NEWSLETTER 04.04.2025
„Ich kratze die Aufkleber selbst ab“ – Koelncongress-Geschäftsführer Ralf Nüsser über Tunnel, Tatenlosigkeit und die Liebe zu einer Stadt, die besser sein könnte.
Liebe Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
nicht immer sind es die Schlagzeilen, die uns in Köln beschäftigen. Nicht die Brocken, wie der Ost-West-Tunnel oder der mittlerweile milliardenschwere Opernbau und die nie endenden Diskussionen der Stadtpolitik. Oft sind es die kleinen Dinge am Rande, die uns auffallen – und symptomatisch sind für das Gefühl: Köln könnte mehr, wenn es nur öfter wollen würde.
Zugeklebte Schilder an Briefkästen des Kulturamts – kein Scherz, Peter Pauls hat es neulich beschrieben. Warnbaken, die offenbar vergessen werden. Und ein Tunnel, der mehr Schatten hat als Licht. Man schaut hin, schüttelt den Kopf – und fragt sich: Muss das so sein? Oder ist einfach wieder keiner zuständig?
Doch es gibt sie, die Menschen in dieser Stadt, die sich kümmern. Einer von ihnen ist Ralf Nüsser. Geschäftsführer der Koelncongress GmbH, seit Jahrzehnten Veranstaltungsprofi – und Kölner mit Leib und Seele. Schon 1989 fing er bei der Koelnmesse an – als Reiseverkehrskaufmann. Heute verantwortet er mit Koelncongress einige der wichtigsten Veranstaltungsorte der Stadt: den Gürzenich, die Flora, den Tanzbrunnen. Und jetzt auch das neue Confex, das zum 100-jährigen Bestehen der Koelnmesse im vergangenen Jahr eröffnet wurde. Eine hochmoderne Multifunktionshalle, ideal für internationale Kongresse, Events und Großveranstaltungen. ICE-Anschluss inklusive. Die Nachfrage ist riesig – die ersten Verträge für Medizinkongresse laufen bereits bis 2032. Es tut sich auf der rechten Rheinseite derzeit viel. Deutz wächst – städtebaulich, wirtschaftlich, kulturell. Eigentlich also alles bestens. Doch auf dem Weg dahin liegen Stolpersteine – wörtlich und im übertragenen Sinne.
Die Fußgängertunnel zwischen dem Auenweg, dem Bahnhof Köln Messe/Deutz und dem Messegelände sind für viele Gäste der erste Eindruck von Köln. Und der ist, so sagt mir Nüsser im Gespräch deutlich, alles andere als einladend. „Die Tunnel sind dreckig, dunkel, oft vermüllt. Manche Kongressgäste sagen mir: Das fühlt sich nicht sicher an“, berichtet er. Und man merkt: Das ist nicht einfach nur Kritik – das ist persönliche Betroffenheit. „Es ärgert mich, dass niemand zuständig ist. Die Bahn, weil es unter ihren Gleisen liegt? Die Stadt, weil es ein Gehweg ist? Oder am Ende die Standortbetreiber? Diese Zersplitterung der Verantwortung lähmt jede Verbesserung.“
Einmal, so erzählt er, sei ein großer internationaler Kunde im Confex gewesen, um einen Vertrag zu unterschreiben. Alles lief perfekt – bis die Gruppe sich auf den Weg zum Flughafen machen wollte. „Ich habe spontan meinen nächsten Termin verschoben und sie selbst mit dem Auto zum Flughafen gefahren. Ich hatte Angst, dass sie uns abspringen, wenn sie durch den Tunnel gehen. Solche Situationen darf es nicht geben.“
Man spürt, wie sehr ihn solche Dinge beschäftigen. Nicht nur aus geschäftlichen Gründen, sondern auch ganz persönlich. „Ich leide“, sagt er. Jeden Morgen fährt er durch den großen Tunnel Auenweg. „Rechts ein Bettenlager, zugeklebte Schilder, frisch erneuerte Wegweiser, die innerhalb kürzester Zeit wieder mit Graffiti beschmiert sind. Das tut mir weh – nicht nur als Geschäftsführer, sondern als Kölner.“ Und dann macht er, was viele nicht tun würden: Er kratzt die Aufkleber ab. Weil er weiß: Wenn der erste klebt, folgen morgen zehn neue. Kein großes Aufheben – einfach machen. So funktioniert die Stadt auch.
