NEWSLETTER 14.02.2025

Kölner Azubis im vergammelten Berufskolleg  – Offener Brief an die Oberbürgermeisterin

 

 

Liebe Mitglieder des Kölner Presseclubs,
liebe Freundinnen und Freunde,

gibt es in Köln eine Zwei-Klassen-Gesellschaft, wenn es um den Schulbau geht? Während einige Schulen zügig saniert oder neu gebaut werden, kämpfen andere seit Jahren mit maroden Gebäuden, Platzmangel und unhaltbaren Zuständen. Besonders betroffen:  handwerkliche Berufskollegs. Ein aktuelles Beispiel ist das Berufskolleg 10 in Köln-Porz. Seit Jahren steht ein Neubau im Raum – passiert ist: nichts. Der Unterricht von 1.200 Schülern musste auf verschiedene Standorte verteilt werden. Statt moderner Lernräume gibt es Modulbauten, oft ohne Werkstätten oder Labore

Die berufliche Ausbildung scheint in der Stadt weder Priorität noch eine starke Lobby zu haben – mit fatalen Folgen für Schüler, Unternehmen und die gesamte Wirtschaft“, sagt Marc Schmitz, Obermeister der Sanitär-, Heizungs- und Klima-Innung (SHK) Köln, und bringt es auf den Punkt: „Die Stadt hat Millionen für den Schulbau eingeplant, aber die Berufsausbildung bleibt auf der Strecke.“

Der bauliche Zustand des Berufskollegs in Porz ist seit über 35 Jahren katastrophal. Marc Schmitz erinnert sich: „Schon während meiner Ausbildung dort hieß es: Ein Neubau muss kommen. Heute – Jahrzehnte später – ist es nur noch schlimmer geworden.“ Schimmel, Wasserschäden durch Rohrbrüche, fehlende Fluchtwege – unter solchen Bedingungen verliert jede Ausbildung an Attraktivität. Die Folge: „Viele junge Leute geben auf. Ich hätte auch keine Lust in so einer Bruchbude meine Ausbildung zu machen.“

Im Januar hatten drei Kölner Handwerksinnungen genug. Die SHK-Innung, die Schornsteinfeger-Innung, die Innung für Metalltechnik sowie der schulische Förderverein richteten einen offenen Brief an Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Die Forderung: Den Neubau endlich beschleunigen. Doch ein Blick auf die Prioritätenliste der Stadt zeigt das Problem: Das Berufskolleg 10 steht – nach Angaben aus dem Rathaus – auf Platz 71 von 207 Schulbauprojekten. Drei andere Berufskollegs in Köln haben immerhin Sanierungspläne – mit Fertigstellungen für 2028 und 2031. Auch nicht gerade schnell.

Warum bleibt das Handwerk auf der Strecke? An fehlendem Geld kann es nicht liegen. 2017 beschloss der Stadtrat 745 Millionen Euro für den Schulbau, 2020 folgte eine Aufstockung auf 1,7 Milliarden Euro. Seit 2022 gibt es außerdem die Kölner Schulbaugesellschaft, die den Sanierungsstau weiter auflösen soll. Mit sichtbaren Erfolgen. Doch bei Kölner Handwerksbetrieben entsteht der Eindruck, dass sie als „zweite Wahl“ behandelt werden – mit negativen Auswirkungen für eine ganze Generation von Auszubildenden und für die Wirtschaft, erläutert Marc Schmitz: „Wenn hier die Bedingungen schlecht sind, entscheiden sich junge Menschen am Ende gegen eine Karriere im Handwerk.“

Mein Newsletter und Nachfragen bei der Stadt bringen offenbar Bewegung in die Sache. Die Kölner Schulbaugesellschaft, die die Projektverantwortung für den Neubau In Porz übernommen hat, reagiert auf den offenen Brief. Demnach laufen seit Januar Angebotsprüfungen – ein verbindliches Angebot werde frühestens im Mai erwartet. Die Fertigstellung sei für 2031/32 geplant. Bis dahin bleibe der Schulbetrieb auf zwei Standorte verteilt – mit provisorischen Lösungen. Und genau das macht den Handwerksbetrieben ernste Sorgen. Denn Provisorien in Köln – das wissen wir alle – werden oft zu Dauerlösungen.

Am heutigen Freitag soll Baudezernent Markus Greitemann nach Köln-Porz kommen. Er will sich mit der Schulleitung und der Schulbaugesellschaft abstimmen. Seine Aussage mir gegenüber klingt vielversprechend: „Das Berufskolleg ist für die berufliche Bildung in unserer Stadt von großer Bedeutung.“ Marc Schmitz freut sich, dass es endlich vorangeht, ist aber gleichzeitig skeptisch und sagt mir: „Wir halten den Druck auf dem Kessel aufrecht!“

Die Politik betont stets die Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung. Doch solange junge Menschen in maroden Berufskollegs lernen müssen, bleibt das doch eine hohle Phrase. Gerade die technischen Handwerksberufe brauchen immer mehr Abiturienten. Aber wer würde seinem Kind eine Ausbildung empfehlen, wenn die Lernbedingungen so katastrophal sind? Ohne gut ausgebildete Handwerker ist die Energiewende ein leeres Versprechen. Denn Wärmepumpen, Solaranlagen und neue Heiztechnik installieren sich nicht von selbst.

Das letzte Wort hat Susanne Hengesbach, die sich mit einem jahrzehntelangen Ärgernis beschäftigt: In Köln wird viel über Aufenthaltsqualität diskutiert. Am Brüsseler Platz sollen Menschen am Wochenende abends nicht mehr verweilen – selbst dann nicht, wenn sie sich nur leise unterhalten. Susanne Hengesbach wirft in ihrem Poetry-Podcast „Verweilverbot“  die Frage auf, weshalb man dort nicht einfach die Hauptursache für den nächtlichen Lärm verbietet – den Alkohol auf der Straße. Den  link finden Sie hier.

Viel Spaß beim Hören.

Es grüßt

Ihre Claudia Hessel

NEWSLETTER 07.02.2025

„Wer Köln liebt, muss den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen!“ – Konrad Adenauer über die endlosen Diskussionen in der Politik.

 

 

Liebe Mitglieder des Kölner Presseclubs,
liebe Freundinnen und Freunde,

Konrad Adenauer – nicht der erste Bundeskanzler und Oberbürgermeister unserer Stadt, sondern sein Enkel – ist längst eine Institution in Köln. Viele schätzen ihn, manche fürchten ihn. Weil er ausspricht, was andere nur denken. Die Stadt, die sein Großvater einst vorangebracht hat, sieht er oft im Stillstand. Und das sagt er auch offen.  So wie in seinen Kolumnen als Vorsitzender von Haus & Grund in der Zeitung Eigentum aktuell: Sie waren streng, unerbittlich, aber immer mit einer Botschaft: Köln kann es besser – und Köln muss es besser machen! Auch im Interview  für meinen Newsletter hat er erwartungsgemäß kein Blatt vor den Mund genommen.

„Köln hat große Probleme“, sagt er mir in seinem Zuhause in Köln-Hohenlind. Schlechtes Management, ineffiziente Verwaltung, fehlender Mut. Dinge, die eine Stadt ausbremsen. Oberbürgermeister kamen und gingen – Schramma, Roters, Reker – doch an den Grundproblemen hat sich kaum etwas geändert, stellt er fest. Sie alle bekamen regelmäßig Post von ihm ins Rathaus. „Ein Bürger muss sich wehren können. Er muss sagen: Das passt mir nicht! Und er muss den Mut haben, das aufzuschreiben und öffentlich zu sagen“. Dieses Selbstverständnis als mündiger Bürger sieht er heute schwinden. „Viele sind zu bequem oder fürchten sich davor, anzuecken. Doch eine Stadt lebt von denen, die ehrenamtlich Verantwortung übernehmen.“

Verantwortung? Die trägt Konrad Adenauer im Übermaß – nicht selten zum Leidwesen seiner  Familie. Ob Kulturprojekte, Denkmalschutz aber auch viele soziale Initiativen – wenn es ums Helfen und um den Erhalt von Geschichte geht, war und  ist der ehemalige Notar und Jurist zur Stelle. 2015 übernahm er den Vorsitz der Stiftung Stadtgedächtnis in Köln, die Geld für die Rettung der beim Archiveinsturz 2009 zerstörten Dokumente sammelt. Seitdem hat er die Stiftung auf Kurs gebracht, Kosten gesenkt und eine wegweisende Entscheidung getroffen: Aus der Ewigkeitsstiftung wurde eine Verbrauchsstiftung. Das Geld wird gezielt für die Restaurierung ausgegeben – 2042 ist Schluss.

