Abschied von einem Unbeirrbaren

Zum Tode von Gerhart Baum

Nein, trotz seiner 92 Jahre kann man nicht sagen, das Leben von Gerhart Baum hätte sich vollendet. Denn bis zuletzt kämpfte der überzeugte Wahl-Kölner für eine Sache, die er heute für gefährdeter denn je hielt: die freiheitliche Demokratie in der Bundesrepublik. Und diesen Kampf wollte er weiterführen, unbeirrt und aufrecht. Ich erinnere mich noch gut an seinen Auftritt im Kölner Presseclub, wo er mein Gesprächspartner und Gast beim vorjährigen Jahresauftaktgespräch war. Wir kannten uns seit 1977, immer wieder kreuzten sich unsere Wege, oft war er in meinen Sendungen. Er vereinte eine kämpferische Haltung mit großer menschlicher Wärme. Er konnte laut und vehement sein, aber auch leise, immer aufmerksam, immer hellwach.

Sein flammender Appell für die Verteidigung einer offenen und liberalen Gesellschaft kam aus einer tiefen Überzeugung, der er sein Leben lang treu geblieben war. Die Sorge vor einem politischen Versagen der bürgerlichen Elite, wie die Weimarer Republik sie erlebt hat, trieb ihn um. Er hatte den Eindruck, das Teile des Bürgertums verführbar sind durch die in Teilen rechtsextremistische AfD, bei der er keine Lösungen für die komplexen Probleme der Gegenwart sehen konnte, aber dafür umso mehr rassistische Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und nationalistische Verirrung.

Dieser lebenslange Kampf für Freiheit, Bürgerrechte und für Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen speiste sich, wie er mir oft sagte, aus seiner biografischen Erfahrung. Geboren in Dresden während der Endphase der Weimarer Republik, aufgewachsen im bildungsaffinen Großbürgertum, überlebte er die furchtbare Bombardierung der Stadt im Februar 1945. Immer wieder schilderte er das Grauen, als er mit seiner Mutter als 12-jähriger durch die zerstörte Stadt irrte. Seine Lehre aus der Erfahrung war, dass übersteigerter Nationalismus zu Hass, Gewalt und Vernichtung führt. Um das zu verhindern, schloss er sich als junger Anwalt der FDP an.

Ich bin nicht sicher, wie oft sich die jeweilige Parteiführung gewünscht hätte, er wäre den Liberalen nie beigetreten. Immer wieder mahnte und kritisierte er die Freien Demokraten, wenn sie aus seiner Sicht die Prinzipien des Rechtsstaats, die Verteidigung bürgerlicher Freiheit verrieten, Denn er, der vielseitig Begabte, war eines nicht: ein Karrierist und Opportunist. Das bewies er als Innenminister in der sozial-liberalen Koalition unter Helmut Schmidt, das bewies er, als er das Angebot, in der christ-liberalen Koalition unter Helmut Kohl ablehnte, weil er zu viel Zwang zu Kompromissen sah. Orientierung gab ihm sein innerer Kompass, nicht eine Parteilinie und auch keine Koalitionsdisziplin. Baum ließ in Fragen der Verfassung und Grundrechte seine Partei nie aus der Pflicht. Und seine Stimme fand bis zuletzt das Ohr der Öffentlichkeit, er war bis zuletzt eine politisch-moralische Autorität.

Sein Maßstab war die Freiheit und die Entfaltung des Individuums. Ob als prägender Innenminister der Bonner Republik, als UNO-Beauftragter für Menschenrechte, als streitbarer – und erfolgreicher – Kämpfer in Verfassungsfragen, als überragender Kulturpolitiker, immer stand der Einzelne, seine Würde und seine Rechte im Mittelpunkt von Baums Engagement.

Dieses zutiefst humane Menschenbild spiegelte sich auch in seiner Leidenschaft für Kunst und Kultur wieder. Bis vor gut einem Jahr leitete er durchaus wirkungsvoll den Kulturrat NRW. Seine Liebe galt vor allem der Neuen Musik und die Rettung der Donaueschinger Musiktage ist ein sichtbarer Beweis seines Einflusses. Aber auch sein Engagement als Aufsichtsratsvorsitzender des renommierten Suhrkamp Verlags, der in Turbulenzen geraten war, hat diesem intellektuellen Leuchtturm der Republik vermutlich die Zukunft gesichert.