Was aber, wenn sich über Jahre niemand zuständig fühlt? Wenn Verantwortung zwischen Eigentümern, Verwaltung und Investoren zerrinnt? Dann bleiben Orte zurück, die einst Bedeutung hatten – und heute vergessen sind. Wie der alte Messeturm am Rhein. Ein markantes Gebäude, 80 Meter hoch, gebaut 1928 zur Internationalen Presse-Ausstellung „Pressa“. Früher: Konferenzräume mit Restaurant und einem atemberaubenden Blick über die Stadt. Heute: Leerstand seit 2005. Ein schlafender Riese an prominenter Stelle in Köln. Die Leuchtschrift „Restaurant“ prangt noch immer über dem Eingang – für viele Touristen und Messegäste irreführend, die sich nicht auskennen. Eigentümer ist zurzeit eine Frankfurter Immobiliengesellschaft, die dort angeblich Wohnraum plant. Doch passiert ist seither wenig. Ein Sinnbild für ungenutztes Potenzial inmitten der Stadt. Nüsser ärgert das. „Wieder ein Ort, der verschwindet, weil sich keiner richtig kümmert. Das war mal ein Wahrzeichen!“ Für ihn ist der Turm mehr als nur ein Gebäude – er ist ein Stück Kölner Identität und sollte den Kölnern zurückgegeben werden.
Immerhin: Am Tanzbrunnen wird zurzeit gearbeitet. Die Stadt saniert die beliebte Open-Air-Location – Bühne, Technik, die markanten Schirme: Alles wird erneuert. Der Betrieb läuft währenddessen abschnittsweise weiter. Bis 2027 sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Und auch rund um den Tanzbrunnen tut sich etwas – zumindest in der Theorie. Direkt nebenan soll das Staatenhaus, derzeit Interimsquartier der Oper Köln, bald Geschichte sein – vorausgesetzt, die Oper kehrt wie geplant an ihren Stammsitz am Offenbachplatz zurück. Irgendwann. Dann würde Platz frei für ein neues Kapitel am Rhein: ein Musicaltheater in direkter Nachbarschaft zu Confex, Rheinpark und Tanzbrunnen. Für das ganze Areal wäre das eine spürbare städtebauliche Aufwertung – mit kultureller Strahlkraft. Während die alten Messehallen 6 bis 8 mit dem markanten roten Backsteinmauern künftig als technische Infrastruktur für die Musicalproduktion dient, soll das eher unattraktive bestehende Staatenhaus am Verkehrskreisel abgerissen werden. Nüsser kommentiert das halb ernst, halb augenzwinkernd: „Ich glaube, dass der Neubau des Musicaltheaters schneller fertig sein wird als die Oper am Offenbachplatz.“
Ein Satz, der viel sagt – über Tempo, Planung und Geduld in Köln. Und über den Humor, mit dem man hier durchs Stadtleben geht. Diese Mischung aus Selbstironie und trotzigem Optimismus ist typisch kölsch: Man lacht. Auch, wenn es wenig zu lachen gibt. So geht es auch Ralf Nüsser – einer, der Köln kennt, wie es ist, und trotzdem daran festhält, was es sein könnte. „Wir sind keine drittklassige Stadt. Aber wir wirken manchmal so, weil wir uns mit dem Mittelmaß arrangieren. Ich liebe Köln – aber ich liebe es so sehr, dass ich will, dass es besser wird.“
Aber: Einzelne, die sich einsetzen, können auf Dauer nicht gegen die Macht der Gleichgültigkeit ankommen. In Köln bleibt nicht nur Müll liegen – es bleibt auch Verantwortung liegen. Es ist nicht normal, dass sich niemand zuständig fühlt, wenn der Tunnel verdreckt ist, Schilder vergammeln oder Fußgängerzonen oder Plätze zur öffentlichen Toilette verkommen. Es ist auch kein Ausdruck von Toleranz, wenn man dabei zusieht, wie der öffentliche Raum verwahrlost – es ist Bequemlichkeit, getarnt als Liberalität.
Verwahrlosung ist kein plötzlicher Zustand. Sie beginnt schleichend – mit jedem, der wegsieht. Und sie endet dort, wo sich keiner mehr schämt. Ordnung ist nicht spießig. Sie ist Ausdruck von Haltung – und von dem Wunsch, in einer Stadt zu leben, auf die man stolz sein kann. Nicht weil sie perfekt ist, sondern weil es uns nicht egal sein sollte, wie sie aussieht.
Herzlich
Ihre
Claudia Hessel