NEWSLETTER 2.5.2025

Ein Attentat in Braunsfeld, Hass auf die Politik und das Versagen des Bürgertums

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

die Frau auf dem Braunsfelder Wochenmarkt ist arg- und schutzlos. Freundlich verteilt sie Rosen an die Besucher. Plötzlich sticht ein Mann mit einem Jagdmesser auf sie ein, verletzt sie lebensgefährlich am Hals. Sein Motiv: Hass. Hass auf eine Frau, die er persönlich nicht kennt. Aber er weiß: Sie ist Kommunalpolitikerin, will Oberbürgermeisterin werden. Das genügt ihm, denn er macht sie, die bislang als Sozialdezernentin in Köln arbeitet, für alles verantwortlich, was ihm nicht passt in diesem Land. Und das ist eine ganze Menge.

Diese heimtückische, brutale Gewalttat, begangen an Henriette Reker, ist jetzt zehn Jahre her. Doch das Entsetzen hat nicht zu Besinnung und Friedfertigkeit geführt – im Gegenteil. Die Zahl der Angriffe auf Politiker und Amtsträger hat zugenommen. Unflätige Drohbriefe, Shitstorms und körperliche Attacken bis hin zu Mordversuchen haben seither zugenommen, sie passieren täglich und die Tendenz ist steigend.

Die Angriffe hinterlassen Spuren. Wer will sich noch um ein öffentliches Amt bewerben, wenn er damit rechnen muss, dass er oder sie Opfer von Hetze und Gewalt werden? Wer will seine Familie solchen Gefahren aussetzen? Gerade in der Kommunalpolitik, wo Demokratie unmittelbar ge- und erlebt wird, ziehen immer mehr Menschen die Konsequenzen. Die Bereitschaft, Freizeit und Seelenruhe für einen Dienst an der Gemeinschaft zu opfern, sinkt, das belegen nicht nur spektakuläre Rücktritte von Ortsvorstehern, Bürgermeistern und Landräten, sondern auch belastbare Umfragen. Sich um das öffentliche Wohl kümmern? Dienst an der Allgemeinheit? Bitte ohne mich.

Höhere Strafen helfen wenig bis gar nichts. Die Angreifer bleiben meist anonym, wenn sie mit Eisenstangen oder Pfefferspray Kommunalpolitiker überfallen, wenn sie deren Häuser beschmieren, Scheiben einwerfen, Reifen durchstechen. Und die Kommunalpolitikerin von nebenan oder der Kommunalpolitiker von gegenüber sind schutzloser als ihre Spitzenkollegen in Berlin, sie brauchen den ständigen, unmittelbaren Kontakt zu den Menschen, die sie repräsentieren.

Das eigentliche Problem sind nicht die Gewalttäter und Pöbler. Das Problem sind vielmehr diejenigen, die Politik grundsätzlich verachten, die nörgelnd oder laut fluchend die deren vermeintliche Unfähigkeit, Dummheit und Korruptheit beklagen. Wer will sich das noch antun, in seiner Freizeit für eine schmale Aufwandsentschädigung einer missgelaunten, teilweise feindseligen Allgemeinheit rund um die Uhr als Watschenmann zur Verfügung zu stehen?

So entsteht ein gesellschaftliches Klima, das sich zwangsläufig radikalisiert. Das lange tonangebende Bürgertum hat zum Rückzug geblasen, lieber schimpft man übellaunig über „die Politik“, die nichts zustande bringt, sieht sich aber selbst nicht in der Pflicht. Wer mit offenen Ohren durch Golf- und Tennisclubs geht, auf Empfängen oder in Rotary Clubs genauer hinhört, muss schon eine sehr zuversichtliche Grundüberzeugung haben, um noch vom Gelingen der wohlhabendsten und freiheitlichsten Gesellschaft überzeugt zu sein, die es je auf deutschem Boden gegeben hat. Genau die aber steht auf dem Spiel.

Natürlich ist Kritik nicht nur erwünscht, sondern Voraussetzung für eine freiheitliche Gesellschaft. Aber mit Anstand, Maß und Mitte, differenziert und nicht pauschal – und damit bequem. Wenn sowieso alles Mist ist, warum sich dann damit beschäftigen?  Vielleicht sollte gerade das Bürgertum sich stärker aktiv einmischen, sich als Bollwerk gegen Hetze und Gewalt verstehen, Verantwortung für Staat und Gesellschaft fördern. Sich nicht von der zappeligen Ungeduld der sog. Sozialen Medien anstecken lassen. In außen- und sicherheitspolitisch so brisanten Zeiten eine Regierung Merz runterputzen, bevor sie überhaupt im Amt ist und eine Chance zum Versagen hat.

Letztlich hängt das Überleben von Demokratie und Wohlstand nicht von den Krakeelern auf Twitter ab oder von lautstarken Verschwörungstheoretikern. Es hängt ab von einem Bürgertum, das sich konstruktiv engagiert.

Dass der zentrale gesellschaftliche Kitt der Dialog ist, dieser Gedanke ist ein Kernelement für den Kölner Presseclub. Dazu gehört vor allem, die gelegentliche Sprachlosigkeit zwischen den Generationen aufzubrechen. Deshalb freuen wir uns, dass unser Partner Jens Lönneker mit Maxime Simon am 7. Mai im Rheingold-Salon ein öffentliches Generationengespräch führen wird. Ich bin gespannt und freue mich auf den zu erwartenden Erkenntnisgewinn.

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz