NEWSLETTER 20.06.2025
„LMAA statt CCAA“? Wie Köln sein römisches Erbe vernachlässigt – und warum sich die Stadt das nicht leisten darf
wie für jedes Kölner Schulkind war es auch für mich ein großes Abenteuer: Tief unter der Altstadt liefen wir durch das, was einst das Rückgrat unserer römischen Stadt war – der Abwasserkanal. Es roch muffig, die Luft war schwer, der Boden ein bisschen uneben. Und trotzdem: Wir waren begeistert. Geschichte zum Anfassen. Der rund 113 Meter lange und bis zu 2,50 Meter hohe Kanal wurde zusammen mit der Stadtmauer vor etwa 1.900 Jahren erbaut, um die Stadt und das Praetorium – den Statthalterpalast – zu entwässern. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, früher ein Highlight bei Stadtführungen. Doch wer weiß das heute noch?
Seit 2019 ist der Zugang gesperrt und der Tunnel dem Verfall überlassen: fehlender Brandschutz, keine Fluchtwege, und inzwischen hat sich auch Schimmel gebildet. Die Stadt hat den Kanal aus Sicherheitsgründen geschlossen und ihn damit mehr und mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Und schlimmer noch: Wenn es nach der Stadt geht, soll das auch so bleiben. Im vergangenen Kulturausschuss wurde mitgeteilt: Zu teuer. Die Stadt Köln will offenbar keine Sanierung und Integration in das neue Museumskonzept des angrenzenden Praetoriums und des neuen MiQua. „Man sähe keinen Bedarf an einem weiteren römischen Angebot in dieser Form“, wird mir von Teilnehmenden berichtet. Diese Aussage wirkt wie ein Tiefschlag für all jene, die Köln nicht nur als Stadt, sondern als lebendiges Geschichtsbuch begreifen. Die fachliche Einschätzung von Dr. Thomas Otten, Archäologe und Direktor des MiQua, macht es deutlicher: „Das Praetorium ist UNESCO-Welterbe. Der römische Abwasserkanal ist von größter Bedeutung und ein absolutes Highlight, auch für internationale Besucher.“ Der Förderverein MiQua-Freunde e.V. arbeitet nun an einer Machbarkeitsstudie, die zur Reaktivierung des Kanals führen soll. Das Ziel: Wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, kann sich die Stadt nicht länger herausreden.
Was man nicht sagt, sagt aber auch manchmal alles. Ende Mai feierte die Stadt Köln mit viel Pomp das Richtfest des neuen jüdischen Museums MiQua – ein Leuchtturmprojekt auf dem Gelände des Praetoriums, wo römische, jüdische und mittelalterliche Geschichte auf engstem Raum zusammentreffen – ein europaweit einmaliger Ort. Doch wer glaubte, hier würde der Bogen über die Jahrhunderte gespannt, wurde enttäuscht. Statt ein Zeichen für die historische Tiefe dieses Ortes zu setzen, wurde das römische Erbe in den Reden auffallend ausgespart. Noch bemerkenswerter: Der Landschaftsverband Rheinland, der das Museum später betreiben soll, wurde nicht einmal namentlich erwähnt, wie Anwesende feststellten. Ein Schelm, wer hinter diesem symbolischen Schweigen mehr vermutet als bloße Nachlässigkeit.
und entsprechend herrichten, drohen sie endgültig in Vergessenheit zu geraten. Wir müssen bis zum Jahr 2050 ein überzeugendes und erlebbares Gesamtbild römischer Geschichte in Köln schaffen.“
Spitze Zungen spotten bereits: Köln handle nicht wie das stolze CCAA – Colonia Claudia Ara Agrippinensium, gegründet im Jahr 50 n. Chr. durch Kaiser Claudius auf Wunsch seiner Frau, der Kölnerin Agrippina – sondern eher nach dem Motto „LMAA“. Eine wenig druckreife Abkürzung, deren Bedeutung im Volksmund bestens bekannt ist – und die hier für eine vorherrschende Gleichgültigkeit steht. Die Sorge: Das große Jubiläum 2050 könnte – wenn überhaupt – nur mit einem Karnevalszug unter dem Motto „Römer“ abgefrühstückt werden.
Der verschlossene Kanal ist kein Einzelfall, sondern scheint Ausdruck eines tieferliegenden Desinteresses am antiken Erbe dieser Stadt zu sein. Beispiele gefällig? Das Ubier-Monument – eines der ältesten Bauwerke nördlich der Alpen – kann nur nach Anmeldung und Schlüsselvergabe besichtigt werden. Einmal im Monat. Von außen erinnert es eher an den Eingang einer Sparkassenfiliale. Große Hinweisschilder? Fehlanzeige. Keine 100 Meter weiter: Reste der römischen Stadtmauer am Mühlenbach. Verfallen, verrottet, vergessen. Sie wird nur deshalb restauriert, weil eine private Initiative Druck gemacht und Spenden gesammelt hat. Im Dom-Parkhaus steht auch ein Stück Stadtmauer – quasi neben einem Fahrkartenautomaten, unter Neonlicht. Präsentation: trist. Geruch: abschreckend. Ich habe jedes Mal Mitleid mit Schulklassen und Touristengruppen, wenn sie an dieser Stelle stehen – vor einer traurigen Kulisse, der auch die wortreichste Stadtführung kaum Leben einhauchen kann. Am Heumarkt, direkt an einem KVB-Abgang, liegt ein großes Fragment einer Tempelanlage im Boden. Kennen Sie nicht? Ich auch nicht – bis vor Kurzem. Kein einziges Schild an der vielbefahrenen Straße weist darauf hin. Auch die römischen Wasserleitungen wirken völlig achtlos im Stadtbild verteilt – eine steht vor der Bezirksregierung (ausnahmsweise gut beschriftet) eine andere fristet ein Schattendasein beim Museum für Angewandte Kunst. Der gleichgültige Umgang mit historischen Zeugnissen ist symptomatisch für unsere Stadt, die ihr römisches Erbe zwar gerne in Karnevalsliedern besingt, aber selten schützt.
Allein deshalb ist der römische Abwasserkanal weit mehr als ein Tunnel unter der Altstadt. Er zeigt, wie viel – oder wie wenig – Köln bereit ist, seiner eigenen Geschichte Raum zu geben. Es geht nicht nur um Steine. Es geht um Stolz. Und um die Frage, wie viel uns unsere Vergangenheit heute noch bedeutet. Spätestens 2050, wenn Köln sein 2.000-jähriges Bestehen feiert, wird sich zeigen, ob diese Stadt mehr ist als immer nur Dom, FC und Karneval.
Wie Köln mit seinem Herausforderungen umgeht, zeigt sich nicht nur unter der Erde, sondern auch mitten in der Stadt: am Neumarkt. Unsere Podiumsdiskussion zur „Wie retten wir den Neumarkt?“ stößt auf große Resonanz – die Gästeliste ist fast voll. Für Kurzentschlossene gibt es noch wenige Restplätze für Dienstag, 24. Juni 2025, in der Kreissparkasse Köln am Neumarkt ab 18.30 Uhr. Bitte melden Sie sich jetzt noch verbindlich an – am besten direkt per Mail: info@koelner-presseclub.de. Wir freuen uns auf einen anregenden und konstruktiven Abend mit Ihnen!
Es grüßt Sie herzlich
Ihre Claudia Hessel
PS: Die Autorin ist Mitglied im Vorstand der MiQua-Freunde, Fördergesellschaft LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln e. V