NEWSLETTER 05.05.2023

Der bittersüße Weg zur Klimaneutralität – wie ein engagiertes Kölner Traditionsunternehmen von der Politik ausgebremst wird

 

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

bitte nicht schmunzeln, heute schreibe ich über Zuckerrübenschnitzel. Wer hätte gedacht, dass die Zukunft eines wichtigen Industriezweiges auch von Zuckerrübenschnitzeln abhängt. Es geht um die eigenständige Energieversorgung der Zuckerindustrie und damit auch um einen Marktführer: das Familienunternehmen Pfeifer & Langen aus Köln, deren Verpackung mit den markanten zwei Dom-Zuckerhüten in fast jedem Haushalt zu finden ist. Da steht zwar mittlerweile Diamant-Zucker drauf, aber wir alle sind mit Kölner-Zucker großgeworden. Und jetzt wird’s bitter für die Süßmacher aus Köln.

Doch von vorne: Mit der Zuckerrübe begann am 19. April 1870 die erfolgreiche Geschichte des Kölner Familienunternehmens Pfeifer & Langen: Würfelzucker, Gelierzucker – alles Erfindungen der Gründungsväter Valentin Pfeifer und Eugen Langen und ihrer nachfolgenden Generationen. Darüber hinaus war Langen maßgeblich an der Entwicklung des Ottomotors in Deutz und der Wuppertaler Schwebebahn beteiligt. So viel kurz zum historischen Exkurs. Bis heute ist das Unternehmen in Familienhand und beschäftigt rund 2.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter  in Europa. Der Gesamtumsatz im Jahr 2021 betrug rund 975 Millionen Euro.  An sechs Standorten in Deutschland und weiteren zehn Werken in Europa wird alles rund um den Zucker produziert. Von der erdigen Rübe auf dem Feld bis zum weißen Zucker im Kuchen oder Kaffee wird viel Energie benötigt. Und bei den aktuellen Preisen ist es nachvollziehbar, dass sich das energieintensive Unternehmen unabhängig von fossiler Energie machen will, nicht zuletzt um wettbewerbsfähig zu bleiben.

„Wir könnten sofort Zucker klimaneutral produzieren, wenn die Rahmenbedingungen dies zuließen.“ sagt mir der Geschäftsführer Michael Schaupp im Gespräch am Firmensitz im Kölner Stadtteil Junkersdorf.  „Aus 50% – 70%  der Rübenschnitzel, die bei der Zuckergewinnung immer als Reststoffe anfallen, kann genug Biogas erzeugt werden, um den Energiebedarf aller Werke vollständig zu decken.“

Klingt gut, wo ist das Problem? Das lag zunächst in Brüssel. Dort wurde zwei Jahre lang bis April dieses Jahres die Neufassung der Erneuerbaren-Energien-Richtlinie, RED III, erarbeitet. Darin sollten u.a. auch Zuckerrübenschnitzel als emissionsfrei eingestuft werden, damit sie ohne CO²– Abgabe zur klimaneutralen Energieerzeugung herangezogen werden können. Das hat in Teilen geklappt,  aber wie immer steckt der Teufel im Detail.

„RED III ist ein Bürokratiemonster.“ sagt Michael Schaupp.  Schon seit Jahren steht die Bagasse als fortschrittlicher, also emissionsfreier, Energieträger drin. Bagasse fällt als Reststoff an, wenn in Brasilien, Indien oder Thailand Zuckerrohr verarbeitet wird. Sie ist vergleichbar mit  Rübenschnitzeln der heimischen Zuckerindustrie. Und jetzt wird es völlig absurd: Würde Pfeifer & Langen Reststoffe zur Energiegewinnung aus Brasilien mit 10.000 km Transportweg verwerten, wären keine CO²-Zertifikate nötig und die Bagasse ist auch steuerlich bessergestellt als Erdgas. Die Wege der EU-Vorschriften sind manchmal unergründlich…

Ein solches Greenwashing kommt aber für das Kölner Familienunternehmen nicht in Frage. „Wir stehen zu unserem Ziel, klimaneutral zu werden und achten darauf, woher der Energieträger für unsere Fabriken kommt.“ versichert Schaupp. Er fordert die Gleichbehandlung von Reststoffen bei der Zuckerproduktion, denn sonst drohen Wettbewerbsnachteile für die heimische Zuckerindustrie, fürchtet der Geschäftsführer: „Wir kämpfen hier auf allen politischen Ebenen für ein Grundnahrungsmittel. Und das muss in Deutschland und in Europa verfügbar sein.“ Und am Ende auch bezahlbar, denn unsere Lebensmittelkosten werden nach Einschätzung von Experten auf hohem Niveau bleiben.

Noch ist bei der EU nicht alles verloren:  So haben mir die Europa-Abgeordneten Dr. Markus Pieper (EVP) und Tiemo Wölken (SPD) auf meine Nachfrage mitgeteilt, dass nach jetzigem Sachstand die Richtlinie RED III den EU-Mitgliedstaaten Spielraum gibt, Zuckerrübenschnitzel als emissionsfreien Biokraftstoff anzuerkennen.

Nun ist die Bundesregierung am Zug. Es geht jetzt um die Umsetzung der europäischen Richtlinie in deutsches Recht. Angesichts der bisherigen Ampel-Politik ist allerdings Zweifel angebracht, dass diese Chance für die deutsche Zucker-Industrie aufgegriffen wird. Denn auch an den aktuellen Überlegungen für ein Werbeverbot von zuckerhaltigen Lebensmitteln wird meines Erachtens deutlich, dass das Grundnahrungsmittel Zucker in der Bundesregierung offenbar nicht hoch angesehen ist. Mag sein, dass der Mensch nun mal bei Zucker schwach wird und 34 Kilo pro Jahr laut WHO zu viel sein mögen, aber der Grund des möglichen Werbeverbots ist, dass Kinder am Ende weniger Süßigkeiten essen sollen. Eigentlich eine Erziehungsaufgabe von Eltern und nicht vom Staat. Und da wird nun bei einem Werbeverbot alles in einen Topf geworfen mit Konsequenzen für viele – angefangen von der Werbeindustrie bis hin zu den Zuckerproduktherstellern. Werbeverbot für Süßes? Michael Schaupp ist sauer: „Das ist –  überspitzt formuliert – ein staatliches Diktat, was ich essen soll und was nicht. Wo leben wir eigentlich?“ 

Von Zuckerrübenschnitzel als fortschrittlicher Energieträger bis Werbeverbot für Süßes – die heimische Rübe muss ganz schön viel Politik aushalten. Hoffentlich schmeckt sie am Ende nicht bitter….

Mit süßen Grüßen wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende

 

Ihre Claudia Hessel

NEWSLETTER 28.04.2023

Warum die Sanierung der Kölner Zentralbibliothek wichtig ist – Ein gereimtes Prosit auf unser gefährliches Kulturgut Alkohol

 

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

ein öffentliches Bauwerk in Köln sanieren? Es gibt hinreichend Gründe, auf eine solche Ankündigung mit Schnappatmung zu reagieren. Dennoch halte ich es für eine gute Nachricht, dass die Verwaltung für die Zukunft der Kölner Zentralbibliothek nur eine Option kennt: Die Sanierung. Das entnahm ich der Kölnischen Rundschau

Meine Einstellung mag blauäugig sein. Aber dieser Schritt ist eine demonstrative Abkehr von der Politik des Abrisses, die das Kölner Justizgebäude treffen soll. Es ist 42 Jahre alt und mit 23 Stockwerken gut hundert Meter hoch und Teil des Zyklus von bauen, verkommen lassen, abreißen, neu bauen, wieder verkommen lassen . . .  Wem ernst ist mit der Vermeidung von Treibhausgasen, der vergrößert nicht Schuttberge. „Unsere Häuser sind die Rohstofflager von morgen“, erklärt Andreas Grosz vom KAP-Forum. „Die Zukunft des Bauens liegt im Bestand.“ Dass Neubaupreise ins Unermessliche steigen werden, weiß man. Die Zinsen sind nicht mehr niedrig, die Neubauregeln grenzen ans Unerfüllbare, Anlagekapital fließt in andere Bereiche, die lohnender geworden sind.

