Abschied von einem Unbeirrbaren

Zum Tode von Gerhart Baum

Nein, trotz seiner 92 Jahre kann man nicht sagen, das Leben von Gerhart Baum hätte sich vollendet. Denn bis zuletzt kämpfte der überzeugte Wahl-Kölner für eine Sache, die er heute für gefährdeter denn je hielt: die freiheitliche Demokratie in der Bundesrepublik. Und diesen Kampf wollte er weiterführen, unbeirrt und aufrecht. Ich erinnere mich noch gut an seinen Auftritt im Kölner Presseclub, wo er mein Gesprächspartner und Gast beim vorjährigen Jahresauftaktgespräch war. Wir kannten uns seit 1977, immer wieder kreuzten sich unsere Wege, oft war er in meinen Sendungen. Er vereinte eine kämpferische Haltung mit großer menschlicher Wärme. Er konnte laut und vehement sein, aber auch leise, immer aufmerksam, immer hellwach.

Sein flammender Appell für die Verteidigung einer offenen und liberalen Gesellschaft kam aus einer tiefen Überzeugung, der er sein Leben lang treu geblieben war. Die Sorge vor einem politischen Versagen der bürgerlichen Elite, wie die Weimarer Republik sie erlebt hat, trieb ihn um. Er hatte den Eindruck, das Teile des Bürgertums verführbar sind durch die in Teilen rechtsextremistische AfD, bei der er keine Lösungen für die komplexen Probleme der Gegenwart sehen konnte, aber dafür umso mehr rassistische Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und nationalistische Verirrung.

Dieser lebenslange Kampf für Freiheit, Bürgerrechte und für Entfaltungsmöglichkeiten des Einzelnen speiste sich, wie er mir oft sagte, aus seiner biografischen Erfahrung. Geboren in Dresden während der Endphase der Weimarer Republik, aufgewachsen im bildungsaffinen Großbürgertum, überlebte er die furchtbare Bombardierung der Stadt im Februar 1945. Immer wieder schilderte er das Grauen, als er mit seiner Mutter als 12-jähriger durch die zerstörte Stadt irrte. Seine Lehre aus der Erfahrung war, dass übersteigerter Nationalismus zu Hass, Gewalt und Vernichtung führt. Um das zu verhindern, schloss er sich als junger Anwalt der FDP an.

Ich bin nicht sicher, wie oft sich die jeweilige Parteiführung gewünscht hätte, er wäre den Liberalen nie beigetreten. Immer wieder mahnte und kritisierte er die Freien Demokraten, wenn sie aus seiner Sicht die Prinzipien des Rechtsstaats, die Verteidigung bürgerlicher Freiheit verrieten, Denn er, der vielseitig Begabte, war eines nicht: ein Karrierist und Opportunist. Das bewies er als Innenminister in der sozial-liberalen Koalition unter Helmut Schmidt, das bewies er, als er das Angebot, in der christ-liberalen Koalition unter Helmut Kohl ablehnte, weil er zu viel Zwang zu Kompromissen sah. Orientierung gab ihm sein innerer Kompass, nicht eine Parteilinie und auch keine Koalitionsdisziplin. Baum ließ in Fragen der Verfassung und Grundrechte seine Partei nie aus der Pflicht. Und seine Stimme fand bis zuletzt das Ohr der Öffentlichkeit, er war bis zuletzt eine politisch-moralische Autorität.

Sein Maßstab war die Freiheit und die Entfaltung des Individuums. Ob als prägender Innenminister der Bonner Republik, als UNO-Beauftragter für Menschenrechte, als streitbarer – und erfolgreicher – Kämpfer in Verfassungsfragen, als überragender Kulturpolitiker, immer stand der Einzelne, seine Würde und seine Rechte im Mittelpunkt von Baums Engagement.

Dieses zutiefst humane Menschenbild spiegelte sich auch in seiner Leidenschaft für Kunst und Kultur wieder. Bis vor gut einem Jahr leitete er durchaus wirkungsvoll den Kulturrat NRW. Seine Liebe galt vor allem der Neuen Musik und die Rettung der Donaueschinger Musiktage ist ein sichtbarer Beweis seines Einflusses. Aber auch sein Engagement als Aufsichtsratsvorsitzender des renommierten Suhrkamp Verlags, der in Turbulenzen geraten war, hat diesem intellektuellen Leuchtturm der Republik vermutlich die Zukunft gesichert.

Mit Gerhart Baum verliert Deutschland in schwierigen Zeiten eine wichtige Stimme, die FDP einen ihrer markantesten Köpfe, die Stadt Köln eine herausragende Persönlichkeit – und der Kölner Presseclub einen wichtigen Freund und Förderer. Er wird fehlen und wir verneigen uns. (mh)