Mit Gerhart Baum verliert Deutschland in schwierigen Zeiten eine wichtige Stimme, die FDP einen ihrer markantesten Köpfe, die Stadt Köln eine herausragende Persönlichkeit – und der Kölner Presseclub einen wichtigen Freund und Förderer. Er wird fehlen und wir verneigen uns. (mh)

Ein freundschaftlicher Begleiter

In den 60er Jahren begann die Karriere von Max Schautzer beim WDR in Köln. Sein Weg führte ihn zwar rasch steil nach oben. Doch bewahrte der gebürtige Österreicher sich auch im Alltag seine offene und den Menschen zugewandte Art, die ihn im Fernsehen auszeichnete. Mochten andere Unterhalter sticheln, lästern und sich mitunter wichtiger nehmen als die Ihnen anvertraute Show – Max Schautzer ließ seinen Gästen Raum, behandelte jede und jeden mit Respekt und teilte bereitwillig die Bühne.

So erlebten wir den beliebten Fernsehmoderator auch im im Kölner Presseclub. Freundlich, respektvoll und interessiert am hiesigen Alltag wie den großen Entwicklungen in der Welt, aber nie um Aufmerksamkeit heischend. Er machte wenig Aufhebens um sich, ließ allenfalls zu, dass man ihn freundlich begrüßte und ruhte immer in sich selbst. Dabei hatte er Shows wie „Pleiten, Pech und Pannen“, „Alles oder nichts“ und „Die Goldene Eins“ geprägt und ein Stück TV-Geschichte geschrieben. Nun ist unser freundschaftlicher Begleiter im Alter von 84 Jahren in einer Kölner Klinik gestorben. Er wird uns fehlen. (pp)

Der Schleudersitz

„Stepstone“ heißt die Internetseite, auf der (schon wieder) ein Geschäftsführer für die Metropolregion Rheinland gesucht wird. „Stolperstein“ wäre vielleicht angemessener, denn die Position des Geschäftsführers scheint ein Schleudersitz zu sein. Innerhalb weniger Jahre steht nun die vierte Besetzung dieser Leitungsposition an. Hinter der Personalfrage verbirgt sich indes ein größeres Problem. Ist ein solcher Verband unter den obwaltenden Umständen überhaupt arbeitsfähig? Er besteht aus zwölf Kreisen, elf kreisfreien Städten und einem Kommunalverband, darunter die Schwergewichte Köln, Düsseldorf und Bonn. Wer soll dieses Konglomerat einen, wenn es gleichzeitig Chef des Geschäftsführers ist.

Zur Erinnerung: Im Oktober 2017 übernahm der Chemie-Manager Dr. Ernst Grigat das Spitzenamt in dem neu geschaffenen Verbund und gut ein Jahr später warf er bereits hin. Kurz darauf übernahm die frühere Fraktionsvorsitzende der Kölner Grünen, Kirsten Jahn, die Chefrolle. „Postengeschacher“ hieß es in den Medien. Ihr zur Seite stand in Teilzeit Ulla Thönnissen. Nun geht auch Thomas Schauf, der das glücklose Duo 2022 ablöste. „Nach intensiven Jahren des Aufbaus der Metropolregion Rheinland als strukturpolitische Interessenvertretung des nordrhein-westfälischen Rheinlands verlässt Thomas Schauf den Verband“, vermeldet die Metropolregion auf ihrer Webseite.

Bereits an diesem Detail lässt sich ablesen, welche Aufbauarbeit Schauf geleistet hat. Er übernahm eine jämmerliche und von Fehlern strotzende Internetpräsenz und eine Körperschaft, der Führung und Orientierung fehlten. Der geistreiche Politikwissenschaftler ließ die Schwächen der Vorgänger schnell vergessen, verhedderte sich jedoch im Gestrüpp der unübersichtlichen Interessen dieses heterogenen Zusammenschlusses. Dessen Markenzeichen ist nicht die Addition von Vielfalt, die zur Stärke wird, sondern deren lähmende und destruktive Kehrseite. Schauf solle parteipolitisch einseitig agiert haben, wird geraunt. Wer ihn kennt, mag das kaum glauben. Der Politikwissenschaftler war ein spielerischer und kreativer Geist, der schnell vorwärts denken konnte und den Parteigrenzen allenfalls einengten. (pp)

 

Ehrung für einen Streitbaren

Die jährliche Verleihung des Hanns-Schaefer-Preises geriet dieses Mal zu einem Konrad-Adenauer-Festival. Jährlich verleiht der Kölner Haus- und Grundbesitzerverein (HuG) die Auszeichnung an Initiativen oder Einzelpersonen, die zum besseren Zusammenleben in der Stadt beitragen. Nun wurde der aus Altersgründen scheidende HuG-Vorstandsvorsitzende Konrad Adenauer (80) selbst damit geehrt. Eine begrüßenswerte Entscheidung. Nie hat Konrad Adenauer eine Bitte des Kölner Presseclub e.V. um Einschätzung und Kommentierung unbeantwortet gelassen, stets hat er konsequent seine Meinung gesagt ohne Sorge, missverstanden zu werden, mit Freude hat er sich in jede Auseinandersetzung gestürzt. Gerne dokumentieren wir die Festrede des Architekten Kaspar Kraemer, die dieser zur Verleihung des Preises hielt.

Olympia in Köln?

Was halten Sie von Olympia in Köln, das im Fall einer Vergabe an die Rhein-Ruhr-Region Austragungsort für Spiele wäre? Das hatten wir Sie am 25. Oktober 2024 unter dem Titel „Warum Olympia in Köln mehr als nur ein Traum ist und wir uns heute schon bei Paris bedanken können – Torsten Burmester im Gespräch“ gefragt. Die Reaktion waren zwiespältig. Uns erreichten ebenso viele kritische wie begeisterte Zuschriften. Von einem „großartigen Traum“ sprach Werner Deuß und Antje Krebs von einem „Lichtstrahl“.  Kritisch merkte Jeane Freifrau von Oppenheim an: Es gibt so viele Baustellen, nicht nur auf den Straßen. Selbst im Kulturbereich ist es nicht möglich ein Konzept durchzuführen. Ob es um die Zukunft des Stadt Museums, die Zukunft der Kunst u.  Museumsbibliothek, des zentralen Lagers für Museumsbestände, die Fertigstellung sämtlicher Museen, um das Opernhaus nicht auch noch zu nennen. Es wird nur darüber diskutiert über Jahre und nicht durchgesetzt. Bei der EM gab es nicht einen einzigen kulturellen Beitrag, welchen die vielen ausländischen Touristen geniessen konnten.“ Auf LinkedIn entspann sich eine milde Debatte, die Sie hier in den Kommentaren finden.   Und hier . Fazit: Wohlwollend, aber auch kritisch.

 

Das älteste Parfümhaus

Zu unserem Newsletter vom 8. November 2024 (Der Duft von Köln, Baustellen und TikTok: Wie eine junge Kölnerin das älteste Parfümhaus der Welt modernisiert) von Claudia Hessel erreichte uns die folgende Zuschrift von Frauke  Kämmerling, früher Intendantin des Hänneschen Theaters:

„Ein toller Newsletter! Kleine Info dazu: Ich bin seit vielen Jahren Fan vom Eau de Cologne in der Originalversion von Farina. 2018 habe ich dazu ein Stück für das Hänneschen Theater konzipiert und auch geschrieben. In vielen Gesprächen mit Johann Maria Farina und einer Marketing Kooperation haben wir das Thema mit reichlich historischem Hintergrund in einem erfolgreichen Stück präsentiert. Wir haben die Geschichte von Farina auf jeden Fall ordentlich besungen und gefeiert mit einer tollen Ausstattung und wunderschönen Puppen, wenn auch noch der eigentliche Song „Farina“ tatsächlich in der Liederlandschaft fehlt. Ja!
Köln hat viele bemerkenswerte Stadt-Geschichten.
Schön, dass der Kölner Presseclub sich ihrer immer wieder annimmt.
Unter anderem deshalb ist dieser Newsletter mein Lieblingsnewsletter.
Danke für diese schöne Ausgabe.“
Da sagt der Kölner Presseclub Dank und weist darauf hin, dass Frauke Kämmerling sich heute, dem neuen Ehemann geschuldet, mit „ä“ statt mit „e“ schreibt.

Rettung für den RSV Rath

Rettung für den RSV Rath

 

Vor gut einem Jahr berichteten wir im Newsletter über den RSV Rath-Heumar und dessen marode Spielfläche. Ein sympathischer Dorfverein, dessen Jugendarbeit allein schwer in Geld aufzuwiegen ist (https://koelner-presseclub.de/2023/05/19/newsletter-19-05-2023/). Im Zuge der Recherche hatten wir auch Kontakt mit Niklas Kienitz, Geschäftsführer der CDU-Fraktion im Kölner Rat, der Vermittlung zusagte.  Die Rettung des Vereins erfolgte nun durch einen städtischen Zuschuss von 300.000 Euro, der für die Ertüchtigung des maroden Spiel- und Trainingsplatzes am Standort “An der Rather Burg” bereitgestellt wurde. Die verantwortlichen politischen Ausschüsse billigten die Maßnahme.

Der Verein wurde 1920 gegründet und hat eine bewegte Geschichte. In der Vergangenheit machte der RSV Rath-Heumar lautstark auf sich aufmerksam, wie bei einer Demonstration vor dem Kölner Rathaus im Mai 2023. Lange Zeit sah es düster aus für den Kölner Traditionsverein.

Wir vom Kölner Presseclub freuen uns, dass wir unseren Teil beitragen konnten. Der  RSV Rath-Heumar ist ein wichtiger Teil der Sportgemeinschaft in Köln und kann dank des städtischen Zuschusses nun optimistisch in die Zukunft blicken. (EB)

 

Walter Hanel gestorben

Walter Hanel gestorben

 

Walter Hanel, einer der großen Zeichner und Karikaturisten dieses Landes, ist vor kurzem mit 93 Jahren friedlich eingeschlafen, wie seine Tochter mitteilt, die bei ihm war. Am 14. Mai 1971 begann er beim Kölner Stadt-Anzeiger, der in einer Stadt gedruckt wurde, deren Kultur- und Intellektuellenszene damals brodelte.

Schnell machte der Meisterschüler der berühmten „Kölner Werkschule“ sich national und international einen Namen, arbeitete für Titel wie FAZ, SPIEGEL, ZEIT, Herald Tribune, Le Monde und viele mehr. Doch stets hielt er dieser Kölner Zeitung, seiner Redaktion und vor allem deren Lesern die Treue.

Ob große, auch internationale Ausstellungen, Auszeichnungen wie das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse oder die Ehrenbürgerwürde der Stadt Bergisch Gladbach – Ruhm und Ansehen veränderten diesen unprätentiösen Menschen nicht. Dafür wuchs der Respekt derer, die mit ihm zusammenarbeiteten. Es waren die großen Jahre der gedruckten Medien, der pointierten Kommentare, gerade auch mit feiner Feder, wie Hanel sie pflegte.

Erst 2018, mit 88 Jahren, befand Walter Hanel, es sei Zeit aufzuhören, dieser immer ein wenig melancholische Mensch, der als Kind und Flüchtling den Luftangriff auf Dresden überlebt hatte. Vielleicht hatte er auch genug davon, mit scharfem Strich die Zeit und deren Umstände aufzuspießen. Denn die Übel blieben, sie veränderten nur ihre Gestalt.

Vor gut zwei Jahren konnte man noch einmal die fast seherischen Fähigkeiten Walter Hanels in einer Retrospektive bestaunen. Bereits vor Jahrzehnten nahm er die Ampelkoalition und andere Konstellationen zeichnerisch vorweg, indem er zum Beispiel Willy Brandt als Prinzessin versonnen einen grünen Frosch streicheln ließ, beobachtet von der FDP im Hintergrund.

