NEWSLETTER 9.2.2024

Was funktioniert an der Innenstadt nicht? Warum die Kölner City für alle da ist und es kein Zurück ins Früher gibt, das es sowieso nie gab?

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

der Brontosaurus, ein Pflanzenfresser, war der Gemütliche unter den Dinosauriern, die uns in Hollywood-Produktionen wie „Jurassic Park“ begegnen. Am Ende – das war ein schleichender Prozess – fand das riesige Tier nicht mehr genügend Grünfutter, sagt eine der Theorien über sein Verschwinden. Die Kaufhäuser in den deutschen Innenstädten erinnern mich an diese mächtigen und harmlosen Saurier. Die alte Stärke ist dahin. Die Kunden werden weniger, das Management wechselt, Berater kommen und gehen, unter dem Personal entsteht Unruhe und wieder bleiben mehr Kunden weg.

Früher war das Kaufhaus allein einen Ausflug wert. Eintreten und staunen. Wuselig, aber nicht unübersichtlich. Üppig dekorierte Schaufenster, zur Weihnachtszeit ein Kosmos von Steiff-Tieren, knallig bunte, scheinbar unendliche Spielzeugwelten, erlesene Delikatessen in der Lebensmittelabteilung und ein ruhiges Café mit zivilen Preisen im obersten Stock. Alles hatte seinen angestammten Platz. Die Zeit läuft gegen diese großen Häuser.

Gibt es eine Krise der Innenstädte? In Köln ist es gefühlt immer voll. Fritten-, Würstchen- und Waffelbuden sowie Candy-Shops sind dicht umlagert. Aber woher kommen die Besucher? Mit Hohestraße (15,794 Mio. Passanten i. J.) und Schildergasse (21,739 Mio. Besucher i. J.) liegt Köln auf Platz fünf und acht der meistbesuchten Einkaufsstraßen in Deutschland. Aber Handel und Kaufhäuser profitieren nicht davon? Was muss sich ändern?

„Kann die City wieder einladend werden?“ – darüber wollen wir am Mittwoch, 6. März, 19.30 Uhr, im Excelsior Hotel Ernst (Trankgasse 1-5, 50667 Köln) sprechen. Unsere Gäste:

  • Isabel Apiarus-Hanstein leitet das Kunsthaus Lempertz mit ihrem Vater Henrik Hanstein.
  • Markus Greitemann ist Kölner Baudezernent.
  • Andreas Grosz (KAP Forum) hat bundesweit einen Namen als Architektur-Experte.
  • Kevin Meyer ist Geschäftsführer von James Cloppenburg Immobilien.

In beiden klassischen Kölner Einkaufsstraßen gilt die Formel nicht mehr, dass mehr Besucher für mehr Umsatz stehen. Institute haben das herausgefunden, indem sie Handydaten ausgewertet und nicht allein Passanten gezählt haben. Besucher kommen heute von weiter her als vor Corona, haben keine Bindung an die Stadt und bummeln eher.

Eigentlich müssen wir uns nicht wundern, dass die Gesellschaft sich radikal verändert, sagt Andreas Grosz. Schließlich stehe die Pandemie mit all ihren gesellschaftlichen Folgen, den Lockdowns, dem Homeoffice, dem Trend, zu Hause zu bleiben und Menschen zu meiden, für tiefe gesellschaftliche Brüche und Sprünge. Aber wir haben gelebt, als ging es immer so weiter. Als könne man nach Corona einfach weitermachen, wo man aufhörte.

