NEWSLETTER 20.06.2025

„LMAA statt CCAA“? Wie Köln sein römisches Erbe vernachlässigt – und warum sich die Stadt das nicht leisten darf

 

 

wie für jedes Kölner Schulkind war es auch für mich ein großes Abenteuer: Tief unter der Altstadt liefen wir durch das, was einst das Rückgrat unserer römischen Stadt war – der Abwasserkanal. Es roch muffig, die Luft war schwer, der Boden ein bisschen uneben. Und trotzdem: Wir waren begeistert. Geschichte zum Anfassen. Der rund 113 Meter lange und bis zu 2,50 Meter hohe Kanal wurde zusammen mit der Stadtmauer vor etwa 1.900 Jahren erbaut, um die Stadt und das Praetorium – den Statthalterpalast – zu entwässern. Ein Meisterwerk der Ingenieurskunst, früher ein Highlight bei Stadtführungen. Doch wer weiß das heute noch?

Seit 2019 ist der Zugang gesperrt und der Tunnel dem Verfall überlassen: fehlender Brandschutz, keine Fluchtwege, und inzwischen hat sich auch Schimmel gebildet. Die Stadt hat den Kanal aus Sicherheitsgründen geschlossen und ihn damit mehr und mehr aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängt. Und schlimmer noch: Wenn es nach der Stadt geht, soll das auch so bleiben. Im vergangenen Kulturausschuss wurde mitgeteilt: Zu teuer. Die Stadt Köln will offenbar keine Sanierung und Integration in das neue Museumskonzept des angrenzenden Praetoriums und des neuen MiQua. „Man sähe keinen Bedarf an einem weiteren römischen Angebot in dieser Form“, wird mir von Teilnehmenden berichtet. Diese Aussage wirkt wie ein Tiefschlag für all jene, die Köln nicht nur als Stadt, sondern als lebendiges Geschichtsbuch begreifen. Die fachliche Einschätzung von Dr. Thomas Otten, Archäologe und Direktor des MiQua, macht es deutlicher: „Das Praetorium ist UNESCO-Welterbe. Der römische Abwasserkanal ist von größter Bedeutung und ein absolutes Highlight, auch für internationale Besucher.“ Der Förderverein MiQua-Freunde e.V. arbeitet nun an einer Machbarkeitsstudie, die zur Reaktivierung des Kanals führen soll. Das Ziel: Wenn die Fakten auf dem Tisch liegen, kann sich die Stadt nicht länger herausreden.

Was man nicht sagt, sagt aber auch manchmal alles. Ende Mai feierte die Stadt Köln mit viel Pomp das Richtfest des neuen jüdischen Museums MiQua – ein Leuchtturmprojekt auf dem Gelände des Praetoriums, wo römische, jüdische und mittelalterliche Geschichte auf engstem Raum zusammentreffen – ein europaweit einmaliger Ort. Doch wer glaubte, hier würde der Bogen über die Jahrhunderte gespannt, wurde enttäuscht. Statt ein Zeichen für die historische Tiefe dieses Ortes zu setzen, wurde das römische Erbe in den Reden auffallend ausgespart. Noch bemerkenswerter: Der Landschaftsverband Rheinland, der das Museum später betreiben soll, wurde nicht einmal namentlich erwähnt, wie Anwesende feststellten. Ein Schelm, wer hinter diesem symbolischen Schweigen mehr vermutet als bloße Nachlässigkeit.

und entsprechend herrichten, drohen sie endgültig in Vergessenheit zu geraten. Wir müssen bis zum Jahr 2050 ein überzeugendes und erlebbares Gesamtbild römischer Geschichte in Köln schaffen.“

Spitze Zungen spotten bereits: Köln handle nicht wie das stolze CCAA – Colonia Claudia Ara Agrippinensium, gegründet im Jahr 50 n. Chr. durch Kaiser Claudius auf Wunsch seiner Frau, der Kölnerin Agrippina – sondern eher nach dem Motto „LMAA“. Eine wenig druckreife Abkürzung, deren Bedeutung im Volksmund bestens bekannt ist – und die hier für eine vorherrschende Gleichgültigkeit steht. Die Sorge: Das große Jubiläum 2050 könnte – wenn überhaupt – nur mit einem Karnevalszug unter dem Motto „Römer“ abgefrühstückt werden.

Der verschlossene Kanal ist kein Einzelfall, sondern scheint Ausdruck eines tieferliegenden Desinteresses am antiken Erbe dieser Stadt zu sein.  Beispiele gefällig? Das Ubier-Monument – eines der ältesten Bauwerke nördlich der Alpen – kann nur nach Anmeldung und Schlüsselvergabe besichtigt werden. Einmal im Monat. Von außen erinnert es eher an den Eingang einer Sparkassenfiliale. Große Hinweisschilder? Fehlanzeige. Keine 100 Meter weiter: Reste der römischen Stadtmauer am Mühlenbach. Verfallen, verrottet, vergessen. Sie wird nur deshalb restauriert, weil eine private Initiative Druck gemacht und Spenden gesammelt hat. Im Dom-Parkhaus steht auch ein Stück Stadtmauer – quasi neben einem Fahrkartenautomaten, unter Neonlicht. Präsentation: trist. Geruch: abschreckend. Ich habe jedes Mal Mitleid mit Schulklassen und Touristengruppen, wenn sie an dieser Stelle stehen – vor einer traurigen Kulisse, der auch die wortreichste Stadtführung kaum Leben einhauchen kann. Am Heumarkt, direkt an einem KVB-Abgang, liegt ein großes Fragment einer Tempelanlage im Boden. Kennen Sie nicht? Ich auch nicht – bis vor Kurzem. Kein einziges Schild an der vielbefahrenen Straße weist darauf hin. Auch die römischen Wasserleitungen wirken völlig achtlos im Stadtbild verteilt – eine steht vor der Bezirksregierung (ausnahmsweise gut beschriftet)  eine andere fristet ein Schattendasein beim Museum für Angewandte Kunst. Der gleichgültige Umgang mit historischen Zeugnissen ist symptomatisch für unsere Stadt, die ihr römisches Erbe zwar gerne in Karnevalsliedern besingt, aber selten schützt.

Allein deshalb ist der römische Abwasserkanal weit mehr als ein Tunnel unter der Altstadt. Er zeigt, wie viel – oder wie wenig – Köln bereit ist, seiner eigenen Geschichte Raum zu geben. Es geht nicht nur um Steine. Es geht um Stolz. Und um die Frage, wie viel uns unsere Vergangenheit heute noch bedeutet. Spätestens 2050, wenn Köln sein 2.000-jähriges Bestehen feiert, wird sich zeigen, ob diese Stadt mehr ist als immer nur Dom, FC und Karneval.

Wie Köln mit seinem Herausforderungen umgeht, zeigt sich nicht nur unter der Erde, sondern auch mitten in der Stadt: am Neumarkt. Unsere Podiumsdiskussion zur „Wie retten wir den Neumarkt?“ stößt auf große Resonanz – die Gästeliste ist fast voll. Für Kurzentschlossene gibt es noch wenige Restplätze für Dienstag, 24. Juni 2025, in der Kreissparkasse Köln am Neumarkt ab 18.30 Uhr. Bitte melden Sie sich jetzt noch verbindlich an – am besten direkt per Mail: info@koelner-presseclub.de. Wir freuen uns auf einen anregenden und konstruktiven Abend mit Ihnen!

 

Es grüßt Sie herzlich

 

Ihre Claudia Hessel

 

 

PS: Die Autorin ist Mitglied im Vorstand der MiQua-Freunde, Fördergesellschaft LVR-Jüdisches Museum im Archäologischen Quartier Köln e. V

NEWSLETTER 13.06.2025

Einen Kölner Louvre im Rechtsrheinischen bauen – Anbiedern und Karriere in der Verwaltung machen?

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

 

wie eine düstere Wolke kreist ein Thema über Köln, dem die Stadt finster entschlossen begegnet. Sie verschließt die Augen davor. Um das Jahr 2031 soll nun die Sanierung beginnen von Museum Ludwig und Kölner Philharmonie, die in einem Bauwerk vereint sind. Zurzeit werden Kosten von gut einer Milliarde Euro erwartet. Wie immer, kann es mehr werden.

In jedem Privatunternehmen würden jetzt die Alarmglocken läuten, Szenarien für die Zukunft entwickelt, Rettungspläne geschmiedet. Aus Köln ist mir das nicht bekannt. Das Thema ist in eine Zukunft verschoben worden, die einen behaglichen Ausweg bietet: Man kann in ihr – und damit später – feststellen, dass man in der Vergangenheit – heute also – erste Weichen hätte stellen müssen, um alternative Lösungen zu entwickeln. Nun aber schreibe bereits der Sachzwang nur noch wenige mögliche Wege vor.

Das Thema kam auf, als ich mit Andreas Blühm sprach, der von 2005 bis 2012 Direktor des Wallraf-Richartz-Museums & Fondation Corboud (WRM & FC) war. Wir unterhielten uns über die städtischen Kölner Museen, die in beklagenswertem Zustand sind. Zwei befinden sich in Behelfsunterkünften (Stadtmuseum und Römisch-Germanisches Museum), dem Wallraf steht eine mehrjährige Schließung bevor, das jüdische Museum soll – nach elf Jahren Bau – nicht vor 2027 vollendet sein. Und auch das Museum für angewandte Kunst muss saniert werden. Hinzu tritt die bereits prognostizierte Milliarde Euro an Sanierungskosten.

An diesem Punkt entwickelte Andreas Blühm eine Idee, die ich ihn aufzuschreiben bat. Am rechten Rheinufer wäre Platz für einen Kulturtempel, der zu einem Anziehungspunkt erster Güte entwickelt werden könnte, ein Louvre am Rhein! In diesem neuen Museum würden alle städtischen Sammlungen Platz finden. Sie könnten mit Bibliothek und Restaurierungslabors, Werkstätten und pädagogischen Einrichtungen nach neuestem Stand ausgestattet werden,“ notiert der Museumsmann. „So eine kulturelle Schatzkammer müsste den Vergleich mit der Berliner Museumsinsel und eben jenem großen Pariser Museum nicht scheuen. Synergieeffekte sorgen auf lange Sicht für sparsame und nachhaltige Nutzung.“

Die Idee hatte Blühm schon einmal geäußert: am 5. November 2007 bei der „2. Eisenbahnkonferenz“ der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln. „Mein Referat handelte von „Kulturbauten am Fluss“, mit Beispielen von London bis Sydney, wo bekanntlich ein ikonisches Operngebäude steht. Eine neue Oper am Rhein wäre auch eine Alternative für die heutige Dauerbaustelle gewesen. Mir wurde damals entgegengehalten, Neubauten seien teurer als Sanierungen und würden länger dauern. Ich ließ mich von den Kennern beeindrucken, bin aber heute von ihren Argumenten nicht mehr gänzlich überzeugt“, erinnert er sich.

Und die Kosten? Blühms Antwort: „Ich habe nicht die Illusion, dass nun alle Bauvorhaben stillgelegt werden, um diesen Louvre am Rhein zu realisieren. Der Sachzwänge gibt es inzwischen viele. Aber mehr als die eine Milliarde für die Sanierung (!) des Museums Ludwig muss der Louvre am Rhein nicht kosten. Das jüngste Beispiel zeigt es: Vor wenigen Tagen eröffnete das V&A East, das allgemein zugängliche Depot des Victoria and Albert Museums in London mit 250.000 Objekten, 350.000 Büchern und 1.000 Archiven auf 16.000 Quadratmetern. Die Bauzeit betrug sechs Jahre und die Kosten beliefen sich auf 65 Millionen Pfund, das sind ca. 77 Millionen Euro. Sechs Jahre von heute an gerechnet – das wäre 2031. 77 Millionen würden für einen Louvre am Rhein nicht reichen, aber selbst das Zehnfache wäre immer noch weniger als die Sanierung (!) des Museums Ludwig.“ Den Text von Andreas Blühm, der von Zuneigung zu dieser Stadt durchdrungen ist, finden Sie hier. Bis zu seiner Pensionierung stand Blühm dem Museum Groningen vor.  

Aus dem Stand begeistert reagierte Peter Jungen auf den Anstoß von Andreas Blühm. Der Vorsitzende des Stifterrates des WRM & FC, auch Mitglied im Board des New Yorker „Metropolitan Museum of Art“, findet die Idee einer musealen Gesamtschau faszinierend. Viele Kulturbauten seien zudem wegen der rechtlichen Lage praktisch nicht mehr sanierbar, da sie Neubaustandard erfüllen müssen. Wichtig sei, heute über das Thema nachzudenken, eine Bestandsaufnahme vorzunehmen und einen Weg in die Zukunft zu finden. Die einzige Lösung, die nicht infrage komme, sei, das Problem blind in die Zukunft zu verschieben.

Noch ein Zukunftsthema zum Abschluss: Oberbürgermeisterin Henriette Reker will einen ihrer engsten Vertrauten zum Leiter des Amtes für Umwelt und Verbraucherschutz machen. Pascal Siemens wäre dann Chef von rund 300 Mitarbeitenden. Die Kölner SPD hat die Kommunalaufsicht aufgefordert, die Ernennung zu überprüfen. Tatsächlich sieht die Aufsicht dem Vernehmen nach Anlass, sich die Ernennung genauer anzuschauen. SPD-Fraktionschef Joisten wies auf Anfrage lediglich auf die Schlüsselstellung des Amtes hin. Es müsse sichergestellt sein, dass der Bewerber alle Anforderungen und Qualifikationen erfülle.

Mir fiel Pascal Siemens seinerzeit als Co-Autor einer streckenweise hymnischen Buch-Betrachtung über Henriette Reker auf, die 2016 in Köln bei Kiepenheuer & Witsch erschien. Darin wird fast mit dem Pathos eines Verschwörers bedeutet, dass es in dieser OB-Wahl „wirklich eine Wahl“ gab, Reker eine Steuerfrau und kein „Phantom der Beliebigkeit“ sei und es wurde die Frage gestellt, ob Köln schon so weit sei, Rekers Unabhängigkeit als Chance zu sehen. Was für eine Perspektive! Die Stadt hat sich der Führung anzupassen und nicht andersherum.

Auch die Gepriesene wird in dem Buch zitiert. „Führende Stellen werden nach Eignung und nachgewiesener Fähigkeit und nicht nach Parteibuch besetzt,“ sagte sie eingangs ihrer Amtsübernahme 2016. Schon von daher muss Henriette Reker die Prüfung begrüßen, die nun von Amtswegen vorgenommen wird. Man könnte die Beförderung sonst für reine Günstlingswirtschaft halten.     

 

Herzlich grüßt

Ihr

 

Peter Pauls

NEWSLETTER 06.06.2025

Clubsterben? Nein, es gibt auch Clubgeburten! Der Presseclub kann einen besonderen Blick auf das „Fi“ gewähren.

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

am besten funktioniert dieser Text mit Bildern, aber die Linsen meiner Handykameras werden abgeklebt. An jeder Eingangstür. Aufkleber abmachen und doch schnell ein Foto knipsen? Das bedeutete den Rauschschmiss. Die Nacht wäre vorbei.

Ich stehe im „Fi“, einem Club am Rande von Braunsfeld und Müngersdorf. Nebenan klappern Güterzüge und der riesige Parkplatz einer industriellen Autoreparatur ist zu sehen. Mittendrin ein neues Gebäude. Die Beats von drinnen sind draußen kaum zu hören. Es gibt drei Außenbereiche. Spektakulär ist die Treppe, die an die Spitze des Gebäudes führt. Es steht im Westen der Stadt, der Blick vom Rooftop geht nach Osten – Skyline: Dom, Colonius, Mediaparkhochhaus. Es ist halb fünf. Die Sonne geht langsam auf.

Drinnen ist es voll. Alles ist so neu, dass es noch nach Beton riecht. Der Raum ist wie ein Lautsprecher aufgebaut, im 45-Grad-Winkel. Sven Väth legt auf. Eine absolute Ikone der elektronischen Musik. Schon in den 90ern hörte ich seine Tracks. Die Loveparade Berlin kannte ich nur von Helikopterbildern aus den Fernsehnachrichten.

Das „Fi“ heißt eigentlich „Ursprung Fi“ und fasziniert mit dem Motto, es sei „PERFREKT“. So wie jede Partynacht halt immer etwas Unvorhersehbares mit sich bringt. Durch geschickte Terminlegung und einen passenden Dienstplan ist es mir in den vergangenen Wochen gelungen, wieder öfter ins Kölner Nachtleben einzutauchen. Und für mich steht fest: Wer vom Clubsterben spricht, der sollte die Clubgeburten gleich mit benennen – und wie sich die Szene auf natürliche Weise verändert. Damit meine ich nicht nur die Clubs, auch das Publikum.

Die Zeit ist größtenteils vorbei, in dem es eine Stammlokalität gab, bei der das geboten wurde, was der Gast erwartete: klare Musikrichtung, bekanntes Publikum in einer entsprechenden Stimmung oder Altersgruppe und vielleicht sogar einen Stammplatz. Der Trend heute geht zu Event-Locations, in denen ständig andere Veranstaltungen stattfinden. Vereinfacht gesagt: Die KölnArena in klein gibt es mittlerweile fast überall.