Auch eine andere Frage scheint mir beantwortet: Wer trägt, wenn die Kosten aus dem Ruder laufen, den Oberverantwortungshut? Das hatte meine Kollegin Claudia Hessel in unserem Newsletter vom 10. März gefragt. Die Antwort lautet: Ein Generalunternehmer (GU). Er bekommt viel Geld für Verantwortung und Haftung (ca. € 24 Mio.).

Zwar würde ein Teil von mir sich eine öffentliche Debatte wünschen über Sanierung oder Abriss ebenso wie über die Frage, wie eine moderne Bibliothek heute aussehen könnte. Aber ein anderer, Köln erfahrener Teil, sähe dem mit Grauen entgegen. Leicht schwemmt parteiübergreifende Schaufensterpolitik fort, was eine Debatte ausmachen sollte: In Ruhe Argumente wägen, nachdenken, womöglich Kompromisse suchen. Wenn es an Moderation fehlt, gewinnen Stimmungen und Gruppendynamik schnell die Oberhand.

Richtig ins Geld geht mittlerweile der prozessuale Zeitverbrauch. 2018 sollte die Sanierung der Bibliothek noch € 81,15 Millionen (Mio.) betragen, heute werden € 58,64 Mio. und damit 71 Prozent mehr fällig. Vielleicht hätte man damals auch einen kühnen Neubau umsetzen können (ohne das Bestandsgebäude abzureißen), wie es die „Oodi“-Bücherei in Finnlands Hauptstadt Helsinki ist (hier verlinkt), die Inkarnation eines urbanen Medien- und Kommunikationszentrums. Rund € 100 Mio. hat dieses Traumhaus 2018 gekostet. Aber auch die Kölner Zentralbibliothek kann sich sehen lassen. Unter Führung von Dr. Hannelore Vogt wuchs sie zur größten und besucherstärksten Kulturinstitution der Stadt, sagte mir Stefanie Ruffen, die baupolitische Sprecherin der FDP.

Sie wies ferner darauf hin, die Sanierung der einfach strukturierten Zentralbibliothek sei mit der unserer komplexen Oper überhaupt nicht vergleichbar. „Überraschungen müssten sich im Rahmen halten.“ Warum Sanierungen häufig so problematisch seien, fragte ich die Politikerin und Architektin. Weil alle Vorschriften am Standard von Neubauten ausgerichtet seien, antwortete sie. Historische Gebäude müssten auf den Jetzt-Standard gebracht werden. Gälte das auf dem Feld für Oldtimer, müssten diese mit allen heute üblichen Standards ausgerüstet sein wie ABS, Spurhalteassistent, Knautschzonen oder elektronischen Helfern.

Hoffen wir mit Anton Bausinger, dass eine Mehrheit im Kölner Rat der Sanierungsvorlage folgt. Seit mehr als 20 Jahren ist er Vorsitzender des Fördervereins Stadtbibliothek, denn Büchereien liegen ihm am Herzen. „Es ist sicher eine teure Entscheidung und dennoch die deutlich günstigere sowie schnellere.“ Gleichzeitig drängt der CDU-Politiker: „Es ist an der Zeit, dass Projekte in unserer Stadt aus der Diskussion genommen und einfach umgesetzt werden.“ Politische Führung. Das wäre was.

Reinhard Angelis vom Bund deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) nennt die Sanierung „wunderbar.“ In einem zweiten Schritt, so rät er, solle die Stadt den benachbarten öffentlichen Raum bewerten mit dem Rautenstrauch-Joest-Museum, der Volkshochschule und der ehemaligen Kaufhof-Verwaltung. „Wenn Köln dieses Potential nutzt, bekommt es mehr als eine sanierte Bibliothek.“ Einen neuen Stadtraum oder eine Kölner Antwort auf das finnische Oodi vielleicht? Was für eine schöne Perspektive.  

Nun zu Susanne Hengesbach. Sie hat wieder gereimt – ein Prosit, auf unser liebstes Kulturgut . . . oder die Frage: Weshalb wir Kölsch nicht als Einstiegsdroge bezeichnen und Whiskey-Flaschen keine Banderolen haben, die vor dem gesundheitsgefährdenden Konsum von Alkohol warnen. Den Podcast finden Sie hier.  Wie immer, macht er ein wenig nachdenklich. Das kann bei diesem Thema nicht schaden.

Ich wünsche uns allen ein sonniges Wochenende!

Herzlich grüßt

Ihr

Peter Pauls

NEWSLETTER 21.04.2023

Vom grünen Zeitgeist, Hobby-Fliegern und Bürgerferne

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

auch eine weitgehend entchristlichte Gesellschaft wie die unsere sollte gelegentlich mal die Kirche im Dorf lassen.  Ja, wir haben gerade jede Menge Krisen, von der Energieversorgung bis zum Klima, und täglich scheinen neue dazu zu kommen. Aber sind das immer gleich endzeitliche Katastrophen? Der Unterschied zwischen Krise und Katastrophe ist schließlich der, dass wir auf Krisen mit Handeln reagieren können, eine Katastrophe aber macht hilflos. Das Ergebnis sind Resignation und im Extremfall Verzweiflung. Beides führt aber nicht zu einer Lösung, sondern wird zum Teil des Problems.

Deshalb ist es keine gute Idee, im Zusammenhang mit der Erderwärmung von einer Klimakatastrophe zu sprechen. Gerade hat der Weltklimarat IPCC einen Bericht vorgelegt, der zwar den Ernst der Lage beschreibt, der jedoch gleichzeitig aufzeigt, mit welchen Maßnahmen die Menschheit dem Klimawandel entgegenwirken kann. Dazu gehört natürlich, zügig aus der Verbrennung von Kohle, Erdöl und Gas auszusteigen. Das bringt die deutschen Grünen in Erklärnot: Die Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke am letzten Wochenende bedeutet, dass 15 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich freigesetzt werden – pro Jahr. Wohlgemerkt: Es geht nicht um eine Neuauflage der Atom-Debatte, das Thema ist durch. Es geht um eine befristete Laufzeitverlängerung von technisch einwandfreien Reaktoren.

Überhaupt zeigt der grüne Lack der Partei Kratzer. Aktuell rangiert die Partei laut Forsa bei 17 Prozent. Das ist weit entfernt von früheren Höhenflügen und dem Traum von einer grünen Volkspartei. Für Forsa-Chef Manfred Güllnerhaben sich die einstigen Shootingstars Robert Habeck und Annalena Baerbock entzaubert, die Grünen werden wieder stärker als Verbots- und Gängelungspartei gesehen, die aus ideologischen Gründen ein ganzes Volk umerziehen will: Ob Gendern oder Verkehrspolitik, ob Heizungstausch oder Einwanderungspolitik – der Widerstand gegen grüne Positionen wächst. Aus der grünen Wohlfühl-Partei mit ihrem Versprechen einer kuscheligen Zukunft ist eine Zumutungspartei geworden. Das weltliche Heilsversprechen ist eben nicht umsonst zu haben. Da der Zeitgeist ein scheuer Geselle ist, könnte es sein, dass er sich schon intensiv nach einem neuen Zuhause umsieht – und Grün zu einer blassen Farbe wird.

