NEWSLETTER 03.05.2024

Warum Kölns meist prämierte Bäckerei schloss und es in der Politik nötig ist, Entscheidungen mit Achtsamkeit und Respekt zu fällen

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

als der Plan aufkam, die Kalker Hauptstraße in Teilen zur Einbahnstraße zu machen, war Engelbert Schlechtrimens Glaube an die Zukunft bereits erschüttert. Doch nun musste der Konditormeister ein weiteres Mal sinkenden Umsätzen und weniger Kunden in seinem Geschäft an eben dieser Kalker Hauptstraße rechnen. Als über seinen und den Kopf seiner 50 Mitarbeitenden („Eine tolle Mannschaft“) hinweg die neue Verkehrsregelung in Rat und Öffentlichkeit diskutiert wurde, war das nach Corona, hohen Energiepreisen, Inflation, Personalmangel, wachsender Bürokratie und steigenden Verwaltungskosten zu viel. Im Oktober 2022, 90 Jahre nach ihrer Gründung, schloss die Konditorei Schlechtrimen, ein Jahr später verließ deren früherer Chef die Stadt. Es gab nichts mehr zu verdienen, wie der heute 60-Jährige nüchtern hinzufügt. Die gedankenlose Art, in der in Köln Verkehrspolitik gestaltet wird, war nicht alleiniger Grund, jedoch letztes Glied in einer Kette der Entmutigung.

Warum ich jetzt darüber schreibe? Weil Kölns meist prämierte Bäckerei den Zuständen ein Gesicht gibt, die Jörg Hamel, Geschäftsführer im Einzelhandelsverband NRW, als generelle Übel beklagt. Zentrales Thema ist für ihn die Erreichbarkeit von Geschäften. „Unbedachte Verkehrsberuhigung kann für Einzelhandel den Todesstoß bedeuten,“ sagt er. Über die Jahre könne durch Krisen, wachsende Bürokratie und leichtsinnige Politik ein Einzelhandelsgeschäft zu einer ungeheuren, auch seelischen Belastung werden. Engelbert Schlechtrimen, der von schlaflosen Nächten und einem Burnout in der Vergangenheit berichtete, würde hier zustimmen. 

Hin und wieder bin ich früher, wenn ich Zeit hatte, zum späten Frühstück nach Kalk gefahren. Traditionelles Handwerk ohne Chemie und ohne Zusatzstoffe – das gefiel mir. Auch imponierte mir, dass es im Stadtteil Kalk einen solchen Vorzeigebetrieb überhaupt gab, der sogar Filialen hatte, „slow baking“ praktizierte und bundesweit als Referenzbetrieb galt. Um so betrübter war ich, vor eineinhalb Jahren von der Schließung zu erfahren.

„Handwerk hat goldenen Boden?“ Jörg Hamel lacht bitter. Im Umgang mit Behörden sieht er aktuell positive Tendenzen im Wirtschaftsdezernat der Stadt Köln. Rat und Verwaltung indes sollten stärker bedenken, dass von ihren Entscheidungen Existenzen abhingen, Menschen, die ein Gesicht haben, Arbeitsplätze bieten und mitunter für Lebenswerke stehen, die über Generationen reichen. Das fiel mir auch im Gespräch mit dem Konditormeister auf. So ruhig und überlegt spricht er über seine Geschäftsaufgabe und die Zeit davor, dass die Worte umso schwerer wiegen. Nur selten sähen Behörden sich als Ermöglicher und seien auf Augenhöhe unterwegs, erinnert er sich. Viel häufiger habe er sich zum Büttel degradiert gefühlt. Der einzige Punkt in unserem G espräch, der eine gewisse Schärfe aufwies.

Nüchtern beschrieb Engelbert Schlechtrimen, was ihn erschöpft hat. Backende Handelsunternehmen und Discounter, die mit Kosten, Qualität und Bürokratie anders umgehen können als er. Wie er sein „Vollsortiment“, auf das er stolz war, aufgeben musste, die Pralinen, Hexenhäuschen aus Lebkuchen oder Ostereier, die man industriell günstiger herstellt. Und die Bürokratie. Zum Schluss, bei Geschäftsaufgabe, hatte sich der Anteil der Verwaltungskosten am Umsatz verdoppelt.

Dass es sich hier nicht um einen Einzel-, sondern fast einen Normalfall handelt, bestätigt Jörg Hamel. All die Krisen der vergangenen Jahre – Corona, die Kriege, die Energiepreise und die Inflation – haben den Handel geschwächt, sagt er. „Chance und Risiko eines Einzelhandelsunternehmen stehen heute in einem absurden Verhältnis zueinander.“ Der Kölner Rat solle sich vor Augen führen, dass er durch unbedachte Politik anrichten kann.

Häufig hört man forsche Statements nach Geschäftsaufgaben. Von überholten Geschäftsmodellen ist gern die Rede, oder es werden Statistiken angeführt, wonach die Umsätze nach einer Verkehrsberuhigung steigen – als handele es sich dabei um ein Naturgesetz. In einer Recherche fand ich eine Faktensammlung des Umweltbundesamtes (Sie lesen sie hier). Sie ist so aktuell wie eine Statistik nach Corona sein kann. Aus ihr geht hervor, dass im Extrem Umsätze in London und New York nach Umgestaltungsmaßnahmen zwischen 20 und 100 Prozent gestiegen sind. In München waren sie leicht steigend oder blieben zumindest konstant. Auf der Kölner Severinstraße hingegen ging der Umsatz über zehn Jahre um fünf Prozent zurück. Und das war vor den Krisen, die uns derzeit erschüttern. Was lernt man daraus? Es gibt gute und schlechte Verkehrsberuhigungen, wie es auch gutes und schlechtes Brot gibt.

Der Rückzug solcher Einzelhändler und Handwerker kontrastiert mitunter, was politisch angesagt ist: Achtsamkeit, schonender Umgang mit Ressourcen, Verzicht auf Fertigprodukte und Zusatzstoffe, kurze Wege. In der Tat bedeutet Einzelhandel Lebensqualität und sollte möglichst nah an den Bürgern sein.

Er musste die Notbremse ziehen, sagt Engelbert Schlechtrimen. „Aber ich bin allen Verantwortungen gerecht geworden“, berichtet er. So vorbildlich achtsam, wie er früher gebacken hatte, löste er seinen Betrieb auf.

Engelbert Schlechtrimen lebt heute in Lindlar und arbeitet als Coach. Schade, dass es seine Konditorei nicht mehr gibt. Köln ist ärmer geworden ohne ihn.

 

Nachdenklich grüßt

Ihr

Peter Pauls