NEWSLETTER 20.09.2024

Wie eine Fledermaus mächtiger als ein Mensch sein kann und am Kölner Großmarkt Existenzen gefährdet werden

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

kennen Sie Gelbbauchunke, Juchtenkäfer oder Bechsteinfledermaus? Vielleicht wissen Sie, was für besondere und doch unscheinbare Lebewesen das sind, denn sie stehen unter Naturschutz. Wegen ihnen mussten große Projekte umgeplant werden. Die Bechsteinfledermaus etwa schaffte es, den Börsenkurs von RWE über Nacht um fast eine Milliarde Euro fallen zu lassen. Ein Gericht hatte ihr ein Existenzrecht an ihrem angestammten Ort zugesprochen, einem Waldstück im Hambacher Forst.

Christos Savvidis, der einen Lebensmittelgroßhandel am Kölner Großmarkt betreibt, kennt auch kaum jemand. Doch die Bedeutung einer Bechsteinfledermaus hat er gewiss nicht. In den Vorlagen des Liegenschaftsamtes für die Kölner Politik schrumpft er zu „AU 9 – Lager 1“. So stehen seine Chancen – anders als bei der Bechsteinfledermaus – schlecht, noch eine Perspektive für seine Existenz zu finden. Ende Januar 2024 hat die Stadt Köln ihm als Vermieterin fristgerecht zu Ende 2024 gekündigt. Die elfmonatige Frist solle ihm „Planungssicherheit“ bieten. Für den 47jährigen kam der Schritt unerwartet. Er ging davon aus, das Gelände am Großmarkt erst 2025 mit den anderen Händlern verlassen zu müssen.

Das ist zentral für Savvidis. Nicht allein gehen zu müssen. „Stark hat uns das breite Angebot Aller gemacht,“ sagt er. Dafür kommen Restaurants, Großküchen, Caterer und Händler selbst aus Nachbarländern wie Holland und Belgien. Sie können hier für alle Bedürfnisse einkaufen. „Die Preise sind gut, der Service auch. Der Großmarkt ist das Herz der Kölner Gastronomie“, schwärmt Fabio Parentela, Chef des italienischen Restaurants „Sansone Due“, den ich als Kronzeuge zitiere. Im EXPRESS rühmte er dessen Angebot und Qualität.

Gelbbauchunke, Juchtenkäfer oder Bechsteinfledermaus würden Partei für den Händler Christos Savvidis ergreifen. Sie wissen, was ein passender Lebensraum bedeutet. Niemand käme auf die Idee, ein Volk von Bechsteinfledermäusen einfach irgendwo in irgendein Waldstück zu fahren. Erst nach kostspieligen Umsiedlungsaktionen durfte RWE im Hambacher Forst roden. Eine der Voraussetzungen war, dass die kleinen Säuger eine Fledermausautobahn zwischen ihren Quartieren und den Jagdgebieten akzeptierten.

Vielleicht ist auch für Christos Savvidis noch ein wenig behördliche und politische Aufmerksamkeit übrig? „Allein bin ich geliefert,“ sagt er, den der Existenzkampf zunehmend zermürbt. „Wer zu mir kommt, will auch zu meinen Nachbarn“. Bei denen werden zurzeit Zukunftspläne geschmiedet. Man schaut sich Grundstücke oder Immobilien an, kalkuliert Chancen und sucht Partner – aber immer erst für Ende 2025.

Das ist viel zu spät für Savvidis. Dann muss er sein Quartier längst schon geräumt und von allen Installationen und Anlagen befreit zurückgegeben haben. Auf 1600 Quadratmetern Fläche hat er durch ein ausgeklügeltes System von Regalen, die sich gen Decke schrauben, etwa 4500 Quadratmeter Nutzfläche, auf denen sich auch die vier Kältekammern befinden. Alles ist hier groß: die Kanister für Olivenöl, Peperoni und Tomaten, die Käselaiber, Fässer mit Schafskäse, die Gebinde mit Getränken oder die großen Eimer mit Oliven aller Art.

Und weil alles so groß und letztlich anonym ist, kennt niemand Christos Savvidis alias „AU 9 – Lager 1“. Und wenn, dann auch nur, weil sein Gebäude „niedergelegt werden“ soll in „Ausführung des politischen Willens“. Vielleicht wäre es für die Politik angemessener, würde man einen Abriss tatsächlich Abriss nennen und zur Kenntnis nehmen, dass man über ein Geschäft entscheidet, dass 15 Menschen Arbeit gibt und seit fast einem halben Jahrhundert am Großmarkt anzutreffen ist. An sechs Tagen der Woche wird hier von 5 Uhr morgens bis 16 Uhr gearbeitet.

Wie zugewandt die gleiche Politik sein kann, wenn sie beim Betroffenen schon einmal Weißbrot ins Olivenöl getunkt hat, zeigt der Fall von Fotis Paraschoudis und seinem Restaurant „Tavernaki“ in der Alteburger Straße. Es residierte in einem der typischen Flachbauten, die nach dem 2. Weltkrieg in Baulücken entstanden. Als sein Restaurant 2016 abgerissen und einem mehrstöckigen Wohnungsbau weichen sollte, rief die gleiche Politik Zeter und Mordio, die heute den Stab über Christos Savvidis bricht. Übrigens war das „Tavernaki“ treuer Kunde bei Savvidis. Nicht nur sein Olivenöl scheint gut zu sein.

Womöglich ist der Verwaltung nicht wohl in der Angelegenheit. Manche Wendung in den amtlichen Schreiben liest sich wie ein behördliches „Es tut uns leid“. Vielleicht treten hinter „AU 9 – Lager 1“ doch noch der Mensch und sein Betrieb hervor. Es schadet nicht, zumindest einige – menschliche – Randbedingungen zu kennen. Die Bechsteinfledermaus lässt grüßen.

Nicht allein Not und Vertreibung in Afrika haben den Anlass für unseren Abend „Die überforderte Nächstenliebe“ gegeben. Wenn Millionen von Flüchtlingen miserabel versorgt sind, dann kommen mehr Menschen zu uns. Und wenn die Schlepper-Passage umgerechnet € 4000,– kostet und ein ganzes Dorf dafür zusammenlegen muss – dann schickt man junge Männer und ganz sicher keine Alten. Denn die Jungen schaffen es vielleicht. Wir leben in einer Welt und können uns ihr nicht entziehen. Donnerstag, 26. September, sprechen wir ab 19.30 Uhr über das Thema im Excelsior Hotel Ernst. Wie man gegen Not arbeiten kann und wie Hilfe auch den Helfenden verändert.

Den Newsletter versuche ich, wenn möglich, positiv zu schließen. Das fällt mir schwer angesichts der zweiten Explosion in der Kölner Innenstadt innerhalb einer Woche. Bedrückend finde ich, wie lapidar diese Anschläge hingenommen werden. Was ist los mit Köln, was ist los mit uns?

Ich bin voller Fragen und wünsche mir ein Wochenende voller Antworten.

Herzliche Grüße
Ihr

Peter Pauls