Wie haben die Menschen sich verändert? Wer meidet die Stadt, was sucht er stattdessen? Marktforscher haben den Typus des „sophisticated Single“ entdeckt, der viele Eigenschaften in sich vereint, die heute von Bedeutung sind. Keine Sorge übrigens. Auch wenn Sie nicht Single sind oder sich in einer der zahlreichen Übersetzungen von „sophisticated“ finden – die KI bietet unter anderem an: anspruchsvoll, hochentwickelt, raffiniert, klug, durchdacht, weltgewandt, filigran, differenziert. Solche Beschreibungen sind Annäherungen oder Hilfsmittel, um eine gesellschaftliche Entwicklung zu umschreiben. Diesen Menschen trauen die Gesellschaftsforscher zu, Brücken zu anderen Gruppen zu schlagen, Vorbild zu sein und Impulse in alle Milieus zu senden, den Ton anzugeben. Wo sie hingehen, wollen auch die anderen hin. Zurzeit seien das jedoch nicht die Innenstädte, sagt eine Untersuchung von James Cloppenburg Real Estate aus, deren Geschäftsführer Dr. Kevin Meyer ist und die zu den Mitinitiatoren der Untersuchung gehören.

Isabel Apiarus-Hanstein hat eine klare Einschätzung der Kölner Innenstadt. „Meine Freundinnen und Freunde mögen mich hier nicht mehr besuchen“, sagt die 35 Jahre alte Mutter von drei Kindern. Zu unsicher sei es ihnen, zu schmutzig, zu chaotisch. Seit mehr als 100 Jahren liegt das Kunsthaus Lempertz, dessen Geschichte bis 1798 zurückreicht, an Neumarkt und Schildergasse. Die Rauschgiftszene macht Lempertz zu schaffen, wie den Nachbargeschäften auch. „Wenn jemand in unserem Eingang sitzt und sich Drogen spritzt, kann ich nicht erwarten, dass unsere Kunden daran vorbeigehen, als sei es Alltag für sie.“ Stadt und Polizei haben die Situation nicht unter Kontrolle, sagt Apiarus-Hanstein nüchtern. Die Neumarkt-Anwohner versuchen auf eigene Kosten und mit viel Energie, die Lage zu verbessern.

Markus Greitemann, der Kölner Baudezernent, ist mit der Frage konfrontiert, wie eine bereits strukturell langfristig ausgerichtete Baupolitik auf kurzfristige Umbrüche reagieren kann. Was kann die Baupolitik einer Stadtverwaltung möglich machen und wo liegen deren Grenzen? Schließlich hat man mit privaten Investoren zu tun. In welchen Zeiträumen plant eine Stadt und was soll sein, wenn sich wieder ein gesellschaftlicher Bruch ereignet? Reifen dann über Nacht ganz andere, neue Erwartungen und Wünsche?

Die Innenstadt ist für alle da – dieser Satz kann gemeinsamer Nenner sein. In den 70er Jahren konnte man ihn auf die Hohestraße anwenden, die ein Mix für alle Schichten war von der Kaufhalle für den schmalen Geldbeutel bis hin zum exklusiven Juwelier, vom Jagdausrüster bis zum Kino oder Jeansshop. Aber ein zurück ins Früher, das es nie gab, ist nicht möglich. Jede Zeit hat ihre Fragen, und vielleicht finden wir auf dem Podium und dem Gespräch danach Antworten? Was bedeutet das heute – die Innenstadt für alle? Wie kann sie erfolgreich sein? Ich freue mich auf unseren gemeinsamen Abend.

Gleich noch einmal Wandel, diesmal mit Susanne Hengesbach: Jahrzehntelang hat man uns mit raffiniertester Werbung dazu animiert, einen coolen Schlitten zu kaufen und die Arbeitsplätze in der deutschen Automobilindustrie zu sichern. Nun haben wir die Kiste vor der Tür stehen und sollen demnächst dreimal so viel fürs Abstellen zahlen. Man wäre ja sogar bereit, das Kraftfahrzeug wieder abzuschaffen, wenn es einen funktionierenden Personennahverkehr gäbe. Wenn! Im neuen Poetry-Podcast https://poetry-podcast.podigee.io/ meiner Kollegin geht es ums Anwohnerparken . . .

 

Kommen Sie gut durch den Karneval. Das wünscht Ihnen

Ihr

Peter Pauls