Newsletter 11. März 2022

Newsletter vom 11.03.2022

Am Eigelstein stoßen zwei Welten aufeinander – doch die Kölner Politik nimmt nur eine wahr

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

neulich habe ich mich gefragt, ob ich in einer verkehrten Welt lebe. In einer Zeitung las ich, wie sich Politik, Verwaltung und der Bürgerverein gegenseitig lobten für die Verkehrsberuhigung an einer der wuseligsten Straßen Kölns, dem Eigelstein. Endlich frei von Autoverkehr! Gelungen! Sehr zufrieden! Der grüne Bezirksbürgermeister Hupke wurde mit den Worten zitiert, die örtlichen Geschäftsleute hätten „zu hundert Prozent hinter der Idee gestanden haben, den Eigelstein autofrei zu machen“.

Das habe ich ganz anders erlebt. Für viele Anwohner und Geschäftsleute dort ist ein Verkehrsstrom wichtig – er bringt Kunden. Ob in die Weidengasse, mit Spezialgeschäften und Restaurants, oder auf den Eigelstein mit Einzelhandel, vom Juwelier über den Drogeriemarkt bis zum Brautmodengeschäft. Diese Menschen, mancher hat einen Migrationshintergrund, sehen sich durch die Autofreiheit in ihren Sorgen bestätigt. Die Geschäfte laufen schlecht.

Kein Wunder, dass die Kunsthändlerin Antje Hegge vergangenes Jahr auf Anhieb 300 Unterschriften von Anwohnenden sammelte, die sich durch die Verkehrsplanung unberücksichtigt fühlten. Empfänger der Unterschriftenliste, auf der auch Geschäftsleute standen: der grüne Bezirksbürgermeister Andreas Hupke. Denen, die vom Eigelstein leben, stehen die gegenüber, die ihn zu einer „Wohlfühlstraße“ machen wollen, die „zum Flanieren einlädt,“ die dort bummeln wollen. Hupke ist einer von ihnen.

Am Eigelstein stoßen aber nicht nur zwei Welten aufeinander. Vielmehr werden die Sorgen eines relevanten Bevölkerungsteils überhaupt nicht aufgegriffen. Gleichgesinnte klopfen einander auf die Schulter – und die anderen finden nicht statt. In dieses zynische Bild passt, dass die von Antje Hegge in drei Sprachen abgefasste kritische Resolution nie thematisiert wurde und der Bezirksbürgermeister nun von 100 Prozent Zustimmung schwadroniert. So bastelt man sich seine heile Welt, getragen von unerschütterlicher Ignoranz.

Eine Seminararbeit von fünf Studentinnen der Uni Köln hat mich ermutigt, das Thema noch einmal aufzugreifen. Unter dem Titel „Eigelstein, Weidengasse & Umgebung: Identitätspolitik, Gentrifizierung, Rassifizierung“ werden hier Stimmen aus dem Viertel gesammelt und ein Konfliktfeld markiert. Die Studentinnen schlagen sich nicht auf eine Seite. Doch sie tun, was Politik, Verwaltung und Bürgerverein nicht hinbekommen: Sie geben den Menschen und ihren Bedürfnissen Ausdruck, die nicht zu der eloquenten und verbal versierten Schicht gehören, die politisch gut vernetzt ist und den Eigelstein für sich und die eigenen Wohlfühl-Ansprüche reklamiert. Anwohner, Friseure, Imbiss-Betreiber und Schmuckhändler formulieren in der Uni-Arbeit ihre Sorge, wie Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden.

Bevor ich mich in Rage schreibe, lasse ich Prof. Dr. Wolf-Dietrich Bukow von der Uni Köln zu Wort kommen, in dessen Seminar die Arbeit entstand. Der Soziologe ist Pionier in der Erforschung städtischen Zusammenlebens und sieht den Eigelstein in seiner Mischung und Diversität gut aufgestellt. Arbeit, Wohnen und Versorgung spielen sich im eigenen Quartier ab. Doch dieses Potential müsse „sehr bedacht und in enger Zusammenarbeit mit der Bevölkerung entwickelt werden“, sagt er.

Am Eigelstein zeige sich auch, dass solche Quartiere für Menschen mit Kapital interessant seien. Ihnen kommt es nicht auf die urbane Gesamtqualität, sondern eher auf eine Investitionen unterstützende bürgerliche Quartierslyrik an, die sich gerne auch ökologisch schminkt, so Wolf Bukow. Die Behörden, ja sogar die Oberbürgermeisterin selbst würden dienstbar gemacht, um im Quartier eine „pseudobürgerliche Welt“ zu inszenieren. Und tatsächlich bestätigt der Bürgerverein laut Seminararbeit, ein „gut funktionierendes Netzwerk“ mit der Politik zu haben – „zumeist auf direktem Weg, persönlich, telefonisch oder per Mail.“ Die Oberbürgermeisterin kam zweimal vorbei. Ebenso ist der Besuch von Innenminister Reul (CDU) notiert worden.

Auch die Politikerin Dr. Lale Akgün (SPD) bat ich um ihre Einschätzung. Sie kennt die Gegend um den Eigelstein seit Jahrzehnten. „Fein“ war es dort nie, erinnert sie sich. Aber „es war ein leben und leben lassen, ganz gleich woher man kam.“ Probleme regelte man unter sich und zeigte nicht mit dem Finger auf andere. Dass regelfixierte Anwohner heute im Ruf stehen, schnell nach Polizei und Ordnungsamt zu rufen, kommt vor diesem Hintergrund einem Kulturbruch gleich. Entsetzen löste ein WDR-Beitrag aus, der einem Bürgervereinsmitglied zugeschrieben wird. Darin wurden Frauen am untersten Ende der sozialen Skala präsentiert. Wenn heute das äußere Straßenbild und Pflanzenkübel höher bewertet werden als der gesellschaftliche Frieden, frei nach dem Motto „Unser Dorf soll schöner werden“, hat der Eigelstein ein Problem, sagt die promovierte Psychologin Akgün.

Wem gehört das Viertel? „Für mich sieht es so aus, dass man eine Wohlfühloase für Wohlstandsbürger schaffen will; für Leute, die gern in renovierten Altbauwohnungen in einem >kölschen< Disneyland leben möchten,“ meint die Politikerin: Mit Migranten als Folklore-Kulisse. Solange geduldet, wie sie in den Restaurants nicht ihre amtlich genehmigten Grills anschalten. Denn diese, so wird von der anderen Seite unterstellt, verbreiteten „extrem giftige Gase“.

Eine Schande nennt die frühere SPD-Bundestagsabgeordnete das alles. „Dies schließt auch die Politiker und Politikerinnen mit ein, die bereit sind, diese Ansinnen zu unterstützen,“ sagt Lale Akgün und ich kann ihr nur zustimmen. Eine Mischung aus Brechstange und Ignoranz kann nicht die Keimzelle eines neuen, urbanen Kölns sein. Ein Ärgernis übrigens zieht sich durch die Uni-Arbeit: die Kampfradler. Sie brettern weiter – ob nun über Autostraßen oder verkehrsberuhigte Flaniermeilen und Wohlfühlzonen.

Herzlich grüßt
Ihr

Peter Pauls

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