Doch wo könnte dieses neue Zuhause liegen? Die SPD, die bundesweit keine 20 Prozent mehr schafft und im einstigen Kernland Nordrhein-Westfalen nur noch eine Erinnerungsgröße ist? Kaum. Bei Lindners Liberalen? Die kämpfen darum, nicht in die politische Todeszone von weniger als fünf Prozent abzurutschen. Die Linke? Gibt sich alle Mühe, von einer Partei zur Sekte zu mutieren. Bleibt die Union. Sie erreicht zwar knapp 30 Prozent, aber angesichts des Unmuts über die Ampel-Koalition kann das nicht beeindrucken. Für Manfred Güllner hat das Akzeptanzproblem der CDU einen Namen: Friedrich Merz. Die versprochene Erneuerung der Partei werde vom Wähler nicht gesehen und die Vertrauenswerte des CDU-Chefs lägen „bei allen Wahlberechtigten und bei Anhängern der CDU deutlich unter denen, die Merkel kurz vor der letzten Bundestagswahl erhalten hatte – und zudem noch deutlich unter denen des derzeit nicht sonderlich populären Kanzlers.“ Es scheint so, als ob der passionierte Hobby-Flieger Merz in diesem Leben nicht mehr zu einem Höhenflug in der Beliebtheit ansetzen könnte.

Die dauerhafte Schwäche ihres Vorsitzenden lenkt den Blick auf die zweite Reihe der CDU, und da sticht neben Daniel Günther vor allem Hendrik Wüst, der NRW-Ministerpräsident, heraus. Der hat zwar, wie Güllner sagt, vor allem davon profitiert, dass die SPD im Land sich quasi aufgelöst hat. Aber seine CDU käme, wären jetzt Landtagswahlen, auf beachtliche 38 Prozent und seine persönlichen Popularitätswerte sind hoch. Doch ein inhaltliches Profil lässt der smarte Münsterländer noch nicht erkennen, er meidet die Auseinandersetzung und wirkt deshalb wie eine Projektionsfläche für alle. Eine Bewährungsprobe wartet auch mit der nächsten Kommunalwahl auf Wüst. Wird er die Basis der Partei geschlossen und motiviert aufstellen? In einer Metropole wie Köln überhaupt mit einer eigenen Kandidatin oder eigenen Kandidaten antreten? Auch darf man gespannt sein, wie belastungsfähig seine schwarz-grüne Koalition ist. Hält sie zum Beispiel, wenn es um die Energiewende, Verkehrspolitik oder andere kritische Fragen geht?

Um ein genaueres Bild von Hendrik Wüst zu bekommen, haben wir ihn in den Kölner Presseclub eingeladen. Am Donnerstag, 4. Mai, wird er im Gespräch mit Peter Pauls und mir  Rede und Antwort stehen. Eine gute Gelegenheit, einen unmittelbaren Eindruck von einem aussichtsreichen Hoffnungsträger der CDU zu bekommen – freuen Sie sich darauf.

Eindruck vermittelt auch die Stadtverwaltung und ihre Abfallwirtschaft. Der zunehmenden Vermüllung haben sie – und dafür kann man sie nicht genug loben! –  den Kampf angesagt. Doch so bürgernah die Absicht ist, so bürgerfern ist die Ankündigung. Dazu hat sich Susanne Hengesbach in ihrem Poetry Podcast so ihre Gedanken gemacht. Doch hören Sie selbst:

 

Viel Vergnügen!

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

NEWSLETTER 31.03.2023

Quoten, Männer-Macht und Feminismus – wie auch die Arbeitswelt sich wandelt

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

lassen Sie mal in einer Gesprächsrunde die Begriffe alte weiße Männer, Feminismus und Quote fallen – sofort ist eine aufgeregte Debatte im Gange. Liegt es daran, dass wir eine Zeit von großen gesellschaftlichen Umbrüchen erleben? Wenn die klassische Rolle von Mann und Frau hinterfragt und das traditionelle Konzept Familie gekippt wird oder sogar die Zuschreibungen von Geschlechtern zur Diskussion stehen? Auch unser Verhältnis zur Arbeit wandelt sich extrem. So stellt die Elterngeneration erstaunt fest, dass ein Teil der Generation Z – also jene, die um die Jahrtausendwende geboren wurden – sich nicht im Job abrackern will. Unternehmen klagen, dass junge Leute schon vor Beginn des ersten Praktikums nach dem Urlaubsanspruch fragen. Und sie machen Feierabend – egal, was im Betrieb gerade noch los ist. Herzblut, Leidenschaft, Brennen für den Job – das vermissen die Älteren. Softe Faktoren wie Work-Life-Balance, sinnstiftende Arbeit und Chancengleichheit sind die neuen Themen der Berufswelt.

Mit Chancengleichheit für berufstätige Frauen hat sich die Autorin und Journalistin Mirijam Trunk beschäftigt. Sie ist mit 31 Jahren bereits auf der obersten Managementebene des Kölner Senders RTL angekommen und zählt zu den jüngsten Führungskräften Deutschlands. Ihr erstes Buch, „Dinge, die ich am Anfang meiner Karriere gerne gewusst hätte“, ist gerade erschienen und direkt auf der Spiegel-Bestsellerliste gelandet.

„Die Welt, in der wir gerade leben, ist immer noch eine Arbeitswelt, die von Männern für Männern gemacht wurde.“ Die Kölner Autorin Miriam Trunk über Chancengleichheit
Foto: @ RTL Deutschland

Das Buch beginnt mit einer schlechten Nachricht: Es gibt keine Chancengleichheit in Deutschland. Auch im Januar 2023 sind laut Statistischem Bundesamt immer noch rund 70 Prozent der deutschen Führungskräfte Männer. Nur jede 3. Führungskraft ist eine Frau. Grundsätzlich sieht es für Frauen düster aus:  Ein Drittel von ihnen landet wegen der Teilzeitfalle in der Altersarmut. Oder sie geraten, wie die Hälfte aller verheirateten Frauen, in finanzielle Abhängigkeit von ihrem Mann.

„Die Welt, in der wir gerade leben, ist immer noch eine Arbeitswelt, die von Männern für Männern gemacht wurde. Die schlechte Vereinbarkeit von Kindererziehung und Beruf ist eine große Hürde, die Frauen auf ihrem Weg durch das Berufsleben bremst. In Deutschland tragen Frauen deutlich weniger zum Familieneinkommen bei als in den meisten anderen Ländern“, stellt Mirijam Trunk fest. Aber auch in den Unternehmen selbst gibt es festgefahrene Strukturen: „In deutschen Vorständen herrscht immer noch das Prinzip der Homosozietät: Gleich und gleich gesellt sich gern, man ist gerne unter sich. Mit einer Minderheit, die unter 30 Prozent vertreten ist – und dazu zählen Frauen nun mal – ändert sich eine Kultur nicht.“

Und Führungsposition ist nicht gleich Führungsposition, konstatiert Trunk. „Schaut man sich die Bereiche an, für die Frauen in den Vorständen der 169 börsennotierten deutschen Unternehmen bisher verantwortlich sind, drängt sich der Gedanke auf, dass es so etwas wie Frauenzonen in Unternehmen gibt.“ Von 86 Frauen, die 2021 in einem Vorstand waren, unter insgesamt 734 Vorstandsposten, waren 24 Finanz- und 22 Personalvorstand. „Frauen landen oft in diesen Stabsfunktionen. Das Kerngeschäft bleibt Männersache. Frauen dürfen zwar auf dem Vorstandsschiff mitfahren, aber nur selten auf der Brücke stehen.“

Ihre eigenen Erfahrungen untermauert Mirijam Trunk mit Berichten anderer Führungsfrauen aus Wirtschaft, Politik und Kultur. Sie selbst bezeichnet sich als Feministin, sieht aber die aktuelle Entwicklung kritisch: „Der Begriff Feminismus hat ein Imageproblem. Viele denken, er richte sich gegen Männer, hätte etwas Militantes, sei eine Art der Verbotskultur. Moderner Feminismus steht für Intersektionalität und Chancengleichheit und schaut auf Strukturen.