Als ich ihn fragte, welche Projekte ihm besonders am Herzen liegen, nennt er auch das jüdische Museum MiQua. „Viele Kölner wissen nicht, dass es sich um ein historisches jüdisches Viertel handelt“, sagt er. „Diese Stadt vergisst manchmal, was wirklich wichtig ist.“

Dazu führt er auch die Umbenennung des Kleinen Offenbach-Platzes in den Dirk-Bach-Platz an. „Das ist der falsche Ort für eine solche Ehrung“, kritisiert Adenauer. Köln hatte herausragende Künstler mit internationalem Ruf wie den Schauspieler Kaspar Brüdinghaus oder Schauspielerin Gisela Holzinger, zählt er auf. An die Oper gehöre Hochkultur, so seine feste Überzeugung. Dirk Bach sei – wie Trude Herr – mehr in der Severinsvolksseele verankert. Diese Namen hätten ihren Platz im Veedel, nicht an der Oper. Sein Vorschlag? Die Bildung eines Ehrenrates, der über Platz- und Straßennamen sowie Ehrenbürgerschaften entscheidet. „Es darf nicht nur um Geschlecht oder Zeitgeist gehen. Entscheidend ist der tatsächliche Verdienst um die Stadt.“

Was ihn besonders an Köln ärgert, wollte ich wissen. „Die Stadt verliert ihren Charakter. Statt Mut zu zeigen, verstrickt sich die Politik in endlose Diskussionen. Wer Köln liebt, muss auch den Mut haben, die Dinge beim Namen zu nennen.“ Sein Großvater wollte einst den Hauptbahnhof nach Deutz verlegen. Heute, Jahrzehnte später, sind es Architekten wie Paul Böhm, die ähnliche Visionen weiterdenken. Doch was passiert stattdessen? „Nichts. Die Verantwortlichen haben keine Fantasie. Alles in Köln bleibt Stückwerk.“

Wer Konrad Adenauer kennt, weiß, einmal in Fahrt, ist er kaum zu bremsen. „Früher wurde in der Stadtverwaltung mit weniger Leuten mehr gearbeitet. Heute gibt es zu viele Mitarbeiter – und trotzdem dauert alles ewig.“ Köln sei zu langsam, zu zögerlich, zu bequem. Dabei brauche die Stadt keinen behäbigen Verwaltungsapparat, sondern einen mit Biss. „Die Bürger wollen eine starke Stadt – keine, die kraftlos vor sich hin dümpelt!“ Köln sei aber gelähmt von politischen Diskussionen und Prozessdenken. „Mein Großvater als Oberbürgermeister wusste, dass schnelle Entscheidungen den Unterschied machen. Heute wird alles aufgeschoben und verwaltet, anstatt mutig gestaltet.“

Er warnt in diesem Zusammenhang vor einem „Bazillus Coloniensis“ – einen Begriff, den Adenauer im Gespräch prägt. „Klingt gefährlich und hoch ansteckend“, meinte ich. „Ist es auch“, erwidert er schmunzelnd, um dann sofort ernsthaft fortzufahren: Führungskräfte kommen voller Elan nach Köln – und verfallen schnell in eine Art Lethargie, stellt er fest. Nach dem Motto: Reg dich nicht auf, es geht alles seinen gewohnten langsamen Gang. Doch das Problem sitzt seiner Meinung nach tiefer – und reicht bis in die Politik. Der Rat kümmere sich um jedes einzelne Detail, wie etwa Bürgersteige, anstatt die großen Linien vorzugeben. Das lähme die Stadt. Adenauer räumt jedoch ein, dass viele Ratsmitglieder sich ehrenamtlich engagieren, oft neben ihrem eigentlichen Beruf. Doch genau darin sieht er auch eine Schwäche des Systems. „Wer tagsüber sein Geld verdient und abends Politik macht, hat weder die Zeit noch die Kraft, langfristige Strategien für eine Metropole wie Köln zu entwickeln.“ Statt visionärer Stadtplanung dominieren kleinteilige Debatten, und am Ende werde oft gar nichts entschieden.

Wenn dann doch einmal eine Entscheidung fällt, ist es in seinen Augen ausgerechnet eine, die den Bürgern schadet. Als Beispiel führt er die Pläne des 1. FC Köln heran, mitten im Grüngürtel zu expandieren. „Köln gehört nicht dem FC! Sondern der FC gehört zu Köln“, sagt Adenauer. Doch der Verein, der für viele die kölsche Seele verkörpert, beansprucht für sich, was nicht ihm gehört: Naturraum, der für die ganze Stadt von Bedeutung sei. „Jetzt wird der Grüngürtel, den mein Großvater hat anlegen lassen, mit einem Betonklotz verbaut. Der FC kann überall trainieren – aber nicht auf Kosten des Grüngürtels.

Für Adenauer ein weiteres Zeichen dafür, dass Köln an der falschen Stelle Prioritäten setzt. Wer bestimmt, was wirklich wichtig ist für unsere Stadt? Adenauer ist überzeugt, dass Köln eine Führungspersönlichkeit braucht, die mehr macht als nur zu moderieren. „Ein OB muss nicht nur verwalten, sondern umsetzen. Und da kommt es auf das WIE an. Es reicht nicht, nur auf Karneval und Kölsch zu setzen. Köln braucht mehr Ratio und weniger Gefühl.“

Solche Worte mögen manchen unbequem erscheinen, doch das ist genau der Punkt: Köln braucht Klarheit, Entschlossenheit – und Menschen, die Missstände nicht nur erkennen, sondern auch benennen. Doch solche Mahner werden seltener. Es fehlen Menschen, die laut und klar sagen: Das reicht uns nicht! Ja, die Adenauers haben Ecken und Kanten. Kritiker werfen Konrad vor, er sei zu direkt und manchmal über das Ziel hinausgeschossen. Vielleicht. Aber ohne solche Stimmen bleibt vieles still.

Ältere Kölner wie er sehen ihre Stadt aus einer historischen Perspektive – einer, die zeigt, wie viel möglich war, wenn Entschlossenheit und Wille aufeinandertrafen. Die junge Generation hingegen tickt anders. Sie ist oft wilder, kompromisslos in ihren politischen Überzeugungen, aber auch eindimensional, wenn es um pragmatische Lösungen geht. Sie fordert Veränderung, aber nicht immer mit Blick auf das, was Köln ausmacht:  auf seine Identität, seine Geschichte und das, was Bestand haben sollte.

Die einen mahnen, weil sie sich sorgen. Die anderen protestieren, weil sie etwas bewegen wollen. Beides kann richtig sein. Konrad Adenauer will immer noch mit 80 Jahren das Beste für seine Stadt. So wie alle Kölner mit Verstand, Herz und Liebe zu ihrer Heimat. In seiner Familie ist das nie eine Frage des Wollens – es ist Pflicht. Vielleicht sollten sich die Generationen genau darin treffen: in der Verantwortung für Köln.

Mit besten Grüßen

Ihre Claudia Hessel

NEWSLETTER 31.01.2025

Über Metzger-Theken, Zynismus im Wahlkampf und Mut in der Sozialpolitik

  

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

 

das wichtigste Gesetz jedes Wahlkampfs lautet: Versprechen und halten sind zweierlei. Doch das könnte auch mal schief gehen. Zum Beispiel beim Versprechen, unser ausgebauter Sozialstaat hätte eine Ewigkeits-Garantie. Rente, Pflege, Gesundheitskosten und andere Errungenschaften seien ungefährdet, man könne vielleicht sogar noch eine Schippe drauflegen. Höheres Bürgergeld, zusätzliche Pflegeleistungen, höhere Mütterrente – es geht zu wie an der Metzgerei-Theke nach dem Motto: Darf’s ein bisschen mehr sein?

Dabei sind die Kassen längst leer, obwohl ein Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung jetzt schon in die Finanzierung des Sozialstaats geht und fast die Hälfte des Bundeshaushalts für Sozialausgaben aufgewandt wird. Doch düstere Wachstumsprognosen und der demografische Wandel, jahrzehntelang ignoriert, geben den Wahlversprechen einen geradezu zynischen Anstrich. Sie sind schlicht nicht finanzierbar. Es wird, anders als die SPD plakatiert, kein „Mehr für Dich“ geben. Die Zukunft heißt „Weniger für alle“.

Zum Beispiel Köln: In den nächsten 15 Jahren werden ca. 4.500 Plätze für die stationäre Pflege fehlen – eine Folge des galoppierenden demografischen Wandels, bei dem die Zahl pflegebedürftiger älterer Menschen gewaltig ansteigen wird. Um die benötigten Plätze  zu schaffen, müssten allein umgerechnet 56 neue Pflegeheime gebaut werden, und zwar zusätzlich. Gleichzeitig fehlt es jetzt schon an Pflegepersonal. Denn pro Haus werden etwa 100 Pflegekräfte benötigt. Das alles wird sich mit den vorhandenen Mitteln nicht bewerkstelligen lassen. Nein, sagt auch Prof. Uwe Ufer und er muss es wissen. Er ist seit zwölf Jahren kaufmännischer Vorstand der Diakonie Michaelshoven, einem mit mehr als 3.000 hauptamtlich Beschäftigten größten Sozialunternehmen des Landes.

Ufer fordert nicht weniger als ein radikales Umdenken in der Sozialpolitik. Zu sehr schauten die politischen Parteien ausschließlich auf den Einsatz von Mitteln, nicht aber auf das Ergebnis. Als Beispiel nennt er die Pläne für die Kindergrundsicherung. „Da ist die Politik schon zufrieden, wenn sie Geld bereitstellt und eine neue Behörde schafft“, kritisiert er. Ob das dann auch dem Ziel dient, Kindern zu helfen und zu befähigen, ein selbstverantwortetes Leben zu führen, geriete aus dem Fokus. „Sozialpolitik muss sich an der Wirkung messen lassen, nicht am Einsatz immer höherer Etats. Es kommt ausschließlich auf die Wirkung an, nicht auf die Zahl der Finanzierungstöpfe.“ Politikerinnen und Politiker führten jedoch geradezu einen Überbietungswettbewerb im Bemühen, immer neue Leistungen zu beschließen.

Was auf der Strecke bleibe, sei das Bemühen, bedürftige Menschen zu aktivieren. Selbstverständlich müsse man Menschen in Not helfen. Aber das sollte Hilfe zur Selbsthilfe sein und nicht dauerhafte Abhängigkeit von der Unterstützung durch den Staat.  „Ziel der Hilfe muss sein, dass ich keine Hilfe mehr brauche. Wir sind schließlich selbst für unser Leben verantwortlich. Nicht der Staat.“ Doch es habe sich eine Mentalität breit gemacht, die von Anspruchsdenken geprägt sei, wobei auch nicht mehr gesehen werde, dass „erst mal das Geld erwirtschaftet werden muss, bevor ich es ausgeben kann.“

Die Diakonie Michaelshoven versucht Ufer, auf die absehbar sich verändernde Wirklichkeit vorzubereiten: „Wir müssen lernen, mit weniger Menschen mehr Hilfe zu leisten. Das ist reine Mathematik“. Auch sei es zunehmend ein Problem, junge Menschen für einen Beruf in der Pflege zu rekrutieren. Ein Sozialberuf passt eben nicht zu einem Zeitgeist, der der Work-life-Balance einen zentralen Wert zumisst. Viele gut ausgebildete junge Menschen strebten keinen Vollzeit-Beruf mehr an, weil Freizeit eine zu verlockende Größe sei.

Deshalb brauche es einen kompletten Systemwechsel. Zuwanderung und Digitalisierung alleine könnten nicht helfen, auch die Robotik sei nicht der Zauberschlüssel. Die Regulierung zum Beispiel sei längst überkomplex, „jeder Handgriff ist vorgeschrieben, alles bürokratisiert“, klagt der Sozialunternehmer. Hier müsse ein radikales Umdenken für Besserung sorgen. Wie in Spanien sollte Familien die Möglichkeit gegeben werden, in den Einrichtungen ihre Angehörigen zu pflegen – bislang ein Tabu in Deutschland. Die bürokratischen Hürden bis hin zum Bau von Einrichtungen müsste dringend entschlackt werden.

Mit dieser Haltung macht sich der Chef der Diakonie weder bei den Sozialverbänden noch in großen Teilen der Politik Freunde. „Ich muss auch nicht der Beliebteste sein“, sagt Ufer. Er will etwas bewegen, ein durch Fehlentwicklungen scheiterndes System reformieren. Man kann, nein, man muss ihm nur Glück wünschen. Denn das Land hat gerade viele teure Baustellen: Eine marode Infrastruktur, steigende Verteidigungslasten, Probleme bei der Integration, gravierende Mängel in der Bildungspolitik und so weiter und so fort. Vor allem scheint es aber einen Mangel an Ehrlichkeit in der Politik zu geben – vor allem im Wahlkampf.

Und da wir gerade bei Baustellen sind: Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in einer Krise. Seine Notwendigkeit wird seriös zwar nicht bestritten, aber auch er braucht dringend Reformen. Darüber sprechen wir am 19. Februar im Kölner Presseclub mit Dr. Katrin Vernau, die seit Anfang des Jahres Intendantin des WDR ist, der größten Rundfunkanstalt Kontinental-Europas (ab 19.30 Uhr im Hotel Excelsior Ernst). Sie will den WDR in turbulenten Zeiten zukunftsfest machen – was sie vorhat, wie sie es umsetzen will und was das für das Publikum bedeutet, werden Sie am 19. Februar erfahren. Lassen wir uns überraschen.

 

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

NEWSLETTER 24.01.2025

Die Stadt will dort sparen, wo es nur zusätzlich teuer werden kann. Viele Ehrenamtler wissen nicht weiter.

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

selten habe ich in meinem Umfeld so viel Entrüstung über Pläne aus der Kommunalpolitik erlebt wie in den vergangenen Wochen. Die Stadtverwaltung um Oberbürgermeisterin Reker hat einen Haushaltsplan veröffentlicht, der starke Kürzungen vorsieht – und das in einem Bereich, der zur ehemaligen Beigeordneten für Soziales und Integration überhaupt nicht passt. Es betrifft einen Bereich, der in vielerlei Hinsicht schon Aufgaben des Staates übernimmt, die der Staat aber selbst gar nicht bewältigen könnte: den Sport.

Viele politische Themen sind wichtig, aber erreichen selten ihre Zielgruppe oder die nötige Aufmerksamkeit. Der Besuch der ehemaligen Oberstaatsanwältin Brorhilker, die den Cum-ex-Skandal aufgearbeitet hat, bestätigte im November im Gespräch mit dem Presseclub, wie mühsam es sein kann, selbst bei großen Skandalen der Bevölkerung zu erklären, in welchem Umfang sie betroffen ist und sich auch empören sollte. Die Kölner Stadtverwaltung hat es jedenfalls geschafft, die Vereinsleute auf den Baum zu bringen. Es geht um 20 Millionen Euro, die bislang für Sportförderung im Haushalt einplant waren. Sie sollen wegfallen.

Ausgerechnet im Sport also. Die Lage ist schon jetzt nicht gut. In den vergangenen Tagen haben zahlreiche Medien darüber berichtet, wie viele Sportstätten aussehen: kaputt, dreckig oder verwahrlost. Renovierungen wurden manchmal schon zusagt, aber seit Jahren nicht umgesetzt. Die Streichung der Förderung sollte also nicht darüber hinwegtäuschen, dass die gesamte Lage schon vorher prekär war. Die Vereinsvertreter, mit denen ich gesprochen habe, konnten sich kaum zurückhalten. Die Emotionen hatten freien Lauf. Die Argumente liegen für sie auch der Hand. Die meisten Antworten auf meine Fragen bringen Enttäuschung, Wut und Verzweiflung mit sich. Es geht auch um Wertschätzung und die Frage, ob Politik und Verwaltung noch ein Gefühl dafür hat, was sie da entscheidet.

