30

21. Juli 2021 - Wie echt sind Kanzlerkandidaten?

Ein Gespräch mit:
Moritz Küpper, Deutschlandfunk und Laschet Biograph
Jens Lönneker, rheingold-Salon

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Der Konflikt zwischen Original und Inszenierung am Beispiel Armin Laschet

Ort:
rheingold salon,
Hohe Straße 160-168,
50667 Deutschland Köln

Uhrzeit:
19:30

13. Juli 2021 - Die klimaneutrale Stadt – Köln soll autofrei werden – Wer radelt mit?

Ein Gespräch mit:
Nicole Grünwald, Präsidentin der Industrie- und Handelskammer zu Köln
Garrelt Duin, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer zu Köln
Wittich Rossmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Köln

Moderation:
Peter Pauls, Vorsitzender Kölner Presseclub e.V.

Fotos: Ulrike Brincker

Ort:
Excelsior Hotel Ernst,
Trankgasse 1-5,
50667 Köln

Uhrzeit:
19:30