Sind „alte weiße Männer“ der Grund, warum Frauen auf dem Weg nach oben ausgebremst werden – oder werden sie selbst benachteiligt? „Ich sehe nicht, dass Männer diskriminiert werden, das geben die Zahlen einfach nicht her“, sagt Mirijam Trunk, „aber den Begriff „alte weiße Männer“ lehne ich ab, denn er ist altersdiskriminierend. Grundsätzlich sind Männer für mich absolut kein Feindbild. Denn auch immer mehr Männer wehren sich gegen stereotype Denkmuster und gegen systemische Hürden. Der Begriff „alte weiße Männer macht Fronten auf, statt in eine konstruktive Richtung zu lenken. Chancengleichheit erfordert eine breite Gesellschaftsdebatte. Selbst Väter von Töchtern spüren diese Ungerechtigkeit und somit wird es auch zu einem Väterproblem.“

Insgesamt war es ein vielschichtiges Gespräch mit meiner RTL-Kollegin, die vieles und vor allem Strukturen in Frage stellt. Typisch für ihre Generation Y.  Englisch Why, auf Deutsch warum – was sinnbildlich für den hinterfragenden Charakter der Millennials stehen soll.

Aber für die Zukunft ist ebenso entscheidend, wie die Generation Z den gesellschaftlichen Wandel vorantreibt. Bringen diese jungen Leute aus ihrem Selbstverständnis heraus die Chancengleichheit gleich mit, dann braucht es dafür keine Quote. Und führt Work-Life-Balance nicht auch zu besseren Arbeitsbedingungen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Vielleicht müssten wir dann nicht 132 Jahre auf die Gleichstellung von Männern und Frauen warten, wie der Gender Gap Report 2021 dies errechnet hat. Jetzt kommt es auch auf erfolgreiche weibliche Vorbilder wie Mirijam Trunk an. Eine, die konstruktiv Kritik am männerdominierten Wirtschaftsleben übt, gemeinsame Lösungen vorschlägt und nicht nur draufhaut – auf die alten weißen Männer.

Nach der Osterpause meldet sich der Presseclub am Mittwoch, 19.04.2023, mit einem Gesprächsgast zurück, der von Köln aus ein gewaltiges Handelsreich überblickt. Lionel Souque, Vorstandsvorsitzender der Rewe Group, hat für 2022 beeindruckende Zahlen vorgelegt. Die Umsätze stiegen um gut zehn Prozent auf fast 85 Milliarden Euro. Wir sprechen mit ihm über Lieferketten, Teuerungsraten, die Versorgung der Menschen – und vielleicht auch den 1. FC Köln, dessen Spieler das Rewe-Logo auf der Brust tragen. Melden Sie sich jetzt am besten schon an (info@koelner-presseclub.de).

Live aufgenommen für den Kölner Presseclub: Der Poetry-Podcast von Susanne Hengesbach.
Foto: Sanna Nübold

Möchten Sie gezielt an Ihrer Stimmung arbeiten und sie verbessern? Dann hören Sie in den neuen, live aufgenommenen Poetry Podcast von Susanne Hengesbach rein (klicken Sie auf play). In „Das Teflon-Prinzip“ stellt sie ihren Neffen Conrad und eine besondere Form von „Hirntraining“ vor, von dem wir alle profitieren könnten. Unsere Laune bessert sich dadurch. Sofort ausprobieren!

 

 

 

 

 

 

 

 

Eine schöne Osterzeit wünscht Ihnen

Ihre Claudia Hessel

NEWSLETTER 24.03.2023

Von Zauberkünstlern, Energiepolitik und der Gnade des genauen Blicks

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

Dr. Nicole Grünewald, Präsidentin der IHK Köln
Foto: Brincker

 

das natürliche Biotop der Zauberkünstler und Magier ist das Varieté. Dort sorgen sie mit ihren Kunststücken für Staunen und gute Laune. Aber es gibt sie auch in der Politik. Da werden bei Parteitagen zwar keine schwebenden Jungfrauen gezeigt, aber da wird schon mal mit schillernden Visionen die Vertreibung aus dem Paradies rückgängig gemacht. Diesen Eindruck muss man gewinnen, wenn es um die Energiepolitik geht. Der mühsam ausgehandelte ambitionierte Kohleausstieg 2038 wurde kurzerhand nochmal vorgezogen auf 2030 – das ist nicht übermorgen, das ist morgen!

Nicht machbar, unrealistisch, wird nicht kommen. Das ist das Urteil nicht nur einschlägiger Lobbyisten, man hört es auch zunehmend von Entscheidern in den betroffenen Branchen. Gerade erst hat IHK-Präsidentin Nicole Grünewald im Kölner Presseclub vorgerechnet, dass nach ihrer Berechnung die Hälfte der benötigten Energie im Rheinischen Revier fehlt, wenn 2030 der hiesige Bergbau nur noch in den Geschichtsbüchern  zu finden ist. Was heißt das angesichts der Tatsache, dass sichere und günstige Energie die Region zu einer der wohlhabensten Europas gemacht haben? Was heißt das für einen der bedeutendsten Chemiestandorte, dessen wichtigster Rohstoff Energie ist?  Für Metallverarbeitung, Fahrzeugbau, Industriebetriebe?

 

Um das klar zu sagen: Kein Mensch bei Verstand bezweifelt noch den Klimawandel. Die Versäumnisse beim Aufbau der Erneuerbaren Energie rächen sich und zwingen zu entschlossenem Handeln. Dazu braucht es kraftvollen Optimismus und Visionen einer Zukunft ohne fossile Energieträger. Aber es braucht auch Verlässlichkeit und Vertrauen. Und das wird zum knappen Gut. Schließlich darf ein überhasteter Strukturwandel die Gesellschaft und ihre ökonomische Basis nicht zerlegen. Es muss nach dem Aus für Kohle und Atom zuverlässigen Ersatz geben. Doch der Zubau mit Windenergie, Photovoltaik, Biomasse und Co. verläuft schleppend, die benötigten Gaskraftwerke gibt es überwiegend nur auf dem Papier.

Bald Geschichte – Bagger im Braunkohle-Tagebau

Große wie der Spezialchemiekonzern Lanxess mit seinen rund 14.000 Mitarbeitern haben schon angekündigt, nur noch an anderen (ausländischen) Standorten in neue Anlagen zu investieren. „Schon vor dem Ukraine-Krieg waren die Energiepreise hier dreimal so hoch wie in den USA“, sagt Lanxess-Chef Matthias Zachert in einem Interview. Das habe man durch Technologie-Vorsprung kompensieren können, aber das sei jetzt nicht mehr möglich. „Energie ist ein regionaler Kostenfaktor. Wenn Sie hier produzieren, aber in den USA oder China absetzen, dann sind Sie nicht mehr wettbewerbsfähig.“

Wie Zachert beklagen auch viele Mittelständler nicht nur die unkalkulierbare künftige Versorgungssicherheit bei der Energie. Sie monieren ebenfalls die im Vergleich zu anderen Ländern überlangen und komplizierten Genehmigungsverfahren. Das derzeit massive Werben der USA, die mit hohen Subventionen, günstigen Steuersätzen und kurzen Genehmigungsverfahren locken, entwickelt in einer solchen Situation eine gefährliche Verführungskraft.

