NEWSLETTER 29.09.2023

Das Faxgerät abschaffen, löst kein digitales Problem in einer Verwaltung. Die schleppende Digitalisierung des Staates gefährdet die Demokratie

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

meterlange Schlangen von Menschen, die sich vor einem Kölner Bürgeramt die Beine in den Bauch stehen. Wieso muss man noch persönlich zum Amt? Die Kölner Verwaltung soll doch ein Leuchtfeuer der Digitalisierung sein!  Hier wird mit modernster Technologie gearbeitet – schnell, effizient und unbürokratisch. Die Stadt zählt sich bei jeder Gelegenheit vollmundig zu den digitalsten Städten Deutschlands.

„Solchen Rankings sollte man nicht allzu viel Bedeutung schenken“, widerspricht Valentina Kerst. „Jeder nationale Vergleich ist hinfällig, weil ganz Deutschland digital hinterherhinkt. Es gibt keine Stadt, deren Vorgänge alle top digitalisiert sind – manche machen es gut und manche eben nicht.“ Die Kölnerin war Staatssekretärin für Digitalisierung in Thüringen. Mit ihrem Kollegen Fedor Ruhose hat sie jetzt ein Buch über Digitalisierung in Deutschland geschrieben: „Schleichender Blackout. Wie wir das digitale Desaster verhindern.“

Von Blackout will man in Köln nichts wissen, hier wird reihenweise digitalisiert nach dem Motto: Irgendwo muss man mal anfangen. So wurden in den vergangenen vier Jahren laut Angaben der Stadt 105 Projekte in der Kategorie Dienstleistungen für Bürger digital umgesetzt. 48 weitere Projekte werden in diesem Jahr abgeschlossen und 14 Projekte sind in der Umsetzung für 2024 und darüber hinaus.  Abgeschlossen sind beispielsweise die Online-Anmeldung von Hunden, das E-Payment in der Stadtbibliothek, der QR-Code auf Gebührenbescheiden. Ja, im Geldeintreiben ist die Stadt ausnahmsweise ganz schön flink. Seit September können Kölner ihr Fahrzeug online an-, ab- und ummelden, bald kommt die E-Akte und das Baugenehmigungsverfahren wird jetzt digital erweitert.

Doch schaut man sich die Liste von bislang abgeschlossenen und den noch laufenden Projekte mal genauer an, passt im Grunde nichts zusammen. „Da ist keine Priorisierung von Prozessen, die für den Bürger am dringendsten sind“, kritisiert Valentina Kerst. Überall in deutschen Amtsstuben sieht sie dasselbe digitale Flickwerk und die großen Versprechungen an uns Bürger: Wir digitalisieren doch! „Alle machen mit, aber das WIE ist doch die große Frage“,  stellt Kerst fest.

Immer noch können viele Behördengänge nicht komplett online erledigt werden, weil ein Kompetenzgerangel herrsche zwischen Bund, Ländern, Kommunen und verschiedenen Behörden. Auch das große Wort Datenschutz stehe im Raum. Hinzukommt, dass der Bund aktuell nicht plane, mehr Geld für die Digitalisierung in der Verwaltung auszugeben. „Und solange der Bund nicht mitspielt, bleibt uns der Gang zum Amt nicht erspart“, sagt Kerst. „Um die Digitalisierung zu beschleunigen, braucht es eine andere politische Haltung. Das größte Problem ist, dass wir in Deutschland ein konservatives Gesamtsystem haben mit einer Liebe zum Amtsstempel“, erklärt Kerst. „Das Fax abzuschaffen, wie es die Kölner Verwaltung jetzt bis 2028 plant, löst da auch keine strukturellen digitalen Probleme“, sagt sie. Denn das bedeutet in Zukunft, dass die Bürger sich eine teure digitale Signatur oder in einem komplizierten Verfahren ein  Servicekonto zulegen müssen. So bleiben Behördengänge mit wenigen einfachen Mausklicks vorerst doch noch ein Traum.

Der Frust auf die Arbeitsweise der Verwaltung wächst, zumal unser eigenes Leben täglich immer digitaler wird. Wer bestellt nicht mit wenigen Klicks im Netz? Wer nutzt nicht ständig sein Handy um den Alltag zu organisieren? Da klafft eine große Lücke – mit Konsequenzen für unsere Gesellschaft. „Digitales Verwaltungsversagen ist gefährlich für die Demokratie“, warnt Valentina Kerst. „Mit jedem Jahr der verschleppten Digitalisierung geht das Vertrauen der Menschen in den Staat verloren. Das ist Wasser auf die Mühlen populistischer Stimmen. Es ist schwierig zu verstehen, wenn der deutsche Staat nicht in der Lage ist, Daten der Bürger aus vorhandenen Registern zusammen zu führen. Die Neufassung der Grundsteuer ist hier ein aktuelles Beispiel.“ Und weiter: „Die Menschen müssen dem vertrauen können, was die Politik anstößt. Eine funktionierende Verwaltung ist die Grundlage für einen funktionierenden Staat.“

In Zeiten schnellen Wandels und krisenhafter Herausforderungen, wie wir es gerade erleben, ist ein kompetenter und zuverlässiger Staat die wichtigste Stütze für Demokratie und Wohlstand. Wenn die digitale Transformation nicht gelingt, gerät Deutschland weiter ins Hintertreffen und unser Wohlstandsmodell in Gefahr. Dann beschreiten wir den Weg eines schleichenden Blackouts aufgrund fehlender Digitalisierung, wie die Autoren Kerst und Ruhose es in ihrem Buch beschreiben.

Gerade unsere Stadt Köln, die viertgrößte in Deutschland, sollte bei der Digitalisierung ein Vorbild werden. Da müssen alle Beteiligten – von Stadtspitze, über Politik bis hin zu den rund 22.000 Stadtverwaltungsangestellten und Beamten – an einem Strang ziehen. „Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen“ – so zitierte die Oberbürgermeisterin kürzlich in einem Zeitungskommentar den Verfassungskonvent von Herrenchiemsee vor 75 Jahren. Das sollte Richtschnur sein.

Digitalisierung ist kein Sprint sondern ein Marathon. Wie zäh etwas sein kann, darauf reimt Susanne Hengesbach in der aktuellen Folge ihres Poetry-Podcast. Jeder, der mal versucht hat auf einer der gefühlt kilometerlangen Etagen eines Warenhauses jemanden zu finden, der einen sachkundig berät, kennt das. Wenn also Shopping zum Halbmarathon wird finden Sie hier .  Viel Spaß beim Hören.

Mit digitalen Grüßen
Claudia Hessel