NEWSLETTER 12.01.2024

Warum die Liebe zu Köln hilfreich und die blinde Liebe gefährlich ist – Ein Blick auf die Stadt von innen und von aussen   

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

selbst wenn Sie diesen aktuellen Trend nicht kennen – ich bin sicher, insgeheim kommt er Ihnen bekannt vor: Er heißt Nachrichtenvermeidung. Man ist der schlechten Botschaften müde. Wem geht es nicht so? Wie also diesen Newsletter schreiben in Krisenzeiten? Eine Hilfe war mir eine Mail von unserer Leserin Nani van der Ploeg.

„Ich bin in dieser Stadt geboren und besoffen von ihr, wie die meisten Kölner,“ schreibt sie an den Kölner Presseclub. „Man steht vor der Hohenzollernbrücke und findet, dass die Harbour Bridge in Sydney doch ein Dreck dagegen ist! Aber man muss sich ja den kritischen Blick auf offensichtliche Missstände nicht verstellen lassen.“ Klare Aussage mit einem Schuss Selbstironie – genau so ist es. Daher soll hier auch das Bekenntnis zu Colonia nicht zu kurz kommen.

Wie zum Beispiel bei Johann Maria Farina. Er ist Chef des Familienunternehmens „Farina“. Das älteste Parfümhaus überhaupt steht für die Erfindung des Eau de Cologne und hat seit mehr als 300 Jahren seinen Firmensitz in der Kölner Innenstadt. „Rational gesehen, müssten wir Köln verlassen,“ sagt der Geschäftsmann und Parfümeur nüchtern. Wer, wie ich, vom Bahnhof kommend zum Farina-Stammhaus an Obenmarspforten 21 geht, versteht ihn.

Der Roncalliplatz ist gesäumt von Baustellen bis hin zur Baugrube, die für das Ende der Gerch-Gruppe und deren Innenstadtplänen steht. Die „Historische Mitte“ gegenüber der Baustelle Dom Hotel war zu lange Gegenstand immer neuer Erwägungen. Waren hier Politik und Verwaltung zu langsam oder die Wirklichkeit zu schnell? Jedenfalls hat sich die Gesamtlage derart geändert, dass das Projekt kaum noch Chancen hat. Man begegnet Bauzäunen, deren Plakatierung sich längst löst, lockeren Flatterbändern und aufgerissenen Straßen. Am Jüdischen Museum – vis-a-vis Farina -, wird seit 2017 gebaut. Vorher war jahrelang ausgegraben worden. Immerhin – dessen Fertigstellung scheint gesichert. Verkehrswirrwarr, Dreck und schlechtes Wetter. Halten wir ein mit den schlechten Nachrichten.

Denn: Farina bleibe ganz bewusst in der Stadt, sagt der Chef, aus dem weniger Trotz als das Selbstbewusstsein spricht, welches das Kölner Bürgertum prägt. In den stilvollen Verkaufsräumen hört man alle Weltsprachen. Goethe hat hier Duftwasser gekauft, Napoleon war Groß- und Dauerkunde, wie das Original-Firmenarchiv weiß. Farina versteht sich viel zu sehr als konstitutiver Teil dieser Stadt, als dass er sich von den aktuellen Zuständen erschüttern ließe. „Köln ist zukunftsfähig wegen seiner Substanz“, sagt der Unternehmer, der indes ein Umsetzungsproblem beklagt. Die Via Culturalis etwa. Sie sei ja da. Warum also nicht jetzt schon die Kulturachse bespielen?