Mit besonderen Herausforderungen sind die rund 400 Dienstleister und Zulieferer der Braunkohleindustrie konfrontiert. Der nochmals vorgezogene Kohleausstieg hat sie kalt erwischt. Das erläuterte Meike Jungbluth von der Roskopf-Unternehmensgruppe, bei der Veranstaltung im Kölner Presseclub.  Die Chefin des Aachener Familienunternehmens mit ihren ca. 170 Mitarbeitern muss im laufenden Betrieb jetzt kurzfristig nach komplett neuen Geschäftsmodellen suchen. Das Vertrauen in Politik und Bürokratie ist überschaubar: Sie setzt auf eigene Kraft und Selbsthilfe, indem sie gemeinsam mit der RWTH Aachen ein Netzwerk der Dienstleister im Revier gegründet hat. Motto des Zusammenschlusses: „Die Kohle geht, die Kompetenz bleibt.“

Es scheint zunehmend, als bewohnten Politik und Wirtschaft unterschiedliche Welten. Während in der einen von einer sanften Zukunft in Frieden und Wohlstand geschwärmt wird, sind in der anderen Skepsis und Abwanderungsgedanken zu Hause – und die Befürchtung, das Rheinische Revier könne zum Ruhrgebiet 2.0 werden. Vielleicht sollte man an die Kurt Schumacher zugeschriebene Erkenntnis erinnern: Politik beginnt mit der Betrachtung der Wirklichkeit.

Die alltägliche Wirklichkeit im Blick hat meine Kollegin Susanne Hengesbach. Es sind oft die kleinen Dinge, die uns ziemlich genau Auskunft geben über den Zustand der Gesellschaft. Diese Gnade des genauen Blicks, die Fähigkeit, im Kleinen das große Ganze zu erkennen, zeigt Susanne Hengesbach wieder in ihrer neuen Podcast-Folge.

Wenn Sie den live gesprochenen Poetry-Slam hören wollen:

 

Prädikat: Unbedingt hörenswert!

In diesem Sinne grüße ich Sie, herzlich wie stets,

Ihr

Michael Hirz

Newsletter 17.03.2023

Warum ich nie Bauer sein möchte und wir über unser tägliches Brot sprechen sollten – Bühne frei für Susanne Hengesbach und ihren Poetry-Podcast

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

auf keinen Fall würde ich Bauer sein wollen. Das steht sowieso nicht zur Debatte. Diese jähe Erkenntnis überkam mich jedoch erst, als ich mit Jens Lönneker über die deutsche Landwirtschaft und deren Dilemmata sprach.

Was der Psychologe und Geschäftsführer von „rheingold salon“ erklärte, sagt mindestens so viel über uns Konsumenten aus wie über den Gegenstand seiner Forschung, die Bäuerinnen und Bauern in diesem Land. Corona und die Folgen des Ukraine-Krieges konfrontierten uns mit leeren Supermarkt-Regalen. Doch tatsächlich entstand nie gefährlicher Mangel, abgesehen von Mehl vielleicht. Aber da waren Verbraucher am Werk, denen die Sicherungen durchgebrannt sind.

In dieser Situation müsste eigentlich einer Berufsgruppe, die das Land versorgt und es buchstäblich satt macht, Dank, Wärme und Zuneigung zuteilwerden. Doch so war es, anders als in Frankreich etwa, nicht. Wir Menschen außerhalb der Landwirtschaft dankten statt den Bauern dem Handel dafür, dass die Regale nicht dauerhaft leer blieben. Mehr noch: Die Landwirte fühlten sich angegriffen und schon vor den Krisen häufig abgestempelt als Verweigerer von Tierwohl und Nachhaltigkeit. Daher bat deren Verband Jens Lönneker und sein Team um Hilfe.

Der „rheingold salon“ deckte einige Fakten auf: Bauern sind modern, effizient, sie arbeiten mit Drohnen (um Rehkitze vor Mähmaschinen zu retten), pflegen die Landschaft, aber sie schweigen darüber. Wir Verbraucher wollen zwar, dass es den Tieren, die wir essen, zu Lebzeiten gut geht. Dafür bezahlen möchte die überwiegende Mehrheit der Konsumenten aber nicht. Wir wollen übrigens auch alternativ erzeugte Energie, aber sie soll günstig sein. Und wir glauben unerschütterlich an den nächsten Lebensmittelskandal und ebenso, dass er nicht uns betrifft. Wir hätten gerne Qualität zum Discounter-Preis.

Die Krisen, die auf uns lasten, haben unseren Blick geschärft. Selbstverständliches ist nicht mehr selbstverständlich. Wer unter welchen Bedingungen unser täglich Brot produziert – darüber wollen wir vom Kölner Presseclub diskutieren am Dienstag, 28. März, 19.30 h im Excelsior Hotel Ernst, Trankgasse 5, 50667 Köln. Auf dem Podium sprechen miteinander: Susanne Schulze Bockeloh, Vizepräsidentin des Deutschen Bauernverbandes, Arndt Klocke (MdL-Grüne), langjähriger NRW-Fraktions- und Parteivorsitzender, sowie Jens Lönneker, Mit-Autor des Buches „Zukunfts-Bauer“.

In der Diskussion kommen wir nicht nur Missverständnissen, sondern auch eigener Widersprüchlichkeit auf die Spur. „Heutzutage ist es nicht mehr nötig, ein in sich konsistentes Verhaltensmuster aufzubauen“, hat Lönneker erkannt. Wer sich heute fürs Klima auf die Straße klebt, fliegt morgen nach Asien und fühlt den Widerspruch nicht.

Susanne Hengesbach trägt vor – ein Poetry-Slam zur Altersdiskriminierung. Foto: Martina Goyert

Der Handel inszeniert sich gekonnt. „Die von Rewe versorgen mich und setzen sich der Gefahr von Infektionen aus“, wurde den Psychologen gesagt. Die Bauern sind zu still. Da es kaum noch alltägliche Berührungspunkte zur Landwirtschaft gibt, reifen Vorurteile. Vielleicht sogar auf beiden Seiten? Wir werden darüber sprechen. Denn es geht um nicht weniger als um unser tägliches Brot. Früher war es so wenig selbstverständlich, dass es Bestandteil des Gebetes war, das jeder kennt, des „Vaterunser“.

Szenenwechsel: Artikel von Susanne Hengesbach (kurze Vita hier) haben Sie sicher schon im „Kölner Stadt-Anzeiger“ gelesen. Unvergessen, wie die Kollegin vor vielen Jahren telefonisch in einem Edel-Restaurant reservierte, dort als Rockerbraut in Lederkluft aufkreuzte und aufschrieb, wie sich das Personal – nach meiner Erinnerung – tapfer schlug. Ihre Serie „Zwei Kaffee, bitte“ hat Kultcharakter: Sie lädt auf der Straße wildfremde Menschen ein und lässt sie darüber berichten, was sie bewegt.

Neulich schickte sie mir eine Sprachdatei und bat mich um eine Einschätzung. Als ich hörte, was sie in wenigen Minuten zur Altersdiskriminierung sagt und wie sie es bitter und böse und dann wieder heiter vorträgt, war ich begeistert. Wenn Sie auf „Play“ klicken, hören Sie den Poetry-Slam von Susanne Hengesbach und erfahren mehr über meine hochgeschätzte Kollegin. Ich zum Beispiel wusste nicht, dass sie Jura studiert hat und nur der Sprache wegen in den Journalismus wechselte. Gut, dass sie es getan hat.

 

An einer Stelle sagt sie zum Thema Alter: „Was das betrifft, würd‘ ich gern Influencerin sein, aber mit Ü 60 nimmt mich kein Schwein“. Nun – das widerlegen wir gerne.

Wenn die Sonne dieser Tage zwischen den Regen- und Schneeschauern einen ihrer kurzen Auftritte hat, verheißt sie Frühling. Hoffen wir, dass sie bald Ernst macht.

Herzlich grüßt

Ihr

Peter Pauls

Newsletter 10.03.2023

Die Kostenexplosion bei den Sanierungsplänen der Zentralbibliothek spaltet die Kölner. Warum das alles an das Desaster der Oper erinnert.