Emotionen haben immer einen Grund. Deshalb habe ich mal geschaut, was denn die Versprechen und Pläne der Politik sind – unabhängig vom aktuellen Kölner Haushaltsentwurf für 2025 und 2026. So hält die Bundeszentrale für politische Bildung fest: „Sportvereinen wird großes Potenzial für die soziale Integration zugeschrieben.“ Das Bundesministerium für Inneres und Heimat teilt mit: „Gemeinsame sportliche Aktivitäten fördern die Begegnung von Menschen ganz unterschiedlicher sozialer und kultureller Herkunft, sie schaffen Verständigung und gegenseitige Toleranz, wodurch Vorurteile abgebaut werden.“ Und das Ärzteblatt stellt fest: „Bewegungsmangel kommt die Gesellschaft teuer zu stehen. Es zeigt sich: Unzureichend aktive Menschen hatten 188 Euro höhere durchschnittliche jährliche Gesundheitskosten.

Die Suche nach den politischen Zielen zeigt: ohne Sport sind Integration, Zusammenhalt und Gesundheit ziemlich schwer zu leisten – und vor allem: sie werden sehr teuer. Bliebe das Engagement der vielen Ehrenamtlichen aus, so stünde der Staat erst recht vor einem gehörigen Kostenproblem. Nun kommt also die Stadt Köln auf die Idee, die Sportförderung stark kürzen zu wollen. 20 Millionen bei einem Haushalt in Höhe von mehr als sechs Milliarden. Dabei sollte nicht außer Acht bleiben: Die Argumente der Stadt sind ebenso konsequent wie verzweifelt. Köln steckt in einer Finanzkrise. Während in der Zeit der Corona-Pandemie noch ein Überschuss verbucht wurde, so kippte die Lage 2023. Die jährlichen Defizite belaufen sich mittlerweile auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Das wird sich laut Prognosen auch bis 2029 nicht ändern. Das Plädoyer der Verantwortlichen dürfte deshalb lauten: Es wäre fahrlässig, bliebe alles wie es ist. Es muss gespart werden.

Und so ist es besonders tragisch, dass die Spielstätten bei vielen Vereinen nicht repariert oder gewartet wurden als die Lage noch gut war. In Gesprächen mit Vereinsvertretern kommt dann auch immer ein Satz: „Das Geld ist für andere Dinge doch da!“ Diese „anderen Dinge“ werden gerne als „Hochkultur“ bezeichnet. Die Oper ist zum Symbol eines Kölner Offenbarungseides geworden. Die U-Bahn auch und die Debatte über einen weiteren Tunnel in der Innenstadt (die Ost-West-Achse) können diese Vereinsleute schon gar nicht mehr ernst nehmen. Die Stadt hat es versäumt Prioritäten zu setzen und ist, so zumindest das Gefühl, nicht zum Umdenken bereit.

Die Oberbürgermeisterin wurde übrigens von Pressekollegen zu einer Stellungnahme angefragt. Geantwortet hat ihr Sprecher. Auch das mutet merkwürdig an. Köln feiert sich gerne für sein Gefühl und den Zusammenhalt. Ein Unikum in Deutschland. Die Stadt droht das jetzt zu verspielen. So wie die Stadtverwaltung hier reagiert, halte ich es für gefährlich. Mir ist bewusst, das verschiedene Ratsfraktionen bereits dabei sind, ihr Bestes für eine Lösung zu geben. Möge die öffentliche Debatte und die anstehende Kommunalwahl auch eine Motivation sein, die Vereine nicht allein zu lassen.

Allen Ehrenamtlichen in den Vereinen danke ich für Ihr Engagement für unsere Stadt und sende an alle herzliche Grüße

Ihr

David Rühl

NEWSLETTER 17.01.2025

Was ein Pistazienfeld in Sizilien mit der Chemischen Fabrik in Kalk verbindet und wie eine Familie Kölner Industriegeschichte spiegelt   

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

das Foto von den endgültig geschlossenen Werkstoren der Chemischen Fabrik in Köln-Kalk (CFK) hat Salvatore Saporito schnell zur Hand, obwohl es mehr als 30 Jahre alt ist. Es zeigt ihn als schlaksigen 19-jährigen neben seinem Vater Giuseppe, damals 47, an einem Wendepunkt nicht allein im Leben von Vater und Sohn. „Die Chemische ist dicht!“, steht unter dem Bild auf einer Zeitungsseite. Der größte im Viertel verbliebene industrielle Arbeitgeber stellte seinen Betrieb ein. Und in Kalk ging die Angst vor der Zukunft um.

1969 verließ Vater Giuseppe seine Pistazienfelder im Örtchen Bronte am Fuß des Vulkans Ätna. Die Situation muss ähnlich wie ein Vierteljahrhundert später in Köln gewesen sein. Ernähren die Pistazien mich und eine Familie? wird der junge Mann sich gefragt haben. Die Antwort führte ihn die Fremde. Wie hunderte anderer Gastarbeiter auch, verdiente er dann bei der „Chemischen“ in Köln-Kalk sein Geld.

Am 18. September 1970 – das Datum ist Familiengeschichte – lernte er Rosemarie kennen, eine junge Frau aus Köln. Am 1. August 1973 heiratete das Paar. Der Ehemann wurde jedoch erst zum akzeptierten Schwiegersohn, nachdem sein Sohn Salvatore im April 1975 zur Welt kam und als Enkel das Herz des Schwiegervaters erweichte. Die junge Familie war nach Kalk gezogen, der Verdienst des Chemiefacharbeiters gut. Doch nach der Werksschließung stellte sich erneut die Frage: Wovon leben? Immerhin hatte Mutter Rosemarie Arbeit in einer Bäckerei.

Warum schreibe ich über etwas, das mehr als 30 Jahre zurückliegt? Weil wir heute wieder vor auffallenden Veränderungen stehen, weil sich große Strukturen verschieben. Daher fiel mir die Familie Saporito ein, die Industriegeschichte spiegelt, denn die „Chemische“ markiert den letzten augenfälligen Wandel in Köln, den Abschied von einer Kultur, in der Arbeiter in Fabriken arbeiteten, deren Grundzüge an die hundert Jahre alt waren. Sie lebten in der Nähe dieser freundlich „historisch“ genannten Hallen.

Unternehmen wie die Motorenwerke Deutz zogen weg, die CFK gab auf und andere Alteingesessene wurden von größeren Firmen übernommen und verschwanden. Das urtümlich anmutende Industriegebiet, durch das ich in den frühen 70er Jahren als Student mit der S-Bahn fuhr, verschwand zusehends.

Apropos Student: Sohn Salvatore arbeitete ebenfalls in der Chemischen. Ihm war die Nachtschicht am liebsten. So konnte er vormittags nach getaner Arbeit seine Vorlesungen an der Uni Köln besuchen, wo er Betriebswirtschaft studierte und später sein Diplom machte. Heute ist er europaweit als Vertriebsleiter für IT- und Cyber-Sicherheit tätig.

Doch trotz der eigenen Perspektive war das Aus auch für den Sohn ein Schock, erinnert er sich. Kalk war wie gelähmt, der Arbeitgeber Geschichte, der Vater arbeitslos. Wie der Rest der Belegschaft auch. Was sollte werden? Stirbt nun die Kalker Hauptstraße oder die Identität des eigenen Viertels, das wegen der italienischen Arbeitskräfte „Klein-Palermo“ genannt wurde? Neben den existentiellen Sorgen standen solche Fragen im Raum.

Wie Wandel heute aussieht? Am Beispiel Ford lässt sich das aufzeigen. Der Autobauer, der 1930 nach Köln kam, hatte in seinen Blütejahren fast 20.000 Beschäftigte. Nun reagiert er auf das von der Europäischen Union (EU) für 2025 verfügte Aus für Verbrenner-Motoren und will am Rhein nur noch Elektro-Autos produzieren. Dafür benötigt Ford weniger Fläche und weniger Mitarbeiter, denn Elektroautos sind einfacher konstruiert als Verbrenner und dadurch weniger personalintensiv.

Laut Betriebsrat hat Ford heute nur noch 11.500 Mitarbeiter und will perspektivisch weitere 2.900 Stellen abbauen. Das heißt: Viele tausend Menschen leben in Unruhe. Und wenn es schlecht kommt, zieht der Autobauer sich ganz aus Europa zurück. Aktuell flirten Politiker mit dem Aus vom Verbrenner-Aus und legen damit Unsicherheit über die Pläne von Ford. Die Firma hat den Plänen der Politik vertraut und ganz auf Elektroantrieb gesetzt.  