Und deshalb wollen Clubs weniger auffallen, dafür aber neugierig machen. Die Gäste sollen dabei eine Nacht erleben, die in Erinnerung bleibt, aber nicht auf Handys festgehalten wird. Und deshalb die Aufkleber, da wird auch beim Presseclub keine Ausnahme gemacht. Versuche, ein Bild im Netz zu finden, schlugen allesamt fehlt. Die einzigen Bilder sind von der Backsteinmauer vom Eingang zu finden, die von der Widdersdorfer Straße aus gemacht wurden. Von dort aber ist das Gebäude nicht zu sehen. Dennoch, es ist mir gelungen, das „Fi“ aus einem guten Winkel zeigen zu dürfen:

Die Sache mit den abgeklebten Kameralinsen ist keine Eigenheit des „Fi“. In den meisten Clubs von Köln gehört es zu einem Gesamtkonzept, das gerne mit dem Begriff „Awareness“ zusammengefasst wird. Die Leute sollen bei sich sein – und viel wichtiger: keine Postings in Social Media! Zu oft kam es vor, dass jemand ungewollt ganz groß rauskam. Das sorgte nicht nur für Ärger im privaten oder beruflichen Umfeld, sondern wirkte sich zunehmend auf die Stimmung in den Clubs aus.

Was unter Awareness zu verstehen ist, dazu trägt das Publikum mittlerweile selbst bei – was ich vor 20 Jahren für ausgeschlossen hielt. Geht es einem Gast schlecht, helfen viele mit oder sagen sofort dem Personal Bescheid. Macht doch jemand ein Foto, mahnen die Gäste schneller als jeder Türsteher. Wer also gerne auf die Spaltung der Gesellschaft verweist; in den Kölner Clubs erlebe ich sie so gut wie gar nicht.

Und auch generell hat sich die Stimmung zumindest politisch zumindest etwas gedreht. In den vergangenen 20 Jahren waren Clubs „meiner Jugend“ (so jung war ich da schon gar nicht mehr) geschlossen und abgerissen worden, zum Beispiel das „Underground„, „Heinz Gaul“ oder „Jack in the Box„. Die Clubs verschwanden, damit ganze Wohnviertel neu entstehen konnten. Clubsterben ist halt nicht nur auf finanzielle Gründe zurückzuführen. Heute werden Kulturzonen geschaffen, die den Bestand zumindest bewahren sollen.

Diese kommt nun am Bahnhof Ehrenfeld zur Anwendung. Seit 30 Jahren betreibt dort Bernd Rehse das „Artheater„. Vor wenigen Monaten konnte er das leerstehende Areal direkt nebenan kaufen. Jetzt soll dort ein neuer Club mit großem Garten, Konzertraum und Bar entstehen – was mit Blick auf die Diskussionen um den Brüsseler Platz beispielsweise kaum zu glauben scheint.

Aber ganz so einfach ist es dann doch nicht. Wenige Tag vor seinem ersten Geburtstag musste das „Fi“ über ein Wochenende kurzfristig schließen. Es gab offensichtlich Ärger mit der Stadt. Die Hintergründe kenne ich nicht und will mich nicht einmischen. Obwohl, doch! Geht das nicht irgendwie anders? Habt euch lieb, nicht nur beim Feiern!

Wir sehen uns! 😉

Ihr

David Rühl

NEWSLETTER 30.5.2025

Über ein hässliches Gesicht, den Gesetzgeber als Feind und Inder statt Kinder

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

zu den herausragenden Fähigkeiten des Menschen gehört zweifellos die Verdrängung. Die Gesellschaft altert rapide? Die Zahl der Älteren steigt in den Jahren sprunghaft an, damit auch die Zahl der Pflegebedürftigen und Dementen. Nirgendwo zeigt die demografische Entwicklung ein so hässliches Gesicht wie hier. Und es ist keine Meinung, sondern schlichte Mathematik: Wer heute 70 ist und in zehn, fünfzehn Jahren noch lebt, ist dann 80 oder 85 – und damit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, Unterstützung und Pflege zu benötigen. Doch wer soll die leisten? Viele Alte und Bedürftige haben keine Kinder, auf die sie zählen können. Die nachfolgenden Generationen sind deutlich kleiner, sie werden auch anderweitig dringend benötigt und – das muss man sagen – haben häufig auch keinen Bock auf Pflegeberufe.

„Wir brauchen in den nächsten Jahren mehr als 50 neue Heime für die stationäre Pflege in Köln – zusätzlich“, sagt Prof. Uwe Ufer. Er ist Chef der Diakonie Michaelshoven, einem Sozialunternehmen mit 3.400 Mitarbeitern. Nüchterne Prognosen sind das Alltagsgeschäft dieses sozialen Reparaturbetriebs. Natürlich ist es mit dem Bau von Einrichtungen nicht getan. Sie müssen auch betrieben werden. Dafür braucht es zusätzlich mehr als 5.000 Pflegekräfte. Da jetzt schon Pflegekräfte fehlen, wartet hier eine wahre Herkulesaufgabe auf die Sozialdienste.

Aber nicht nur die Demografie ist ein zäher Gegner, auch der Gesetzgeber. Das belegt ein Gespräch mit Christian Potthoff, einem Mitarbeiter Ufers, der für Pflege und Wohnen zuständig ist. Weil die Diakonie vorausschauend den Bedarf an Pflegekräften decken will, muss sie Kräfte anwerben, zunehmend auch im Ausland. Das hat sie getan und unter anderem in Indien Personalnachwuchs akquiriert. Erstmals kamen dann im Oktober letzten Jahres neun indische Pflege-Azubis nach Köln. Dafür ist gesetzlich vorgeschrieben, Wohnraum plus Ausstattung zur Verfügung zu stellen, geregelt ist dabei alles „bis zum letzten Löffel“ (Potthoff). Die Diakonie stellte obendrein noch eine Betreuerin für die private und berufliche Eingliederung der Azubis ab. Das scheint zu klappen, denn Arbeitseinsatz und schulische Leistungen der jungen Inderinnen und Inder ist „deutlich überdurchschnittlich“, kurz: Alles könnte auf einem guten Weg sein.

Könnte! Denn trotz der hohen Ausbildungsvergütung (1340 Euro im ersten Ausbildungsjahr), der Lebensunterhalt in einer Stadt wie Köln lässt sich damit kaum bestreiten, schon wegen der hohen Mieten. Zwar hat die Diakonie auf dem Markt Zimmer und Wohnungen für die Azubis gefunden. Aber beim Versuch, Ausbildungsbeihilfe für die jungen Pflegekräfte zu beantragen, scheiterte die Diakonie. Dazu sei die Ausbildungsvergütung zu hoch. Also stellte man einen Antrag auf Wohngeld. Auch das funktionierte nicht, weil zuvor der Anspruch auf Bürgergeld geprüft werden müsse.

Das allerdings, musste Potthoff feststellen, lief auch ins Leere, denn die jungen Leute hatten nur eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr. Der naheliegende Gedanke, eine vorzeitige Verlängerung bei der Ausländerbehörde zu bekommen. Das allerdings führte zu dem Ergebnis, dass plötzlich das Aufenthaltsrecht grundsätzlich in Frage gestellt wurde, denn es war ja mit dem vorliegenden Antrag auf Unterstützung versucht worden, Sozialleistungen zu erhalten.

Und jetzt? „Im schlechtesten Fall müssten die jungen Menschen wieder zurück“, sagt Potthoff. Menschen, die dringend benötigt werden, in die schon viel investiert wurde und deren berechtigte Hoffnung auf eine gesicherte Perspektive zu zerplatzen droht. Potthoff beeilt sich zu versichern, dass die beteiligten Behörden jede für sich völlig begründet handelt, die Stadt Köln ausgesprochen kooperativ sei, aber das gesetzliche Regelwerk so detailversessen und oft widersprüchlich sei, dass es zu dieser fatalen Lage gekommen sei. „Es gibt das Ausländerrecht, das Aufenthaltsrecht, das Sozialhilferecht, aber das passt alles nicht wirklich zusammen“, so Potthoff. Jetzt wartet die Diakonie auf eine Grundsatzentscheidung.

Viel ist gerade von notwendigen Veränderungen, von Bewusstseinswandel und von Entbürokratisierung die Rede. Das ist allgemein absolut richtig. Manchmal aber auch sehr konkret nötig.