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

was tun, wenn die Kasse leer ist und die Kölner Kulturbauten bröckeln? Ein Dilemma der Prioritäten tut sich auf, denn die Renovierungsliste ist lang und die Zeit drängt. Philharmonie und Museum Ludwig sind demnächst ein Sanierungsfall. Die sagenhafte Summe von einer Milliarde Euro steht im Raum. Und seit 10 Jahren soll die Zentralbibliothek am Neumarkt saniert werden. Das Gebäude von 1979 ist mittlerweile nicht nur klimatechnisch von gestern. Seit 2018 liegt ein Ratsbeschluss für eine Generalsanierung vor: 81 Millionen Euro wurden nach etlichen Kostensteigerungen für die Modernisierung am Ende genehmigt. Die neuen Zahlen von 140 Millionen Euro plus x, die kursieren, machen schwindelig. Eine besonders hitzige Diskussion ist im Gange mit einer Gemengelage, in die alles reingepackt wird: Von Sanierung, Abriss, Neubau, Ausweichquartier, über Klimaschutz bis hin zum Aufruf zur Hausbesetzung. Team Sanierung und Team Abriss stehen sich unversöhnlich gegenüber.

„Warum jetzt ausgerechnet dieses Gebäude von 1979 am Neumarkt erhalten bleiben sein soll, erschließt sich mir nicht, sagt der Kölner Bürgermeister Ralph Elster und kulturpolitischer Sprecher der CDU. „Bei fast 75 % Steigerung der Kosten auf 140 Millionen Euro können wir das nicht einfach hinnehmen, nur weil es heißt: Es wird halt alles teurer.“ Dabei verweist Elster auch auf die exorbitant gestiegenen Kosten der Opern- und Schauspielsanierung von zurzeit knapp 700 Millionen Euro – wobei hier die Gesamtrechnung am Ende wohl noch höher liegt – und warnt vor einem neuen finanziellen Fiasko am Neumarkt. Zwar lassen sich die Gebäude am Offenbachplatz und am Neumarkt nicht miteinander vergleichen, aber „Das Debakel mit der Oper bekommt man nicht aus den Köpfen der Kölner. Und das muss uns auch eine Mahnung sein. Man kann dem Kölner Steuerzahler nicht vermitteln, dass wir den gleichen Fehler sehenden Auges noch einmal begehen.“ Die zahlreichen Kommentare in den sozialen Medien geben ihm Recht, obwohl er mit seiner Haltung politisch isoliert dasteht.

Zum Team Sanierung gesellen sich die Grünen, die die einmal gefassten Beschlüsse von 2018 umsetzen wollen und die SPD. Die kulturpolitische Sprecherin der SPD, Maria Helmis, argumentiert im Gespräch mit mir: „Der mit den Erfahrungen aus den gescheiterten Kulturbauprojekten einhergehende Vertrauensverlust, darf nicht dazu führen, die gemeinsame Vision einer sanierten und modernen Stadtbibliothek am jetzigen Standort fallen zu lassen.“ Am Neumarkt soll mit der Ertüchtigung der Zentralbibliothek ein neues Kulturquartier entstehen, welches im kleineren Ausweichquartier auf der Hohe Straße nicht möglich sein soll.

Lorenz Deutsch, kulturpolitischer Sprecher der FDP Ratsfraktion, steht auch auf der Seite der Sanierungsbefürworter: „Wir können doch nicht ständig Gebäude abreißen, wenn sie in die Jahre gekommen sind oder ihnen wegen Sanierungsstau die Betriebserlaubnis entzogen wird, wie beim Römisch Germanischen Museum. Warum geht die Stadt Köln so mit ihren Häusern um? Viele Schulen, Kulturbauten, Verwaltungsgebäude sind marode und ständig wird nur notdürftig geflickt. Aber in den Erhalt der städtischen Gebäude wird nicht investiert. Stattdessen werden teure Neubauten und Leuchttürme geplant, während der Rest verrottet. Richtiger wäre es, öffentliche Gebäude kontinuierlich zu ertüchtigen und dann länger zu nutzen. Außerdem ist es auch ökologisch sinnvoller.

„Wir können doch nicht ständig Gebäude abreißen, wenn sie in die Jahre gekommen sind.
Warum geht die Stadt Köln so mit ihren Häusern um?“ kritisiert Lorenz Deutsch, kulturpolitischer Sprecher der FDP Ratsfraktion
Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0

Mein Fazit: Demokratie lebt vom Austausch der Argumente auf Basis von Fakten. Auch wenn die weichen Faktoren bei der Zentralbibliothek wichtig sind – statt so viel Emotionalität wie jetzt, wäre mehr Rationalität gefordert. Welche Kosten und Risiken bestehen tatsächlich und muss die Politik nicht auch eine kostengünstigere Variante ins Auge fassen? Wer übernimmt Verantwortung, wenn die Kosten trotz aller Mahnungen am Ende doch aus dem Ruder laufen sollten? Das mit dem Oberverantwortungshut hat bei der Oper schon nicht geklappt. Letztlich geht es um das Geld von uns Steuerzahlern. Ich bin gespannt, für welchen Weg die Politik sich angesichts knapper Kassen im Mai entscheidet. Was kann sich Köln noch leisten? Wahrscheinlich werden noch so manche Kulturbauten – von denen der eine oder andere bereits träumte – von der Wunschliste gestrichen werden müssen.

Davon werden wir sicherlich auch bald hören.

Es grüßt Sie herzlich

Ihre Claudia Hessel

Newsletter 03.03.2023

Nach dem Ausstieg der Abstieg? Verliert das rheinische Revier nicht nur die Kohle, sondern auch Industrie und Zukunft?

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

mit einer guten Nachricht will ich beginnen: Man kann, zumindest als Urlauber, mit ständigen Stromabschaltungen leben. Eine Tour durch Südafrika hat mich das gelehrt, denn dort ist Elektrizität – wegen Misswirtschaft und Korruption – rationiert. Taschenlampen und kleine Stromspeicher mussten reichen. Einmal habe ich zwölf strom- sowie handylose Stunden verbracht und Tee auf offener Flamme gekocht. Kein Problem. Mancher Haushalt am Kap verfügt inzwischen über ein Energie-Sicherungssystem. Das ist teuer. Aber es hält meist länger als der Ausfall dauert. Dann spürt man noch weniger. Nur draußen funktionieren Ampeln und Straßenbeleuchtung nicht, in Verwaltungen stürzen die Computer ab und nicht jedes staatliche Krankenhaus hat ein gutes Reservesystem.

Die schlechte Nachricht: Arme Menschen, Landwirte und die Wirtschaft haben es schwer. Auf einer benachbarten Kirschfarm verdarb die Arbeit eines ganzen Jahres während eines Mega-Stromausfalls. In den Dörfern um die Farm herrscht Arbeitslosigkeit. Auf einer Geflügelfarm starben zigtausende Hühner und in den Städten sind die Cafés, die eigene Energiespeicher und Internet haben, voller Selbstständiger, die verzweifelt versuchen, mit dem Laptop ihre Existenz zu sichern. Die Industrie geht am Stock. Die Preise für alles steigen.

Droht uns das auch? Im Kölner Raum, in Nordrhein-Westfalen (NRW) und in Deutschland? Für das auf das Jahr 2030 vorgezogene Ende des Braunkohleabbaus im rheinischen Revier hat sich die schwarz-grüne Landesregierung gefeiert. Doch die Hauptaufgabe, diese Kohle zu kompensieren, liegt noch vor den Beteiligten. Der Ausstieg bedeutet auch einen Einstieg – in erneuerbare Energien und deren Erzeugung. Viel gibt es da bisher nicht. Dabei wird der Energiebedarf nach Expertenmeinung 2030 noch um 30 Prozent höher liegen als heute.

Der vorgezogene Kohleausstieg steht für eine ganze Reihe Themen, von denen jedes einzelne das Potential hat, die Lebenswirklichkeit in unserer Region zu verändern. Zum Besseren oder zum Schlechteren. Darüber wollen wir am Dienstag, 21. März, 19:30 Uhr, im Excelsior Hotel Ernst in Köln, Trankgasse 1-5, mehr erfahren und diskutieren (Ihre Anmeldung erbitten wir unter info@koelner-presseclub.de).

