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Immer nah am Hörer

6. März um 19:30 - 22:00

Wie Carmen Thomas mit „Hallo Ü-Wagen“vor über 50 Jahren den modernen Rundfunk prägte.

Zu Gast:

Carmen Thomas, Deutsche Journalistin und Autorin

Moderation:

Peter Pauls, Vorsitzender des Kölner Presseclub

Fotos: Kölner Presseclub

Wie Carmen Thomas vor über 50 Jahren mit ‚Hallo Ü-Wagen‘ den modernen Rundfunk prägte.“

Von Lewis Gropp

 

Schon Goethe wusste, dass man aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, etwas Schönes bauen kann. Und nach dem Abend im Kölner Rheingold-Salon ist man versucht zu sagen: Kaum jemand hat dieses Lebensmotto so beherzigt wie die journalistische Galionsfigur Carmen Thomas. Einer ihrer Leitsätze sei „Sag nicht: Oh, ein Fehler!‘ Sag: Ah, ein Fehler!“, erzählt die Frau, die mit über 1.000 Sendungen „Hallo Ü-Wagen“ Radiogeschichte geschrieben hat. Mit anderen Worten: Wenn etwas Unerwartetes und Ungeplantes passiert, dann wird es spannend!

Ihre Sendung war von 1974 an die erste, bei der die Hörer mitreden, ja mitgestalten durften. „Bei mir reichte es oft, wenn ein Hörer mir eine Postkarte mit einem Themenwunsch schickte – dann wurde das gemacht!“, so Thomas mit Begeisterung für die eigene Kühnheit. Damals hätten die Programmdirektoren beim WDR eine gewisse Verachtung für „Krethi und Plethi“ an den Tag gelegt.

„In der Vorgänger-Sendung wurden extra die dümmsten O-Töne der Hörer ausgegriffen, einfach um zu zeigen, wie blöd das Volk ist“, so Thomas. „Das war zynisch“, urteilt die studierte Germanistin und Anglistin. Über ihre Sendung rümpfte man in der Chefetage des eigenen Senders die Nase. „Deine Sendung ist, als würden an einem Staatstheater Laiendarsteller über die Bühne stolpern.“ So hätte man das damals gesehen. Doch die gebürtige Düsseldorferin genoss zunehmend landesweite Popularität – sogar der journalistische Doyen Stefan Klein adelte sie mit einem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung, ebenso ging es mit einem Beitrag im ZEIT-Magazin. Die Anerkennung von außen war der Durchbruch.

„Hallo Ü-Wagen“ etablierte sich als Zwei-Wege-Medium, nach dem der Rundfunk nicht einem unterbelichteten „Plebs“ den Weg weist, sondern die Bürger sozusagen mit sich selbst in Dialog treten. Carmen Thomas’ Art, Radio zu machen, war – wenn man so will – die journalistische Version von „Mehr Demokratie wagen“.

Dabei war es der Zufall, durch den sie in den Journalismus gelangte: „Ein Freund von mir war auf einer Geburtstagsfeier eingeladen, aber er wurde krank und so fragte er mich, ob ich für ihn ein Geschenk zur Party bringen könnte. Als ich da war und das Paket abgegeben hatte, hieß es: ‚Jetzt bist du ja schon mal hier, jetzt kannst du auch mitfeiern!‘“ Später am Abend erzählte sie einem WDR-Redakteur von ihrer anstehenden Reise nach Dublin; da hieß es: „Dann kannst du ja für uns aus Irland eine Reisereportage machen!“ Völlig ohne Vorkenntnisse stolperte die junge Carmen Thomas in Dublin ins Studio und quälte sich, wie sie es empfand, nervös durch ihren Beitrag. „Ich fand es schrecklich. Aber für die anderen war es wohl nicht so übel“, erzählt sie augenzwinkernd.  Und zwei Sendungen später wurde sie schon als Moderatorin des renommierten WDR-Morgenmagazins eingesetzt. „Das war fast schon verbrecherisch“, erinnert sie sich glucksend.

