Der Überfall auf die Ukraine und die internationalen Folgen
Ein Gespräch mit:
Udo Lielischkies, ehem. ARD-Korrespondent in Moskau
Moderation:
Michael Hirz, Vorstand Kölner Presseclub
Foto: Ulrike Brincker
Blass, unscheinbar, in den Hinterhöfen von Sankt Petersburg aufgewachsen, KGB-Mitglied, Spitzname „die Motte“ – wie wird aus so jemandem ein Machthaber, der eine ganze Weltordnung ins Wanken bringt? Der frühere ARD-Korrespondent und Buchautor („Im Schatten des Kremls“) Udo Lielischkies erzählt im Gespräch mit Presseclub-Vorstand Michael Hirz die Aufstiegs-Geschichte eines Mannes, den im Westen viele für einen anderen hielten. Eine Geschichte voller Missverständnisse und offener Fragen.
Als Udo Lielischkies 1999 als Korrespondent nach Moskau kommt, sitzt der russische Präsident Boris Jelzin auf dem absteigenden Ast. Er braucht einen loyalen Nachfolger, der ihn und seinen in kriminelle Machenschaften verstrickten Clan vor Strafverfolgung schützt. Amt gegen Amnestie. Ob Wladimir Putin, den in Russland niemand kennt, tatsächlich Präsident werden will?
Nun wird er überraschend ins Amt gehievt und mit ihm der KGB, so Lielischkies. Die Frage, ob die Terroranschläge um die Jahrtausendwende tatsächlich von Terroristen aus Tschetschenien und nicht doch vom KGB angezettelt wurden, lässt er unbeantwortet. Vieles spricht für letzteres.
Kaum im Amt, zettelt Putin einen brutalen Krieg in Tschetschenien an. Das poliert die Umfragewerte und verleiht ihm Autorität. Und er bietet den Russen einen Deal an: Ihr verzichtet auf Demokratie, dafür bekommt Ihr Stabilität und vollere Portemonnaies. Die ersten acht Jahre laufen gut: es werden Kleinwagen gekauft, Datschen renoviert, ein wenig Wohlstand gelebt. Doch dann kommt die Finanzkrise, der Ölpreis fällt und in Moskau wird demonstriert. Es braucht ein neues Narrativ für Putins zweite Amtszeit.
Den Zusammenbruch der Sowjetunion, den er als KGB-Agent in Deutschland hautnah miterlebte, empfand Putin als persönliche Demütigung. Die Geschichte von Russland als Weltmacht muss in seinen Augen neu geschrieben werden – von ihm selbst. Dazu braucht es einen äußeren Feind. Als sich die Ukraine mit der orangefarbenen Revolution dem Westen annähert, spricht Putin von „ukrainischen Faschisten“, die zum Wohle Russlands um jeden Preis bekämpft werden müssen.
Die Militarisierung der Gesellschaft macht sich auch im Privatleben des Korrespondenten, der mit einer russischen Frau verheiratet ist, bemerkbar. Im Kindergarten trägt seine kleine Tochter nun Militäruniform. Heute lebt die Familie in Deutschland, doch die Beziehungen zu Freunden und Verwandten sind kompliziert geworden. Niemand wagt es mehr, ein offenes Gespräch über den Krieg oder das Leben in Russland zu führen.
Von Putins Entscheidung, die Ukraine anzugreifen gewusst, habe noch nicht einmal der eigene Außenminister Sergej Lawrow gewusst. Eine einsame Entscheidung im „Türmchen“, die aus einer grundlegend falschen Einschätzung resultierte. In ein paar Tagen, so Putins Glaube, sei die Ukraine besiegt und die Besiegten kämen den russischen Soldaten mit Blumen entgegen. Auch mit der Einigkeit des Westens und den daraus resultierenden Sanktionen habe er nicht gerechnet.
Eine Geschichte der gegenseitigen Missverständnisse. Denn auch im Westen habe man vor dem Offensichtlichen immer wieder die Augen verschlossen und nicht reagiert. Noch heute handele die Bundesregierung zu zögerlich. Jeder Tag koste unzählige Menschenleben und schon jetzt seien zwei Millionen Ukrainer nach Russland verschleppt worden.
Es gibt viele offene Fragen, über die weltweit spekuliert wird: Wie lange kann sich Putin noch auf die russische Bevölkerung verlassen? Wie steht es um die Geschlossenheit des Westens, wenn der Krieg in der Ukraine noch lange andauert? Wie kann dieser Krieg beendet werden? Und wie wird die Rolle Russlands in einer neuen Weltordnung aussehen? Udo Lielischkies hat dazu ein Bild im Kopf: Russland wird eine „von Banditen kontrollierte Tankstelle“ sein, die zahlkräftige neue Kunden braucht.
