Meine Bahn-Odyssee nach Berlin

Die strenge Stausberg

Meine Bahn-Odyssee nach Berlin

Mit dem Zug von Köln nach Berlin zu fahren, kann Stillstand bedeuten, auf die S-Bahn umzusteigen oder Stopps einzulegen wegen „spielender Kinder auf den Gleisen“. Bin ich ein Unglücksrabe?

Dieses ist ein reiner Tatsachenbericht. Nichts wurde hinzugefügt, nichts weggelassen. Anlass meiner Reise mit der Deutschen Bahn von Köln nach Berlin ist ein Abendessen in der Residenz des argentinischen Botschafters. Es soll nach 19 Uhr beginnen. Die Ankunft meines Zuges ist für 18.09 Uhr geplant, also reichlich Zeit, damit mich der vor dem Bahnhof wartende Chauffeur nach Dahlem bringen kann.

Alles beginnt um 13.28 Uhr am Kölner Hauptbahnhof. Eine freundliche Verkäuferin am Ticketschalter empfahl mir zuvor, eine Platzkarte zu kaufen, „denn es wird voll“. Also erwerbe ich neben meinem Bahnticket in der zweiten Klasse noch eine Platzkarte für 4,50 Euro.

Pünktlich verlässt der ICE den Kölner Hauptbahnhof und braust über die Hohenzollernbrücke. Ich habe einen guten Platz, mein Gepäck – drei Stück insgesamt – ist gut verstaut. Ein junger Mann war so nett, meinen relativ schweren Koffer auf den Gepäckständer zu hieven. Wunderbar. Ich bin zufrieden.

Auf der Anzeigetafel steht als nächste Station Düsseldorf, denn eine Komplettsperrung des Bahnhofs Wuppertal macht diesen längeren Umweg über das Ruhrgebiet nötig. Egal. Allerdings läuft unten auf der Tafel ein Info-Band, das darauf hinweist, dass der Internetanschluss im Zug nicht funktioniert: „Unser WLAN ist zurzeit außer Betrieb.“

Es stört mich nicht, schließlich habe ich die „Welt“, die „FAZ“ und den „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Papierform dabei – reichlich Lektüre also für die nächsten Stunden. Dass der Hinweis aber wohl eine erste Andeutung für späteres Ungemach gewesen sein könnte, erschließt sich mir da noch nicht.

Die Stationen fliegen vorbei: Düsseldorf, Düsseldorf-Flughafen, Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund und endlich Hamm in Westfalen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie grün es doch im Ruhrgebiet ist. In den Bahnhof von Bielefeld laufen wir pünktlich ein. Mich erreicht eine SMS aus der Botschaft mit der Telefonnummer des Chauffeurs – erst später merke ich, wie umsichtig das war.

Danach verlässt uns irgendwo auf weiter Strecke das Glück. Der Zug fährt langsamer. Über den Lautsprecher erklärt eine Stimme, dass es Probleme gebe „mit der Elektronik“, was immer das auch heißt. Dann halten wir an, um aber langsam wieder weiterzuzockeln.

Irgendwo auf einem kleinen Bahnhof vor Hannover kommen wir ganz zum Stehen. Die Stimme aus dem Lautsprecher erklärt, dass man nun erst mal alle elektrischen Anlagen abschalten wolle, um zu sehen, ob über einen Neustart die Dinge wieder gerichtet werden könnten.

Im ganzen Waggon wird es still: Man spürt förmlich die allgemeine Anspannung. Dann wird nach quälenden zehn Minuten verkündet: „Eine Weiterfahrt ist nicht möglich: Bitte verlassen Sie diesen Zug und steigen auf der gegenüberliegenden Seite in die dort bald ankommende S-Bahn.“

Zum Glück hilft mir eine junge Dame und übernimmt meinen Koffer. Nach ein paar Minuten kommt tatsächlich auch eine S-Bahn. Sie ist schon recht voll – jetzt wird sie brechend voll werden. Ich bekomme einen Sitz, die junge Frau auch. Ein paar Leute versuchen, sich mit ihrem iPhone über eine mögliche Weiterfahrt in Hannover zu informieren.