Seine jüngsten Werke kamen zwar nicht ohne die für ihn typischen Raben aus, die für das Dunkle und Abgründige standen. Aber nun malte er, der sich vornehmlich durch den Zeichenstift ausdrückte, auch Herzen. Sein Strich war zittrig geworden und seine Gedanken wollten sich nicht immer ordnen. Doch als über ihn, sein Werk und die Jahre seines Wirkens in der Eröffnungsrede gesprochen wurde, blickte Walter Hanel seine Gäste versonnen und glücklich an. (EB)

Hinweise des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ignoriert

Hinweise des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ignoriert

 

Köln – Haben die Ermittlungsbehörden ernstzunehmende Hinweise zum Anschlag in der Keupstraße 2004 und zur Neonazi-Mordserie nicht konsequent verfolgt? Vor Jahren wurden die Kölner Behörden von der Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ auf eine frappierende Ähnlichkeit zwischen Phantombildern von Verdächtigen hingewiesen. Im April 2005 wurde ein neues Phantombild zum Anschlag in der Keupstraße veröffentlicht. Im Juni 2005 wurde in Nürnberg ein Dönerbudenbesitzer erschossen, wenig später wurde mit Hilfe von Zeugenaussagen ein Phantombild zu dieser Tat angefertigt.

Doch die Behörden selbst stellten offenbar keinen Zusammenhang

zwischen den Zeichnungen und somit den Morden und dem Bombenanschlag von Köln her. Die Phantombilder beider Fälle wurden nie für eine gemeinsame, öffentliche Fahndung genutzt.

Etwa ein Jahr später stieß Hans-Jürgen Deglow von der Redaktion auf beide Phantombilder. Die Ähnlichkeit war in der Tat frappierend: Beide Bilder zeigen einen jungen Mann mit schmalem Gesicht, schlanker, langer Nase und vor allem: Er trug in beiden Fällen eine Mütze, die bis ins Detail übereinstimmt. Das schien tatsächlich eine heiße Spur zu sein.

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erkundigte sich daraufhin bei der Kölner Polizei, ob ihr ebenfalls beide Phantombilder vorlägen und ob sie aufgrund der Ähnlichkeit einen Zusammenhang zwischen den Taten sehe. Die Antwort kam schon nach wenigen Minuten – und war absolut und dementierend: Nein, die Ähnlichkeit sei zufällig, es gebe da aus Sicht der Ermittler keinen Zusammenhang. Nachfragen blieben erfolglos.

Zu diesem Zeitpunkt, so viel ist jedenfalls heute klar, war nicht nur bekannt, dass die Nagelbomber in Köln ihren Sprengsatz auf einem Fahrrad transportierten. Mindestens in zwei Fällen der Mordserie waren die Täter ebenfalls mit Fahrrädern zu den Tatorten gekommen.

2014 zitierte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einen Ermittler mit dem Satz: „Beim Vergleich der Lichtbilder der Verdächtigen aus Thüringen mit dem Phantombild des Nagelbombers dürfte selbst ein Laie Übereinstimmungen erkennen.“ (EB)

Mitgefühl ohne Wenn und Aber

Gerne dokumentieren wir die Dankadresse an den Kölner Haus- und Grundbesitzerverein anlässlich der Verleihung des Hanns-Schäfer-Preises an die Kölnische Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Gesprochen hat deren Vorsitzender, Prof. Dr. Jürgen Wilhelm.

 

 

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

die Auszeichnung mit dem diesjährigen Hanns-Schaefer-Preis ist uns eine große Ehre.

Ich danke dem Vorstand des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins und besonders seinem Vorsitzenden von Herzen dafür, dass er die Arbeit unserer Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit auf diese Weise honoriert.

Es ist auch eine besondere Freude, diesen Preis zu erhalten, denn die Verleihung geschieht aus der Mitte der Stadtgesellschaft heraus, was in diesen Wochen von großer Bedeutung ist.

Unser Engagement gilt seit Jahrzehnten der Sichtbarmachung jüdischen Lebens und jüdischer Geschichte sowie dem interreligiösen Dialog auf Augenhöhe.