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

NEWSLETTER 23.5.2025

Wo bleibt die Ordnung? Was der verwahrloste Zustand von Köln über unser Demokratieverständnis verrät

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

der Neumarkt ist nicht nur ein Ort, er ist eine Frage. Eine unbequeme Frage an uns alle: Wie steht es um unser Gemeinwesen – wenn wir im Zentrum einer Großstadt nicht einmal mehr einen Platz gemeinsam organisieren können? Denn was sich hier zeigt, geht weit über Müll, Drogen oder Ordnungsrecht hinaus. Es geht um das, was eine Demokratie eigentlich leisten soll: das friedliche Zusammenleben unterschiedlichster Interessen auf einem gemeinsamen Raum.

Zwischen Spritzen, Scherben und Stillstand wird aus einem Platz ein Spiegel – für das Auseinanderklaffen von Anspruch und Wirklichkeit. Wer den Platz betritt, erlebt Ohnmacht – auf allen Seiten: bei den suchtkranken Menschen, die hier Zuflucht suchen, bei Passanten, die ihn meiden, bei Anwohnern, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrer Sorge. Eine Bekannte sagte mir erst kürzlich wieder, sie gehe nicht mehr in die Nähe des Neumarkts –  vor allem nicht am Abend. Sie sei es leid, ständig angesprochen, teilweise verfolgt und sogar körperlich angegangen zu werden. Der Neumarkt als No-Go Area? Diese leisen Rückzüge sind auch politische Momente.

Der Kölner Psychologe Jens Lönneker spricht mir gegenüber im Gespräch in diesem Zusammenhang vom „Verlust an Selbstwirksamkeit im öffentlichen Raum“. Das führe dazu, dass sich die Menschen entweder ins Private zurückziehen – oder politischen Rändern zuneigen.Die Wut auf Verwaltung und öffentliche Stellen wächst.“, stellt Lönneker fest. „Wenn Bürger das Gefühl haben, dass ihre Stadt nicht mehr funktioniert, entsteht ein gefährliches Legitimationsproblem für die Demokratie.“

Dabei ist die Kölner Stadtordnung in ihrer Klarheit kaum zu überbieten. In § 3 wird das Verunreinigen öffentlicher Anlagen ausdrücklich untersagt. Das betrifft das Wegwerfen von Müll ebenso wie das Nächtigen auf Bänken oder das Lagern auf Gehwegen – genau jene Zustände, die rund um den Neumarkt zum Alltag gehören. In § 11 heißt es weiter, dass belästigendes Verhalten gegenüber Dritten, etwa durch aggressives Betteln oder Störungen der öffentlichen Ordnung, ebenfalls verboten ist. Die Regeln existieren also. Doch sie bleiben in vielen Fällen folgenlos. Nicht, weil sie unklar wären – sondern weil ihre Durchsetzung scheitert. An Ressourcen. An politischer Unentschlossenheit.

Denn in der Kölner Politik gilt Beteiligung als oberstes Prinzip. Das klingt zunächst sympathisch. Doch am Neumarkt zeigt sich die Kehrseite: Mit Worthülsen, langen Abstimmungsverfahren und lähmenden Zuständigkeitsfragen verliert die Stadt ihre Handlungsstärke – und mit ihr das Vertrauen der Bürger in ihre Ordnung.

„Demokratie braucht eine Legitimationsbasis, die breite Akzeptanz findet.“, so Lönneker weiter. „Wenn Menschen das Gefühl haben, dass der Zustand am Neumarkt nicht tragbar ist, und trotzdem nichts passiert – dann verlieren sie das Vertrauen in unsere demokratische Ordnung.“

Demokratie muss sich gerade dann beweisen, wenn es ungemütlich wird. Wenn Regeln durchgesetzt, Zuständigkeiten geklärt und Prioritäten gesetzt werden müssen. Sie darf auch nicht zur Bühne für Symbolpolitik werden. Vielleicht liegt genau hier der blinde Fleck der bisherigen Debatte: Wir reden über Armut, Drogen und Ordnungspolitik. Aber wir reden zu wenig darüber, was der öffentliche Raum in einer Demokratie bedeutet. Das ist bereits in Artikel 2 Grundgesetz geregelt: „Jeder hat das Recht auf die freien Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“.  Genau das ist aber der Fall bei den Zuständen am Neumarkt. Derzeit wird aber politisch diskutiert, ob ohne Rücksicht auf die Rechte der Mehrheit eine kleine Gruppe den Neumarkt als ihr „Wohnzimmer“ in Anspruch nehmen darf.

In einer aktuellen Studie seines Instituts zur gesellschaftlichen Stimmungslage – Titel: Zuversicht – zeigt Jens Lönneker auch auf, „dass 78 Prozent der Befragten der Meinung sind, dass wir das Land vor die Wand fahren, wenn wir so weitermachen.  Erst wenn Menschen erleben, dass ihre Stimme zählt und ihr Handeln etwas bewegt, wirkt das System glaubwürdig – vom Rathaus bis zum Bundestag.“

Was wir jetzt brauchen, ist also nicht weniger, sondern mehr Demokratie. Aber eine, die handelt. Eine, die Konflikte nicht scheut. Eine, die Verantwortung übernimmt – für alle, nicht nur für wenige.

Aus diesem Anlass veranstaltet der Kölner Presseclub – in Kooperation mit der Kreissparkasse Köln und weiteren Partnern  – eine Podiumsdiskussion: „Verwahrlosung der Innenstädte – wie retten wir den Neumarkt?“ Am 24. Juni diskutieren ab 19:00 Uhr Vertreter der Stadt, der Polizei, der Wissenschaft, der sozialen Praxis und der Nachbarschaft. Nicht über Schuld. Sondern über Lösungen. Einzelheiten erfahren Sie hier. Ich freue mich schon auf Ihre Meinung, die ich gerne in die Podiumsdiskussion miteinfließen lasse.

Um mir ein eigenes Bild zu machen, habe ich einen Rundgang um das Problemviertel am Neumarkt gemeinsam mit dem ehemaligen Obdachlosen und drogenabhängigen Markus gemacht: Dealer, Substitutionsstelle, Drogen-Konsumraum, Josef-Haubrich-Hof. Im Eingangsbereich eines Sanitätshauses, so berichtete mir der Besitzer, campieren immer noch jede Nacht Menschen und konsumieren öffentlich Drogen. Auf dem Weg trafen wir auch Mitarbeitende der AWB, der KVB, der Polizei, des Ordnungsamts, die sogenannten Kümmerer. Sie dokumentierten Orte, an denen Drogenreste, Unrat und menschliche Notdurft frisch sichtbar waren. Ich kann jedem nur empfehlen, sich selbst ein Bild zu machen. Markus steht gern zur Verfügung und finanziert sein neues Leben mit seinen Führungen. Zur Buchung geht es hier.

Ein letztes Wort: Vielleicht ist es an der Zeit, den Begriff „Demokratie“ zurückzuholen – raus aus den Sonntagsreden, hinein in den Alltag der Menschen. Demokratie ist nicht das, was auf Plakaten steht. Sondern auch das, was wir im Alltag erleben. Der Neumarkt ist kein Einzelfall. Aber er ist ein Prüfstein. Wenn wir ihn aufgeben, geben wir mehr auf als nur einen Platz. Wer will, dass die Stadt nicht weiter auseinanderdriftet, muss sich auch um ihre öffentliche Räume kümmern. Und den Mut haben, auch über das zu sprechen, was weh tut. Denn genau dort – mitten im Widerspruch – beginnt die Demokratie, die wir brauchen. Wie sehen Sie das?

 

Herzliche Grüße Ihre

Ihre

Claudia Hessel

NEWSLETTER 16.5.2025

Wie Bücherschränke für soziale Welten stehen, Zeitungsleser einer Mutter und ihrem Sohn halfen und die Volksbühne Unterstützer braucht  

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

haben Sie auch einen öffentlichen Bücherschrank in der Nähe? Einen, in den Sie ausgelesene Bücher stellen? Oder aus dem der eine oder andere Titel Sie so angesprochen hat, dass Sie ihn mitnahmen? Ich kenne vier im näheren Umfeld. Die Schränke verdienen ihren Namen, denn sie sind eine langlebige Mischung aus Stahl, Glas, Basaltsockel (nur in Köln) und Tresor, doch trotz aller Robustheit zurückhaltend im Auftritt. Was ich nicht wusste ist, dass diese Schränke aus meiner Nachbarschaft kommen.

Im Kunstzentrum Sürther Wachsfabrik, einem wuseligen Ensemble alter Backsteinbauten, stellt der Stadtplaner und Architekt Hans-Jürgen Greve sie mit fünf festen Angestellten her. Weil mir jüngst nahegelegt wurde, mehr Positives zu schreiben, stelle ich Ihnen diese Initiative umso lieber vor. Rund 1200 öffentliche Bücherschränke hat Greve seit 2008 produziert. Man findet sie überall in Deutschland. Auch in einem ausführlichen Gespräch vor seiner verwunschen gelegenen Werkstatt, an die sich seine Wohnräume anschließen, weiß Greve nur Gutes zu berichten, seit er 2008 den ersten Schrank aufstellte (in Bonn) und 2010 den ersten in Köln (in Bayenthal).