„Es war eine andere Zeit. Früher dachte man, Journalismus kann man oder man kann so nicht. Die einen hatten es angeblich drauf, die anderen nicht“, so Thomas. Der Beruf sei nicht als etwas angesehen worden, das man hätte erlernen können. „Das ist natürlich Schwachsinn!“

Ein gewisser Hochmut stand ihr bisweilen selbst im Weg, wie sie freimütig bekennt. „Wenn ich Leute unsympathisch fand, konnte ich das oft nicht verbergen.“ Im Nachhinein sei es ihr unangenehm gewesen zu registrieren, dass die eigenen Vorurteile im Weg standen. Das habe ihre Interviews „kontaminiert“. „Ich habe pampig sein mit kritischem Journalismus verwechselt“, bilanziert sie. Wie sie durch Hinterfragen ihrer eigenen Sichtweise den Menschen immer näher kam und auch vermeintlich „schwierige“ Interviewpartner zum Reden bringen konnte, damit sie voll zu Geltung kamen und auch noch große Radiomomente entstanden, wirkt als Lehrstück für jeden angehenden Journalisten. Zugleich bergen Carmen Thomas’ muntere Exkurse Lektionen für eigentlich jeden Menschen, der sich für andere und für gelingende Kommunikation interessiert.

Der Elan, den Carmen Thomas (Jahrgang 1946) in Köln an den Tag legte, wirkte ansteckend. Mit Begeisterung erzählt sie im vollbesetzten Rheingold-Salon mit zahlreichen anschaulichen und launigen Anekdoten, wie sie sozusagen aus jedem Problem oder Hindernis etwas gelernt habe. „Ich habe mal eine Sendung über Windeln gemacht“, so Thomas. „Danach schrieb mir eine Hörerin: ‚Ich war beim Frühstück, ich hätte kotzen können! Warum machen sie nicht mal eine Sendung über Urin?“ Da habe sie gedacht: Wie interessant! – und dann genau das getan. Der Rest ist Geschichte: Schließlich war ihr später entstandenes Buch „Urin – ein ganz besonderer Saft“ ein veritabler Bestseller. „Ich sage immer: Mein Haus ist aus Pipi“, sagt Thomas und lacht.

Frank und frei kramt sie an diesem Abend auch die „Schalke 05“-Anekdote vor – wobei Moderator Peter Pauls gegenüber dem belustigten Publikum betont: „Ich hatte die Frage danach nicht stellen wollen – sie steht nicht auf meine Zettel!“ Denn: Um die Tatsache, dass Carmen Thomas als junge Fernsehjournalistin den Namen des Gelsenkirchener Kultclubs verdrehte, ranken sich Legenden. Umso bemerkenswerter, dass sie einen so ungezwungenen Umgang mit der Angelegenheit an den Tag legt. Zumal sie rückblickend sagt: „Dieser Job hat mir Bekanntheit verschafft. Und die brauchte ich, um später andere Sendungen moderieren zu können.“ Die Sportstudio-Moderation nennt Thomas noch heute das „Sprungbrett“ für ihre spätere Karriere.

Doch obwohl Carmen Thomas als Frau im Journalismus Pionierarbeit geleistet hat, war sie wohl keine klassische Feministin. Jedenfalls hat sie sich seinerzeit sehr über eine junge Volontärin geärgert, die sie fragte, wie sie sich als „Feigenblatt“ in der Männerdomäne fühlen würde. „Du dumme Kuh!“, dachte sie sich damals. „Ich konnte mich jedenfalls nie mit den Frauen mit lila Latzhose identifizieren.“ Aber: „Ich war trotzdem ganz schön frech“, sagt sie. Ihre Leistungen bestätigten sie. „WDR-Chefredakteur Dieter Thoma ist nach einigen Jahren auf mich zugekommen und hat mir gesagt: Frau Thomas, ich habe anfänglich von ihrer Sendung nicht viel gehalten, das muss ich zugeben. Aber inzwischen muss ich anerkennen: Das, was sie machen ist neu, ist innovativ. Ich habe mich vertan.“

Carmen Thomas genießt solche Erfolge. Aber was sie offenbar bis heute antreibt, ist ihre Neugier und die Fähigkeit, immer wieder aus Erfahrungen, die andere als „Fehler“ bezeichnen würden, etwas zu lernen. „Auch heute bringt jeder Tag noch etwas Neues“, sagt sie. Und als charismatische Persönlichkeit war sie in der Lage, die Anwesenden an diesem Abend an diesem Lernprozess teilhaben zu lassen. In diesem Sinn hat sich die Vorhersage von Moderator Pauls erfüllt: „Ich bin sicher, dass wir diesen Raum am Ende des Abends klüger verlassen, als wir ihn betreten haben.“

 

 

 

 

 

Details

Datum:
6. März
Zeit:
19:30 - 22:00

Veranstaltungsort

rheingold salon
Hohe Straße 160-168
Köln, 50667 Deutschland

Details

Datum:
6. März
Zeit:
19:30 - 22:00

Veranstaltungsort

rheingold salon
Hohe Straße 160-168
Köln, 50667 Deutschland