Weit über das Theologische hinaus jedoch hat sich unsere Arbeit auf viele gesellschaftspolitische Themen erweitert und durch unsere antisemitismus- und rassismuskritische Bildungsarbeit vor allem mit Kölner Schulen komplementiert.

Die Nachfrage nach Angeboten zu unseren Workshops und Fortbildungen könnte in diesen Tagen kaum größer sein. Auch deswegen ist die Auszeichnung mit dem Hanns-Schaefer-Preis für uns so bedeutsam, denn wir erfahren dadurch nicht nur Anerkennung, sondern auch konkreten Rückhalt in schwierigen Zeiten.

Meine Damen und Herren, der 7. Oktober 2023, an dem die Terroristen der Hamas auf israelisches Staatsgebiet eindrangen, bedeutet eine Zäsur in der jüngeren jüdischen Geschichte. Auf den Schock über die gezielten Massenmorde und schrecklichen Geiselnahmen, folgte das Erschrecken angesichts der Empathielosigkeit von Nichtjuden in vielen Ländern der Welt, namentlich vieler Muslime, die die Taten der Terroristen bejubelten.

Zweifellos ist es ein Ausdruck menschlicher Nächstenliebe, Empathie mit der palästinensischen Zivilbevölkerung zu haben, die unter der Diktatur der Hamas leidet und von dem vermeintlich solidarischen Ägypten keinerlei Schutz erhält. Und man muss auch kein Freund der aktuellen israelischen Regierung und deren letztlich für Israel schädlichen Politik Netanjahus sein.

Doch dass es offenbar für viele in Deutschland Lebende nicht möglich ist, Mitgefühl mit den jüdischen Betroffenen und Hinterbliebenen zu haben und ohne Relativierung – also ohne Wenn und Aber – nach einem solchen terroristischen Überfall Solidarität mit den Menschen in Israel zu zeigen – das macht mich beinahe sprachlos.

Die von der Hamas und ihren Zujublern gezielt in Szene gesetzte Täter-Opfer-Umkehr ist durchschaubar und ekelhaft perfide, aber – machen wir uns nichts vor – sie wirkt und wird von etlichen Medien reproduziert.

Immer wieder finden sich gerade in Deutschland Viele, die die „Banalität des Bösen“ repräsentieren. Jene Bezeichnung von Hannah Arendt, die zwar bei Adolf Eichmann unangebracht war, denn sein Handeln war keineswegs banal, die aber doch auf viele, vor allem journalistische Zeitgenossen zutrifft, die meinen, uns den moralischen Kompass durch die Relativität einer vermeintlich „objektiven Berichterstattung“ vorhalten zu müssen.

Die historische Komponente und damit die besondere Verantwortung Deutschlands wird dabei übersehen oder zumindest nicht reflektiert! Denn die prekäre politische Situation im Nahen Osten ist eine unmittelbare Folge der Vernichtung der europäischen Juden durch die Deutschen.  Zwar gab es die zionistische Bewegung schon weit vorher – der in Köln aktive Sozialdemokrat Moses Hess war einer ihrer Vordenker – doch erst angesichts der Horrorbilder aus den KZs und des ganzen Ausmaßes der Vernichtung wurde der Beschluss der UN-Generalversammlung am 29. November 1947 möglich, der zur Staatsgründung Israels führte.

Deshalb ist die Existenz dieses jüdischen Staates für Deutschland Staatsraison und in dieser besonderen Weise für kein anderes Land auf der Welt.

Und daher ist es völlig inakzeptabel, dass es gerade hier bei uns in Deutschland und auch in Köln politische Aktionen gibt, die sich geschichtslos brutal gegen Israel richten und die Morde der Hamas bejubeln.

Aber diese Haltung gründet ihre Wurzeln tiefer: Wir spüren alle, dass die Gefahr einer Ent-Demokratisierung im Nachkriegseuropa noch nie so groß war wie heute. Die Nazipartei AfD, wie sie Ministerpräsident Wüst zu Recht bezeichnet, hat erheblichen Zulauf und erschreckende Ergebnisse in Landtagswahlen erzielen können.