Ob ihn nicht der Amtsschimmel behindere, wollte ich wissen? Nein, antwortete der 60jährige. Als Stadtplaner könne er mit Bürokratie umgehen. Vandalismus? Ganz selten. Einmal sei ein Lkw gegen einen Schrank gefahren, der sei umgefallen und wieder aufgerichtet worden. Alles passte weiter, dank der massiven Konstruktion aus Zehn-Millimeter-Cortenstahl. Vier Fünftel seiner Erfahrungen seien gut, bilanziert der gebürtige Sauerländer. Nichts könne das Bild ernstlich trüben. Eine Erfolgsgeschichte.

Das hängt auch mit Greve selbst zusammen, der ein methodisch vorgehendes Multi-Talent ist. Dem ersten Bücherschrank, den er überhaupt sah, haftete etwas Improvisiertes an. Die Bücher darin waren nass, einige vermodert. Doch sein Interesse war geweckt. Nur wollte er es besser machen und musste technische Fragen beantworten. Zum Beispiel: Wie schließen die Türen sauber? Wie kann dennoch die Belüftung der Bücher garantiert werden?

Das professionelle Produkt, das heute seine Werkstatt verlässt, verdankt sich dem Zusammenwirken verschiedener Berufsfelder, die Greve in sich vereint. In einer Schreinerei aufgewachsen, ist er von Herzen Handwerker – doch ebenso Architekt, Stadtplaner und Zeitgenosse mit wachem Blick. Neun Schranktypen umfasst die gesamte Produktionsbreite. Davon gibt es rheinabwärts nur ein einziges Modell, das in schickem Messing-Ton gehalten ist: Das Düsseldorfer Modell. In Köln hingegen besteht der Sockel aus Eifeler Basalt, wie bei den Romanischen Kirchen. Damit seien alle Vorschriften auch für denkmalgeschützte Plätze erfüllt, indem deren Formen- und Materialsprache aufgenommen wird.

Doch dann geht es erst los. Denn soll ein Bücherschrank gedeihen, muss er Teil eines sozialen Systems sein. Wie ein Pilz, der Fruchtkörper eines Netzwerks im Erdreich ist, des sogenannten Myzels: Passt der Bücherschrank auch stadtplanerisch, ist ausreichend Betrieb am Standort und gibt es eine Initiative, die ihn pflegt, dann ist dieses Myzel intakt. In Sürth sind das die Dorfgemeinschaft und der Verein für Sürth. Diese Paten sorgen dafür, dass der Platz nicht vermüllt, der Schrank regelmäßig aussortiert wird und Leben um ihn herum ist.

Greve verbringt viel Zeit damit, Standorte zu bewerten, deren Entwicklung zu verfolgen und Paten zu finden. Die Erfolgsgeschichte dieser Bücherschränke verdankt sich dem Streben ihres Erfinders, Leuchttürme für ein Viertel zu schaffen, soziale Welten also, wie es früher der Marktplatz war. Die Bücherschränke warteten nur darauf, von ihm entdeckt zu werden. Wenngleich im Wortsinn nicht völlig korrekt, finde ich diese Formulierung am treffendsten.

Mehr über seine Initiative hier oder an jedem ersten Sonntagnachmittag im Monat in der Wachsfabrik. Der Architekt verdient mit den Bücherschränken zwar Geld, ihm geht es aber auch um einen positiven Beitrag zur Gesellschaft. Daher nenne ich ihn einen Sozialunternehmer wie auch den Deutschen Eckhardt Dauck, der in Afrika aus Stroh Häuser baut, wie Sie hier lesen.

Noch eine positive Nachricht: € 22.500 für die Ferienbetreuung behinderter Kinder an der Belvedere Förderschule haben LeserInnen des Kölner Stadt-Anzeiger spontan gespendet. Der Anlass: In der Rubrik „Zwei Kaffee, bitte“ berichtete Susanne Hengesbach über den neun Jahre alten, schwerstbehinderten Henry, seine Mutter Eva Karbaumer und ihre Probleme, Ferien machen zu können. Hier lesen Sie den Artikel, der so anteilnehmend wie möglich und so sachlich wie nötig geschrieben ist. Zeitungsleser sind etwas Besonderes, folgert meine Kollegin. Ihr Fazit: „Derselbe Bericht auf Facebook gepostet hat 17 hochgereckte Daumen, einen freundlichen Kommentar und € 0,0 gebracht. Da soll noch mal einer was gegen die gute alte Tageszeitung sagen . . .“

Last but not least: Die Volksbühne am Rudolfplatz. Ihr Karma ist mit Händen greifbar. Kurz nach dem Krieg begann Willy Millowitsch auf Drängen von Bundeskanzler Konrad Adenauer hier zu spielen. Heute führen Axel Molinski und Birger Steinbrück die Geschäfte. Die Volksbühne ist non Profit. Getragen von gutem Programm und vor allem gutem Willen. In diesem Jahr feiert sie das Zehnjährige. Ziel im Jubiläumsjahr: Die Erneuerung des Gestühls mit seinen 400 Plätzen. Ein Sockelbetrag liegt bereit und die TheatermacherInnen bitten um Hilfe. „Leisten Sie sich ein Stück „Volksbühne am Rudolfplatz“, sagen sie. „Für € 300,– als Spende mit amtlicher Spendenquittung oder auf Rechnung über € 300,–/netto. Mehr hier.

 

Ein sonniges Wochenende, geprägt von gutem Willen, wünscht Ihnen

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 09.05.2025

Lärm in der Innenstadt: was wird da eigentlich gemessen? Womöglich grober Unfug. Ein Blick hinter die Kulissen, die selbst die Verwaltung nicht kennt

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

heute habe ich eine Geschichte für Sie, über die zwar viele reden, aber kaum einer bei dem Moment dabei war, der wirklich für das Verständnis wichtig ist. Es geht um Innenstadt-Plätze mit viel Lärm, wie den Brüsseler Platz. Sie wissen, dass das Verwaltungsgericht das generelle Verweilverbot dort im Eilverfahren erst einmal teilweise gekippt hat. Die Stadt erwägt deshalb ein anderes, milderes Verbot – ein „Alkoholkonsumverbot“ werde vorbereitet, heißt es. Viele glauben, die Stadt zeige damit nun Einsicht, dass ihre ursprüngliche Entscheidung zu hart gewesen sei und sie hätte lieber früher mildere Maßnahmen prüfen sollen – so wie es auch die Richter in der Entscheidung zu den Eilanträgen sagen.

Ich habe da so meine Zweifel… Denn das Urteil des Verwaltungsgerichts hat für mich einen Subtext. Und der lautet: die größte Schwachstelle sind nicht die Entscheidungen der Stadt sondern die Lärmmessungen selbst. Die Stadtverwaltung schreibt mir dazu, das Gericht habe nicht die Höhe der Messwerte angezweifelt. Allerdings sei künftig eine „Begleitung“ der Messung vor Ort gefordert worden. Ja, aber warum denn!?

Meine Sicht der Dinge beginnt vor längerer Zeit mit einem Spaziergang durch die Innenstadt. Mit einem Eis in der Hand genieße ich den Feierabend und mir fällt am Straßenrand ein parkender Bus auf, der auf seinem Dach eine Art Antenne stehen hat. Die Konstruktion ist insgesamt etwa vier Meter hoch. Doch es stellt sich heraus: es ist keine Antenne auf dem Dach, sondern ein Mikrofon.

Ich kann mich noch erinnern, wie ich das Eis vor Lachen kaum im Mund halten konnte. Bald mache ich 30 Jahre lang Radio. Kein Profi käme auch nur entfernt auf die Idee, für gute Aufnahmen ein Metallstativ mit einem Mikrofon auf einen Resonanzkörper aus Metall zu stellen.

Jedes Geräusch fängt der Bus als Resonanzkörper auf, gibt es verstärkt über das Metallstativ weiter und überträgt so das Geräusch auf das Mikrofon – viel lauter als es tatsächlich ist.  Mir war schon damals klar, dass mir das kaum einer glauben wird. Deshalb habe ich Fotos von dieser Lärmmessung Aufnahmekonstruktion gemacht und sie an Tontechnikerinnen verschiedener Funkhäuser geschickt. Auch diese antworteten mit Gelächter. Für alle war sofort ersichtlich: das kann nicht ernsthaft eine seriöse Messung oder Aufnahme einer Geräuschkulisse sein. Wochen später schickte mir eine dieser Technikerinnen ein Bild von der derselben Konstruktion an anderer Stelle in der Innenstadt. Es ist also Methode.