Ford wieder im Kleinen: Als die „Chemische“ schloss, fuhr Student Salvatore einen gebrauchten Ford Fiesta. Er war fest im Viertel verwurzelt – „Langweilig wird es in Kalk nicht“ – und bereits im zarten Alter von acht Jahren Mitglied des Fußballvereins SC Borussia Kalk. „Da lernte ich fürs Leben“, erinnert er sich: im Team spielen, Konflikte lösen, auf andere zugehen. Heute ist er mit Herzblut 1. Vorsitzender des Vereins und zitiert gerne, was sein Vater ihm an Erfahrung für die Jugendarbeit mitgegeben hat. Zum Beispiel: Nie ein Kind fortschicken, auch wenn es sich auf den Platz gemogelt hat. Vater Giuseppe Saporito fand übrigens eine neue Arbeitsstelle bei Lindgens Druckfarben und blieb dort bis zur Rente.

Kalk ist heute ein neuer Stadtteil geworden mit dem Einkaufszentrum Kalk-Arcaden, dem Wissenschaftszentrum der technischen Hochschule (TH), Kölner Polizeipräsidium, ADAC, Malteser Zentrale und vielen neuen Wohnblöcken. So weit hat es geklappt mit dem Wandel. Es sind keine Brachen geblieben.

Und die Pistazienfelder am Ätna? Regelmäßig ist die ganze Familie zur Ernte auf Sizilien. Pistazien sind wie Mandeln und Pfirsiche Steinfrüchte, allerdings mit essbaren Kernen, die überaus schmackhaft und sehr gesund sind. Als Superfood taugen sie für Snacks ebenso wie für herzhafte Gerichte und passen sich dem Verwendungszweck an. Welche Konstante gibt es im Leben der Großfamilie? „Es gibt nicht viele, die ein Pistazienfeld am Ätna haben,“ lacht Salvatore Saporito, dem ich für seine Offenheit danke, mit der er über sich und seine Familie erzählt hat.

Es ist ein Leben zwischen den Pistazienfeldern Siziliens und dem deutschesten aller Flüsse, dem Rhein, eine der vielen Geschichten von Wandel, Anpassung und Zukunftsgestaltung. In ihrer Gesamtheit zeichnen sie ein großes Bild und vielleicht zeigen sie auch Parallelen auf zu gesellschaftlichen Entwicklungen. Doch auch der Einzelfall ist berührend. Daher habe ich Ihnen zum Wochenende davon erzählt.

Herzliche Grüße

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 10.01.2025

Warum Respekt ein zentraler Wert für Köln ist und welche Rolle die Kunst dabei spielt

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

diesmal überraschten mich viele der Neujahrswünsche. Oft enthielten sie Botschaften, die sich auf Werte, Normen oder Haltungen bezogen. Da war von Vertrauen, Geduld und Verständnis die Rede und weniger von konkreten Aufgaben und Plänen, die es anzupacken gilt. Als müssten wir uns vergewissern, mit welcher Einstellung wir dem Leben im Großen und Ganzen begegnen. Diese Aspekte sind Grundlage unseres Zusammenlebens, bilden den Charakter einer Gesellschaft oder formen ihn gar. Aber meist sind sie wie ein Computerprogramm, das im Hintergrund läuft und lautlos den Alltagsbetrieb sichert.

Was war mir besonders aufgefallen? Hans Mörtter, früherer Pfarrer und heute Kandidat für das Amt des Kölner Oberbürgermeisters, nennt „Wertschätzung“ das zentrale Moment seines Wahlkampfes. Davon leitet er weitere Schritte ab. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beschwor in seiner Neujahrsansprache eine humanistische Grundausstattung, indem er Gemeinsinn und Tatkraft, Ideenreichtum und Fleiß, Mut und Ehrgeiz sowie Vertrauen in uns selbst hervorhob.

Das geschah einerseits als Reaktion auf den Anschlag von Magdeburg, der sechs  Menschenleben forderte. Steinmeier wandte sich aber auch an eine von Multi-Krisen verunsicherte Gesellschaft, in der der Ton „rau“ und, so der Präsident weiter, „zuweilen sogar unversöhnlich“ geworden sei. Nicht einmal mehr die Weihnachtsmärkte als Hort der Innigkeit seien sicher, sagte auch Tiefenpsychologe Jens Lönneker, Geschäftsführer des Kölner „rheingold salon“. Als Leser kennen Sie ihn von unseren Veranstaltungen.

Was Steinmeier als Stimmung beschreibt, haben Lönneker und sein Team in einer Studie über die Akzeptanz von Medien untersucht. Einer der alarmierenden Aspekte: Rund 16 Millionen Deutsche stehen unserer Gesellschaft und deren Medien ablehnend gegenüber, haben das Gefühl, sich außerhalb des Systems zu befinden. In seiner Neujahrsmail kündigt Jens Lönneker ein Projekt „Zuversicht“ an. Mit der deutschen Presse-Agentur (dpa) und Fachverbänden wolle man ergründen, wie das Vertrauen in Gesellschaft und Medien bestärkt oder wiederhergestellt werden kann.

Um das zu schaffen, müssen Begriffe wie Toleranz und Freiheit, Mut und Gerechtigkeit oder Verständnis und Geduld wieder mit Inhalt gefüllt werden. Diese Referenzwerte markieren die Stabilität einer Gesellschaft. Sind sie abwesend oder werden missachtet, spalten sich Gemeinschaften. Zumindest wie ein Brandbeschleuniger, vielleicht aber auch als Ursache wirken dabei die sozialen Medien. Hier geht es häufig um möglichst viel Zuspruch für die eigene Position. Der Respekt für die andere Haltung droht abhandenzukommen.

Überhaupt der Respekt. Ich verstehe ihn als universalen Wert. Er ist eine Korsettstange im Miteinander und an der Kasse im Supermarkt ebenso notwendig wie auf internationalen Konferenzen, in der Familie, im Beruf, im Umgang mit Behören oder auf Reisen. Fehlt es an Respekt, nimmt man ein Gegenüber nicht wahr.

In Köln fiel mir das auf, als ich mich mit dem Kunstwerk „Standortmitte“ von Lutz Fritsch beschäftigte. Es umfasst zwei rot lackierte Stelen auf den Verteilerkreisen in Köln und Bonn. Sie markieren Deutschlands älteste Autobahn, eingeweiht 1932 von Konrad Adenauer. Fritsch hat das Kunstobjekt entworfen, die Finanzierung gesichert und es 2008 errichten lassen. Die Gegenleistung der Städte besteht darin, dem Künstler vertraglich sein Urheberrecht zugesichert zu haben und – salopp gesagt – die Kunst nicht anzutasten.

Bereits das gelang in Köln nicht. Die Stadt will die künftige StadtBahn Süd unmittelbar neben der Stele vorbeiführen und sie damit ihrer Wirkung berauben. Eigentlich hätte sie die Bahnlinie um den Verteilerkreis herum legen, damit das Kunstwerk umgehen und gleichzeitig eine elegante Lösung finden können. Doch hat sie, wie es scheint, drauflos geplant und die künftig vorhandene Bahnlinie einfach mit dickem Strich verlängert.

Der Künstler wehrt sich, die Stadt fährt schweres Geschütz gegen ihn auf. Die „Standortmitte“ stehe nationalen und internationalen Klimaschutzzielen im Weg, argumentiert sie in einem Gutachten, das die eigene Planungsblindheit und damit die Ursache des Konflikts außeracht lässt: Die Verwaltung hat die Kunst schlicht übersehen. Selbstbezogen ist auch der Einwurf, eine Umplanung sei zu teuer. Er erinnert an einen Verkehrssünder, der sein Motorrad zu schnell gemacht hat und sich weigert, es zurückzubauen – weil er bereits zu viel investiert hat. So gebiert eigenes Unvermögen einen Sachzwang und Fehler schreiben sich fort, weil man sich ihnen beugt.

