NEWSLETTER 18.08.2023

Mehr handeln statt schönreden. Anwohner am Kölner Neumarkt wollen nicht mehr vertröstet werden und fordern Schluss mit der Kuschelpolitik.

 

Sehr geehrte Mitglieder, liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

Köln ist schäbig. Die spontane Äußerung einer Frau neulich auf der Domplatte überraschte mich nicht. Die Dame musste ihrem Frust offenbar einfach Luft machen. Ich war an diesem Abend auf dem Weg zum Parkhaus. Ein Ort, an dem man besser keinen tiefen Atemzug nimmt. Eau de Cologne – der wahre Duft von Köln. Wenn das emsige Treiben tagsüber in Köln ruht, dann fällt es noch mehr auf, wie unattraktiv gerade die Innenstadt ist: Überquellende Mülleimer, lose Steine, hässliche Graffiti, geschlossene Kulturstätten, verlotterte Baustellen. Viele Kölner haben das Gefühl, dass die Stadt der Situation nicht mehr Herr wird. Das findet auch Konrad Adenauer. „Es ist doch erschütternd, dass erst Kölner Stadtführern der Kragen platzen muss, weil sie sich für unser Stadtbild vor Touristen schämen, bevor das Thema von der Kölner Oberbürgermeisterin zur Chefsache gemacht wird“, sagt mir der Vorstandsvorsitzende des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins.

Und wo bleibt die Chefsache Kölner Neumarkt? An dem zentralen Ort hält man sich eigentlich nur auf, um auf die Bahn zu warten. Doch es tut sich was. Bis Ende August soll ein gelber Pavillon mit Kulturprogramm auf dem trostlosen Platz zum Verweilen animieren. Lesungen, Konzerte, Zaubereien und Chill-out Musik zwischen tosendem Autoverkehr, kranken Junkies, kriminellen Dealern und betrunkenen Obdachlosen. Großstadtleben in Köln im Jahre 2023. Ob daran der historische Brunnen, der gerade für 1,5 Mio. Euro aufwändig renoviert wird, etwas ändert? Oder das schlicht gehaltene Gastronomiekonzept, das in Kürze zur besseren Aufenthaltsqualität beitragen soll? Mit niederschwelligen Angeboten für den Neumarkt also zu mehr Glanz, so plant es die Stadt.

„Glanz hat in Köln keine Chance.“, meint Henrik Hanstein zum Angebot der Stadt. Der 72- jährige ist Mitinhaber des Kunsthauses Lempertz am Neumarkt, des ältesten und größten Auktionshauses in Deutschland. Auch er leidet unter den jahrelangen üblen Zuständen am zentralen Platz. „Den alten Brunnen am Neumarkt wiederherzustellen, löst keine Probleme. Wir müssen endlich anpacken, erklärt er mir im Gespräch. „Die Situation ist immer noch abschreckend, nicht nur für Besucher und Anwohner, sondern auch für die Geschäftsleute rund um den Neumarkt. Gute Ladenlokale sind nicht mehr vermietbar mit dem Dreck und den menschlichen Hinterlassenschaften vor der Haustür.“ Er berichtet weiter, dass Hausbesitzer um ihre Mieteinnahmen fürchten.

Die Stadt Köln hat bereits etliche Maßnahmen ergriffen, um die Situation vor Ort zu verbessern: erhöhte Präsenz von Ordnungskräften, verstärkte Reinigungsmaßnahmen, ein Drogenkonsumraum, Förderprogramme für Obdachlose, soziale Unterstützung für Bedürftige, bis hin zu kulturellen Veranstaltungen. Wohlfahrtsverbände und ehrenamtliche Hilfsorganisationen unterstützen und leisten wertvolle Arbeit. Nichts davon greift nachhaltig, kritisieren Hanstein und Anwohner. Das Problem am Neumarkt sei nicht der Drogenkonsumraum und die Abhängigen, die ihn nutzen. „Es sind die Menschen, die sich ungehindert weiterhin ihre Nadel in aller Öffentlichkeit in den Arm drücken können.“, sagt er. Deren Hinterlassenschaften und das oft aggressive Verhalten betrunkener Obdachloser seien die Dinge, mit denen man sich nicht mehr abfinden wolle.

