NEWSLETTER 04.07.2025

Über Kassandra, politische Hütchenspieler und die schwäbische Hausfrau

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

 

es ist nicht überliefert, aber wir dürfen davon ausgehen, dass Kassandra eher nicht zu den fröhlichen Stimmungskanonen ihrer Zeit gehört hat. Sie hatte nämlich die Gabe, kommendes Unheil vorauszusagen. Ein bisschen die rheinische Variante der Kassandra ist blond, Präsidentin der IHK Köln und hört auf den Namen Dr. Nicole Grünewald. Denn mitten in die allgemeine Partystimmung über das vom Bundestag beschlossene Sondervermögen für Investitionen streut sie Zweifel, ob die Mittel wirklich für Brücken, Bahn, Straßen und Bildung ausgegeben werden. Sie vermutet ein politisches Verwirrspiel – „ein Hütchenspiel“, wie sie sagt – der schwarz-roten Koalition.

Grundsätzlich, das betont sie, befürwortet sie („zähneknirschend“) ein Investitionsprogramm, weil die Mängel in der Infrastruktur unübersehbar und für ein hoch entwickeltes Industrieland beschämend seien. Doch skeptisch, wie die IHK-Präsidentin ist, hat sie genauer hingeschaut und nachgerechnet. „Es sieht nicht danach aus, dass das Geld wirklich in Schiene, Straße und Bahn fließt, wo es bitter nötig wäre“, fasst sie ihr Ergebnis zusammen.

So könnten zum Beispiel die Länder (für die im Sondervermögen 100 Mrd. Euro vorgesehen sind) die Mittel nicht nur für Löcher im Asphalt, sondern auch für Löcher im Kultur- und Sportetat ausgeben. „Die sind dann schon mal weg“, meint Grünewald, und IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Uwe Vetterlein setzt noch einen drauf: „Auch die Zusätzlichkeit ist weg, damit können Länder und Kommunen mit dem Sondervermögen bisherige Mittel ersetzen – statt zusätzlich zu investieren.“ Gleichzeitig sei die geplante Steuersenkung für Unternehmen weggefallen.

Weitere 100 Mrd. Euro hatten die Grünen als Preis für Ihre Zustimmung zur Grundgesetzänderung erfolgreich in den sog. Klima-Transformationsfonds (KTF) hineinverhandelt. Nach gegenwärtiger Planung sei davon allenfalls ein Drittel investiv, so Vetterlein. Da das Sondervermögen auf 12 Jahre eingerichtet ist, blieben dann nur noch 25 Milliarden pro Jahr – angesichts des Gesamthaushalts eine fast überschaubare Summe. Insgesamt herrscht bei Grünewald und Vetterlein der Verdacht vor, dass es der Koalition beim Sondervermögen um die Finanzierung überzogener (nicht-.investiver) Wahlversprechen geht. Das wäre dann „nach dem Wortbruch von Merz ein weiterer Vertrauensverlust für die Politik.“

Je nach Berechnung sieht der Referentenentwurf des Finanzministeriums prozentual sogar einen geringeren Investitionsanteil für die künftigen Bundeshaushalte vor als 29024. Das wäre tatsächlich ein politisches Hütchenspiel. Aber noch ist nichts in Beton gegossen, die energische IHK-Präsidentin als Interessenvertreterin der regionalen Wirtschaft kämpft und wirbt bei der Politik für ihre Position. „Es ist gerade sehr dynamisch, täglich gibt es neue Entwicklungen. Doch wir sind alert.“

Spricht man dieser Tage mit Prof. Michael Hüther, blickt der Chef des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) deutlich entspannter auf die Lage. Er begrüßt ausdrücklich das Sondervermögen. Für ihn sind massive Investitionen in Infrastruktur und Klimaneutralität entscheidend für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands, wie er diese Woche noch einmal im Gespräch betonte. Natürlich sieht auch er die Gefahr einer Umwidmung der Mittel für soziale Wohltaten, aber er scheint deutlich optimistischer zu sein. Das Sondervermögen könnte ein Booster für das Wirtschaftswachstum sein, das angesichts der alternden Gesellschaft so dringend benötigt wird. Die Schuldenbremse in ihrer gegenwärtigen Form hält er für aus der Zeit gefallen. Die schwäbische Hausfrau, ohnehin eine diskriminierende Metapher, taugte nicht als fiskalisches Vorbild eines modernen Staates. Ein Staat müsse schuldenfinanziert vorsorgen können, schließlich würden sich Investitionen in Bildung, Infrastruktur und Klimaschutz morgen auch ökonomisch rechnen.

Vielleicht ist für die aktuelle Situation beides gut: Der kritisch-kontrollierende Blick Nicole Grünewalds genauso wie der Optimismus des renommierten Ökonomen Michael Hüther. Das Ergebnis ist dann konstruktive Kritik, ohne die Zukunft nicht gelingen kann.

 

 

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz