NEWSLETTER 6.12.2024
Kulturkürzungen in Köln: Frisst die Opern-Baustelle unsere Kultur?
Liebe Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
bringen Sie mal auf einer der vielen Weihnachtsfeiern das Wort „Oper“ ins Spiel und erleben Sie, was passiert: tiefes Seufzen, ein Stirnrunzeln, dann die Wut: „Wie kann das sein, dass das so teuer ist und niemand weiß, wann die Baustelle fertig wird?“ Dieses eine Wort – Oper – entfacht in Köln Diskussionen wie kein anderes und wird immer mehr zum Symbol städtischer Fehlpriorisierungen. Es ist ein Konflikt, der die Stadt nicht nur emotional, sondern auch kulturell zerreißt. Seit Mitte November ist klar: Kölns freie Kulturszene steht vor einer existenziellen Bedrohung. Die geplanten Kürzungen von sechs Millionen Euro – ein Fünftel der bisherigen Fördermittel – könnten etablierte Festivals, neue Projekte und Ensembles zum Erliegen bringen.
Auf der anderen Seite entsteht die neue Oper am Offenbachplatz, deren Gesamtkosten mittlerweile schwindelerregende 1,5 Milliarden Euro erreicht haben – inklusive dreistelliger Millionenbeträge an Finanzierungskosten. Ein Fass ohne Boden fürchten viele. „Die Oper frisst die Kulturstadt Köln auf“, höre ich in vielen Diskussionen. Doch es ist nicht die Oper selbst, die kritisiert wird – es ist die Ungerechtigkeit, die durch die Sparpläne der Verwaltung entstanden ist.
Die Stimmung kippt. Bürgermeister Dr. Ralph Elster warnt im Gespräch mit mir eindringlich vor den Folgen der Kürzungen und der drohenden Spaltung der Kölner Kulturlandschaft: „Was wir gerade erleben, ist brandgefährlich. Die freie Szene wird zerrieben, und die Opernbaustelle wird zum Sündenbock gemacht. Das müssen wir verhindern.“
Doch wer übernimmt die Regie in dieser Krise? Die Kritik richtet sich längst nicht mehr nur gegen die teilweise drastischen Sparpläne. Auch Kulturdezernent Stefan Charles gerät zunehmend unter Beschuss. „Wo ist er in dieser Krise?“ fragen Künstlerinnen, Künstler und Kulturinitiativen unisono. Aus der Politik heißt es, er arbeite im Hintergrund an Lösungen. Doch sichtbare Signale bleiben bislang aus. „Bei kulturellen Veranstaltungen sieht man ihn aktuell nur selten“, lautet der Vorwurf. Gerade jetzt bräuchte Köln jemanden, der die Perspektiven von freier Szene und Großprojekten zusammenführt, fordern sie.
Mitten drin: Opernintendant Hein Mulders. Die explodierenden Kosten und die ständigen Verzögerungen treffen nicht nur die öffentliche Wahrnehmung der Kölner Oper, sondern zermürben auch seine rund 600 Angestellten im Provisorium Staatenhaus. Seit Jahren stemmen sie die baulichen und organisatorischen Herausforderungen, die eine Übergangsspielstätte mit sich bringt. „Die Geduld vieler ist am Ende“, gibt Mulders mir gegenüber offen zu. Dabei war seine Vision eine andere: Kölns Oper zu einem internationalen Leuchtturm zu machen, der weit über die Stadt hinausstrahlt. Stattdessen steht er einem Publikum gegenüber, das oft mehr Fragen zur Baustelle hat als zu den Aufführungen. Fragen, die in der gegenwärtigen Situation unbeantwortet bleiben.
Doch trotz allem zeigt Mulders Optimismus: „Das Staatenhaus ist zwar kein idealer Aufführungsort, aber wir haben uns dort künstlerisch profiliert und ein treues, diverses Publikum gewonnen, das uns durch diese schwierige Zeit trägt, bis wir an den Offenbachplatz ziehen können.“ Für ihn ist klar: Solange die künstlerischen Programme umgesetzt werden können, bleibt die Oper stark. Viele seiner Unterstützer hoffen, dass das Team Kurs hält – auf eine Zeit hin, in der die Oper Köln nicht nur ein richtiges Zuhause, sondern auch einen neuen Glanzpunkt für die Kultur der Stadt darstellt.
Aber wie soll es mit der freien Szene weitergehen? Als kulturpolitischer Sprecher der CDU schlägt Bürgermeister Elster jetzt einen „Kultur-Soli“ vor – eine geringe Abgabe auf Eintrittskarten, die der freien Szene zugutekommt. „Das wäre ein erstes Signal, dass die freie Szene kein Anhängsel ist, sondern ein Innovationsmotor, der das kulturelle Leben und die Attraktivität unserer Stadt prägt“, erklärt er. „Eine Stadt, die ihre Kulturschaffenden gegeneinander ausspielt, verliert am Ende alles.“
Es ist ein Weckruf an die politischen Gremien, die nun alle gefordert sind, gerechte Entscheidungen zu treffen. Die Kölner Kultur steht an einem Scheideweg. Prestigebauten wie die der Oper und die freie Szene dürfen nicht als Gegensätze wahrgenommen werden. Denn Kultur ist keine Frage von „entweder oder“. Es ist eine Frage von „und“. Als Autorin dieser Zeilen und Ausrichterin des Shalom-Musik-Festivals, das selbst auf Fördermittel angewiesen ist, schreibe ich diese Zeilen sicherlich nicht aus einer neutralen Perspektive. Vielmehr sprechen sie aus der Sorge um unsere kulturelle Landschaft, die ich aus eigener Erfahrung kenne und schätze. Mein Anliegen ist es, eine Debatte anzustoßen über die Zukunft der Kulturstadt Köln.
Denn wenn nicht bald etwas geschieht, droht Köln mehr zu verlieren als nur Festivals oder Bühnen. Es droht, seine Identität als lebendige und kreative Stadt einzubüßen. Und das wäre ein Verlust, den keine Opernsanierung jemals ausgleichen könnte. Vielleicht ist die Weihnachtszeit genau der richtige Moment, um sich daran zu erinnern, was Kultur leisten kann: Sie bringt uns zusammen, sie bewegt uns und sie lässt uns träumen – ob in einer kleinen Hinterhofbühne oder auf der großen Bühne der Oper.
Aber Köln schafft es immer, zwischen Chaos, Pragmatismus und Humor zu balancieren – und am Ende doch alles irgendwie zu meistern, nicht wahr? Wie ein großer, bunter Zirkus: Manche jonglieren, andere stolpern – und am Ende klatschen trotzdem alle.
Mit hoffnungsvollen Grüßen
Ihre
Claudia Hessel