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Kölner Köpfe : Kerstin Gleba

29. August, 2023 um 19:30 - 22:00

Merkmal einer Metropole ist nicht nur wirtschaftliche Strahlkraft. In Köln verleihen auch Medien überregionale Bedeutung. Einer der Leuttürme ist der Buchverlag Kiepenheuer & Witsch. Seit 2019 ist Kerstin Gleba Kopf und Gesicht dieses erfolgreichen Hauses, das zeitkritisch Sachbücher ebenso verlegt wie literarische Werke der Extra-Klasse.

Ein Gespräch mit:

Kerstin Gleba, Kiepenheuer & Witsch

 

Fotos: Thomas Leege

Die Bücherwand hat als Statussymbol ausgedient

 

Mit Heinrich Böll fing es an. Schon als Schülerin entdeckte Kerstin Gleba die Liebe zur Literatur. 1969 in Langenfeld geboren, startete sie ihre Karriere als Leseratte mit einem Studium der Amerikanistik / Anglistik, Romanistik und Germanistik. 1995 lernte sie über ein Volontariat den Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch kennen, der unter anderem Lieblingsautor Heinrich Böll und Günter Wallraff verlegte. Sie blieb und wurde 2019 Verlegerische Geschäftsführerin. Wie man einen solchen „eiskalten Gipfel“ in einer von Männern dominierten Verlagsbranche erreicht, verriet sie in der neuen Reihe „Kölner Köpfe“ im Gespräch mit Michael Hirz vom Vorstand im Kölner Presseclub. „Ich wollte keine Laufbahn einschlagen, ich wollte nur etwas machen, was meinem innersten Interesse entspricht: Bücher.“  Ihre Leidenschaft für alles Gedruckte hätte damals aber auch in den Buchhandel führen können. Schon in ihren Anfängen im Verlag war sie fasziniert davon, in kleiner Runde Titel zu diskutieren und „Themen voranzutreiben, die relevant für Gegenwart und Zukunft sind“.  Als Verlegerin möchte sie die Sichtbarkeit von Frauen erhöhen, diversere Stimmen ins Programm bringen. Den Begriff der „Frauenliteratur“ bewertet sie als „diskriminierend“. Es gehe in der Literatur vielmehr um „Menschenthemen“.

Aktuell seien Bücher besonders wichtig geworden, in denen es um „beglaubigte Erfahrungen“ beziehungsweise Autofiktion gehe. Eine Mischung aus Autobiografie und Fiktion, bei der es am Ende offenbleibt, was tatsächlich wahr oder nur behauptet ist. Karl Ove Knausgard, Joachim Meyerhoff oder Sophie Passmann zum Beispiel schicken Ich-Erzähler ins Rennen, die den Anschein erwecken, als ob sie geradewegs aus dem wahren Leben berichteten. Am Ende bleibt es ein literarisches Rätsel. Mit „Pick me Girls“ erscheint im September das dritte Buch von Sophie Passmann, der Feministin aus der Popkultur.  Ein „Bestseller mit Ansage“ so Kerstin Gleba. Schon „Alte weiße Männer“ verkaufte sich über 100.000mal. Und wer auf Instagram mehr als 340.000 Follower habe, für den stünden die Chancen gut, erneut auf den Bestseller-Listen zu landen. Bestseller seien für den Verlag nach wie vor wichtig, um die Bücher von weniger bekannten Autorinnen und Autoren mitzufinanzieren.

Die sozialen Medien seien Fluch und Segen zugleich für den Buchmarkt. Konkurriert er doch mit diesen viel schnelleren und vor allem flüchtigeren Medien. Verkaufte man früher noch 100.000 Bücher eines Titels, so seien es heute nur noch 40.000, sagte die Verlegerin. Und die große Ikea-Bücherwand gilt laut Kerstin Gleba längst nicht mehr als Statussymbol.

Die kulturelle und gesellschaftliche Bedeutung des Buches sei eine andere geworden, so Kerstin Gleba, „In meiner Erinnerung gab es in den 90er Jahren noch Bücher, die stärker auf die Gesellschaft gewirkt haben. Das konnten auch anspruchsvolle Bücher sein.“ Es habe in früheren Jahrzehnten mehr Autorinnen und Autoren gegeben, die mit ihrer Person für ein Parteiprogramm gestanden und den Gang der Geschichte mitbestimmt hätten. Grass und Böll zum Beispiel. Heute hingegen sei die gehobene Unterhaltungsliteratur salonfähiger geworden. Es gebe aber eine jüngere Leserschaft, die nachwachse und andere Bücher suche.

Nur wie umgehen mit Büchern wie den Gedichtbänden von Rammstein-Sänger Till Lindemann, die Jahre nach ihrer Veröffentlichung nun in einem anderen Zusammenhang gelesen werden? Der Vorwurf, die Gedichte verherrlichten sexuelle Gewalt gegenüber Frauen. Die Frage: Wo endet das lyrische Ich? Der Verlag trennte sich kürzlich vom Autor.  Der Leitmotto der Verlegerin Kerstin Gleba lautet trotzdem: „Ich verteidige die Freiheit der Kunst, das Böse zur Darstellung zu bringen. Wie sähe die Literatur der letzten Jahrhunderte aus, wenn das nicht möglich wäre?“  Literatur im „safe space“ könne es nicht geben. Im Herbst 2024 wird es eher weniger böse werden. Dann nämlich erscheinen bei Kiepenheuer & Witsch die Memoiren von Ex-Kanzlerin Angela Merkel.

Ulrike Brincker

Details

Datum:
29. August, 2023
Zeit:
19:30 - 22:00

Veranstaltungsort

rheingold salon
Hohe Straße 160-168
Köln, 50667 Deutschland

Details

Datum:
29. August, 2023
Zeit:
19:30 - 22:00

Veranstaltungsort

rheingold salon
Hohe Straße 160-168
Köln, 50667 Deutschland