NEWSLETTER 04.10.2024
Wie die historische KHD-Zentrale in Köln-Mülheim unter städtischer Obhut verwüstet wurde und die Opern-Baustelle ungeliebt ist
Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
eine so sinnlose Zerstörung wie in der leerstehenden historischen Firmenzentrale von Klöckner-Humboldt-Deutz (KHD) in Köln-Mülheim habe ich selten gesehen. Deutlich erkennbar ist hier die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Einem Ratsbeschluss folgend, machte die Stadt Köln vor drei Jahren ihr Vorkaufsrecht an dieser Immobilie geltend, um sie für kulturelle oder öffentliche Zwecke zu nutzen. Vom Erhalt der historischen Bausubstanz als Teil des historischen Erbes war die Rede.
Heute kommt mir als Erstes der Begriff „Erbunwürdigkeit“ in den Sinn. Offenbar ungestört haben Metalldiebe, Chaoten und Durchgeknallte eine Spur der Verwüstung durch den historischen Ort gezogen, an dem die Mechanisierung der Welt begann. Hier wurde der Viertakt-Motor erfunden: Er ersetzte schwerfällige Dampfmaschinen und ermöglichte mobile Antriebe für z.B. Flugzeug oder Auto.
Mir liegen Fotos vor, die Versuche zeigen, die Deckenverkleidung herunterzureißen. Das ist nur halb gelungen. Dämm-Material liegt auf dem Boden neben Schranktüren, die aus ihrer Verankerung gezerrt wurden. Mit Akten und Metallteilen bildet all das einen Berg von Unrat. Überall Scherben. In anderen Räumen sind aus Bürozwischenwänden riesige Löcher gebrochen, als habe eine gigantische Raupe Fraßspuren hinterlassen. Graffiti auf den durchlöcherten Wänden, auf der Wandvertäfelung in der Direktionsetage, Schimmel auf feuchten Wänden. Scheiben mit dem Bruchmuster eines Spinnennetzes, zertrümmerte Fenster und Spiegel. Auch der natürliche Verfall hat Spuren hinterlassen. An vielen Stellen wirkt die alte Zentrale des Weltkonzerns wie eine Ruine.
Die Jahre in städtischer Obhut sind dem Bau nicht gut bekommen. Die Vorgeschichte in Stichworten: Die Künstlergruppe „Raum 13“ hatte als Mieterin die Zentrale bis 2021 belebt. Dann wurde der Vertrag gekündigt, der Eigentümer wollte verkaufen. Auf Geheiß des Rates erwarb die Stadt Köln – widerwillig, wie zu hören war – die Immobilie. Raum 13 steht nun vor dem Wiedereinzug, kehrt jedoch zurück in ein Desaster.
Wieder ist mir die städtische Politik ein Rätsel. Denn der Kölner Investor Christoph Kahl, erfahren in der Sanierung historischer Gebäude und willens, sich mit den Künstlern zu arrangieren, hatte das Gelände kaufen wollen. Politisch war das jedoch nicht gewollt. Stattdessen musste die Stadt zuschlagen. Doch auch Raum 13 verwehrte man den Zutritt mit Anforderungen, die das Kollektiv nicht stemmen konnte. Freie Bahn hatten hingegen die Zerstörer. Welchen Plan nur verfolgte die Kölner Politik? Hatte sie gar keinen?
Zwar haben Anja Kolacek und Marc Leßle von Raum 13 sich schließlich durchgesetzt in einer Standhaftigkeit, die jeder aufbringen muss, der mit der Stadt verhandelt. Seit 13 Jahren verfolgen sie mit anderen das Ziel, die KHD-Zentrale in ihrer Wesenhaftigkeit zu bewahren. Nun sind sie vermutlich bald wieder Mieter – diesmal mit einem Zehn-Jahres-Vertrag, einer vorerst symbolischen Miete von einem Euro pro Monat und weitestgehender Handlungsfreiheit. Für die Künstler beginnt dann die nächste Herausforderung. Sie haben einen ausgeklügelten Plan, welche Institutionen ihr Projekt eines Kreativzentrums fördern und setzen auf ein Netzwerk an Unterstützern. Das wird strapaziert werden.
Der Mülheimer Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs (SPD) ist gegen den Mietvertrag für Raum 13 und mit ihm die Mehrheit der Bezirksvertretung. Fuchs muss seine Pläne begraben, an dieser Stelle 400 öffentlich geförderte Wohneinheiten verwirklichen zu können. Er bezweifelt nicht nur, dass Raum 13 das gewaltige Bündel an kostspieligen Aufgaben – Nutzungsänderung, Baugenehmigung, Sanierung – stemmen kann, ohne das Ziel gemeinwohlorientierter Nutzung aus den Augen zu verlieren. Auch sieht er das Gesamtareal blockiert, dessen dem Rhein zugewandte Hälfte dem Land NRW gehört. Sie ist praktisch unverkäuflich geworden, es sei denn, man überlässt auch sie Raum 13. Mit einem sinnfreien Linealstrich, der quer durch Zimmer verläuft, wurde einst das Gelände geteilt. Planen kann nur, wer beide Hälften hat.
Schwer vorstellbar, dass ein Investor die zweite Hälfte vom Land erwirbt. Er muss sich auf das Vabanquespiel einer unsichtbaren Gebäudegrenze einlassen. Das letzte Kapitel für diesen geschichtsträchtigen Ort ist also noch nicht geschrieben. Ich hoffe auf ein Happy End, weiß aber nicht, wie es aussehen könnte, zumal Investoren in dieser Stadt unter Generalverdacht zu stehen scheinen. Lieber lässt man eine Immobilie verrotten.
Da wir vom Bauen sprechen: Spaziergängern, die genau hinschauen, war schon geraume Zeit klar, dass etwas nicht stimmen kann im Versuch, Oper und Schauspiel doch noch irgendwann zu eröffnen. Moos an Vordächern, Pflastersteine, die auch über Wochen nicht verlegt wurden, fehlende Deckenverkleidungen im Foyerbereich, im Wind flatternde Schutzfolie und Banner, die mit den Jahren verblassten. So sieht eine ungeliebte Baustelle aus. Umkreisen Sie das Gelände. Dort wird mit Ihrem Geld gearbeitet – 1,5 Milliarden Euro.
Der Investor Josef Esch, der die Lanxess-Arena und die Deutzer Stadtverwaltung baute, hätte das günstiger hinbekommen, müssen sich Verantwortliche mittlerweile sagen lassen. Hätte man womöglich besser das komplette Ensemble abgerissen, wie man es mit dem Schauspiel, jedoch nie mit der Oper vorhatte? Am Beispiel des Justizzentrums wollen wir im Kölner Presseclub über die Abrisspraxis der öffentlichen Hand diskutieren am Donnerstag, 29. Oktober, 19.30 Uhr, im Excelsior Hotel Ernst. Anmeldungen sind unter info@koelner-presseclub.de möglich.
Diese Zeilen schreibe ich, während die Welt voller Sorge auf den Nahen Osten blickt. Der Kampf gegen Radikalisierung wird zu weiterer Radikalisierung führen, so viel ist klar. Eine Spirale droht. Ob ein Flächenbrand daraus wird?
Viele nutzen hierzulande dieses lange Wochenende für einen Ausflug oder um Verwandte und Freunde zu besuchen. Machen wir uns klar, wie privilegiert und in Frieden wir leben.
Besorgt grüßt
Ihr
Peter Pauls