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Peking steht mit dem Rücken zur Wand

9. November, 2022 um 19:30 - 23:00

Experte Shi Ming im Presseclub: China muss seine Wirtschaft retten

Ein Gespräch mit Michael Hirz

Fotos: Ulrike Brincker

 

von Peter Pauls

Als vor einigen Jahren in China die Aktienkurse um 25 Prozent fielen und sich ein Börsencrash ankündigte, gewannen in der Krise nicht etwa Ökonomen die Oberhand. Die Regierung in Peking schickte vielmehr schwer bewaffnete Polizisten in die Finanzinstitute, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Shi Ming, Publizist und China-Experte, diente bei seinem Besuch im Kölner Presseclub die hilflos-autoritäre Geste als Beleg für die ökonomische Inkompetenz des Regimes. Es habe sich von den Regeln wirtschaftlichen Wachstums entfernt und setze seit Jahren auf starres Sicherheitsdenken – als könne man fallende Börsenkurse mit Waffen beeindrucken. Im bis auf den letzten Platz besetzten Platz Gobelin-Saal des Excelsior Hotels Ernst machte der Wissenschaftler im Gespräch mit Moderator Michael Hirz die Zuhörer mit einem anderen China und dessen Weltsicht vertraut, als wir es kennen.

Olaf Scholz etwa habe für große Verunsicherung gesorgt, da seine erste Asienreise ihn nach Japan führte, Erzfeind und Konkurrent Chinas. Der Bundeskanzler hatte demonstrativ diesen Reiseverlauf gewählt. Dagegen habe Angela Merkel während ihrer Amtszeit bei Besuchen im asiatischen Raum stets Peking als erste Anlaufstelle gewählt. Der Symbolgehalt politischer Schritte, insbesondere wenn er auf die Bildung neuer und konkurrierender Blöcke schließen lässt, werde in China äußerst sensibel wahrgenommen, so der Experte.

Dazu gehörte auch der Flug deutscher Eurofighter nach Japan. Eines der Hochleistungskampfflugzeuge wurde von Generalleutnant und Luftwaffeninspekteur Ingo Gerhartz persönlich gelenkt. Der hatte vorher freimütig angekündigt, die militärische Partnerschaft mit Japan auf eine neue Ebene heben zu wollen, was den Vorgang politisch noch einmal mehr auflud. Zumal dies in eine Zeit fällt, in der Tokio von seinem Verfassungsartikel 9 abrückt, der seit 1946 den Unterhalt von Streitkräften sowie kriegerische Aktivitäten verbietet und Deutschland die Bundeswehr mit einem 200 Milliarden-Euro-Paket aufrüstet.

Ob Peking sich nicht auf seine wirtschaftliche Stärke verlassen könne, warf Moderator Hirz ein. Auch hier ließ Shi Mings Antwort Sprünge im China-Bild entstehen. Die Konstruktion der Seidenstraße, des weltumspannenden Handelswegs für chinesische Güter, sei eine Reaktion auf ungebremstes Wirtschaftswachstum. In 25 von 28 Branchen sei es zu drastischen Überkapazitäten gekommen, die nun in alle Welt exportiert würden. Wer wagt es schon, in einem autoritären Staat auf Risiken hinzuweisen?, fragte Shi Ming rhetorisch. In China gehe es heute nicht mehr um Wachstum, sondern wie man die Wirtschaft überhaupt retten könne.

Die Führung stehe mit dem Rücken an der Wand. Die gesellschaftliche Mittelschicht sei, wie in Deutschland, voller Abstiegssorgen, die staatliche Autorität schwinde. Dem öffentlichen Aufruf zu PCR-Tests, um Corona-Viren nachzuweisen, werde in großen Wohnanlagen zum Beispiel, wenn überhaupt, nur noch schleppend nachgekommen. Test-Resultate würden deshalb ohne Grundlage verbreitet.

Zehn Millionen Hochschul-Absolventen drängten pro Jahr auf den Arbeitsmarkt und stünden einer schrumpfenden Wirtschaft gegenüber. Vielleicht drei Millionen fänden eine einfache Beschäftigung. Für ausländische Unternehmen sei das optimal. Auf eine freie Stelle kämen etwa 150 Bewerber.

In solchen Zeiten seien Feinde von außen der Führung geradezu willkommen. Dabei seien weite Teile von Chinas Führung eng mit dem westlichen Wall-Street-Kapitalismus verbunden und hätten viel zu verlieren. Ihre Kinder arbeiten im Ausland, haben sich an Statussymbole gewöhnt. Die Zahl der Elektro-Autos zum Beispiel habe sich so stark erhöht, dass man mit dem Bau von Ladestationen nicht nachkäme und die Fahrzeuge nutzlos herumständen. Der früheren Verheißung des Wohlstands für alle stehe heute ein hartes Alltagsleben gegenüber, das gekennzeichnet von Jugendarbeitslosigkeit und einem autoritär durchgreifenden Staat sei. Ein Feind von außen käme da gerade recht.

Ob der deutsche Ruf nach der Einhaltung von Menschenrechten Peking verärgere, wollte Moderator Hirz wissen. Shi Ming glaubt das nicht. Wie früher in der DDR sage die Führung in China „Wir schenken euch ein paar Dissidenten und lassen sie frei“, wenn es den politischen Interessen diene. Das sei Schaufensterpolitik. Was wirklich zähle, sei die Geopolitik, der Schulterschluss von Deutschland mit Japan zum Beispiel.

Eine internationale Blockbildung zeichne sich ab und sei praktisch unvermeidlich. Dennoch müsse man offen und ohne Umschweife miteinander umgehen. Rivalen könnten nicht nur, sie müssten miteinander reden. Shi Ming: „Der Kalte Krieg ist nur kalt geblieben, weil die Rivalen wie Rivalen miteinander sprachen.“

Details

Datum:
9. November, 2022
Zeit:
19:30 - 23:00

Veranstaltungsort

Excelsior Hotel Ernst
Trankgasse 1-5
Köln, 50667

Details

Datum:
9. November, 2022
Zeit:
19:30 - 23:00

Veranstaltungsort

Excelsior Hotel Ernst
Trankgasse 1-5
Köln, 50667