Respektlosigkeit mündet hier in blanke Machtausübung dem Schwächeren gegenüber, dessen Recht nur mit so hohem Kostenrisiko einklagbar ist, dass es ihn ruinieren würde. Kunst ist ein Indikator wie der Kanarienvogel im Bergbau früherer Tage. Hörte der auf zu singen oder fiel er gar von der Stange, drohte Gefahr. Erst dem Vogel, dann auch den Menschen. Jeder, der einen Vertrag mit der Stadt hat, sollte den Fall genau studieren. Er könnte das nächste Opfer sein. Die Stadt nämlich trägt kein Kostenrisiko. Es ist unser Geld, das sie verliert.

Fritsch weiß viele Mitstreiter an seiner Seite. „Die Standortmitte gehört allen Bürgern Kölns und wir werden uns um die Sicherung kümmern,“ sagt Bruno Wenn, Vorsitzender des Kölner Kulturrats, von einer Respektlosigkeit sondergleichen spricht der Historiker Ulrich S. Soénius. Sie sind Teil einer Kulturinitiative (www.respekt-koeln.de), deren Signum die rot lackierte Stele ist. Aufkleber und Postkarten, die die Initiative fertigen ließ, stehen für das, woran diese Stadt generell krankt: fehlende Führung, fragmentarische, an den Augenblick geknüpfte Politik, Konzeptionslosigkeit, die im Ergebnis zu Beliebigkeit führt, von Plan oder Vision nicht zu reden. Allein der Sachzwang regiert.

Wünschen wir uns und dieser Stadt, an der wir alle hängen, mehr Respekt. Für dieses neue Jahr und am liebsten für allezeit.

Herzlich grüßt

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 20.12.2024

Über unterschätzte Erfolge, einen Hauch von Hollywood und unerwarteten Bedeutungsgewinn

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

wenn es in Köln einen Mangel nicht gibt, dann den an schlechten Nachrichten. Da gehen die guten manchmal etwas unter, aber die gibt es eben auch: Der Umzug der Film- und Medienstiftung NRW ins Deichmannhaus zwischen Dom und Hauptbahnhof – mehr Zentrum geht wirklich nicht – bedeutet für die Stadt und ihren zuletzt etwas blass gewordenen Ruf als Medienstandort einen enormen Bedeutungs- und Imagegewinn, den man nur schwer überschätzen kann. Wirtschaftlich lagen die Effekte, die die Stiftung mit ihren Projekten in Nordrhein-Westfalen auslöst, bei rund 430 Millionen Euro. Damit ist Köln auf der internationalen Landkarte für Produzentinnen und Produzenten von Hollywood bis Lünen eine wichtige Adresse.

Glaubt man dem umtriebigen Düsseldorfer Medienminister Nathanael Liminski, ist das nicht zuletzt dem noch neuen Chef der Filmstiftung zu verdanken. Walid Nakschbandi habe „Dampf gemacht“, so Liminski, um die Fördereinrichtung nach Köln zu bringen, wo mit dem WDR und RTL auch zwei der Gesellschafter sitzen (die anderen sind das Land und das ZDF). Nakschbandi, privatwirtschaftlich sozialisiert, vielfach ausgezeichneter Filmproduzent (u.a. „Das Tagebuch der Anne Frank“) und zuletzt hochrangiger Medienmanager im Holtzbrinck-Konzern, haben Liminski und die anderen Träger der Stiftung die nötige Dynamik zugetraut, die sich rasch verändernde Medienbranche kraftvoll mitzugestalten.

Die NRW Filmstiftung, eine der größten ihrer Art in Europa, hat in der Vergangenheit nicht nur zahlreiche Oscar-nominierte Kinofilme ermöglicht oder gefeierte Serien wie „Babylon Berlin“. Für den Bereich relevanter Dokumentarfilme ist ihre Unterstützung überlebenswichtig und zunehmend spielt auch das Gaming eine Rolle in der Förderpolitik. Mit dem ebenfalls in Köln stattfindenden Branchentreff Gamescom entwickelt sich Köln zu einem internationalen Hotspot für diesen rasch wachsenden Markt. Die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung der Stiftungsarbeit hat ganz offensichtlich auch Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker erkannt und war, glaubt man Walid Nakschbandi, „extrem hilfreich und unterstützend“ beim Umzug der Filmstiftung vom Düsseldorfer Medienhafen an den Dom. Für internationale Star-Regisseure wie Michael Haneke, Wim Wenders oder Tom Tykwer ist künftig Köln wieder eine Reise wert, ebenso wie für die großen und kleinen Produzenten. Nicht nur für die zuletzt eher trübe Stimmung in der Stadt, die manchmal ins Misslingen verliebt zu sein schien, ein positives Signal.

Mit diesen guten Aussichten verabschiedet sich auch der Kölner Presseclub in die Weihnachtspause. Unsere vielen Veranstaltungen und die wöchentlichen Newsletter haben Ihnen hoffentlich gefallen, Sie informiert, manchmal auch amüsiert und nie gelangweilt. Wir freuen uns schon darauf, unsere ehrenamtliche Arbeit für Sie, die Stadtgesellschaft, fortsetzen zu können. Dass das möglich ist verdanken wir unseren Mitgliedern, aber auch unseren großzügigen Sponsoren JTI und Brost-Stiftung, denen wir auf diesem Weg herzlich danken.

Nach den Feiertagen starten wir gleich mit einer Veranstaltung, die sicher Ihr Interesse findet. Am Donnerstag, dem 9. Januar, ist Gesundheitsminister Karl Lauterbach zu Gast im Kölner Presseclub (Anmeldung unter info@koelner-presseclub.de), Beginn ist 19.30 Uhr und der Veranstaltungsort das Hotel Excelsior Ernst. Im Zentrum des Gesprächs stehen die Gesundheitspolitik und die zunehmend drängendere Frage nach ihrer Bezahlbarkeit. Das sollten Sie sich nicht entgehen lassen. Bis dahin wünschen wir Ihnen ein paar unbeschwerte Festtage und einen guten Rutsch in ein gesundes, friedliches Jahr 2025.

 

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

NEWSLETTER 6.12.2024

Kulturkürzungen in Köln: Frisst die Opern-Baustelle unsere Kultur?

 

 

Liebe Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

bringen Sie mal auf einer der vielen Weihnachtsfeiern das Wort „Oper“ ins Spiel und erleben Sie, was passiert: tiefes Seufzen, ein Stirnrunzeln, dann die Wut: „Wie kann das sein, dass das so teuer ist und niemand weiß, wann die Baustelle fertig wird?“ Dieses eine Wort – Oper – entfacht in Köln Diskussionen wie kein anderes und wird immer mehr zum Symbol städtischer Fehlpriorisierungen. Es ist ein Konflikt, der die Stadt nicht nur emotional, sondern auch kulturell zerreißt. Seit Mitte November ist klar: Kölns freie Kulturszene steht vor einer existenziellen Bedrohung. Die geplanten Kürzungen von sechs Millionen Euro – ein Fünftel der bisherigen Fördermittel – könnten etablierte Festivals, neue Projekte und Ensembles zum Erliegen bringen.

Auf der anderen Seite entsteht die neue Oper am Offenbachplatz, deren Gesamtkosten mittlerweile schwindelerregende 1,5 Milliarden Euro erreicht haben – inklusive dreistelliger Millionenbeträge an Finanzierungskosten. Ein Fass ohne Boden fürchten viele. „Die Oper frisst die Kulturstadt Köln auf“, höre ich in vielen Diskussionen. Doch es ist nicht die Oper selbst, die kritisiert wird – es ist die Ungerechtigkeit, die durch die Sparpläne der Verwaltung entstanden ist.

Die Stimmung kippt. Bürgermeister Dr. Ralph Elster warnt im Gespräch mit mir eindringlich vor den Folgen der Kürzungen und der drohenden Spaltung der Kölner Kulturlandschaft: „Was wir gerade erleben, ist brandgefährlich. Die freie Szene wird zerrieben, und die Opernbaustelle wird zum Sündenbock gemacht. Das müssen wir verhindern.“

Doch wer übernimmt die Regie in dieser Krise? Die Kritik richtet sich längst nicht mehr nur gegen die teilweise drastischen Sparpläne. Auch Kulturdezernent Stefan Charles gerät zunehmend unter Beschuss. „Wo ist er in dieser Krise?“ fragen Künstlerinnen, Künstler und Kulturinitiativen unisono. Aus der Politik heißt es, er arbeite im Hintergrund an Lösungen. Doch sichtbare Signale bleiben bislang aus. „Bei kulturellen Veranstaltungen sieht man ihn aktuell nur selten“, lautet der Vorwurf. Gerade jetzt bräuchte Köln jemanden, der die Perspektiven von freier Szene und Großprojekten zusammenführt, fordern sie.

