Mitgefühl ohne Wenn und Aber
Gerne dokumentieren wir die Dankadresse an den Kölner Haus- und Grundbesitzerverein anlässlich der Verleihung des Hanns-Schäfer-Preises an die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Gesprochen hat deren Vorsitzender, Prof. Dr. Jürgen Wilhelm.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
die Auszeichnung mit dem diesjährigen Hanns-Schaefer-Preis ist uns eine große Ehre.
Ich danke dem Vorstand des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins und besonders seinem Vorsitzenden von Herzen dafür, dass er die Arbeit unserer Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit auf diese Weise honoriert.
Es ist auch eine besondere Freude, diesen Preis zu erhalten, denn die Verleihung geschieht aus der Mitte der Stadtgesellschaft heraus, was in diesen Wochen von großer Bedeutung ist.
Unser Engagement gilt seit Jahrzehnten der Sichtbarmachung jüdischen Lebens und jüdischer Geschichte sowie dem interreligiösen Dialog auf Augenhöhe.
Weit über das Theologische hinaus jedoch hat sich unsere Arbeit auf viele gesellschaftspolitische Themen erweitert und durch unsere antisemitismus- und rassismuskritische Bildungsarbeit vor allem mit Kölner Schulen komplementiert.
Die Nachfrage nach Angeboten zu unseren Workshops und Fortbildungen könnte in diesen Tagen kaum größer sein. Auch deswegen ist die Auszeichnung mit dem Hanns-Schaefer-Preis für uns so bedeutsam, denn wir erfahren dadurch nicht nur Anerkennung, sondern auch konkreten Rückhalt in schwierigen Zeiten.
Meine Damen und Herren, der 7. Oktober 2023, an dem die Terroristen der Hamas auf israelisches Staatsgebiet eindrangen, bedeutet eine Zäsur in der jüngeren jüdischen Geschichte. Auf den Schock über die gezielten Massenmorde und schrecklichen Geiselnahmen, folgte das Erschrecken angesichts der Empathielosigkeit von Nichtjuden in vielen Ländern der Welt, namentlich vieler Muslime, die die Taten der Terroristen bejubelten.
Zweifellos ist es ein Ausdruck menschlicher Nächstenliebe, Empathie mit der palästinensischen Zivilbevölkerung zu haben, die unter der Diktatur der Hamas leidet und von dem vermeintlich solidarischen Ägypten keinerlei Schutz erhält. Und man muss auch kein Freund der aktuellen israelischen Regierung und deren letztlich für Israel schädlichen Politik Netanjahus sein.
Doch dass es offenbar für viele in Deutschland Lebende nicht möglich ist, Mitgefühl mit den jüdischen Betroffenen und Hinterbliebenen zu haben und ohne Relativierung – also ohne Wenn und Aber – nach einem solchen terroristischen Überfall Solidarität mit den Menschen in Israel zu zeigen – das macht mich beinahe sprachlos.
Die von der Hamas und ihren Zujublern gezielt in Szene gesetzte Täter-Opfer-Umkehr ist durchschaubar und ekelhaft perfide, aber – machen wir uns nichts vor – sie wirkt und wird von etlichen Medien reproduziert.
Immer wieder finden sich gerade in Deutschland Viele, die die „Banalität des Bösen“ repräsentieren. Jene Bezeichnung von Hannah Arendt, die zwar bei Adolf Eichmann unangebracht war, denn sein Handeln war keineswegs banal, die aber doch auf viele, vor allem journalistische Zeitgenossen zutrifft, die meinen, uns den moralischen Kompass durch die Relativität einer vermeintlich „objektiven Berichterstattung“ vorhalten zu müssen.
Die historische Komponente und damit die besondere Verantwortung Deutschlands wird dabei übersehen oder zumindest nicht reflektiert! Denn die prekäre politische Situation im Nahen Osten ist eine unmittelbare Folge der Vernichtung der europäischen Juden durch die Deutschen. Zwar gab es die zionistische Bewegung schon weit vorher – der in Köln aktive Sozialdemokrat Moses Hess war einer ihrer Vordenker – doch erst angesichts der Horrorbilder aus den KZs und des ganzen Ausmaßes der Vernichtung wurde der Beschluss der UN-Generalversammlung am 29. November 1947 möglich, der zur Staatsgründung Israels führte.
Deshalb ist die Existenz dieses jüdischen Staates für Deutschland Staatsraison und in dieser besonderen Weise für kein anderes Land auf der Welt.
Und daher ist es völlig inakzeptabel, dass es gerade hier bei uns in Deutschland und auch in Köln politische Aktionen gibt, die sich geschichtslos brutal gegen Israel richten und die Morde der Hamas bejubeln.
