NEWSLETTER 17.05.2024

Über Schokokekse, Verlagshäuser und Gesinnungsjournalismus

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

es hat etwas Befreiendes, sich von altem Gerümpel zu trennen. Das gilt im Kleinen wie im Großen. Manchmal jedoch stellt man hinterher fest, dass man auch Wertvolles entsorgt hat. Aber man kann aus einem Rührei kein gekochtes mehr machen oder, auf gut Kölsch: Wat fott es, es fott. Womit wir beim Thema Lokalpresse wären. Der nämlich geht es schlecht, genauer gesagt, sie ist todkrank. Es gibt ein Bündel von Ursachen, das Internet mit seiner Gratismentalität, das Wegbrechen des Anzeigenmarktes, die sog. Sozialen Medien von Facebook bis X, Missmanagement von Verlagsleitungen usw. Nun könnte man als überzeugter Marktwirtschaftler achselzuckend sagen, kein Ertragsmodell, keine Zukunft.

Aber so einfach ist das leider nicht. Information ist keine Ware wie, sagen wir mal etwas despektierlich, Schokokekse oder Grillzangen. Sie ist der Sauerstoff, den eine freie, demokratische Gesellschaft braucht. Und der wird angesichts des Zeitungssterbens knapper. Was aber passiert, wenn es immer wenige Lokal- und Regionalzeitungen für belastbare, unabhängige und professionell kuratierte Information sorgen, ihre Leserschaft mit relevanten News über Ereignisse, Personen und Hintergründe informieren und damit entscheidungsfähig machen?

Darüber habe ich mit dem Tiefenpsychologen und Marktforscher Jens Lönneker gesprochen, in dessen Rheingold-Salon der Kölner Presseclub immer mal wieder zu Gast sein darf. Er machte mich auf eine Studie aufmerksam, die den Zusammenhang zwischen fehlender Lokalpresse und der Wahl von Populisten und Extremisten belegt. Ähnliche Untersuchungen kannte ich schon aus den USA, wo 2017 Donald Trump vor allem in den Regionen erfolgreich war, wo es keine lokalen Medien mehr gab. Dort wie hier zeigt sich, dass ohne seriöse lokale Medien Menschen weniger über ihre Region wissen, sich weniger mit ihrer Gemeinde und der Gesellschaft insgesamt verbunden fühlen, misstrauischer gegenüber staatlichen Institutionen sind – und radikaler wählen.

Jens Lönneker hat auch eigene Forschung zur Medienakzeptanz gemacht. Zwar haben 75 Prozent der Befragten danach Vertrauen zu den etablierten Medien. Aber beachtliche 25 Prozent haben das nicht. Sie misstrauen in der Regel nicht nur traditionellen Medien, sie misstrauen oft auch dem politischen System insgesamt (Lönneker: „Medienkritik geht meist einher mit Systemkritik“). Es mutet paradox an, dass dann ausgerechnet dubiosen, unkontrollierten Internetquellen und Social-Media-Kanäle kritiklos geglaubt wird, die mit Fake News und Verschwörungstheorien das Netz fluten. Man könnte meinen, dass ein Teil der Bevölkerung vom Wissen zum Glauben konvertiert. Einen Schub hat diese Entwicklung offensichtlich mit der Flüchtlingskrise und der Corona-Pandemie erfahren.

Für Lönneker sind das Reaktionen auf Zukunftsängste und das Gefühl vieler Menschen, von Medien und Politik nicht mehr gesehen zu werden. „Die Menschen fühlen sich von der Komplexität der Verhältnisse überfordert, in ihren Nöten und Sorgen nicht mehr gesehen. Das führt zu Aggression gegen Medien, die als Teil des Systems wahrgenommen werden“, so Lönneker. Politische Profiteure sind radikale Parteien, die – statistisch belegt – besonders in zeitungsfreien Regionen reüssieren, also verkürzt: Wo das Lokalblatt geht, kommt die AfD.

Was also tun? Redaktionen schlägt Lönneker vor, noch deutlich stärker zuzuhören, Sorgen des Publikums ernst zu nehmen: „Wenn nahezu alle senden, ist Zuhören gefragt“. Das bedeutet natürlich den Verzicht auf bevormundenden Gesinnungsjournalismus, der oft als „Haltung“ ausgegeben wird. Wer predigen will, sollte Pfarrer werden, nicht Journalist. Wichtig sei auch, in der Berichterstattung konstruktiv zu bleiben, Perspektiven aufzuzeigen, um angesichts der zahlreichen Krisen Menschen nicht in fatalistische Angststarre zu treiben.

Das allerdings, muss man einwenden, funktioniert nur, wenn Verlage nicht nach kurzfristigem und kurzsichtigem betriebswirtschaftlichen Rendite-Kalkül geführt werden. Die auf eigenen, unabhängigen Journalismus setzen und nicht auf die Übernahme von Agenturmaterial und Pressetexten. Letztlich muss die Qualität des Produkts überzeugen, die Beiträge gut recherchiert sein. Gegenwärtig hat man den Eindruck, dass Verlage phantasielos an der Kostenschraube drehen, Redaktionen ausdünnen und nochmal Kasse machen wollen. Wirtschaftlich ist das kurzsichtig, gesellschaftlich fatal!

Dass es anders geht, zeigen kreative, verantwortungsvolle Verleger, die in Qualität investieren, Redaktionen gut ausstatten, zeigen, dass auch damit Geld zu verdienen ist – und gleichzeitig der Gesellschaft einen unschätzbaren Dienst erweisen. Die Politik ist ebenfalls gefordert, wenn es um die Sicherung des Qualitätsjournalismus geht. Der Rahmen muss stimmen, der Schutz vor Google, Facebook und X, dem vormaligen Twitter, muss gewährleistet sein. Eine freie Gesellschaft kann schließlich nicht ohne eine lebendige Presselandschaft funktionieren.

 

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz