NEWSLETTER 31.01.2025
Über Metzger-Theken, Zynismus im Wahlkampf und Mut in der Sozialpolitik
Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
das wichtigste Gesetz jedes Wahlkampfs lautet: Versprechen und halten sind zweierlei. Doch das könnte auch mal schief gehen. Zum Beispiel beim Versprechen, unser ausgebauter Sozialstaat hätte eine Ewigkeits-Garantie. Rente, Pflege, Gesundheitskosten und andere Errungenschaften seien ungefährdet, man könne vielleicht sogar noch eine Schippe drauflegen. Höheres Bürgergeld, zusätzliche Pflegeleistungen, höhere Mütterrente – es geht zu wie an der Metzgerei-Theke nach dem Motto: Darf’s ein bisschen mehr sein?
Dabei sind die Kassen längst leer, obwohl ein Drittel der jährlichen Wirtschaftsleistung jetzt schon in die Finanzierung des Sozialstaats geht und fast die Hälfte des Bundeshaushalts für Sozialausgaben aufgewandt wird. Doch düstere Wachstumsprognosen und der demografische Wandel, jahrzehntelang ignoriert, geben den Wahlversprechen einen geradezu zynischen Anstrich. Sie sind schlicht nicht finanzierbar. Es wird, anders als die SPD plakatiert, kein „Mehr für Dich“ geben. Die Zukunft heißt „Weniger für alle“.
Zum Beispiel Köln: In den nächsten 15 Jahren werden ca. 4.500 Plätze für die stationäre Pflege fehlen – eine Folge des galoppierenden demografischen Wandels, bei dem die Zahl pflegebedürftiger älterer Menschen gewaltig ansteigen wird. Um die benötigten Plätze zu schaffen, müssten allein umgerechnet 56 neue Pflegeheime gebaut werden, und zwar zusätzlich. Gleichzeitig fehlt es jetzt schon an Pflegepersonal. Denn pro Haus werden etwa 100 Pflegekräfte benötigt. Das alles wird sich mit den vorhandenen Mitteln nicht bewerkstelligen lassen. Nein, sagt auch Prof. Uwe Ufer und er muss es wissen. Er ist seit zwölf Jahren kaufmännischer Vorstand der Diakonie Michaelshoven, einem mit mehr als 3.000 hauptamtlich Beschäftigten größten Sozialunternehmen des Landes.
Ufer fordert nicht weniger als ein radikales Umdenken in der Sozialpolitik. Zu sehr schauten die politischen Parteien ausschließlich auf den Einsatz von Mitteln, nicht aber auf das Ergebnis. Als Beispiel nennt er die Pläne für die Kindergrundsicherung. „Da ist die Politik schon zufrieden, wenn sie Geld bereitstellt und eine neue Behörde schafft“, kritisiert er. Ob das dann auch dem Ziel dient, Kindern zu helfen und zu befähigen, ein selbstverantwortetes Leben zu führen, geriete aus dem Fokus. „Sozialpolitik muss sich an der Wirkung messen lassen, nicht am Einsatz immer höherer Etats. Es kommt ausschließlich auf die Wirkung an, nicht auf die Zahl der Finanzierungstöpfe.“ Politikerinnen und Politiker führten jedoch geradezu einen Überbietungswettbewerb im Bemühen, immer neue Leistungen zu beschließen.
Was auf der Strecke bleibe, sei das Bemühen, bedürftige Menschen zu aktivieren. Selbstverständlich müsse man Menschen in Not helfen. Aber das sollte Hilfe zur Selbsthilfe sein und nicht dauerhafte Abhängigkeit von der Unterstützung durch den Staat. „Ziel der Hilfe muss sein, dass ich keine Hilfe mehr brauche. Wir sind schließlich selbst für unser Leben verantwortlich. Nicht der Staat.“ Doch es habe sich eine Mentalität breit gemacht, die von Anspruchsdenken geprägt sei, wobei auch nicht mehr gesehen werde, dass „erst mal das Geld erwirtschaftet werden muss, bevor ich es ausgeben kann.“
Die Diakonie Michaelshoven versucht Ufer, auf die absehbar sich verändernde Wirklichkeit vorzubereiten: „Wir müssen lernen, mit weniger Menschen mehr Hilfe zu leisten. Das ist reine Mathematik“. Auch sei es zunehmend ein Problem, junge Menschen für einen Beruf in der Pflege zu rekrutieren. Ein Sozialberuf passt eben nicht zu einem Zeitgeist, der der Work-life-Balance einen zentralen Wert zumisst. Viele gut ausgebildete junge Menschen strebten keinen Vollzeit-Beruf mehr an, weil Freizeit eine zu verlockende Größe sei.
Deshalb brauche es einen kompletten Systemwechsel. Zuwanderung und Digitalisierung alleine könnten nicht helfen, auch die Robotik sei nicht der Zauberschlüssel. Die Regulierung zum Beispiel sei längst überkomplex, „jeder Handgriff ist vorgeschrieben, alles bürokratisiert“, klagt der Sozialunternehmer. Hier müsse ein radikales Umdenken für Besserung sorgen. Wie in Spanien sollte Familien die Möglichkeit gegeben werden, in den Einrichtungen ihre Angehörigen zu pflegen – bislang ein Tabu in Deutschland. Die bürokratischen Hürden bis hin zum Bau von Einrichtungen müsste dringend entschlackt werden.
Mit dieser Haltung macht sich der Chef der Diakonie weder bei den Sozialverbänden noch in großen Teilen der Politik Freunde. „Ich muss auch nicht der Beliebteste sein“, sagt Ufer. Er will etwas bewegen, ein durch Fehlentwicklungen scheiterndes System reformieren. Man kann, nein, man muss ihm nur Glück wünschen. Denn das Land hat gerade viele teure Baustellen: Eine marode Infrastruktur, steigende Verteidigungslasten, Probleme bei der Integration, gravierende Mängel in der Bildungspolitik und so weiter und so fort. Vor allem scheint es aber einen Mangel an Ehrlichkeit in der Politik zu geben – vor allem im Wahlkampf.
Und da wir gerade bei Baustellen sind: Auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in einer Krise. Seine Notwendigkeit wird seriös zwar nicht bestritten, aber auch er braucht dringend Reformen. Darüber sprechen wir am 19. Februar im Kölner Presseclub mit Dr. Katrin Vernau, die seit Anfang des Jahres Intendantin des WDR ist, der größten Rundfunkanstalt Kontinental-Europas (ab 19.30 Uhr im Hotel Excelsior Ernst). Sie will den WDR in turbulenten Zeiten zukunftsfest machen – was sie vorhat, wie sie es umsetzen will und was das für das Publikum bedeutet, werden Sie am 19. Februar erfahren. Lassen wir uns überraschen.
In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,
Ihr
Michael Hirz