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„Kannitverstann“ – der Generationendialog

7. Mai um 19:30 - 22:00

Jens Lönneker und Maxime Simon über Sprachlosigkeit zwischen Jung und Alt – der Generationendialog

 

 

 

„Kannitverstann“

von Lewis Gropp

 

An diesem Abend würde es etwas geben, was es so beim Presseclub noch nie gegeben hat: Ein direktes Gespräch ohne Moderation – mit dem Forscher und Tiefenpsychologen Jens Lönneker und der Jurastudentin Maxime Simon. Es ging um die Frage, ob die Generationen noch miteinander reden können. Schnell war man auch bei größeren Themen und der Frage: Wie sieht es insgesamt mit der Fähigkeit der Gesellschaft aus, zivilisiert miteinander zu streiten. „Leiden wir an politischem Burnout“, fragte Maxime zum Einstieg? Ist das gesellschaftliche Klima zu gereizt, um einen vernünftigen politischen Diskurs zu führen?

„Auch früher gab es heftige politische Auseinandersetzungen“, gab Jens Lönneker zu bedenken. Im Ruhrgebiet habe man beispielsweise die Zeitungen politisch Andersdenkender im Briefkasten angezündet. Politiker wurden verfemt, der Studentenführer Rudi Dutschke erschossen. Und auch früher habe man auf Familienfesten gesagt: „Vorsicht, mit Onkel Friedrich reden wir besser nicht über Politik!“ Dennoch sei in letzter Zeit etwas verloren gegangen: Die vernunftbasierte Diskussionskultur. „Und daran tragen wir Psychologen mit dran Schuld.“ Mit der Aufklärung seien Argumente wichtig geworden. So habe sich ein vernunftbasiertes Menschenbild entwickelt, zum Beispiel das des homo oeconomicus, der seine Entscheidungen rational trifft. „Heute aber erleben wir den Menschen als irrationales Wesen.“ Und das habe die Psychologie mit gefördert, indem sie die Bedeutung der Emotionen gegenüber der Vernunft betont habe. „Heute ist es gut, wenn jemand authentisch ist“, so Lönneker. „Zum Beispiel Donald Trump. Niemand kann sagen, der Typ ist nicht authentisch. Aber die Leute finden das toll – die wollen das!“ Mit dem Primat des Emotionalen über der Vernunft habe man „die Büchse der Pandora“ geöffnet. „Und das müssen wir wieder einfangen.“

Er selber habe sich als Rebell gegen das gesellschaftlich Etablierte gesehen und alle Konventionen hinterfragt. „Es ging mir immer darum: Bin ich eingeengt?“ Heute würden die individuellen Bedürfnisse über die der Gemeinschaft gestellt. Das sehe man sogar bei Vorgängen wie der aktuellen Kanzlerwahl. „Ich bin kein Merz-Fan“, so Lönneker. Aber dass man ihn bei der Abstimmung zur Kanzlerwahl so ins Messer habe laufen lassen, sei falsch gewesen. Da hätten Personen abgestimmt, die ihre individuellen Ansichten über die der Gemeinschaft gestellt hätten. Auf Dauer leide die Gemeinschaft unter dieser Art von Verhalten.

Es würden sich auch immer weniger Menschen gesellschaftlich engagieren, erklärte Maxime Simon. „Bei Sportvereinen, in Parteien, bei gemeinnützigen Organisationen“. Die Individualisierung habe bewirkt, dass es immer weniger Rückhalt in Gruppen gebe und so habe sich auch das Phänomen verstärkt, dass man einen einzelnen Sündenbock suche, weil es einfacher sei, eine Person als eine ganze Gruppe für gesellschaftliche Missstände verantwortlich zu machen.

Er beobachte das auch, so Lönneker. Denn früher hätte man in der Familie einfach das gegessen, was es gab, nicht das, was man wollte. „Heute ist es ja schon fast unmöglich, mit Kollegen gemeinsam Mittagessen zu gehen – der eine wolle italienisch essen, der andere mag nur Sushi. Dann heißt es: ‚Oh, das ist ja Weißmehlbrot … kann ich das überhaupt essen?‘“ Insofern habe auch hier das Individuum Vorrang gegenüber der Gemeinschaft erlangt.

Tatsächlich gebe es aber einen Wunsch der jungen Generation nach Gemeinschaft, berichtet Maxime Simon. „Vor allem nach dem Covid-Trauma.“ Und das würde auch funktionieren, zum Beispiel beim Lernen – hier würde man sich nicht mit seinen Büchern in sein privates Zimmer zurückziehen, sondern verstärkt die Bibliotheken aufsuchen und gemeinsam studieren.

