NEWSLETTER 19.01.2024

Kölns Vergangenheit auf dem Prüfstand. Und wie ein Nachfahre des Roten Barons ein Filmexperiment wagt

 

Sehr geehrte Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

wir Kölner haben eine Stadt mit langer Geschichte und sind  – gemessen an unseren vielen Karnevalsliedern – auch sehr stolz darauf. Einiges aus der Vergangenheit ist im öffentlichen Stadtbild an vielen Orten sichtbar: Denkmäler, Plätze, Straßennamen. Jahrzehntelang sind wir aber eher achtlos an ihnen vorbei- oder drüber gelaufen und außer ein paar Tauben hat sich kaum ein Kölner dafür interessiert.  Das ändert sich gerade.

Die Debatte um Denkmäler und Straßennamen nimmt weiter Fahrt auf. Die Stadt Köln hat 2021 beschlossen, ihr koloniales Erbe umfassend aufzuarbeiten. Seit 2022 berät ein Gremium den Stadtrat über den Umgang mit der Kolonialgeschichte in Köln. Auf der Liste der Handlungsempfehlungen taucht unter anderem das Kaiser Wilhelm-Denkmal an der Hohenzollern-Brücke auf, aber auch die Konrad-Adenauer Statue vor Sankt Aposteln wird mittlerweile kritisch betrachtet. Zudem will  das Gremium auch Straßennamen, die Bezug zum Kolonialismus, Imperialismus und – das ist unstreitig – zum Nationalsozialismus aufweisen, umbenennen. Wie gehen Nachfahren von ehemals namhaften Persönlichkeiten mit der Debatte um, wollte ich wissen. Ich habe mit einem gesprochen, der einen bekannten Namen trägt.

Gerhard von Richthofen gibt sofort unumwunden zu: „Jede Generation hat das Recht die Vergangenheit neu zu bewerten.“ Er stammt aus einer Familie mit nicht nur einer Berühmtheit in der Ahnengalerie. Der Bekannteste dürfte Manfred Freiherr von Richthofen sein, der Rote Baron. Er galt als der beste Flieger des Ersten Weltkrieges. Bereits zu Lebzeiten wurde er zum Helden stilisiert. Sein Nachfahre Gerhard von Richthofen hat sich mit dem Namen Richthofen in jungen Jahren sehr schwergetan. „Als Kriegsdienstverweigerer war es mir früher immer unangenehm, auf den Roten Baron angesprochen zu werden.“  Begriffe wie Krieg und Held passen für ihn nicht zusammen. Zumal auch die Nationalsozialisten den Roten Baron für ihre Propagandazwecke ausschlachteten. 1937 wurde posthum die Richthofenstraße in Köln-Porz nach ihm benannt. (Sie steht übrigens bislang noch nicht auf der Short-List des Gremiums.) Auch zum Butzweiler Hof führt eine Spur. Auf dem Fliegerhorst im Westen Kölns begann Manfred von Richthofen 1915 seine Karriere als Pilot.

Bis in die heutige Zeit gibt es Bundeswehrkasernen und Luftwaffengeschwader mit seinem Namen, zahlreiche Dokumentationen und Kinofilme. Snoopy von den Peanuts auf seiner Hundehütte in Fliegermontur kennt jedes Kind. Sein Konterfei schmückt sogar eine amerikanische Tiefkühlpizza. Für Gerhard von Richthofen vergeht kaum ein Kennenlernen, bei dem er nicht auf den Familiennamen und den Roten Baron angesprochen wird. Mittlerweile kann er damit besser umgehen als früher. Er hat Verständnis für das große Interesse. Dennoch, Nachkomme einer berühmten Familie zu sein scheint Segen und Fluch zugleich. Man spürt eine Zerrissenheit. Gerhard von Richthofen wuchs in einer kleinen Beamtensiedlung in Bonn auf und studierte nicht Jura, wie viele Richthofens, sondern wurde lieber Filmemacher. Er produzierte Serien für den WDR und Privatsender und auch Kinofilme. Jetzt mit 66 Jahren möchte er einen persönlichen Film über sich und seine Familie drehen. „Diejenigen, die den Namen tragen, sind  gewollt oder nicht  mit dem Mythos Richthofen verbunden. Ich möchte der Frage nachgehen, was es damit auf sich hat und wie es sich damit heute lebt,“ sagt er.

