Henriette Reker: Die Frau, die an ihrer Stadt leidet

Henriette Reker: Die Frau, die an ihrer Stadt leidet
Ein Artikel von Dr. Hildegard Stausberg

Henriette Reker wurde bei einer Messerattacke schwer verletzt. Bevor sie für das Bürgermeisteramt kandidierte, war die Kölnerin öffentlichkeitsscheu – Selbstbewusstsein hatte sie aber schon immer.

Wer 58 Jahre alt ist, hat Falten. Aber unser Jugendwahn will faltenlose Gesichter – also retuschiert man die Falten weg. So geschehen in Köln am Rhein während der Kampagne um das Oberbürgermeisteramt: Henriette Reker, die erste weibliche Kandidatin für den OB-Posten, erscheint auf den großen Plakaten im Spätsommer lächelnd und ohne Falten. Ein paar Wochen später ist das anders: Das Lächeln ist gleich, aber die Falten sind sichtbar.

Eine echte Praktikerin des großstädtischen Managements

Sie gehörte zu einer städtischen Delegation, die an den Zuckerhut geflogen war, um die kurz davor erst unterzeichnete Städtepartnerschaft zwischen Rio de Janeiro und Köln mit Leben zu erfüllen. Mich überraschte damals, wie schnell es Frau Reker gelang, die wichtigsten Möglichkeiten der Zusammenarbeit im kommunalen Bereich zu verstehen und später tatkräftig an die Umsetzung zu gehen. Denn Reker, die erfahrene Verwaltungsjuristin, ist eine echte Praktikerin des großstädtischen Managements.

Dabei ist Rio natürlich nur ein netter „Nebenkriegsschauplatz“, der echte Kampf findet statt um die Zukunft Kölns. Man nimmt der Parteilosen Reker ab, dass sie an der Stadt leidet – da ist sie aber nicht allein. Die viertgrößte Stadt Deutschlands verkauft sich deutlich unter Wert, und das seit Langem.

Aus der wegen ihrer unzähligen Kirchen und Klöster im Mittelalter stolz „Hilliges Kölle“ benannten Domstadt ist die „Partystadt“ Deutschlands geworden, wo man hinfährt und nicht nur beim Karneval die „Sau rauslässt“. Reker, geborene Kölnerin und der Stadt emotional echt verbunden, ärgert das. Verheiratet ist sie übrigens mit einem Australier – was sicherlich dazu beiträgt, ihren Horizont über das Rheinland hinaus zu erweitern.

Köln: Ein Imagedesaster jagt das nächste

„Köln verkauft sich unter Wert“, beklagt sie immer und immer wieder und findet dafür Applaus bei vielen ihrer Zuhörer. Gründe dafür gibt es viele: In Köln reiht sich in den letzten Jahren ein Imagedesaster ans nächste. Da bricht vor sechs Jahren das Stadtarchiv zusammen – und noch immer gibt es keine Klärung, wer dafür verantwortlich war; da wird eine Oper aus den 50er-Jahren renoviert, und ein paar Monate vor dem seit Langem vorgesehenen Einweihungstermin muss alles abgeblasen und mühevoll ein Ersatzquartier gesucht werden; Anfang September kommt es kurz vor dem offiziell vorgesehenen Wahltermin zu einer folgenschweren Panne, die zur Wahlverschiebung führt, da die Wahlzettel-Gestaltung nicht den legalen Anforderungen entspricht.

Umfragen deuten darauf hin, dass Reker bei diesem ersten Termin möglicherweise schon im ersten Wahlgang mit deutlicher Mehrheit gewählt worden wäre. Seitdem hatte sich aber Trägheit breitgemacht in weiten Kreisen der Wählerschaft – vor allem auch bei den Zigtausenden Briefwählern, deren Wahl dann ungültig war: Warum soll man nach so einem Desaster noch mal neu an die Urne?

Reker will frischen Wind reinbringen

Das hat sich durch das feige Attentat auf Reker sicher verändert. Der „kölsche Wahlklüngel“ ist damit auf einer ganz anderen, nationalen Ebene angekommen. Die Wahlen haben plötzlich eine andere Dimension. Ein Mitleidsfaktor für die Kandidatin Reker ist wahrscheinlich. Aber was kann sie tun, sollte sie tatsächlich zur ersten weiblichen Oberbürgermeisterin Kölns gewählt werden?

Reker ist parteilos. Hinter ihr steht eine „Regenbogenkoalition“ aus Grünen, Christdemokraten und Liberalen. Deutet sich da ein schwarz-grünes Signal an? Manche deuten dies gern in diese Richtung, aber die wirkliche Macht in Köln hat seit Jahrzehnten die Sozialdemokratie – vor allem auch in der Verwaltung. Reker möchte da durch Umgestaltung der Aufgaben und Personalumsetzungen frischen Wind reinbringen. Einen Neuansatz würde man der Stadt, weiß Gott, gönnen. Brauchen tut sie ihn auf jeden Fall – seit Langem!

Ein Artikel von Dr. Hildegard Stausberg
Quelle: welt.de

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