NEWSLETTER 12.09.2024
Von heimatlosen Freiberuflern,
einer Partei als Spiegel des Landes
und Chancen, die zu Krisen werden
Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
niemand versteht von Wiederauferstehung so viel wie die FDP – wenn man vielleicht mal von den christlichen Konfessionen absieht. Immer mal wieder abgeschrieben und totgesagt, gelegentlich auch totgewünscht, die inoffizielle Partei-Hymne scheint regelmäßig „Spiel mir das Lied vom Tod“ zu sein – bis es die Liberalen dann doch erneut schafften, die politische Palliativstation zu verlassen, um gleich wieder eine tragende Rolle auf der Bonner oder Berliner Bühne zu übernehmen. Aber es gilt auch: Jede Glückssträhne (Spielernaturen und Fußballfans wissen das) geht einmal zu Ende. Das renommierte Meinungsforschungsinstitut forsa sieht die Partei aktuell bei 3 Prozent, in den letzten neun von zehn Wahlen wurden die Liberalen teilweise pulverisiert. War’s das mit der FDP?
Gut möglich. Spricht man mit forsa-Gründer und -Chef Prof. Manfred Güllner dieser Tage über das Elend des organisierten Liberalismus, stellt er nüchtern fest: Die klassische Klientel der FDP – Freiberufler, Unternehmer, Handwerker, leitende Angestellte – hat sich enttäuscht von der Partei abgewandt. „Die FDP war die Partei des deutschen Mittelstands, sie war im positiven Sinne eine Klientel-Partei“, so Güllner. Nur fühle der sich nicht mehr von der FDP vertreten. Man könne sogar sagen, dass alle, „die sich in der politischen und gesellschaftlichen Mitte verorten, den höchsten Anteil von Nicht-Wählern stellen.“ Als wäre das nicht beunruhigend genug, weist der forsa-Chef darauf hin, dass ein Teil dieser Wählerschaft „wegen der Ampel-Politik und des Versagens der FDP“ zur AfD gewandert ist. „Die FDP hat prozentual die höchsten Abwanderungsquote an die AfD.“
Aus seiner Forschung weiß Manfred Güllner um die Gefühlslage der Nation. Er diagnostiziert beim deutschen Mittelstand Verunsicherung und Statusängste. Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung, der Kriege in der Ukraine und in Nahost sowie der vielfachen Krisen von Klimawandel bis zu steigender Gewaltkriminalität ist das wenig verwunderlich. Hier hätte die Politik eine gestaltende Schutzfunktion, die die Mitte der Gesellschaft offensichtlich bei der FDP nicht erkennen kann. Überregulierung, Abgabenlast, das Gefühl, von einer überbordenden Bürokratie so gegängelt zu werden, dass Freiheitsspielräume, Kreativität und Produktivität auf der Strecke bleiben, ist groß. So gesehen, spiegelt sich im Schicksal der FDP die Misere des Landes.
Das war mal anders, etwa 2009. Da triumphierte die Westerwelle-FDP bei der Bundestagswahl wie seit 1961 nicht mehr – um dann in vier Jahren alles zu verspielen und am Schluss bei der Wahl 2013 aus dem Parlament zu fliegen. Für Manfred Güllner war Westerwelles Griff nach dem Außenministerium ein Fehler, „davon hat die Wählerschaft der Liberalen gar nichts gehabt“, obendrein galt seine Amtszeit nicht gerade als erfolgreich. Sein Versuch, durch eher in schrill-populistischem Ton vorgetragene gesellschaftspolitische Einwürfe Boden gutzumachen, bewirkten das Gegenteil. Der Absturz war die Folge.
Christian Lindner, der 2017 quasi im Alleingang die Partei zurück in den Bundestag geführt hat, wollte es besser machen. Zwar war die FDP-Wählerschaft enttäuscht, dass die Partei sich einer Koalition 2017 verweigerte, verhalf ihr 2021 dennoch wieder ins Parlament. Lindner wiederholte den Fehler Westerwelles nicht, er übernahm das für die FDP-Klientel wichtige Finanzressort und Marco Buschmann das Justizministerium, was dem Selbstverständnis der Freidemokraten als Rechtsstaatspartei entspricht. Doch mit dem Eintritt in die Ampel scheint die Partei von der Fortüne verlassen. Ein vorzeitiger Ausstieg aus dem Scholz-Kabinett ist auch keine Alternative, das wäre Selbstmord aus Angst vor dem Tod.
Und jetzt? Gerade eine der Marktwirtschaft verpflichtete Partei weiß, dass ein Angebot, das nicht nachgefragt wird, aus dem Regal fliegt. Und mit der rapide schrumpfenden Akzeptanz verliert die FDP auch an Sichtbarkeit, sie taucht inzwischen auch in Umfragen gelegentlich nur noch summarisch unter „Sonstige“ auf. Anders als in der alten Bundesrepublik werden die Freidemokraten auch für eine Koalitionsbildung kaum mehr gebraucht – keine schöne Perspektive für eine Partei, die zwei Bundespräsidenten gestellt und lange mit herausragenden Persönlichkeiten wie Hans-Dietrich Genscher und Gerhart Baum das Land maßgeblich geprägt hat. Ihr Verschwinden in die Geschichtsbücher wäre ein Verlust.
Gibt es im politischen Spektrum noch Platz für eine Partei, die für individuelle Freiheit steht, für die persönliche und wirtschaftliche Entfaltung? Gegen Übergriffe von Staat, kollektivistischen Großorganisationen, die Allmacht globaler Konzerne? Für Wettbewerb und Chancengerechtigkeit? Ja, sagt Güllner, der Wunsch nach einer solchen Partei ist da. Aber dem drohe derzeit Heimatlosigkeit.
In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,
Ihr
Michael Hirz