Mitten drin: Opernintendant Hein Mulders. Die explodierenden Kosten und die ständigen Verzögerungen treffen nicht nur die öffentliche Wahrnehmung der Kölner Oper, sondern zermürben auch seine rund 600 Angestellten im Provisorium Staatenhaus. Seit Jahren stemmen sie die baulichen und organisatorischen Herausforderungen, die eine Übergangsspielstätte mit sich bringt. „Die Geduld vieler ist am Ende“, gibt  Mulders mir gegenüber offen zu. Dabei war seine Vision eine andere: Kölns Oper zu einem internationalen Leuchtturm zu machen, der weit über die Stadt hinausstrahlt. Stattdessen steht er einem Publikum gegenüber, das oft mehr Fragen zur Baustelle hat als zu den Aufführungen. Fragen, die in der gegenwärtigen Situation unbeantwortet bleiben.

Doch trotz allem zeigt Mulders Optimismus: „Das Staatenhaus ist zwar kein idealer Aufführungsort, aber wir haben uns dort künstlerisch profiliert und ein treues, diverses Publikum gewonnen, das uns durch diese schwierige Zeit trägt, bis wir an den Offenbachplatz ziehen können.“ Für ihn ist klar: Solange die künstlerischen Programme umgesetzt werden können, bleibt die Oper stark. Viele seiner Unterstützer hoffen, dass das Team Kurs hält – auf eine Zeit hin, in der die Oper Köln nicht nur ein richtiges Zuhause, sondern auch einen neuen Glanzpunkt für die Kultur der Stadt darstellt.

Aber wie soll es mit der freien Szene weitergehen? Als kulturpolitischer Sprecher der CDU schlägt Bürgermeister Elster jetzt einen „Kultur-Soli“ vor – eine geringe Abgabe auf Eintrittskarten, die der freien Szene zugutekommt. „Das wäre ein erstes Signal, dass die freie Szene kein Anhängsel ist, sondern ein Innovationsmotor, der das kulturelle Leben und die Attraktivität unserer Stadt prägt“, erklärt er. „Eine Stadt, die ihre Kulturschaffenden gegeneinander ausspielt, verliert am Ende alles.“

Es ist ein Weckruf an die politischen Gremien, die nun alle gefordert sind, gerechte Entscheidungen zu treffen. Die Kölner Kultur steht an einem Scheideweg. Prestigebauten wie die der Oper und die freie Szene dürfen nicht als Gegensätze wahrgenommen werden. Denn Kultur ist keine Frage von „entweder oder“. Es ist eine Frage von „und“.  Als Autorin dieser Zeilen und Ausrichterin des Shalom-Musik-Festivals, das selbst auf Fördermittel angewiesen ist, schreibe ich diese Zeilen sicherlich nicht aus einer neutralen Perspektive. Vielmehr sprechen sie aus der Sorge um unsere kulturelle Landschaft, die ich aus eigener Erfahrung kenne und schätze. Mein Anliegen ist es, eine Debatte anzustoßen über die Zukunft der Kulturstadt Köln.

Denn wenn nicht bald etwas geschieht, droht Köln mehr zu verlieren als nur Festivals oder Bühnen. Es droht, seine Identität als lebendige und kreative Stadt einzubüßen. Und das wäre ein Verlust, den keine Opernsanierung jemals ausgleichen könnte. Vielleicht ist die Weihnachtszeit genau der richtige Moment, um sich daran zu erinnern, was Kultur leisten kann: Sie bringt uns zusammen, sie bewegt uns und sie lässt uns träumen – ob in einer kleinen Hinterhofbühne oder auf der großen Bühne der Oper.

Aber Köln schafft es immer, zwischen Chaos, Pragmatismus und Humor zu balancieren – und am Ende doch alles irgendwie zu meistern, nicht wahr? Wie ein großer, bunter Zirkus: Manche jonglieren, andere stolpern – und am Ende klatschen trotzdem alle.

Mit hoffnungsvollen Grüßen

Ihre

Claudia Hessel

NEWSLETTER 29.11.2024

Wie kann Köln wachsen und mehr Steuern einnehmen? Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft rät der Stadt zu mehr Ehrgeiz!

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

was meinen Sie? Ist Köln unregierbar? Oder wird der Begriff leichtfertig verwendet, weil er sich als pauschale Erklärung eignet und an den freundlich-chaotischen Grundton dieser Stadt anknüpft? Lange schon hat sich das Bild von der Unregierbarkeit verselbständigt und ist zum Alltagsgift geworden, das sich zu den Schwaden des Haschisch-Rauchs in der Stadt gesellt.

Bislang lebte es sich bequem mit dieser Entschuldigung. Doch nun ist es globaler Stress, der die Welt, Deutschland und damit auch Köln erfasst. Von der Herausforderung durch die vier großen D spricht der Wissenschaftler Hanno Kempermann: Dekarbonisierung (Reduzierung von Treibhausgasen), Deglobalisierung, Digitalisierung und demografischer Wandel. International verliert Deutschland den Anschluss: Es fiel in einem internationalen Wettbewerbsindex auf den 24. Platz und mit seinen Wirtschaftsdaten in der Europäischen Union (EU) auf den vorletzten Platz zurück.

Wer möchte vor diesem Hintergrund in einer unregierbaren Stadt leben? Tatsächlich muss das niemand. Faktisch ist Oberbürgermeisterin (OB) Henriette Reker Dienstvorgesetzte von 22.900 aktiv Beschäftigten. Ihnen gegenüber hat sie ein Weisungsrecht. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten kann sie eine eigene Verwaltung formen.

Zurzeit führt Henriette Reker damit das größte Unternehmen Kölns. Vergangen die Zeiten, in denen das der Autobauer Ford war, ein produzierender Industriebetrieb. Erst nach der Rewe-Gruppe mit 22.000 weitgehend im Handel Beschäftigen im Raum Köln taucht Ford mit 12.300 Beschäftigten in einer Liste der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln auf. Anders als die Verwaltung zahlt Ford Gewerbesteuer.

Eben das markiert nach Ansicht Hanno Kempermanns die Schwäche Kölns, wie er als einer der Autoren in der Studie „Starke Wirtschaft, starkes Köln“ ausführt. Der Geschäftsführer der „Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Consult“ führt aus, dass 90 Prozent des städtischen Steueraufkommens wirtschaftsrelevant seien, also an Produktion, Veredelung und Wertschöpfung gebunden seien. Davon habe Köln aber zu wenig.

Das ist der Haken an einer Dienstleistungsgesellschaft: Naturgemäß fehlt es an Wertschöpfung. Stark vereinfacht könnte man sagen, wir schneiden einander die Haare, arbeiten somit zwar, schaffen aber keine Werte. In Köln ist der Anteil der Wertschöpfung im verarbeitenden Gewerbe in den vergangenen Jahren – „besonders stark“, wie das Papier sagt – auf neun Prozent gefallen.

Durch einen Zuwachs solcher Arbeitsplätze in der Industrie könnte die Stadt höhere Steuereinnahmen erzielen. Mit Ehrgeiz und Strategie, das ist die Grundthese hinter der Studie, würde Köln ökonomisch erfolgreicher sein als jetzt – da liegen Stadt und Umland derzeit abgeschlagen auf Rang 201 von 400 Kreisen und kreisfreien Städten. Weit hinter München (Platz 25), Frankfurt (Platz 81) und Berlin (Platz 99) als Referenzstädte.

Indirekt lobt die Studie auch. Köln und sein Umland verfügen über ein gutes Image und eine große Strahlkraft. Lage und Verkehrsanbindung der Universitätsstadt sind exzellent wie auch die Forschungslandschaft. Diese Faktoren hätten bereits überdurchschnittlich viele Unternehmen mit digitalem Profil angezogen. Aber um etwas daraus zu machen, müssten Stadt und umliegende Kreise entschlossener vorgehen.