Der Individualismus würde sich allerdings auch medial Bahn brechen, so Simon. „Früher gab es für die Informationsbeschaffung ARD, ZDF und die Tageszeitung.“ Heute habe sich durch zahllose Medien das Meinungsspektrum zersplittert. Einerseits sei das im Sinne des Meinungspluralismus gut, dieser Umstand fördere aber auch gesellschaftliche Tendenzen zur Abspaltung.

„Ab einem bestimmten Punkt ist Meinungsvielfalt eben nicht mehr gut für die Demokratie“, erklärte daraufhin Lönneker. Früher seien in einer übersichtlichen Medienlandschaft auch alle politischen Standpunkte abgebildet worden, aber so gab es auch eine gemeinsame Grundlage, auf der man den Streit austragen. „Wenn man heute seine Meinung äußert, denken viele: Oh, jetzt gibt es Streit – dann sag ich mal lieber nix. Und dann entsteht der falsche Eindruck, dass man keine Meinungsfreiheit mehr habe.“

Besonders ungewöhnlich sei seiner Meinung nach, dass bei einer von seinem Institut durchgeführten Umfrage die meisten Menschen sagen würden: Mir geht es gut! Im Blick auf die Gesellschaft seien die Aussichten allerdings extrem düster: Rund 80 Prozent würden systemkritische und populistische Ansichten äußern. Viele Menschen würden sich zurückgezogen im privaten Raum einreichten und nicht mehr in die Gemeinschaft wagen. „Vielleicht auch deswegen, weil man sich dann anderen Menschen zuwenden und dann dann Dinge aushalten muss.“ Das könne unangenehm sein, aber das müsse man aushalten – denn nur so ließe sich wieder Gemeinschaft stiften.

In diesem Zusammenhang sprach Maxime Simon die so genannten „Betroffenheitskultur“ an. In den USA sei es üblich, dass man andere Menschen beleidige und Lügen verbreite. „Das ist von der Meinungsfreiheit gedeckt“, so die Jurastudentin. Aber bei der Betroffenheitskultur würden Menschen die eigene vermeintliche Verletzlichkeit über die Meinung anderer stellen. Sie habe das selbst bei einer Diskussion mit einer Kommilitonin in London erlebt. „Sie hat gesagt: Ich springe lieber hier von der Waterloo Bridge als weiter mit dir zu diskutieren.“ Und das, obwohl sie selbst nur sehr moderate politischen Ansichten vertrete. Diese Art von „Selbstanmaßung“ habe laut dem Soziologen Andreas Reckwitz dazu geführt, dass immer weniger über Ideen diskutiert, sondern viel mehr über Personen geurteilt werde. Und diese subjektive Betroffenheit würde zu überzogener Verletzlichkeit und mangelndem Selbstvertrauen führen – „und schließlich zum Ende jeglicher Diskussion“, bilanzierte Simon. „Deswegen muss man mehr für die Mündigkeit der Bürger tun.“

„Da wären wir wieder beim Anfang“, so Lönneker. „Emotionen sind heute wichtiger als Argumente.“ Aber vielleicht sollte man die Personen stärken und nicht so tun, als wären sie zarte Pflänzchen, die man vor allem und jedem schützen müsse.

Im Verlauf der Diskussion mit dem Publikum kam schließlich die Frage auf, ob es denn überhaupt einen Generationenkonflikt im eigentlichen Sinne gebe. Einige der Anwesenden empfinden es jedenfalls nicht so. „Wir sitzen mit der gesamten Familie am Tisch und können über alles reden“, sagte jemand. Ein anderer erzählte davon, wie gut der Umgangston und die Zusammenarbeit mit Alt und Jung in seinem Betrieb funktionierten.

Hier hatte Lönneker ein Zitat parat, welches zu bestätigen schien, dass der aktuelle Generationenkonflikt in großen Teilen vielleicht gar keiner ist. „Joschka Fischer hat einmal gesagt: ‚Wir waren gnadenlos gegenüber unseren Eltern.‘“ Das schien zumindest an dem Abend in Köln nicht der Fall zu sein. Natürlich: Die junge Generation hat die Klimakatastrophe und den Wohnnotstand geerbt, gab Maxime Simon zu bedenken. „Aber auch den Wohlstand“, wie eine Stimme aus dem Publikum unter zustimmendem Gelächter kommentierte. Jedenfalls schien allein die Tatsache, dass man hier zusammenkam und ohne Beleidigungen, Kontroversen und fliegende Stühle sachlich und lösungsorientiert an der Frage laborierte, die These einer Dame aus dem Publikum zu bestätigen: „Wir haben verstanden, dass wir alle im selben Boot sitzen.“

Details

Datum:
7. Mai
Zeit:
19:30 - 22:00

Veranstaltungsort

rheingold salon
Hohe Straße 160-168
Köln, 50667 Deutschland
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Datum:
7. Mai
Zeit:
19:30 - 22:00

Veranstaltungsort

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Hohe Straße 160-168
Köln, 50667 Deutschland
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