Viele Monate später äußert das Verwaltungsgericht seine Meinung  dazu und kippt das Verweilverbot am Brüsseler Platz. In diesem Moment habe ich noch gar nicht an die Lärmmessung gedacht – bis in der Begründung des Gerichts diese zwei Sätze fallen: „Die Messungen zeigen vielmehr, dass die vom Geschehen ausgehenden Geräusche vor allem von Pegelausschlägen (lautes Rufen und Lachen, Schreie und lautes Klirren von Glasflaschen) geprägt sind. Die Messungen, die keine Angaben zur Ursache des Lärms enthalten, sind nach Auffassung des Gerichts nicht geeignet, um die von der Stadt behauptete Gesundheitsgefahr schon bei einfachen Unterhaltungen zu plausibilisieren.

Und an der Stelle erinnere ich mich dann doch an das, worüber ich mich so amüsiert habe: Messungen aus der Innenstadt, zumindest einige, sind mutmaßlich nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden. Richter, die regelmäßig mit Lärmgutachten zu tun haben, empfinden die Messungen der Stadt Köln als nicht plausibel. Und da ich ja einmal bei einer solchen Messung dabei war, schließe ich mich dieser Auffassung durchaus an. Ausschläge beim Pegel entstehen vor allem dann, wenn der Resonanzkörper umso größer ist.

 

Übrigens: der geparkte Bus am Straßenrand war während der Messung menschenleer. Die Mitarbeiter des Ingenieurbüros saßen nebenan, in einem weiteren geparkten Auto. Warum, habe ich sie damals gefragt. Sie sagten, so solle verhindert werden, dass ihre Gespräche und Bewegungen im Wagen auf der Aufnahme zu hören seien. Keine Pointe.

Nur damit keine Missverständnisse entstehen: meine Beobachtungen beziehen sich auf Messungen am Rudolfplatz. Für den Brüsseler Platz wurde nach Angaben der Stadt eine andere Firma beauftragt. Auf meine Frage, ob denn die Stadt während der Messung auch einmal vor Ort dabei gewesen sei, heißt es: Nein. „Bei den beauftragten Firmen, handelt es sich um Gutachter mit entsprechender Expertise, so dass keine Zweifel an der ordnungsgemäßen Durchführung erkennbar sind.“

Komisch ist es dann, dass die Richter fordern, dass künftige Messungen „begleitet“ werden sollen – und gibt der Stadt das Signal, mit den bisherigen Lärmgutachten rechtlich nicht durchzukommen. Auch der Kölner Presseclub bietet sich als „Begleitung“ für die nächsten Messungen gerne an. Und, ich habe sie schon gefragt: die beiden hauptberuflichen Tontechnikerinnen aus den Funkhäusern kommen auch.

Es grüßt Sie aufhorchend herzlich

Ihr
David Rühl

PS:
„Gute“ Nachrichten vermeldet auch die Volksbühne am Rudolfplatz, ein Partner des Kölner Presseclubs. Die Volksbühne legt nach sieben Jahren ihren Rechtsstreit mit Nachbarn bei und darf somit weiter bestehen. Zwar müssen die Veranstaltungen weiterhin spätestens 22 Uhr beendet sein, aber der Kulturbetrieb als Ganzes steht nicht mehr in Frage. Die Kosten für diese Erkenntnis liegen nach Angaben der Volksbühne bei 160.000 Euro. Da sieht man mal, was das kostet – auch wenn alles bleibt, wie es ist.

NEWSLETTER 2.5.2025

Ein Attentat in Braunsfeld, Hass auf die Politik und das Versagen des Bürgertums

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

die Frau auf dem Braunsfelder Wochenmarkt ist arg- und schutzlos. Freundlich verteilt sie Rosen an die Besucher. Plötzlich sticht ein Mann mit einem Jagdmesser auf sie ein, verletzt sie lebensgefährlich am Hals. Sein Motiv: Hass. Hass auf eine Frau, die er persönlich nicht kennt. Aber er weiß: Sie ist Kommunalpolitikerin, will Oberbürgermeisterin werden. Das genügt ihm, denn er macht sie, die bislang als Sozialdezernentin in Köln arbeitet, für alles verantwortlich, was ihm nicht passt in diesem Land. Und das ist eine ganze Menge.

Diese heimtückische, brutale Gewalttat, begangen an Henriette Reker, ist jetzt zehn Jahre her. Doch das Entsetzen hat nicht zu Besinnung und Friedfertigkeit geführt – im Gegenteil. Die Zahl der Angriffe auf Politiker und Amtsträger hat zugenommen. Unflätige Drohbriefe, Shitstorms und körperliche Attacken bis hin zu Mordversuchen haben seither zugenommen, sie passieren täglich und die Tendenz ist steigend.

Die Angriffe hinterlassen Spuren. Wer will sich noch um ein öffentliches Amt bewerben, wenn er damit rechnen muss, dass er oder sie Opfer von Hetze und Gewalt werden? Wer will seine Familie solchen Gefahren aussetzen? Gerade in der Kommunalpolitik, wo Demokratie unmittelbar ge- und erlebt wird, ziehen immer mehr Menschen die Konsequenzen. Die Bereitschaft, Freizeit und Seelenruhe für einen Dienst an der Gemeinschaft zu opfern, sinkt, das belegen nicht nur spektakuläre Rücktritte von Ortsvorstehern, Bürgermeistern und Landräten, sondern auch belastbare Umfragen. Sich um das öffentliche Wohl kümmern? Dienst an der Allgemeinheit? Bitte ohne mich.

Höhere Strafen helfen wenig bis gar nichts. Die Angreifer bleiben meist anonym, wenn sie mit Eisenstangen oder Pfefferspray Kommunalpolitiker überfallen, wenn sie deren Häuser beschmieren, Scheiben einwerfen, Reifen durchstechen. Und die Kommunalpolitikerin von nebenan oder der Kommunalpolitiker von gegenüber sind schutzloser als ihre Spitzenkollegen in Berlin, sie brauchen den ständigen, unmittelbaren Kontakt zu den Menschen, die sie repräsentieren.

Das eigentliche Problem sind nicht die Gewalttäter und Pöbler. Das Problem sind vielmehr diejenigen, die Politik grundsätzlich verachten, die nörgelnd oder laut fluchend die deren vermeintliche Unfähigkeit, Dummheit und Korruptheit beklagen. Wer will sich das noch antun, in seiner Freizeit für eine schmale Aufwandsentschädigung einer missgelaunten, teilweise feindseligen Allgemeinheit rund um die Uhr als Watschenmann zur Verfügung zu stehen?

So entsteht ein gesellschaftliches Klima, das sich zwangsläufig radikalisiert. Das lange tonangebende Bürgertum hat zum Rückzug geblasen, lieber schimpft man übellaunig über „die Politik“, die nichts zustande bringt, sieht sich aber selbst nicht in der Pflicht. Wer mit offenen Ohren durch Golf- und Tennisclubs geht, auf Empfängen oder in Rotary Clubs genauer hinhört, muss schon eine sehr zuversichtliche Grundüberzeugung haben, um noch vom Gelingen der wohlhabendsten und freiheitlichsten Gesellschaft überzeugt zu sein, die es je auf deutschem Boden gegeben hat. Genau die aber steht auf dem Spiel.

Natürlich ist Kritik nicht nur erwünscht, sondern Voraussetzung für eine freiheitliche Gesellschaft. Aber mit Anstand, Maß und Mitte, differenziert und nicht pauschal – und damit bequem. Wenn sowieso alles Mist ist, warum sich dann damit beschäftigen?  Vielleicht sollte gerade das Bürgertum sich stärker aktiv einmischen, sich als Bollwerk gegen Hetze und Gewalt verstehen, Verantwortung für Staat und Gesellschaft fördern. Sich nicht von der zappeligen Ungeduld der sog. Sozialen Medien anstecken lassen. In außen- und sicherheitspolitisch so brisanten Zeiten eine Regierung Merz runterputzen, bevor sie überhaupt im Amt ist und eine Chance zum Versagen hat.

Letztlich hängt das Überleben von Demokratie und Wohlstand nicht von den Krakeelern auf Twitter ab oder von lautstarken Verschwörungstheoretikern. Es hängt ab von einem Bürgertum, das sich konstruktiv engagiert.