Text und Bild: Ulrike Brincker
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Putins Angriff auf die Weltordnung
27. Juni, 2022 um 19:30 - 23:00
Der Überfall auf die Ukraine und die internationalen Folgen
Ein Gespräch mit:
Udo Lielischkies, ehem. ARD-Korrespondent in Moskau
Moderation:
Michael Hirz, Vorstand Kölner Presseclub
Foto: Ulrike Brincker
Blass, unscheinbar, in den Hinterhöfen von Sankt Petersburg aufgewachsen, KGB-Mitglied, Spitzname „die Motte“ – wie wird aus so jemandem ein Machthaber, der eine ganze Weltordnung ins Wanken bringt? Der frühere ARD-Korrespondent und Buchautor („Im Schatten des Kremls“) Udo Lielischkies erzählt im Gespräch mit Presseclub-Vorstand Michael Hirz die Aufstiegs-Geschichte eines Mannes, den im Westen viele für einen anderen hielten. Eine Geschichte voller Missverständnisse und offener Fragen.
Als Udo Lielischkies 1999 als Korrespondent nach Moskau kommt, sitzt der russische Präsident Boris Jelzin auf dem absteigenden Ast. Er braucht einen loyalen Nachfolger, der ihn und seinen in kriminelle Machenschaften verstrickten Clan vor Strafverfolgung schützt. Amt gegen Amnestie. Ob Wladimir Putin, den in Russland niemand kennt, tatsächlich Präsident werden will?
Nun wird er überraschend ins Amt gehievt und mit ihm der KGB, so Lielischkies. Die Frage, ob die Terroranschläge um die Jahrtausendwende tatsächlich von Terroristen aus Tschetschenien und nicht doch vom KGB angezettelt wurden, lässt er unbeantwortet. Vieles spricht für letzteres.
Kaum im Amt, zettelt Putin einen brutalen Krieg in Tschetschenien an. Das poliert die Umfragewerte und verleiht ihm Autorität. Und er bietet den Russen einen Deal an: Ihr verzichtet auf Demokratie, dafür bekommt Ihr Stabilität und vollere Portemonnaies. Die ersten acht Jahre laufen gut: es werden Kleinwagen gekauft, Datschen renoviert, ein wenig Wohlstand gelebt. Doch dann kommt die Finanzkrise, der Ölpreis fällt und in Moskau wird demonstriert. Es braucht ein neues Narrativ für Putins zweite Amtszeit.
Den Zusammenbruch der Sowjetunion, den er als KGB-Agent in Deutschland hautnah miterlebte, empfand Putin als persönliche Demütigung. Die Geschichte von Russland als Weltmacht muss in seinen Augen neu geschrieben werden – von ihm selbst. Dazu braucht es einen äußeren Feind. Als sich die Ukraine mit der orangefarbenen Revolution dem Westen annähert, spricht Putin von „ukrainischen Faschisten“, die zum Wohle Russlands um jeden Preis bekämpft werden müssen.
Die Militarisierung der Gesellschaft macht sich auch im Privatleben des Korrespondenten, der mit einer russischen Frau verheiratet ist, bemerkbar. Im Kindergarten trägt seine kleine Tochter nun Militäruniform. Heute lebt die Familie in Deutschland, doch die Beziehungen zu Freunden und Verwandten sind kompliziert geworden. Niemand wagt es mehr, ein offenes Gespräch über den Krieg oder das Leben in Russland zu führen.
Von Putins Entscheidung, die Ukraine anzugreifen gewusst, habe noch nicht einmal der eigene Außenminister Sergej Lawrow gewusst. Eine einsame Entscheidung im „Türmchen“, die aus einer grundlegend falschen Einschätzung resultierte. In ein paar Tagen, so Putins Glaube, sei die Ukraine besiegt und die Besiegten kämen den russischen Soldaten mit Blumen entgegen. Auch mit der Einigkeit des Westens und den daraus resultierenden Sanktionen habe er nicht gerechnet.
Eine Geschichte der gegenseitigen Missverständnisse. Denn auch im Westen habe man vor dem Offensichtlichen immer wieder die Augen verschlossen und nicht reagiert. Noch heute handele die Bundesregierung zu zögerlich. Jeder Tag koste unzählige Menschenleben und schon jetzt seien zwei Millionen Ukrainer nach Russland verschleppt worden.
Es gibt viele offene Fragen, über die weltweit spekuliert wird: Wie lange kann sich Putin noch auf die russische Bevölkerung verlassen? Wie steht es um die Geschlossenheit des Westens, wenn der Krieg in der Ukraine noch lange andauert? Wie kann dieser Krieg beendet werden? Und wie wird die Rolle Russlands in einer neuen Weltordnung aussehen? Udo Lielischkies hat dazu ein Bild im Kopf: Russland wird eine „von Banditen kontrollierte Tankstelle“ sein, die zahlkräftige neue Kunden braucht.
Text und Bild: Ulrike Brincker
Details
Veranstaltungsort
Köln, 50667
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Veranstaltungsort
Köln, 50667
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