Aber diese Haltung gründet ihre Wurzeln tiefer: Wir spüren alle, dass die Gefahr einer Ent-Demokratisierung im Nachkriegseuropa noch nie so groß war wie heute. Die Nazipartei AfD, wie sie Ministerpräsident Wüst zu Recht bezeichnet, hat erheblichen Zulauf und erschreckende Ergebnisse in Landtagswahlen erzielen können.
In Zeiten einer angespannten Wirtschaftslage und multipler Krisen sind Parteien und Personen besonders attraktiv, die vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten, obwohl sie in Wirklichkeit opportunistische Hirngespinste ohne konkrete Realisierungsmöglichkeit sind
Rechte und zunehmend auch linke Ideologie baut dabei auf faschistische Feindbilder: Migranten, Menschen mit Behinderung, Muslime, Juden werden als „das Fremde“ markiert, das vermeintliche traditionelle deutsche Werte – was immer das in einem Europa des 21. Jahrhunderts sein soll – bedrohe.
Dieses verlogene und im Übrigen auch wissenschaftlich unsinnige Vokabular kennen wir doch irgendwoher. Es wurde vor 85 Jahren vor den Kölner Synagogen in der Glockengasse und in der Roonstraße in die Welt geschrien, bevor man die Scheiben zerschlug und die Gotteshäuser durch Feuer zerstörte.
Was also ist zu tun? Wie sieht ein Gegensteuern aus? Kann ich als Einzelner überhaupt etwas bewirken?
Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich:
Jeder Einzelne ist gefordert!
Denn wann immer der Einzelne die Verantwortung für das, was er tut oder lässt, auf andere abwälzt, wird dem Mitläufertum, dem Leugnen oder dem Wegschauen des Antisemitismus im Alltag, Tür und Tor geöffnet. Und glauben wir nicht, jemand anderes könne uns diese Verantwortung abnehmen.
Anders gesagt: nicht irgendwelche Institutionen oder Personen sind für das eigene Handeln verantwortlich; ich allein bin es, der sich einen moralischen Kompass zulegen muss. Kein anderer kann mir diese Verantwortung nehmen. Und dass man „von nichts gewusst habe“, diese Schutzbehauptung der Nachkriegszeit, entlastet heute niemanden mehr.
Das große Versprechen der offenen Gesellschaften ist ohne pluralistisch aufgeklärten ethischen Individualismus, ohne freie Willensbildung freier Bürger und ohne deren zivilgesellschaftliches Engagement nicht einzulösen.
Und hier in Köln haben wir allen Grund, auf das fast zweitausendjährige Miteinander zu blicken, um uns an die produktiven ebenso wie an die furchtbaren Zeiten zu erinnern und alles dafür zu tun, über eine tolerante Gesellschaft nicht nur an Karnevalstagen zu sprechen und uns dabei auf die Schultern zu klopfen, sondern dafür laut und konsequent einzutreten!
Das Festjahr 2021 mit Bezug auf das Dekret Kaiser Konstantins, das sich bekanntlich auf Köln bezog, war ein Highlight in der Sichtbarmachung jüdischen Lebens in Deutschland. Die Wormser, Speyrer und Mainzer, wo es höchstwahrscheinlich auch Juden zu dieser Zeit gegeben hat, sind bis heute neidisch auf Köln, denn sie können es nicht beweisen – Köln mit dem Dekret schon! Viele von Ihnen werden es im Original im letzten Jahr in Kolumba gesehen haben.
Wir haben vorgestern die Gründung eines Forums 321 im Wallraf-Richartz-Museum gefeiert, mit dem wir an die vielen erfolgreichen Veranstaltungen des Festjahres anknüpfen wollen.
Es ist uns aus antiker Quelle keine Diskriminierung bekannt, als das Judentum mit den Römern und den Germanen hier zusammenlebte. Sogar als es danach Christen gab, scheint es Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte ein friedliches Miteinander gegeben zu haben.
Und auch wenn das Jüdische Museum und die Archäologische Zone noch auf sich warten lassen
– die Jüngeren werden die Einweihung vielleicht noch erleben –
so wird dieses großartige Museum mitten im Herzen der Stadt irgendwann einmal ein wunderbares Zeichen für das jedenfalls immer mögliche lebendige und friedvolle Zusammenleben von Menschen jüdischen und nichtjüdischen Glaubens sein.
Wir werden – ermutigt durch den Hanns Schäfer-Preis – weiter daran arbeiten.
Nochmals herzlichen Dank!