Dass der zentrale gesellschaftliche Kitt der Dialog ist, dieser Gedanke ist ein Kernelement für den Kölner Presseclub. Dazu gehört vor allem, die gelegentliche Sprachlosigkeit zwischen den Generationen aufzubrechen. Deshalb freuen wir uns, dass unser Partner Jens Lönneker mit Maxime Simon am 7. Mai im Rheingold-Salon ein öffentliches Generationengespräch führen wird. Ich bin gespannt und freue mich auf den zu erwartenden Erkenntnisgewinn.

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

NEWSLETTER 11.04.2025

Bürokratiemonster aus Brüssel lähmt noch den Mittelstand – Ein Schuss am Eigelstein, der sitzen muss?

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

mit 38 Angestellten ist die Firma Rasch Maschinenbau in Hürth übersichtlich. Doch steckt in ihr, was Deutschlands Wirtschaft groß gemacht hat. Unternehmertum, Innovation, Teamgeist, Präzision, Termintreue und die Bereitschaft, eigene Maschinen in alle Welt zu liefern. Wo immer Hohlkörper aus Schokolade – zurzeit sind das Hasen – in Aluminiumfolie einwickelt werden, erledigt das wahrscheinlich eine Maschine der Firma Rasch.

Chefin Tina Gerfer fiel mir auf, als sie Kanzler Olaf Scholz auf dem IHK-Jahresempfang mit dem Hinweis konfrontierte, Bürokratie lähme zunehmend ihre Geschäfte. Rasch Maschinenbau ist auf Kante genäht. Empfang? Ein Hauselektriker, der zufällig am Eingang stand, brachte mich auf die Chefetage, als ich die Managerin besuchte. Das Chef-Sekretariat hat andere Aufgaben, als Besuchern Kaffee zu kochen. Gerfer macht das selber und nebenher.

So, wie sie sich auch um das „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ kümmert, das seit 2024 in der EU gilt. Es richtet sich an Unternehmen mit mindestens 1000 Mitarbeitern und soll Menschenrechte in Entwicklungs- und Schwellenländern sichern. Für die Kakaobohnen in unserer Schokolade zum Beispiel, die aus Sierra Leona kommen, soll man sich nicht schämen müssen, weil sie unter miserablen Bedingungen produziert wurden. Das gilt auch für viele andere Waren.

Mit diesem Gesetz hat Tina Gerfers Betrieb aufgrund seiner Produkte und der Betriebsgröße nichts zu tun. Doch rasch hat es sich zu einem Bürokratiemonster für fast jedes zweite deutsche Unternehmen entwickelt, denn Rasch Maschinenbau muss alle Berichtspflichten erfüllen, weil die Firma für ein großes Unternehmen produziert. Das wiederum muss seine Lieferkette deklarieren und reicht die Pflicht an die Zulieferer weiter. Egal, wie klein diese sind. Selbst in der Gruppe von Unternehmen mit bis zu 49 Mitarbeitern – in diese gehört Rasch Maschinenbau – sind die Hälfte aller Firmen vom Gesetz betroffen, stellt Dr. Adriana Neligan vom Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln fest. „Gut gemeint, ist nicht immer gut gemacht“, urteilt sie nüchtern.  Die große Koalition in Berlin hat sich auf das Aus für das Gesetz verständigt. Mal schauen, ob und wann Tina Gerfer Vollzug meldet.

Wie die örtlichen Institutionen IHK oder die Handwerkskammer zu Köln kritisiert die Wissenschaftlerin, der Standort werde durch das Gesetz nicht nur teurer und weniger wettbewerbsfähig. Selbst sein Nutzen sei zweifelhaft. Für Kleinbetriebe, etwa in der Kakaoproduktion, sei die Materie zu komplex. Sie begünstige vielmehr Konzerne. Doch auch ganze Nationen, denen geholfen werden sollte, geraten dadurch ins Hintertreffen.

Aus Ländern wie Bangladesch oder Pakistan seien die deutschen Bekleidungsimporte 2023 um mehr als ein Fünftel eingebrochen, merkt Dr. Neligan. Dort habe man Probleme, sich mit den komplexen Vorgaben aus Brüssel auseinanderzusetzen. Der Handel ordere lieber gleich aus Ländern mit verlässlicher Verwaltungssorgfalt, um Strafen zu vermeiden. Mit all dem hat Tina Gerfers Maschinenbau-Betrieb nichts zu tun. Doch selbst das Offensichtliche muss sie schriftlich erklären. Jüngst erst hat sie 250 Seiten durchgeackert, um auf dem Gros der Blätter schriftlich zu notieren, dass diese oder jene Regelung auf sie nicht anwendbar ist.  

„Alle Beteiligten wussten von Anfang an, dass die Schutzziele mit dem Gesetz nicht zu erreichen sind“, moniert IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Uwe Vetterlein. Stattdessen würde den Unternehmen staatliche Verantwortung aufgebürdet. Eine Kritik, die sinngemäß auch von Hans Peter Wollseifer kommt, dem Präsidenten der Handwerkskammer zu Köln. Dabei seien dem Handwerk durchaus Aspekte wichtig, die Ressourcen, die Ökologie oder das soziale Miteinander fördern, sagt Wollseifer. Es sei ein Wettbewerbsvorteil, Nachhaltigkeit sichtbar darzustellen. Daher biete die Handwerkskammer Betrieben einen kostenfreien Nachhaltigkeitscheck.

Tina Gerfer hat klare Werte – auch ohne die EU. Dafür steht ein Gemälde ihres Großvaters, des Firmengründers Wilhelm Rasch. Es hängt in ihrem Büro. Er vermittelte der Enkelin, dass Respekt ein universeller Wert sei. Und er impfte ihr ein, laut zu lachen, wenn ihr jemand sage, sie sei „nur“ ein Mädchen. Zwei Erkenntnisse aus Tina Gerfers weltweiten Kontakten habe ich notiert. Werte wie Treu und Glauben gälten in Familienbetrieben und bei arabischen Kunden viel. Und wenn ein Argentinier einem die Hand darauf gebe, sei das so gut wie ein schriftlicher Vertrag. Wenn Brüssel das wüsste.

Szenenwechsel. „Wir haben noch einen Schuss . . . und der Schuss muss sitzen“, heißt es martialisch in einer WhatsApp, die am Eigelstein kursiert. „Wir haben nur diesen einen Schuss!“  Nein, es geht nicht um den Ukraine-Krieg. Es geht um die türkischen Grills in der Weidengasse. Seit Ende 2024 liegt ein Verwaltungsgerichtsurteil vor, das die Wirte verpflichtet, bis Ende April 2025 Grillgerüche aus der Luft zu filtern. Eine Gesundheitsgefahr sah das Gericht nicht. In Kürze wird das überprüfbar sein und die Angelegenheit geklärt.

Doch das wollen die Verfasser der Nachricht nicht abwarten. Sie setzen auf einen weiteren Prozess, ein Zivilverfahren, und sammeln Geld, von dem viel bereits geflossen zu sein scheint. Eine juristische „gute Ausgangsposition“ habe „rund 10.000 € zusätzlich gekostet“, heißt es. Zudem werden Einzelspender hervorgehoben, weil sie bereits 3000 € bzw. 2000 € „beigetragen“ haben. Arme Menschen sind hier nicht unterwegs. Ob sie „hochgiftige Gase“ in der Grill-Abluft vermuten, wie es der Bürgerverein Eigelstein tut? Der wolle wohl reine Alpenluft im innerstädtischen Viertel mit dichtestem Schienen-, Auto- und Schiffsverkehr, und schiebe türkischen Grills die Verantwortung zu, lästert ein Umweltexperte.

Jüngst hat der Vize-Vorsitzende des Bürgervereins, Atakan Taner, sein Amt niedergelegt. Seinem Ziel, am Eigelstein die Menschen zusammenzubringen, konnte er nicht nähergekommen, ein Alibi-Türke wollte er nicht sein. Wenn er erzählt, verstehe ich ihn.

Es gibt einen bürgerlichen Rassismus außerhalb dem der Straße. Er wehte auch in der Wahl zum Kölner CDU-Vorsitz, als die türkischstämmige Serap Güler von einem Gegenkandidaten unter Islamismus-Verdacht gestellt wurde. Nicht zum ersten Mal und nicht zum ersten Mal aus der eigenen Partei. „Ich habe immer gehofft, integrierte Türken würden zum Normalfall in Deutschland,“ sagt die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Lale Akgün ernüchtert. „Stattdessen wird die AFD immer stärker zur Normalität.“ Immerhin setzte Serap Güler sich trotz der Schläge unter die Gürtellinie als Parteichefin durch.

Ich wünsche uns Regen und ein schönes Wochenende

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 04.04.2025

„Ich kratze die Aufkleber selbst ab“ – Koelncongress-Geschäftsführer Ralf Nüsser über Tunnel, Tatenlosigkeit und die Liebe zu einer Stadt, die besser sein könnte.