Schluss mit der Kuschelpolitik.“ sagt Henrik Hanstein und fordert auf dem Neumarkt endlich ein härteres Durchgreifen. Als gelungenes Beispiel zieht der renommierte Kunstfachmann immer wieder die Stadt Zürich heran: „Zürich hat sich den zentralen Platz zurückerobert, dort greift die Polizei rigoros durch“. Mithilfe von Prävention, Repression, Überlebenshilfe und Therapie ist es dort gelungen, dass die Drogen- und Obdachlosenszene weitestgehend aus dem Zürcher Stadtbild verschwunden ist. Warum gelingt das nicht auch in Köln, wundert sich nicht nur er.

In Köln gibt es schätzungsweise mehr als 6.000 Obdachlose. Die genaue Zahl kennt niemand. Tendenz steigend. In der Politik und in weiten Teilen der Gesellschaft herrscht die Auffassung: Obdachlose könne man nicht von ihren bekannten Treffpunkten – Josef-Haubrich-Hof, Wiener Platz oder Neumarkt – vertreiben. Sie seien Teil des großstädtischen Lebens. „Jeder Mensch habe das Recht auf Verwahrlosung“, wird eine Sprecherin des SKM in der Kölnischen Rundschau Ende Juli zitiert. Somit seien auch Fachkräften der sozialen Arbeit die Hände gebunden, wenn Menschen keine Hilfe annehmen möchten.“Der Kölner Beigeordnete für Soziales, Gesundheit und Wohnen, Dr. Harald Rau, spricht in einer Pressemitteilung zum Start des Förderprogramms „Weiterentwicklung der Kölner Hilfen für Menschen im Kontext Obdachlosigkeit“ im Jahr 2022: „Diese Verantwortlichengemeinschaften sollen auch obdachlose und suchtkranke Menschen einbeziehen, die gemeinsam den öffentlichen Raum und die Plätze unserer Stadt als ihr Wohnzimmer gestalten und wertvoll machen.“ Auch auf meine aktuelle Rückfrage bekräftigt er seine Aussage von damals: „Das gemeinsame Wohnzimmer muss wie das in einer WG gemeinsam geplant, gepflegt und bewohnt werden.“ Der Neumarkt als ein Wohnzimmer für alle?

„Ich dachte, ich höre nicht richtig“, reagiert Henrik Hanstein erstaunt, „ich habe den Sozialdezernenten noch nie bei unseren Rundgängen am Neumarkt gesehen.“ Der Dezernent bleibt den Anwohnern jedenfalls eine zufriedenstellende Antwort schuldig auf die Frage, wie man denn die unwürdigen Zustände  am Neumarkt endlich ändern will.  Gesamtkonzept? Fehlanzeige. Stattdessen wird auf die künftige Neugestaltung des Kölner Neumarkts  – inklusive Brunnen und Wohnzimmer  – verwiesen. Irgendwann.

Stückwerk, nichts tun oder schönreden – Mit dem gewohnten Kölner Schema kommt man den aktuellen Herausforderungen nicht bei. Dom, Neumarkt und auch andere Plätze in unserer Stadt wollen die Kölner in der verwahrlosten Form nicht mehr länger akzeptieren. Die Unzufriedenheit wächst. Stadt und Politik sind jetzt in der Pflicht, sonst spielt auch dieses Problem anderen in die Hände – spätestens bei der Kommunalwahl 2025.

Die Hoffnung stirbt zuletzt, dachte sich auch Susanne Hengesbach in ihrem neuen Poetry-Podcast. Es geht um ihre Partnersuche im Internet. Was sie auf den gängigen Internetportalen erlebt hat, erzählt sie hier. Etwaige  Namensgleichheit mit real existierenden Personen sind rein zufällig, möchte ich für diesen Truestory-podcast nicht unerwähnt lassen. Dennoch trifft Susanne Hengesbach mal wieder den Nagel auf den Kopf.

Viel Spaß beim Hören und bleiben Sie stets hoffnungsvoll in Köln gestimmt.

Es grüßt Sie Ihre

Claudia Hessel