Plötzlich fährt die S-Bahn langsamer und kommt ganz zum Halten. Der Lautsprecher kündigt eine „kurze Störung“ an, die aber bald behoben würde. Und tatsächlich, nach ein paar Minuten geht es weiter. Ich setze meine erste Mail an den Botschaftssekretär ab und kündige an, dass ich nicht pünktlich in Berlin ankommen werde.

Endlich Ankunft im Hauptbahnhof von Hannover. Auf unserem übervollen Bahnsteig herrscht kurze Konfusion. Dann verkündet der Lautsprecher den frustrierten Berlin-Reisenden, auf welchem Bahnsteig es weitergeht.

Meine junge Bahnbekanntschaft begleitet mich liebenswürdigerweise dorthin. Ich steige einfach in den ersten Wagen ein, ein Erste-Klasse-Abteil, und ergattere einen Platz. Später berichtet ein Mitreisender, der sich im Speisewagen eine Wasserflasche holen wollte, dass die Leute in den Zweite-Klasse-Abteilen auf dem Boden sitzen.

Nach der Abfahrt von Hannover begrüßt eine freundliche Stimme aus dem Lautsprecher erst mal alle Gäste, „die aus anderen Zügen jetzt noch eingestiegen sind“. Danke. Dann aber kommt schon wieder eine Veränderung: Der Zug halte diesmal ausnahmsweise außerplanmäßig in Stendal. Na gut, damit kann ich leben, es gibt Schlimmeres. Ich setze meine zweite Mail ab – und kündige an, dass es wohl mit meiner Ankunft eine Stunde später würde.

Irgendwann, vielleicht nach 20 Minuten, fährt der Zug auf einmal ganz langsam und kommt zum Stopp. Ich halte die Luft an, als der Lautsprecher angeht. „Meine sehr geehrten Damen und Herren, wegen spielender Kinder auf den Gleisen wird sich unsere Weiterfahrt verzögern.“ Ich kann es nicht mehr fassen: Was machen spielende Kinder auf diesen Bahngleisen?

Dann geht es aber doch wieder weiter. Irgendwann liegt auch Stendal hinter uns – und wir brausen Richtung Berlin. Schon wieder geht der Lautsprecher an. Nein, das darf doch nicht wahr sein: Bitte nicht noch mal was Neues.

Diesmal werden Reisende, die eigentlich bis Berlin-Gesundbrunnen im Zug bleiben wollten, gebeten, diesen doch im Hauptbahnhof zu verlassen. Dieser ICE sei für eine sofortige Weiterfahrt nach Kassel vorgesehen. Ein paar ältere Herrschaften hinter mir sind scheinbar davon betroffen, denn es wird hektisch überlegt, wie man denn jetzt Bescheid geben könne, dass man dort nicht abgeholt wird.

Ich habe mittlerweile dem Chauffeur mitteilen können, dass ich tatsächlich gegen halb acht im Hauptbahnhof eintreffen werde – über eine Stunde später als geplant. Und es ist nur der Nachsicht meiner argentinischen Gastgeber geschuldet, dass alle mit dem Abendessen auf mich warteten.

Am Tisch gibt es Gäste, die von ähnlichen Erfahrungen zu berichten wissen. Warum wird unsere Bahn immer unzuverlässiger? Und was bedeutet das eigentlich für unsere Lebensplanung? Ein paar Gläser vom guten argentinischen Malbec vertreiben die bösen Gedanken am Abend. Bei meiner nächsten Reiseplanung werde ich das aber miteinbeziehen müssen.

P.S.

Die Autorin wollte zwei Tage später nach Mailand fliegen. Der Flug verschiebt sich von 21.25 Uhr auf 23.15 Uhr. Um 23.00 Uhr beginnt Boarding, um 23.30 Uhr ist der Flieger voll und abflugfähig. Um 23.35 Uhr heißt es auf Italienisch: „Hier spricht der Kapitän: Wir wurden gerade informiert, dass der Flug gecancelt wurde, da nach 23.30 Uhr in Berlin-Tegel keine Abflüge mehr stattfinden.“ Er wiederholt alles in schlechtem Englisch. Riesiger Unmut. Also alle von Bord. Und Chaos danach – unvorstellbar.

von Dr. Hildegard Stausberg

Quelle: welt.de

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