 

 

Liebe Mitglieder,

liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

nicht immer sind es die Schlagzeilen, die uns in Köln beschäftigen. Nicht die Brocken, wie der Ost-West-Tunnel oder der mittlerweile milliardenschwere Opernbau und die nie endenden Diskussionen der Stadtpolitik. Oft sind es die kleinen Dinge am Rande, die uns auffallen – und symptomatisch sind für das Gefühl: Köln könnte mehr, wenn es nur öfter wollen würde.

Zugeklebte Schilder an Briefkästen des Kulturamts – kein Scherz, Peter Pauls hat es neulich beschrieben. Warnbaken, die offenbar vergessen werden. Und ein Tunnel, der mehr Schatten hat als Licht. Man schaut hin, schüttelt den Kopf – und fragt sich: Muss das so sein? Oder ist einfach wieder keiner zuständig?

Doch es gibt sie, die Menschen in dieser Stadt, die sich kümmern. Einer von ihnen ist Ralf Nüsser. Geschäftsführer der Koelncongress GmbH, seit Jahrzehnten Veranstaltungsprofi – und Kölner mit Leib und Seele. Schon 1989 fing er bei der Koelnmesse an – als Reiseverkehrskaufmann. Heute verantwortet er mit Koelncongress einige der wichtigsten Veranstaltungsorte der Stadt: den Gürzenich, die Flora, den Tanzbrunnen. Und jetzt auch das neue Confex, das zum 100-jährigen Bestehen der Koelnmesse im vergangenen Jahr eröffnet wurde. Eine hochmoderne Multifunktionshalle, ideal für internationale Kongresse, Events und Großveranstaltungen. ICE-Anschluss inklusive. Die Nachfrage ist riesig – die ersten Verträge für Medizinkongresse laufen bereits bis 2032. Es tut sich auf der rechten Rheinseite derzeit viel. Deutz wächst – städtebaulich, wirtschaftlich, kulturell. Eigentlich also alles bestens. Doch auf dem Weg dahin liegen Stolpersteine – wörtlich und im übertragenen Sinne.

Die Fußgängertunnel zwischen dem Auenweg, dem Bahnhof Köln Messe/Deutz und dem Messegelände sind für viele Gäste der erste Eindruck von Köln. Und der ist, so sagt mir Nüsser im Gespräch deutlich, alles andere als einladend. „Die Tunnel sind dreckig, dunkel, oft vermüllt. Manche Kongressgäste sagen mir: Das fühlt sich nicht sicher an“, berichtet er. Und man merkt: Das ist nicht einfach nur Kritik – das ist persönliche Betroffenheit. „Es ärgert mich, dass niemand zuständig ist. Die Bahn, weil es unter ihren Gleisen liegt? Die Stadt, weil es ein Gehweg ist? Oder am Ende die Standortbetreiber? Diese Zersplitterung der Verantwortung lähmt jede Verbesserung.“

Einmal, so erzählt er, sei ein großer internationaler Kunde im Confex gewesen, um einen Vertrag zu unterschreiben. Alles lief perfekt – bis die Gruppe sich auf den Weg zum Flughafen machen wollte. „Ich habe spontan meinen nächsten Termin verschoben und sie selbst mit dem Auto zum Flughafen gefahren. Ich hatte Angst, dass sie uns abspringen, wenn sie durch den Tunnel gehen. Solche Situationen darf es nicht geben.“

Man spürt, wie sehr ihn solche Dinge beschäftigen. Nicht nur aus geschäftlichen Gründen, sondern auch ganz persönlich. „Ich leide“, sagt er. Jeden Morgen fährt er durch den großen Tunnel Auenweg. „Rechts ein Bettenlager, zugeklebte Schilder, frisch erneuerte Wegweiser, die innerhalb kürzester Zeit wieder mit Graffiti beschmiert sind. Das tut mir weh – nicht nur als Geschäftsführer, sondern als Kölner.“ Und dann macht er, was viele nicht tun würden: Er kratzt die Aufkleber ab. Weil er weiß: Wenn der erste klebt, folgen morgen zehn neue. Kein großes Aufheben – einfach machen. So funktioniert die Stadt auch.

Was aber, wenn sich über Jahre niemand zuständig fühlt? Wenn Verantwortung zwischen Eigentümern, Verwaltung und Investoren zerrinnt? Dann bleiben Orte zurück, die einst Bedeutung hatten – und heute vergessen sind. Wie der alte Messeturm am Rhein. Ein markantes Gebäude, 80 Meter hoch, gebaut 1928 zur Internationalen Presse-Ausstellung „Pressa“. Früher: Konferenzräume mit Restaurant und einem atemberaubenden Blick über die Stadt. Heute: Leerstand seit 2005. Ein schlafender Riese an prominenter Stelle in Köln. Die Leuchtschrift „Restaurant“ prangt noch immer über dem Eingang – für viele Touristen und Messegäste irreführend, die sich nicht auskennen. Eigentümer ist zurzeit eine Frankfurter Immobiliengesellschaft, die dort angeblich Wohnraum plant. Doch passiert ist seither wenig. Ein Sinnbild für ungenutztes Potenzial inmitten der Stadt. Nüsser ärgert das. „Wieder ein Ort, der verschwindet, weil sich keiner richtig kümmert. Das war mal ein Wahrzeichen!“ Für ihn ist der Turm mehr als nur ein Gebäude – er ist ein Stück Kölner Identität und sollte den Kölnern zurückgegeben werden.

Immerhin: Am Tanzbrunnen wird zurzeit gearbeitet. Die Stadt saniert die beliebte Open-Air-Location – Bühne, Technik, die markanten Schirme: Alles wird erneuert. Der Betrieb läuft währenddessen abschnittsweise weiter. Bis 2027 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Und auch rund um den Tanzbrunnen tut sich etwas – zumindest in der Theorie. Direkt nebenan soll das Staatenhaus, derzeit Interimsquartier der Oper Köln, bald Geschichte sein – vorausgesetzt, die Oper kehrt wie geplant an ihren Stammsitz am Offenbachplatz zurück. Irgendwann. Dann würde Platz frei für ein neues Kapitel am Rhein: ein Musicaltheater in direkter Nachbarschaft zu Confex, Rheinpark und Tanzbrunnen. Für das ganze Areal wäre das eine spürbare städtebauliche Aufwertung – mit kultureller Strahlkraft. Während die alten Messehallen 6 bis 8 mit dem markanten roten Backsteinmauern künftig als technische Infrastruktur für die Musicalproduktion dient, soll das eher unattraktive bestehende Staatenhaus am Verkehrskreisel abgerissen werden. Nüsser kommentiert das halb ernst, halb augenzwinkernd: „Ich glaube, dass der Neubau des Musicaltheaters schneller fertig sein wird als die Oper am Offenbachplatz.“

Ein Satz, der viel sagt – über Tempo, Planung und Geduld in Köln. Und über den Humor, mit dem man hier durchs Stadtleben geht. Diese Mischung aus Selbstironie und trotzigem Optimismus ist typisch kölsch: Man lacht. Auch, wenn es wenig zu lachen gibt. So geht es auch Ralf Nüsser – einer, der Köln kennt, wie es ist, und trotzdem daran festhält, was es sein könnte. „Wir sind keine drittklassige Stadt. Aber wir wirken manchmal so, weil wir uns mit dem Mittelmaß arrangieren. Ich liebe Köln – aber ich liebe es so sehr, dass ich will, dass es besser wird.“

Aber: Einzelne, die sich einsetzen, können auf Dauer nicht gegen die Macht der Gleichgültigkeit ankommen. In Köln bleibt nicht nur Müll liegen – es bleibt auch Verantwortung liegen. Es ist nicht normal, dass sich niemand zuständig fühlt, wenn der Tunnel verdreckt ist, Schilder vergammeln oder Fußgängerzonen oder Plätze zur öffentlichen Toilette verkommen. Es ist auch kein Ausdruck von Toleranz, wenn man dabei zusieht, wie der öffentliche Raum verwahrlost – es ist Bequemlichkeit, getarnt als Liberalität.

Verwahrlosung ist kein plötzlicher Zustand. Sie beginnt schleichend – mit jedem, der wegsieht. Und sie endet dort, wo sich keiner mehr schämt. Ordnung ist nicht spießig. Sie ist Ausdruck von Haltung – und von dem Wunsch, in einer Stadt zu leben, auf die man stolz sein kann. Nicht weil sie perfekt ist, sondern weil es uns nicht egal sein sollte, wie sie aussieht.

Herzlich
Ihre
Claudia Hessel