NEWSLETTER 10.10.2025
Über grundlose Anfeindungen,
eine CDU-Politikerin mit Exil-Gedanken
und ein leises Lob für Köln
Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,
wann haben Sie das letzte Mal daran gedacht, nicht nur Köln, sondern Deutschland zu verlassen? Nein, nicht nur kurz für den Urlaub. Dauerhaft und für immer. Ihr Haus oder ihre Wohnung aufzugeben, Ihren Beruf, Ihre Freunde, kurz alles. Wenn Sie daran keinen Gedanken verschwenden, sind Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit kein Jude, keine Jüdin. Denn in der jüdischen Community – in Köln wie anderswo in Deutschland und Europa – wird gerade wieder verstärkt über das Auswandern nachgedacht. Ihre Heimat, so der Eindruck, fühlt sich immer weniger wie Heimat an. Was Schutz, Geborgenheit bieten soll, wird seit dem Hamas-Massaker und der militärischen Reaktion Israels zunehmend zum Ort der Unsicherheit und Angst.
„Das Klima hat sich verändert“, konstatiert auch Andrei Kovacs. Der Unternehmer, Musiker und Generalsekretär des Vereins „Jüdisches Leben in Europa“ (JEWLIF) sieht mit wachsender Sorge, wie Antisemitismus wieder Konjunktur hat. Der sei zwar nie weg gewesen, aber er habe jetzt durch die (nachvollziehbare) Kritik am Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza und im Westjordanland plötzlich eine ganz andere, eine bedrohliche Dimension erreicht.
Wir haben uns in einem kleinen Restaurant getroffen, weil ich wissen wollte, was die grausamen Vorgänge im Nahen Osten für die knapp 4.000 jüdischen Mitbürger in Köln bedeuten. Immer wieder werden Juden weltweit für die Politik der Regierung Netanjahus in Haftung genommen, obwohl sie weder israelische Staatsbürger noch zwingend Anhänger der aktuellen israelischen Regierung sind. Die aktuelle Lage wird als Vorwand genommen, alte Klischees und antisemitische Stereotypen wiederzubeleben. Die Stimmung ist mittlerweile so aufgeheizt, dass selbst CDU-Bildungsministerin Karin Prien, die jüdische Wurzeln hat, alarmiert ist: Der Staat sei nicht mehr in der Lage, Juden wirksam zu schützen. Für den Fall eines AfD-Bundeskanzlers kann sie sich vorstellen, die Koffer zu packen: Das wäre dann nicht mehr ihr Land, sagte die couragierte CDU-Politikerin in einem Podcast.
Die Lesart, dass es sich dabei überwiegend um zugewanderten Antisemitismus handele, der von Migranten aus islamischen Ländern eingeschleppt worden sei, teilt Andrei Kovacs nicht. „Auch der Attentäter von Halle, der vor genau sechs Jahren einen Massenmord an Juden begehen wollte, war kein Migrant.“ Längst trauten sich Juden nicht mehr mit der Kippa in die Öffentlichkeit.
Es geht jedoch oft gar nicht um offen gezeigten Judenhass. Kovacs, vom Wesen her positiv und zupackend, beobachtet einen subtilen Antisemitismus, schleichende Veränderungen und verschleierte Formen. Da würden plötzlich jüdische Kinder plötzlich nicht mehr eingeladen, Freundschaften erodierten, Kontakte brächen ab: „Das kann im Einzelfall ganz banale Gründe haben, in der Summe aber ist es mehr als merkwürdig.“ Eine zweite Beobachtung stimmt ihn noch misstrauischer: “Im Kulturbetrieb, bei Filmen, Konzerten und Projekten, habe ich den Eindruck, dass neuerdings regelrecht gecancelt wird.“
Es ist vier Jahre her, dass 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland gefeiert wurde. Andrei Kovacs war maßgeblicher Organisator des Festjahrs und er wollte zeigen, welchen befruchtenden Beitrag über mehr als anderthalb tausend Jahre die jüdische Kultur geleistet hat. Er hält nichts von der Opferperspektive, „ich will auch nicht, dass meine Kinder mit einem Opfergefühl aufwachsen“. Doch die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland sieht er mittlerweile als gefährdet an und versteht Überlegungen, hierzulande die Zelte abzubrechen.
Sein Blick auf Köln ist ziemlich identisch mit der Kölner Selbstwahrnehmung: Die Stadt sei aufgeschlossen und tolerant, die Bedrohungslage für Mitbürger jüdischen Glaubens nicht so besorgniserregend wie anderswo. Auch die Politik in Bund, Land und in Köln sei aufgeschlossen und unterstützend. Aber insgesamt sei in der Gesellschaft etwas ins Rutschen geraten, die Polarisierung fördere demokratiefeindliche Tendenzen und Parteien – und Antisemitismus: „Dagegen Flagge zu zeigen, ist eine Aufgabe für die gesamte Zivilgesellschaft.“ Wer könnte Andrei Kovacs da widersprechen?
In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,
Ihr
Michael Hirz