„Ohne Ehrgeiz verliert Köln den Anschluss“, formuliert Hanno Kempermann ohne Umschweife und erläutert am Modellfall, wie ideale Wirtschaftspolitik aussehen könnte. Auf einer Fläche von 30 Hektar (entspricht 40 Fußballfeldern) werden systematisch Unternehmen und Start-ups aus den Bereichen neue Mobilität oder Bio-Medizin angesiedelt und mit Forschung sowie Wirtschaft verknüpft, damit konzentriert Innovationen entstehen. Und wo? Vielleicht auf dem Ford-Gelände, denn die  Autofirma produziert in Köln nur noch Elektrofahrzeuge. Sie sind einfacher herzustellen als Verbrenner. Daher macht das Unternehmen Flächen frei. Die Herausforderung sei, Projekte rasch anzugehen, neu zu denken und zu planen, sagt Kempermann.

Denn bisher, so die IW-Studie, kann die Wirtschaft in Köln sich nicht voll auf die Verwaltung verlassen. Nur ein Fünftel befragter Unternehmer sieht sich unterstützt. In München und Frankfurt sind es fast doppelt so viele. Gleichzeitig geben 73 Prozent der Kölner Unternehmen an, dass die Verwaltung ihre eigenen Interessen wahrt, während das nur rund 45 Prozent der Münchner und 61 Prozent der Frankfurter Unternehmen bei ihren Verwaltungen feststellen. München und Frankfurt tun also nach dieser Befragung mehr für die Unternehmen und weniger für sich selbst als Köln.

Das IW rührt hier an ein leidiges Thema: Die Verwaltung. Henriette Reker war als Oberbürgermeisterin angetreten mit dem Ziel, sie so zu reformieren, dass aus ihr eine schlagkräftige Truppe wird, die effektiv und entschlossen arbeitet. Doch zog erst das städtische Rechnungsprüfungsamt eine verheerende Bilanz dieser Reform. Nun kommt auch das Institut der deutschen Wirtschaft zu einem ernüchternden Urteil.

Übrigens wandern aus Köln auffällig viele ökonomisch aktive Menschen im Alter von 30 bis 50 Jahren ab. Die Konsequenz aus hohen Immobilienpreisen, wenigen Baugenehmigungen und geringeren Gehältern als im erfolgreicheren München oder Frankfurt.

Die Studie ist frei zugänglich und hier einsehbar. Sie ist Bestandsaufnahme wie Mahnung und wurde der Kölner Politik übergeben. Hoffen wir, dass sie sie liest. Wir fragen beizeiten nach.

Zum Schluss: Wir laden ein zum Jahresabschluss-Gespräch mit Forsa-Chef Manfred Güllner am Dienstag, 11. Dezember, 19.30 Uhr, im Excelsior Hotel Ernst. Anmeldung: info@koelner-presseclub.de. Wir freuen uns auf Sie!

Herzliche Grüße

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 22.11.2024

Über ein Pferd im Senat,  Applaus aus dem Kreml und teure Illusionen

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

 

der römische Kaiser Caligula ist nicht zuletzt deswegen in Erinnerung geblieben, weil er sein Pferd zum Konsul ernannte – inklusive ständigem Sitz für den Hengst im Senat.  Seine Regierungszeit dauerte vier Jahre und war von Größenwahn und Rachsucht geprägt. Natürlich ist Donald Trump nicht Caligula, zumal der vermutlich kein Golf gespielt hat. Aber seine ersten Personalentscheidungen sind, man muss es so sagen, spektakulär und fachlich nicht erklärlich. Den Zerfall der alten Weltordnung dürften sie beschleunigen.

Was kommt auf Deutschland zu, was auf Europa und die NATO? Darüber habe ich mit einem außen- und sicherheitspolitischen Experten gesprochen, mit Dirk Brengelmann, Botschafter a.D, Spitzendiplomat und mehrere Jahre Beigeordneter Generalsekretär der NATO. Die ersten Personalien Trumps hätten seine Befürchtungen noch übertroffen. Bei seiner Auswahl sei es dem künftigen Präsidenten offensichtlich nur um absolute Loyalität gegangen. Als Motiv könnte ein Rachefeldzug Trumps vermutet werden, „im Militär und im Justizwesen soll aufgeräumt werden“. Ein Verteidigungsminister ohne jegliche Erfahrung, gegen den wegen sexueller Nötigung ermittelt wurde und der zur Vereidigung Joe Bidens aus Sicherheitsgründen nicht zugelassen wurde – und künftig die mächtigste Armee der Welt befehligt? Ein Justizminister, dem Menschenhandel, illegaler Drogenkonsum, sexuelle Beziehung zu einer Minderjährigen vorgeworfen wurde, als Hüter des Rechts?

Als noch extremer bewertet Dirk Brengelmann die Benennung der Geheimdienstkoordinatorin, vor der sogar Trumps früherer Sicherheitsberater John Bolton, ein strammer Konservativer, dringend warnt. Sie hat russische Verschwörungsmythen verbreitet und mit einer Verteidigung von Moskaus Überfall auf die Ukraine Aufmerksamkeit erregt. Wenn man bedenkt, wie sehr die deutsche Sicherheit auch von den US-Geheimdiensten abhängt, ist die Vorstellung gruselig. Dass Moskau besonders diese Personalentscheidung begrüßt hat, gibt der Besorgnis zusätzliche Nahrung. Dass ein Klimaleugner und Frackingunternehmer Energieminister wird und ein Impfgegner Gesundheitsminister, sind da fast schon Petitessen. Lediglich der Außenminister Rubio sei halbwegs im Stoff.

Für die Verteidigungsfähigkeit Europas sind das keine guten Vorzeichen. Angesichts eines solchen Kabinetts rät Brengelmann: „Wir müssen uns warm anziehen“, fügt aber hinzu:  „Tatsache aber ist auch, dass weder die Franzosen noch wir im Augenblick Führungskraft haben“. Die werde aber von Deutschland erwartet. Polens Initiative, Europas Verteidigungspolitik mit anderen Staaten gemeinsam auf Trump vorzubereiten, allerdings Deutschland dabei auszusparen, zeige einmal mehr die gefährliche Uneinigkeit des Kontinents. Doch Warten und Hoffen bringe gar nichts. Wenn die ersten Entscheidungen Washingtons so krass ausfielen wie die Personalentscheidunge, könnte vielleicht ein Ruck durch Europa gehen: „Vielleicht brauchen wir eine solche Schocktherapie um aus den Puschen zu kommen.“ Die Strategie des nächsten US-Präsidenten sei, vieles im Ungenauen zu lassen, „zynisch gesagt, die Unberechenbarkeit ist seine Stärke.“ Darauf müsse man reagieren.

Sicher ist, dass die Europäische Union und die NATO einem Stresstest unterzogen werden. Den neuen NATO-Generalsekretär Mark Rutte sieht Brengelmann als Glücksfall für das Bündnis. „Ein Schlitzohr, aber im positiven Sinne.“ Auch er werde die amerikanische Forderung nach einer Erhöhung der Verteidigungsausgaben unterstützen. Brengelmann sieht angesichts der Bedrohungslage die Aufwendungen für militärische Sicherheit eher bei drei als bei zwei Prozent: „Eine wirklich untermauerte Abschreckung ist notwendig.“ Aber sie wird erhebliche Mittel brauchen.

Spannend – und mit Auswirkungen auf Deutschland – wird sein, wie die Strategie im Ukraine-Konflikt sein wird. Aber für Deutschland noch schwieriger wird aus Brengelmanns Sicht, wie der israelische Regierungschef Netanjahu die Situation nutzen wird, um das Westjordanland völkerrechtswidrig zu annektieren. Das könne schnell gehen und auch zu einem Konflikt zwischen den USA und Deutschland führen. Als drittes Problem benennt der Brengelmann Taiwan. Die kritische Haltung gegenüber China, die schon Joe Biden mit seinem militärischen Beistandsversprechen gezeigt habe, könnte bei einem Angriff Chinas auf Taiwan demnächst gefährlich eskalieren.

Im Angesicht dieser internationalen Entwicklungen wirken die deutschen Debatten eigentümlich kleinkariert. Im beginnenden Wahlkampf scheint das Versprechen des ungestörten Weiter-so das Erfolgsrezept zu sein. Dieses Versprechen, das die Realität ignoriert, wird nicht gehalten werden können. Es ist eine teure Illusion.

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

 

Ihr

 

Michael Hirz