„Bis 2030 sollen unsere Kohlekraftwerke mit acht Gigawatt Leistung durch Gaskraftwerke mit drei Gigawatt und Windanlagen mit einem Gigawatt ersetzt werden“, merkt Dr. Nicole Grünewald an. Da fehlen vier Gigawatt. „Niemand konnte uns bisher erklären, wo die in nur sieben Jahren jetzt plötzlich herkommen sollen,“ sagt die Präsidentin der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln. Und die Gretchenfrage, von der Investitionsentscheidungen abhängen: Wie bezahlbar ist diese Energie, falls sie überhaupt kommt?

8000 Menschen arbeiten in der Kohleindustrie, 15.000 in Zulieferbetrieben. In der energieintensiven Wirtschaft, die rund um Köln liegt, sind weitere 50.000 Menschen beschäftigt. Welche Zukunft haben sie für sich und ihre Familien? Oder werden Firmen ihre Investitionsentscheidungen vom Zugang zu günstiger Energie, guter Infrastruktur und einem auskömmlichen gesellschaftlichen Klima abhängig machen? Ist es verwunderlich, dass Unternehmen sich in Ländern wie den USA umschauen, wo die Energie zu 100 Prozent sicher und zu 80 Prozent günstiger ist? 

Mit rund 27.000 neuen Arbeitsplätzen rechnet hingegen das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) aus Köln, das vor Ort den Strukturwandel begutachtet hat, der von einem 15-Milliarden-Euro-Programm aus dem Bundesetat befeuert wird. Weitere 3.200 neue Stellen entstünden dadurch in NRW und fast 10.000 in der gesamten Republik, haben die Autoren der IW-Studie berechnet. Ist der Strukturwandel eine Jobmaschine? IW-Geschäftsführer Prof. Hubertus Bardt ist Kenner der Region und weiß mehr.

Meike Jungbluth ist Vorsitzende von „Mine ReWIR“ aus Aachen. Die Initiative von Revierunternehmen spricht für die 400 teils hoch spezialisierten Unternehmen, die als Dienstleister die Braunkohle begleiteten. Zahlreiche von ihnen werden das bis zum Ende der Förderung 2030 tun müssen. Die Geschäftsführerin des Familienunternehmens Roskopf, das seit 1957 im Revier tätig ist, warnt vor einer De-Industrialisierung und dem Verlust von Kompetenz. Die Förderpolitik begleitet „Mine ReWIR“ wachsam. „Deren Themen sollten eine Nähe zur Region haben“, mahnt Jungbluth.

Führen die niedrigen Energiepreise und das Konjunkturprogramm in den USA zu Produktionsverlagerungen? Wie stark hemmen Planungs- und Genehmigungsprozesse den Aufbau erneuerbarer Energien?  Ganze Regionen haben gut von dem Energieträger Braunkohle gut gelebt. Antworten und Einschätzungen können wir von Thomas Schauf erwarten, dem Geschäftsführer der Metropolregion Rheinland. Ich freue mich, dass mein Moderatorenkollege Michael Hirz und ich ihn für unser Podium gewinnen konnten.

Eines steht fest: Die Zukunft unserer Region entscheidet sich in diesen Tagen. Denn allein Planung und Genehmigung eines Windrades dauern im Durchschnitt sieben Jahre. Die Bauzeit kommt noch hinzu. Jetzt muss Vertrauen aufgebaut werden in die Leistungsfähigkeit von Behörden und Kommunen. Was heute gelingt, wird in sieben Jahren – hoffentlich – Früchte tragen. Hoffen wir, dass alle Entscheidungsträger nicht, wie so oft, die Absicht für die Tat nehmen. Die Entscheidung für den vorgezogenen Kohle-Ausstieg bürdet ihnen Arbeit und Verantwortung für die Existenz einer ganzen Region auf.

Guten Mutes melde ich mich aus dem Karnevalsurlaub zurück und wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende.

Herzlich grüßt

Ihr

Peter Pauls

Newsletter 24.02.2023

Pöbeln, hetzen, diffamieren
Wie gespalten ist unsere Gesellschaft?

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

wollen Sie eine Abendgesellschaft mal so richtig auf Touren bringen? Eine lahme Party zum Kochen bringen? Den langweiligen Verwandtenbesuch emotional aufheizen? Nichts einfacher als das. Sprechen Sie Themen wie Gendern, grüne Verekehrspolitik, Silvester in Neukölln oder auch nur das Thema Frauen ins Kölner Dreigestirn an – und Aufmerksamkeit sowie erhöhter Blutdruck sind ihnen sicher.

Der Ton in der Gesellschaft ist rauer geworden. Höflichkeit und Zurückhaltung waren gestern, heute wird argumentativ auf den Putz gehauen. Toleranz? Aber doch nicht für abweichende Meinungen. Das erleben wir gerade am Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine wieder: Als Blöcke stehen sich unversöhnlich die Unterstützer der Ukraine und die Befürworter von möglichst sofortigen Friedensverhandlungen gegenüber, „Kriegstreiber“ gegen „Putin-Versteher“.

Was ist da passiert, warum sind wir so unduldsam geworden, warum brauchen manche Menschen keine Fakten mehr, um eine scharfe Meinung zu entwickeln? Das habe ich jemanden gefragt, der es wissen muss: Den Tiefenpsychologen Jens Lönneker, Gründer und (gemeinsam mit Ines Imdahl) Inhaber des renommierten Kölner Forschungsinstituts rheingold salon. Er hat sich schon länger in Studien mit diesem Thema beschäftigt.

Sein Blick geht zurück auf den Beginn des bürgerlichen Zeitalters. Während im Feudalismus unter Hinweis auf Gottesgnadentum ziemlich willkürlich entschieden wurde, setzte das aufstrebende Bürgertum stark auf die Vernunft. Dieses Credo verband es mit einem Herrschaftsanspruch: Wer herrscht, muss durch nachvollziehbare Begründungen überzeugen. Wer also etwas durchsetzen will, muss logisch und vernünftig argumentieren. Dabei wurde aber sauber unterschieden in öffentliche und private Sphäre: Die Öffentlichkeit war der Raum, wo Vernunft und Rationalität die Maßstäbe setzten, im Privaten war Platz für Emotionen, für Gefühle. Natürlich durfte, sagt Lönneker, auch mit Leidenschaft gestritten werden, aber selbstverständlich auf der Basis von Fakten und Logik.

Dieser Konsens ist aufgekündigt. Öffentliches und Privates vermischen sich zunehmend. Politik kommt kaum noch am Boulevard vorbei, kann auf Twitter nicht verzichten. Die Homestory bei BILD, die Klatschgeschichte bei RTL – alles das wiegt beim Wählervotum genauso wie das kluge Argument. Es sind Politiker wie Donald Trump, die erkannt und skrupellos nutzen. Trump mit seinem untrüglichen Bauchgefühl behauptet heute dies, morgen jenes und spielt meisterhaft auf der Klaviatur von Emotionen, Ängsten und teils niederen Instinkten seiner Anhänger. Die wiederum kümmern die Widersprüche nicht, solange nur ihr Idol ihre Gefühle bedient.

Die sogenannten Sozialen Medien verstärken das, es ist schließlich das Geschäftsmodell von Twitter und Co.: Erregung, so die Logik der entsprechend programmierten Algorithmen, erhöht die Verweildauer, sorgt für mehr Klicks und füllt damit die Taschen der Investoren. Mäßigung rechnet sich eben nicht, Krawall schon. Auffallen um jeden Preis ist die Devise, je schriller, desto besser.

Müssen wir uns auf eine dauerhaft gespaltene, vielfach polarisierte Gesellschaft einstellen? Die USA haben schon immer Europa den Spiegel seiner eigenen Zukunft vorgehalten. Werden wir uns an bizarre Verhältnisse, wie sie unter Donald Trump sichtbar geworden sind, gewöhnen müssen? An offensichtliche Lügen, an Hetze, an Hass, befeuert und verstärkt durch die sogenannten Sozialen Medien? Jens Lönneker will optimistisch bleiben, er glaubt an die Kraft der Aufklärung, dass eine Mehrheit den Unterschied zwischen seriöser und manipulativer Information zu schätzen weiß.

Und natürlich gehört Streit zur Demokratie. Aber Kompromiss als Ergebnis des Streits der Argumente eben auch. Schwierig wird es, wenn die eigene Position absolut gesetzt wird, Respekt vor der Position des anderen als Schwäche gewertet wird. Das gesellschaftliche Gespräch, sagte einmal der Philosoph Hans-Georg Gadamer, lebt von der Vorstellung, dass vielleicht der andere recht haben könnte.

In diesem Sinne grüsst Sie, herzlich wie stet,

Ihr

Michael Hirz

NEWSLETTER 16.02.2023

Von den Heiligen Drei Königinnen bis hin zu alten weißen Männern. Reaktionen zur Diskussion um ein Kölner Dreigestirn mit Frauen.

Sehr geehrte Mitglieder,
liebe Freundinnen und Freunde des Kölner Presseclubs,

mit dem letzten Newsletter des Kölner Presseclubs haben wir eine interessante Debatte angestoßen. Die Forderung der Präsidentin der Colombina Colonia, der ältesten Damengesellschaft Kölns, nach einem weiblichen Dreigestirn im Kölner Karneval wurde in den sozialen Medien kontrovers diskutiert. Damit haben wir ein Thema getroffen, das den Zeitgeist aufgreift und zu dem jeder eine Meinung hat.

Zahlreiche User in den Kommentarspalten kämpfen für den Erhalt des Brauchtums: „Lasst das Brauchtum nicht sterben!!!“, bittet Leo. „Frauen müssen nicht überall mitmischen.“, meint Helma. „Ich weiß nicht, warum die Frauen immer alles wollen“, will Ernst wissen. Marianne kommentiert: „Lasst das Dreigestirn wie es jetzt ist, basta!“ Elke fragt sich: „Haben wir Frauen so wenig Selbstbewusstsein, dass wir das den Männern auch noch nehmen müssen?“ Sogar ein Ralf aus Mannheim kennt sich offenbar aus:  „Ihr in Köln habt doch so eine tolle Oberbürgermeisterin, reicht dies euch noch nicht?“ Christel bemüht die Literatur mit einem Zitat des österreichischen Volksschriftstellers Peter Rosegger aus dem 19. Jahrhundert: „Das Weib an der Macht pflegt sich zu entweiben. Da es kein Mann sein kann, wird es ein Tyrann.“

„Der Ball liegt bei den gemischten Karnevalsgesellschaften. Die müssen sich jetzt mit ihren Frauen bewerben!“ sagt Heinz-Günther Hunold, Präsident der Roten Funken
Foto: Claudia Hessel

Heiko meint dagegen, diese Kommentare wären vor 120 Jahren identisch gewesen z.B. bei Fragen wie: „Dürfen Frauen studieren? Oder dürfen Frauen wählen“? Auch für Ortwin Weltrich ist ein Dreigestirn ohne Frauen antiquiert und rückwärtsgewandt. „Das passt nicht zum vielbeschworenen modernen Karneval. Was steckt dahinter? Die Angst von Männern eine ihrer letzten Bastionen zu verlieren, weil dann auch in den renommierten Karnevalsvereinen Frauen nicht mehr außen vorgelassen werden können. Aber gibt es auch nur ansatzweise ein sachliches Argument, Frauen in diesen Vereinen und im Dreigestirn nicht zuzulassen? Es ist wohl mehr die Urangst vor Veränderung. Aber in einer modernen Welt gilt: Wer sich nicht verändert, wird irgendwann verändert.“

In dasselbe Horn stößt Oliver: „Ich würde eher sagen, dass die Veränderungsunwilligkeit und Besitzstandswahrung des vorwiegend aus alten weißen Männern bestehenden Karnevalsestablishment das Problem ist.“ Er geht sogar noch einen Schritt weiter und wittert unlautere Methoden. Auch beim Stichwort Quote, obwohl sie noch ­keiner fordert, scheiden sich die Geister: Bastian Ebel vom Express ist auf Linie des verantwortlichen Kölner Festkomitees, wonach einem weiblichen Dreigestirn prinzipiell nichts im Wege stehen würde: „Es geht doch schon längst, dass Frauen im Kölner Dreigestirn unterwegs sein dürfen. Warum soll Quote vor Qualität gehen? Gebt mir ein Superfrauen-Dreigestirn, die in der Bewerbung besser sind und gut.“ Beim Thema Quote meldet sich Inga Vogt zu Wort: „Keiner fordert eine Quote, aber es ist die gleiche Argumentation, zu der immer wieder Unternehmen und auch viele Organisatoren von Panels und Fachveranstaltungen greifen: Es gebe keine geeigneten Frauen. 51,1% der Kölner Bevölkerung „Qualität“ abzusprechen, finde ich gewagt.“

Und was sagt das Festkomitee dazu? „Zum Geschlecht des Kölner Dreigestirns gibt es in unserer Satzung keine Vorgaben.“ heißt es. Auch ein gemischtes Trio sei möglich. „Es stimmt, dass es in der Vergangenheit bereits weibliche Bewerber gab. Über die Anzahl oder die Leistungen der Bewerberinnen und Bewerber machen wir aber grundsätzlich keine Angaben.“

Emanzipation im Karneval – kein Thema im Kölner Jubiläums-Rosenmontagszug. Nur das Bärbelchen als Bischöfin soll die Zukunft sein? Das ist zu wenig.
Foto: Claudia Hessel

Gibt es einen fairen Wettbewerb? 75 Karnevalsgesellschaften gehören dem Festkomitee an und sind vorschlagsberechtigt für das Dreigestirn. Davon sind zur Zeit vier Frauengesellschaften sowie noch einige gemischte Karnevalsgesellschaften, wobei der Frauenanteil wohl sehr gering sein dürfte. Auf der Grundlage ist offenbar schon allein rein rechnerisch die Chance für ein weibliches Dreigestirn gering.  Repräsentanten des etablierten Karnevals sehen das zuversichtlicher. Rote Funken Präsident Heinz-Günther Hunold nimmt es fußballerisch: „Der Ball liegt bei den gemischten Karnevalsgesellschaften. Die müssen sich jetzt mit ihren Frauen bewerben!“ Auch für den amtierenden Prinz Boris I. gehören Frauen ins Dreigestirn – irgendwann. Für ihn ist es aber wichtig, dass man sich im Dreigestirn bestens versteht. „Sonst klappt es im Team nicht.“

Ich finde, die Diskussion um ein Kölner Dreigestirn mit Frauen muss nicht nur in den sozialen Medien, sondern vor allem auch auf den Straßen dieser Stadt geführt werden. Und gibt es 2023 das Thema Emanzipation im Jubiläums-Rosenmontagszug? Leider Fehlanzeige! Lediglich im Bezug auf die Kirche wird die Rolle der Frau aufgriffen: mit Bärbelchen als Bischöfin unter dem Titel: „Zokunf – mer spingkse wat kütt“ – Zukunft, wir schauen, was kommt. Das ist entschieden zu wenig für 2023. Es müssen ja nicht gleich Die Heiligen Drei Königinnen werden, wie Birgit auf facebook ironisch vorschlägt. Aber ein Dreigestirn mit Damen sollte in Zukunft selbstverständlich sein.

Eine jecke Zeit wünscht Ihnen

Ihre Claudia Hessel