NEWSLETTER 10.01.2025

Warum Respekt ein zentraler Wert für Köln ist und welche Rolle die Kunst dabei spielt

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

diesmal überraschten mich viele der Neujahrswünsche. Oft enthielten sie Botschaften, die sich auf Werte, Normen oder Haltungen bezogen. Da war von Vertrauen, Geduld und Verständnis die Rede und weniger von konkreten Aufgaben und Plänen, die es anzupacken gilt. Als müssten wir uns vergewissern, mit welcher Einstellung wir dem Leben im Großen und Ganzen begegnen. Diese Aspekte sind Grundlage unseres Zusammenlebens, bilden den Charakter einer Gesellschaft oder formen ihn gar. Aber meist sind sie wie ein Computerprogramm, das im Hintergrund läuft und lautlos den Alltagsbetrieb sichert.

Was war mir besonders aufgefallen? Hans Mörtter, früherer Pfarrer und heute Kandidat für das Amt des Kölner Oberbürgermeisters, nennt „Wertschätzung“ das zentrale Moment seines Wahlkampfes. Davon leitet er weitere Schritte ab. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beschwor in seiner Neujahrsansprache eine humanistische Grundausstattung, indem er Gemeinsinn und Tatkraft, Ideenreichtum und Fleiß, Mut und Ehrgeiz sowie Vertrauen in uns selbst hervorhob.

Das geschah einerseits als Reaktion auf den Anschlag von Magdeburg, der sechs  Menschenleben forderte. Steinmeier wandte sich aber auch an eine von Multi-Krisen verunsicherte Gesellschaft, in der der Ton „rau“ und, so der Präsident weiter, „zuweilen sogar unversöhnlich“ geworden sei. Nicht einmal mehr die Weihnachtsmärkte als Hort der Innigkeit seien sicher, sagte auch Tiefenpsychologe Jens Lönneker, Geschäftsführer des Kölner „rheingold salon“. Als Leser kennen Sie ihn von unseren Veranstaltungen.

Was Steinmeier als Stimmung beschreibt, haben Lönneker und sein Team in einer Studie über die Akzeptanz von Medien untersucht. Einer der alarmierenden Aspekte: Rund 16 Millionen Deutsche stehen unserer Gesellschaft und deren Medien ablehnend gegenüber, haben das Gefühl, sich außerhalb des Systems zu befinden. In seiner Neujahrsmail kündigt Jens Lönneker ein Projekt „Zuversicht“ an. Mit der deutschen Presse-Agentur (dpa) und Fachverbänden wolle man ergründen, wie das Vertrauen in Gesellschaft und Medien bestärkt oder wiederhergestellt werden kann.

Um das zu schaffen, müssen Begriffe wie Toleranz und Freiheit, Mut und Gerechtigkeit oder Verständnis und Geduld wieder mit Inhalt gefüllt werden. Diese Referenzwerte markieren die Stabilität einer Gesellschaft. Sind sie abwesend oder werden missachtet, spalten sich Gemeinschaften. Zumindest wie ein Brandbeschleuniger, vielleicht aber auch als Ursache wirken dabei die sozialen Medien. Hier geht es häufig um möglichst viel Zuspruch für die eigene Position. Der Respekt für die andere Haltung droht abhandenzukommen.

Überhaupt der Respekt. Ich verstehe ihn als universalen Wert. Er ist eine Korsettstange im Miteinander und an der Kasse im Supermarkt ebenso notwendig wie auf internationalen Konferenzen, in der Familie, im Beruf, im Umgang mit Behören oder auf Reisen. Fehlt es an Respekt, nimmt man ein Gegenüber nicht wahr.

In Köln fiel mir das auf, als ich mich mit dem Kunstwerk „Standortmitte“ von Lutz Fritsch beschäftigte. Es umfasst zwei rot lackierte Stelen auf den Verteilerkreisen in Köln und Bonn. Sie markieren Deutschlands älteste Autobahn, eingeweiht 1932 von Konrad Adenauer. Fritsch hat das Kunstobjekt entworfen, die Finanzierung gesichert und es 2008 errichten lassen. Die Gegenleistung der Städte besteht darin, dem Künstler vertraglich sein Urheberrecht zugesichert zu haben und – salopp gesagt – die Kunst nicht anzutasten.

Bereits das gelang in Köln nicht. Die Stadt will die künftige StadtBahn Süd unmittelbar neben der Stele vorbeiführen und sie damit ihrer Wirkung berauben. Eigentlich hätte sie die Bahnlinie um den Verteilerkreis herum legen, damit das Kunstwerk umgehen und gleichzeitig eine elegante Lösung finden können. Doch hat sie, wie es scheint, drauflos geplant und die künftig vorhandene Bahnlinie einfach mit dickem Strich verlängert.

Der Künstler wehrt sich, die Stadt fährt schweres Geschütz gegen ihn auf. Die „Standortmitte“ stehe nationalen und internationalen Klimaschutzzielen im Weg, argumentiert sie in einem Gutachten, das die eigene Planungsblindheit und damit die Ursache des Konflikts außeracht lässt: Die Verwaltung hat die Kunst schlicht übersehen. Selbstbezogen ist auch der Einwurf, eine Umplanung sei zu teuer. Er erinnert an einen Verkehrssünder, der sein Motorrad zu schnell gemacht hat und sich weigert, es zurückzubauen – weil er bereits zu viel investiert hat. So gebiert eigenes Unvermögen einen Sachzwang und Fehler schreiben sich fort, weil man sich ihnen beugt.

Respektlosigkeit mündet hier in blanke Machtausübung dem Schwächeren gegenüber, dessen Recht nur mit so hohem Kostenrisiko einklagbar ist, dass es ihn ruinieren würde. Kunst ist ein Indikator wie der Kanarienvogel im Bergbau früherer Tage. Hörte der auf zu singen oder fiel er gar von der Stange, drohte Gefahr. Erst dem Vogel, dann auch den Menschen. Jeder, der einen Vertrag mit der Stadt hat, sollte den Fall genau studieren. Er könnte das nächste Opfer sein. Die Stadt nämlich trägt kein Kostenrisiko. Es ist unser Geld, das sie verliert.

Fritsch weiß viele Mitstreiter an seiner Seite. „Die Standortmitte gehört allen Bürgern Kölns und wir werden uns um die Sicherung kümmern,“ sagt Bruno Wenn, Vorsitzender des Kölner Kulturrats, von einer Respektlosigkeit sondergleichen spricht der Historiker Ulrich S. Soénius. Sie sind Teil einer Kulturinitiative (www.respekt-koeln.de), deren Signum die rot lackierte Stele ist. Aufkleber und Postkarten, die die Initiative fertigen ließ, stehen für das, woran diese Stadt generell krankt: fehlende Führung, fragmentarische, an den Augenblick geknüpfte Politik, Konzeptionslosigkeit, die im Ergebnis zu Beliebigkeit führt, von Plan oder Vision nicht zu reden. Allein der Sachzwang regiert.

Wünschen wir uns und dieser Stadt, an der wir alle hängen, mehr Respekt. Für dieses neue Jahr und am liebsten für allezeit.

Herzlich grüßt

Ihr

Peter Pauls