Dafür ist Gerhard von Richthofen tief in die fast 500 Jahre alte Geschichte der Familie eingestiegen. Manches, was er dabei fand, sei traurig und erschreckend gewesen. Er habe aber auch gelacht und geschmunzelt, mindestens einmal musste er sich schämen, gibt er unumwunden zu. Mit dem adligen Nachnamen werden nicht nur positive Ereignisse verknüpft. Auch davon soll sein Film erzählen. Dreharbeiten verursachen Kosten und deshalb hat er ein Crowdfunding ins Leben rufen. Seit vergangenem Dezember sind über 3.000 Euro zusammengekommen, bis zum 21. Januar will er 5.000 Euro sammeln, um die Reisekosten zu decken. Den Rest finanziert er aus eigener Tasche. Wer mitmacht, wird im Abspann erwähnt. Gezeigt wird der Film zunächst auf dem Treffen des Familienverbandes im Herbst, bei dem mehr als 100 Richthofens aus allen Ecken der Welt regelmäßig zusammenkommen. Der Film dürfte für einige Diskussionen sorgen. Aber damit rechnet Gerhard von Richthofen: „Ich möchte einige Neubetrachtungen der Familie Richthofen anregen,“ sagt der Produzent, „sie nicht glorifizieren, sondern als einen Teil unserer langen Geschichte darstellen  – im Guten wie im Schlechten.“

Mehr über die eigenen Vorfahren herauszufinden, hat aber nicht nur für Gerhard von Richthofen eine große Faszination. Wer von uns hat sich noch nicht gefragt, woher seine Familie stammt.  Es ist die Suche nach unseren Wurzeln und damit auch nach unserer Identität. Nur wie gehen wir generell damit um? Für den Historiker Dr. Ulrich Soénius ist klar: „Geschichte ist immer im Kontext der jeweiligen Zeit zu sehen.“  Bezogen auf die aktuellen Denkmal-Debatten findet er: „Nur weil wir heute vieles anders werten, darf das nicht bedeuten, Zeugnisse der Zeit zu vernichten.“ Ein entscheidendes Kriterium für eine geschichtliche Neubetrachtung ist für den Kölner Wissenschaftler vor allem eine menschenherabwürdigende Darstellung. Die liegt jedoch weder bei von Richthofen noch beim Kaiser Wilhelm-Denkmal vor und bei Adenauer erst recht nicht. Erläuterungen als QR-Code in mehreren Sprachen könnten aufklären, denn: „Das Niederreißen von Denkmälern macht die Welt nicht besser.“

Der Umgang mit Darstellungen unserer Vergangenheit ist ein ernstzunehmendes Thema. Ein Thema, das viel zu schnell emotional aufgeladen ist.  Wo fängt man an, wo hört man auf und was ist der richtige Weg für eine Erinnerungskultur? Abreißen, Erhalten oder Schweigen? Fragen, die uns noch lange beschäftigen werden. Deshalb verdienen Menschen, die sich trauen ihre persönliche Vergangenheit kritisch zu reflektieren,  zunächst meinen Respekt.

Was viele im Alltag bewegt, können Sie wieder im Poetry-Podcast von Susanne Hengesbach hören. Sie knöpft sich in einer neuen Folge die erhöhte Mehrwertsteuer bei Gastronomen vor.  Den Link finden Sie hier.

Viel Spaß und bis bald

Herzliche Grüße sendet Ihnen

Ihre

Claudia Hessel