In Zeiten einer angespannten Wirtschaftslage und multipler Krisen sind Parteien und Personen besonders attraktiv, die vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Probleme anbieten, obwohl sie in Wirklichkeit opportunistische Hirngespinste ohne konkrete Realisierungsmöglichkeit sind

Rechte und zunehmend auch linke Ideologie baut dabei auf faschistische Feindbilder: Migranten, Menschen mit Behinderung, Muslime, Juden werden als „das Fremde“ markiert, das vermeintliche traditionelle deutsche Werte – was immer das in einem Europa des 21. Jahrhunderts sein soll – bedrohe.

Dieses verlogene und im Übrigen auch wissenschaftlich unsinnige Vokabular kennen wir doch irgendwoher. Es wurde vor 85 Jahren vor den Kölner Synagogen in der Glockengasse und in der Roonstraße in die Welt geschrien, bevor man die Scheiben zerschlug und die Gotteshäuser durch Feuer zerstörte.

Was also ist zu tun?  Wie sieht ein Gegensteuern aus? Kann ich als Einzelner überhaupt etwas bewirken?

Die Antwort ist einfach und kompliziert zugleich:

Jeder Einzelne ist gefordert!

Denn wann immer der Einzelne die Verantwortung für das, was er tut oder lässt, auf andere abwälzt, wird dem Mitläufertum, dem Leugnen oder dem Wegschauen des Antisemitismus im Alltag, Tür und Tor geöffnet. Und glauben wir nicht, jemand anderes könne uns diese Verantwortung abnehmen.

Anders gesagt: nicht irgendwelche Institutionen oder Personen sind für das eigene Handeln verantwortlich; ich allein bin es, der sich einen moralischen Kompass zulegen muss. Kein anderer kann mir diese Verantwortung nehmen. Und dass man „von nichts gewusst habe“, diese Schutzbehauptung der Nachkriegszeit, entlastet heute niemanden mehr.

Das große Versprechen der offenen Gesellschaften ist ohne pluralistisch aufgeklärten ethischen Individualismus, ohne freie Willensbildung freier Bürger und ohne deren zivilgesellschaftliches Engagement nicht einzulösen.

Und hier in Köln haben wir allen Grund, auf das fast zweitausendjährige Miteinander zu blicken, um uns an die produktiven ebenso wie an die furchtbaren Zeiten zu erinnern und alles dafür zu tun, über eine tolerante Gesellschaft nicht nur an Karnevalstagen zu sprechen und uns dabei auf die Schultern zu klopfen, sondern dafür laut und konsequent einzutreten!

Das Festjahr 2021 mit Bezug auf das Dekret Kaiser Konstantins, das sich bekanntlich auf Köln bezog, war ein Highlight in der Sichtbarmachung jüdischen Lebens in Deutschland. Die Wormser, Speyrer und Mainzer, wo es höchstwahrscheinlich auch Juden zu dieser Zeit gegeben hat, sind bis heute neidisch auf Köln, denn sie können es nicht beweisen – Köln mit dem Dekret schon! Viele von Ihnen werden es im Original im letzten Jahr in Kolumba gesehen haben.

Wir haben vorgestern die Gründung eines Forums 321 im Wallraf-Richartz-Museum gefeiert, mit dem wir an die vielen erfolgreichen Veranstaltungen des Festjahres anknüpfen wollen.

Es ist uns aus antiker Quelle keine Diskriminierung bekannt, als das Judentum mit den Römern und den Germanen hier zusammenlebte. Sogar als es danach Christen gab, scheint es Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte ein friedliches Miteinander gegeben zu haben.

Und auch wenn das Jüdische Museum und die Archäologische Zone noch auf sich warten lassen

– die Jüngeren werden die Einweihung vielleicht noch erleben –

so wird dieses großartige Museum mitten im Herzen der Stadt irgendwann einmal ein wunderbares Zeichen für das jedenfalls immer mögliche lebendige und friedvolle Zusammenleben von Menschen jüdischen und nichtjüdischen Glaubens sein.

Wir werden – ermutigt durch den Hanns Schäfer-Preis – weiter daran arbeiten.

Nochmals herzlichen Dank!