NEWSLETTER 30.5.2025
Über ein hässliches Gesicht, den Gesetzgeber als Feind und Inder statt Kinder
Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
zu den herausragenden Fähigkeiten des Menschen gehört zweifellos die Verdrängung. Die Gesellschaft altert rapide? Die Zahl der Älteren steigt in den Jahren sprunghaft an, damit auch die Zahl der Pflegebedürftigen und Dementen. Nirgendwo zeigt die demografische Entwicklung ein so hässliches Gesicht wie hier. Und es ist keine Meinung, sondern schlichte Mathematik: Wer heute 70 ist und in zehn, fünfzehn Jahren noch lebt, ist dann 80 oder 85 – und damit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, Unterstützung und Pflege zu benötigen. Doch wer soll die leisten? Viele Alte und Bedürftige haben keine Kinder, auf die sie zählen können. Die nachfolgenden Generationen sind deutlich kleiner, sie werden auch anderweitig dringend benötigt und – das muss man sagen – haben häufig auch keinen Bock auf Pflegeberufe.
„Wir brauchen in den nächsten Jahren mehr als 50 neue Heime für die stationäre Pflege in Köln – zusätzlich“, sagt Prof. Uwe Ufer. Er ist Chef der Diakonie Michaelshoven, einem Sozialunternehmen mit 3.400 Mitarbeitern. Nüchterne Prognosen sind das Alltagsgeschäft dieses sozialen Reparaturbetriebs. Natürlich ist es mit dem Bau von Einrichtungen nicht getan. Sie müssen auch betrieben werden. Dafür braucht es zusätzlich mehr als 5.000 Pflegekräfte. Da jetzt schon Pflegekräfte fehlen, wartet hier eine wahre Herkulesaufgabe auf die Sozialdienste.
Aber nicht nur die Demografie ist ein zäher Gegner, auch der Gesetzgeber. Das belegt ein Gespräch mit Christian Potthoff, einem Mitarbeiter Ufers, der für Pflege und Wohnen zuständig ist. Weil die Diakonie vorausschauend den Bedarf an Pflegekräften decken will, muss sie Kräfte anwerben, zunehmend auch im Ausland. Das hat sie getan und unter anderem in Indien Personalnachwuchs akquiriert. Erstmals kamen dann im Oktober letzten Jahres neun indische Pflege-Azubis nach Köln. Dafür ist gesetzlich vorgeschrieben, Wohnraum plus Ausstattung zur Verfügung zu stellen, geregelt ist dabei alles „bis zum letzten Löffel“ (Potthoff). Die Diakonie stellte obendrein noch eine Betreuerin für die private und berufliche Eingliederung der Azubis ab. Das scheint zu klappen, denn Arbeitseinsatz und schulische Leistungen der jungen Inderinnen und Inder ist „deutlich überdurchschnittlich“, kurz: Alles könnte auf einem guten Weg sein.
Könnte! Denn trotz der hohen Ausbildungsvergütung (1340 Euro im ersten Ausbildungsjahr), der Lebensunterhalt in einer Stadt wie Köln lässt sich damit kaum bestreiten, schon wegen der hohen Mieten. Zwar hat die Diakonie auf dem Markt Zimmer und Wohnungen für die Azubis gefunden. Aber beim Versuch, Ausbildungsbeihilfe für die jungen Pflegekräfte zu beantragen, scheiterte die Diakonie. Dazu sei die Ausbildungsvergütung zu hoch. Also stellte man einen Antrag auf Wohngeld. Auch das funktionierte nicht, weil zuvor der Anspruch auf Bürgergeld geprüft werden müsse.
Das allerdings, musste Potthoff feststellen, lief auch ins Leere, denn die jungen Leute hatten nur eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr. Der naheliegende Gedanke, eine vorzeitige Verlängerung bei der Ausländerbehörde zu bekommen. Das allerdings führte zu dem Ergebnis, dass plötzlich das Aufenthaltsrecht grundsätzlich in Frage gestellt wurde, denn es war ja mit dem vorliegenden Antrag auf Unterstützung versucht worden, Sozialleistungen zu erhalten.
Und jetzt? „Im schlechtesten Fall müssten die jungen Menschen wieder zurück“, sagt Potthoff. Menschen, die dringend benötigt werden, in die schon viel investiert wurde und deren berechtigte Hoffnung auf eine gesicherte Perspektive zu zerplatzen droht. Potthoff beeilt sich zu versichern, dass die beteiligten Behörden jede für sich völlig begründet handelt, die Stadt Köln ausgesprochen kooperativ sei, aber das gesetzliche Regelwerk so detailversessen und oft widersprüchlich sei, dass es zu dieser fatalen Lage gekommen sei. „Es gibt das Ausländerrecht, das Aufenthaltsrecht, das Sozialhilferecht, aber das passt alles nicht wirklich zusammen“, so Potthoff. Jetzt wartet die Diakonie auf eine Grundsatzentscheidung.
Viel ist gerade von notwendigen Veränderungen, von Bewusstseinswandel und von Entbürokratisierung die Rede. Das ist allgemein absolut richtig. Manchmal aber auch sehr konkret nötig.
In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,
Ihr
Michael Hirz