In Italien beeindruckt ihn bei seinen beruflichen Besuchen stets, wie praktikabel die Verkehrsführung auch in historischen Quartieren geregelt und wie ästhetisch hochwertig diese restauriert seien. Zurück in Köln erlebe er zwar jedes Mal einen Kulturschock. Aber im Grundsatz sei er positiv. „Sonst wäre ich nicht Unternehmer.“

Diese solide Liebe zur Stadt ist ein Pfund. Sie prägt auch Dr. Johannes Novy, Professor an der University of Westminster’s School of Architecture and Cities. Der gebürtige Kölner verschaffte sich vor kurzem mit einer Art Urschrei Luft. „Stadtentwicklung in Köln. Scheitern als Kunstform“, überschrieb der renommierte Planer einen Essay, den Sie hier nachlesen können. Der Titel klingt böser als sich der Text liest.

„Aufregen“ ist in Köln eine Art Volkssport, sagt Novy. Das sei zu wenig.  Er hat den Anspruch, die Diskrepanz zwischen den Möglichkeiten Kölns und den Resultaten aufzuarbeiten. Es gehe darum, konstruktiv herauszufinden, warum Städte wie Köln so scheitern können. „Deutschland riskiert, den Anschluss zu verlieren“, sagt der Wissenschaftler mit distanziertem Blick von außen. „Wie schafft man das in Italien oder Finnland?“, fragt er.  

Wird der Tag des magischen Moments kommen, habe ich Johannes Novy gefragt. Wenn die Bauarbeiten ein Ende finden? Wenn alles sich in Harmonie fügt, weil im Puzzle das letzte fehlende Teil seinen zentralen Platz findet. Wenn der weise Schöpfungsplan sichtbar wird, den wir bisher nicht erkennen? Oder steht die Stadt irgendwann einfach still, wie ein verharztes Uhrwerk?  

Mein Gesprächspartner ist höflich. Köln sei durch die Zerstörungen des 2. Weltkriegs eine geschundene Stadt, da könne nichts wie aus einem Guss wieder auferstehen. Aber es gehe um den Umgang mit dem Jetzt, denn die Antwort auf meine Frage liege in der Zukunft. Es gebe viel Gutes. Aber das werde konterkariert: Einen Schritt vor, zwei zurück. Auch wegen geerbter Probleme wie der Opernsanierung, dem U-Bahn-Bau oder dem Brückendesaster.

Oberbürgermeisterin (OB) Henriette Reker selbst habe bei ihrem Amtsantritt Ansprüche geweckt, die sie nicht erfüllt hätte. Da sei es legitim, sich kritisch zu äußern. Dazu fällt mir ein Bericht aus der Kölnischen Rundschau ein. Das städtische Rechnungsprüfungsamt wird darin zitiert, weil es dem Kernanliegen der OB, der Verwaltungsreform, ein verheerendes Zeugnis ausstellte. Das Fazit: Außer Millionenspesen nichts gewesen. Ein Skandal? Nach einem beleidigten Dementi der Stadt habe ich nichts mehr davon gehört. Ist hier auch die Art von Liebe zur Stadt im Spiel? Eigentlich wäre das Thema ein gefundenes Fressen für jede Opposition. Nur nicht in Köln. Oder ist sie blind in ihrer Liebe zur Stadt? Das täte niemandem gut.

Nimmermüde spielt das Glockenspiel am historischen Rathausturm den Klassiker von Jupp Schmitz „Wer soll das bezahlen, wer hat das bestellt“. Soll niemand sagen, man wisse im Rathaus nicht, was die Stunde geschlagen hat. 

Susanne Hengesbach bleibt am Thema. Ist das Kunst – oder kann das weg? Das ist leider nicht die Frage, wenn man an Straßenecken auf dreibeinige Stühle, auseinanderfallende Regal und Schränke oder versiffte Matratzen stößt. Aber offenbar stört sich die Stadt Köln kaum an den unzähligen wilden Müllplätzen. Über dieses Thema spricht Susanne Hengesbach in ihrem ersten Poetry-Podcast  in diesem Jahr mit ihrer Freundin Silke. Der Titel lautet: „Zu verschenken!“  

 

Herzlich grüßt mit allen guten Wünschen für das noch junge Jahr 2024

Ihr

Peter Pauls